Kommentar
Privatisierte Uni-Spitäler: Ein Skandal ohne Ende
Red. Der Autor dieser Kolumne, Bernd Hontschik, ist Chirurg und Publizist.
Über den Verkauf der Universitätskliniken Marburg und Giessen (heute 86 Spitäler und Institute mit 11’000 Mitarbeitenden) an den börsennotierten Konzern Rhön-Klinikum AG (Umsatz 2011: 1,4 Milliarden Euro) ist in den vergangenen sechzehn Jahren eigentlich schon alles gesagt worden. Vorher hatte die Hessische Landesregierung ihre gesetzlichen Verpflichtungen der Krankenhausfinanzierung jahrelang und so lange ignoriert, bis die Kliniken in ihrer Bausubstanz soweit heruntergekommen waren, dass CDU und FDP sie für den Spottpreis von 116 Millionen Euro an den Rhön-Konzern verkaufen konnten, der seinen Aktionären seitdem zehn Prozent Rendite zukommen lässt. Die Landesregierung unter Roland Koch brüstete sich lauthals, den Landeshaushalt von der millionenschweren Last notwendiger Investitionen und Unterhaltskosten befreit zu haben. Was dem ärztlichen und pflegerischen Personal damit angetan wurde, interessierte nicht. Was das für die Medizin bedeutete, interessierte auch nicht. Heute wissen wir aber, dass alles sowieso ganz anders gekommen ist. Denn niemand weiss ja, was in dem Kaufvertrag von 2006 eigentlich vereinbart worden ist. Der Vertragstext ist nach wie vor geheim. Warum ist dieser Vertrag wohl geheim? Misstrauen ist angesagt.
Versprechungen wurden nicht eingehalten, vertraglich Vereinbartes gekündigt, Druckversuche ausgeübt und die Öffentlichkeit immer wieder getäuscht, aber das Schlimmste ist: Seitdem lässt sich jede Hessische Landesregierung am Nasenring durch die Manege führen. Nicht einen einzigen Euro hat der Verkauf der Universitätskliniken erspart, im Gegenteil. Vor kurzem hat die Hessische Landesregierung sogar eine halbe Milliarde Euro für den Konzern locker gemacht, um die privatisierten Universitätskliniken «zu fördern»!
Weniger Forschung und hohe Ausschüttungen an Aktionäre
Red. Auf der Wikipedia-Seite über die privatisierten Universitätsspitäler ist folgende Anmerkung zu finden:
Der Autor und Journalist Werner Rügemer kritisierte in einer Analyse der Privatisierung, dass sich die Arbeitsbedingungen im Klinikum verschlechterten, weniger Geld in Forschung investiert werde, der Unterricht für Medizinstudenten regelmässig ausfällt und die Anzahl der Doktorarbeiten rückläufig ist. Gleichzeitig wurden im Zeitraum von 2015 bis 2019 insgesamt 278,2 Millionen Euro an die Aktionäre ausgeschüttet. Hinzu kamen 10 Millionen Euro an Aufsichtsratsmitglieder, der doppelte Betrag an aktive und ehemalige Vorstände sowie 6 Millionen Euro an das Wirtschaftsprüfungs-unternehmen PricewaterhouseCoopers.
Und in der ganzen langen Reihe von Tricks und Täuschungen ist aktuell nun die Partikeltherapie an der Reihe. Die Partikeltherapie war 2006 eine der grossen und gross angekündigten Versprechungen des Rhön-Konzerns, um die Vorteile der Privatisierung der Unikliniken anzupreisen. Bei der Partikeltherapie handelt es sich um eine Sonderform der Strahlentherapie zur Behandlung bösartiger Tumoren. Zur Anwendung kommen positive Ionen. Grosse Hoffnungen ruhen auf ihr. Die Partikeltherapie ist mit einem hohen technischen und apparativen Aufwand verbunden und der konventionellen Strahlentherapie überlegen, denn nicht nur das Bestrahlungsfeld lässt sich punktgenau konfigurieren, sondern auch die Bestrahlungstiefe. In Deutschland gibt es bislang nur zwei Zentren, die diese Therapie anwenden können, in Heidelberg und eben in Marburg.
