Permanente Revolution am stillen Örtchen
Rechtzeitig Mitte November zum UNO-Welt-Toiletten-Tag – ja, den gibt es tatsächlich – meldet die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua (Neues China) grosse Erfolge im Kampf für verbesserte Volkshygiene. Dazu gehören insbesondere saubere Toiletten. Das Thema wurde in dieser Kolumne in den letzten Jahren verschiedentlich behandelt, nicht zuletzt weil Ihr Korrespondent vor über dreissig Jahren eine seiner ersten Reportagen aus Peking diesem Thema widmete. Die jetzt in Chinas Medien als «Toiletten-Revolution» apostrophierte neue Aktion der letzten drei Jahre hat somit eine längere Vorgeschichte. Oder frei nach Leo Trotzki haben wir es hier mit einer permanenten Revolution zu tun. Chinas rote, kapitalistisch-kommunistische Kaiser sind deshalb aber nicht etwa des Trotzkismus verdächtig. Vielmehr sind sie in diesem Punkt Realpolitiker zum Wohle des Volkers.
Mit Eau de Javel zum Sieg
In Peking gehörte zur Toiletten-Revolution 1986 unter anderem ein Wettbewerb für das beste, sauberste, benutzerfreundlichste WC. Das bedurfte natürlich einer Recherche vor Ort. Beim kleinen Geschäft war das relativ einfach. Beim grossen dagegen galt es, sich an neue Usanzen zu gewöhnen. Das Steh-Plumps-Klo war das eine, schon gewöhnungsbedürftiger war das Sitz-WC. Da sassen auf einem Balken vier, fünf Männer nebeneinander, lasen Zeitung und parlierten miteinander. Und verrichteten dabei ihr Geschäft. Eine besondere Erwähnung verdient der Abort von Herrn Wang. Vor der Ankunft der strengen Juroren putzte und fegte er die Toiletten und besprühte schliesslich die Notdurft-Anlage mit viel, sehr viel Eau de Javel. Er gewann den Wettbewerb mit Abstand und wurde so zum Revolutionär der bis heute andauernden permanenten Toiletten-Revolution.
Alle 500 Meter ein öffentliches WC
Doch die Zeiten haben sich geändert. Javel-Wasser genügt längst nicht mehr. Seit 2015 hat die permanente Toiletten-Revolution einen neuen Schub bekommen, in den Städten vorab, doch immer mehr auch auf dem Lande. So wurden in den letzten Jahren 68’000 öffentliche WCs instandgesetzt, vermeldet die amtliche Nachrichten-Agentur Xinhua, 20 Prozent mehr als geplant. Bis ins Jahr 2020 sollen nochmals 47’000 neue Aborte dazukommen, weitere 17’000 sollen renoviert werden. Allein in Peking wurden seit 2015 34’000 neue WCs gebaut und 23’000 renoviert, sodass nun in der 22-Millionen-Metropole mindestens alle 500 Meter ein meist sauberer Abort zur Verfügung steht. Ähnliches lässt sich von andern Grossstädten Chinas sagen. Diese Zahlen stammen von der nationalen Tourismus-Administration. Sie zeigen, wie wichtig der Tourismus für Chinas Wirtschaft ist. So entfallen 11 Prozent des Wachstums des BIP (Brutto-Inlandprodukts) auf nationalen und internationalen Tourismus.
Wichtiger Beitrag zur Volksgesundheit
Die permanente Toiletten-Revolution hat landesweit mehrere Milliarden Yuan (umgerechnet mehrere hundert Millionen Dollar) gekostet. Auch in der Frage der Notdurft gibt Staats- und Parteichef Xi Jinping den Ton an. Ende November wird er von Xinhua mit folgenden Worten zitiert: «Die Toilettenfrage ist keine unbedeutende Angelegenheit, sondern ein wichtiger Aspekt bei der Verbesserung der Infrastruktur.» Xi legt auch besonderen Wert darauf, dass nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Lande der Hygiene-Standard angehoben wird. Laut Xi wird mit verbesserter Hygiene die Gesundheit und mithin der Lebensstandard verbessert.
WC-Anlagen mit Fünf-Sterne-Luxus
Mit der permanenten Toiletten-Revolution haben sich die Verhältnisse in China tatsächlich markant verbessert. Die Zeiten mit Gestank, Dreck und Unrat gehören der Vergangenheit an. In den Städten werden WCs sogar mit Sternen versehen. In der Grossen Halle des Volks am Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen in Peking verrichten Abgeordnete des Parlaments oder des Parteitages ihre Geschäfte im Fünf-Sterne-Luxus. In einem Abort im Himmelstempel oder im Vogelnest-Stadion gibt es gar TV, Musik, ATM, WiFi und Ladestationen fürs Handy. Auch gibt es westliche Spülklos und sogar WC-Papier. Aber Achtung! Beim Papier gibt es nach Gesichtserkennung gerade mal 60 Zentimeter Papier. Wer mehr benötigt, muss neun Minuten warten.
«Globale Hygiene-Krise»
Die Toiletten-Revolution ist tatsächlich ein grosser Erfolg für die Volksgesundheit Chinas. Laut UNO-Angaben ist eine «globale Hygiene-Krise» festzustellen, denn weltweit verrichten noch immer 900 Millionen Menschen ihre Notdurft im Freien. Indiens Ministerpräsident Narendra Modi hat vor einem Jahr die Zustände im Subkontinent gegeisselt und nach chinesischem Vorbild eine Toiletten-Revolution entfacht. Mit ungewissem Ausgang.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.