Und nun verkündet Christian Höftberger, der Vorstandsvorsitzende der Rhön-Klinikum AG, dass diese Technik in Marburg «an ihr Ende kommen wird, weil sie anscheinend zu komplex ist». Eingeweihte wissen natürlich, dass diese technischen Argumente nur vorgeschoben sind, um die betriebswirtschaftliche Logik der Argumentation zu verschleiern. Die Technik sei zu teuer, zu aufwändig und nicht rentabel. Und so ist die Partikeltherapie in Marburg ein eklatantes Beispiel dafür, was mit der Medizin passiert, wenn sie rote Zahlen schreibt: Sie wird gestrichen, geschlossen und eingestellt. Ein Versorgungsauftrag oder die Gesundheit der Betroffenen sind dabei gleichgültig.
Was hier geschieht, ist nicht verboten. Es folgt der einfachen Logik jedes Unternehmens: Kosten senken, Einnahmen steigern, Gewinne ausschütten. Ob das Klopapier, Elektroautos oder Gesundheitsleistungen sind, ist dem Kapital gleichgültig, Hauptsache es vermehrt sich. Wenn Krankenhäuser in Konzernbesitz geführt werden wie jedes andere Unternehmen, dann hat die Medizin abgedankt. Es gibt nur einen Ausweg, und das ist die Gemeinnützigkeit. Koste es, was es wolle.
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Diese Kolumne erschien am 13. August in der «Frankfurter Rundschau».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Hr. Hontschik bringt das jahrzehntelange Unbehagen gegen Privatisierungen im med. Sektor auf den Punkt. Ausbildung, Versorgungssicherheit, technologischer Vorsprung, Forschung, Bausubstanz verkommen und werden zum Wohle der Aktionäre und Vorstände bis aufs Blut ausgemolken. Das war zu erwarten, aber niemand wollte es hören. Es lockte das schnelle Geld. Ähnliches passierte beim Verscherbeln von hunderttausenden kommunalen Wohnungen in West und Ost. Der Staat mit seiner Fürsorgepflicht sitzt hier immer am kürzeren Hebel; er muss geplünderte Strukturen wieder übernehmen bzw. bezuschussen. Mit etwas Mut könnte man ein Gesetz machen, dass eine Zwangsverstaatlichung im Falle einer Bestandsverschlechterung bzw. Nichteinhaltung bestimmter Leistungen vorsieht. Da säße der Staat nämlich am längeren Hebel.
Die Profitgier des gut bürgerlichen Unternehmers ohne soziale Verantwortung frisst sich je länger je mehr in alle Bereiche des täglichen Lebens. In die Krankenhäuser eben zum Schaden der Patienten, in die Bildung, wo Bildung nur noch eine ist, die rentiert, in die Forschung, die sofort Mehrwert generieren soll, in die Landschaften, wo Natur einzig pekuniäre Werte repräsentiert und in Gesellschaften, die dadurch sich spalten, weil eben davon ein paar profitieren und der grosse Rest sich verschaukelt vorkommt und ohnmächtig zum Anhänger des Populisten wird. Das Gemeinwohl geht flöten und die Politik ist überfordert immer mehr.
Ja, das sind Goldgruben. So um 1990 kamen die ersten privaten Altenheime, dann die Rehakliniken. Damals bekamen die Geldgeber «nur» 9 %. Ab 1997 kamen die «Pflegemanager». Schon das Wort Pflege (sozial) und Manager (knallhart) ist ein Wiederspruch in sich. Es waren nicht die Patienten, es war das System das mich als Pflegekraft kaputt gemacht hat.