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Eine saftige, duftende Take-Away-Pizza lässt so manches Herz höher schlagen. Aber Vorsicht - aus dem Karton können gesundheitsschädliche Bisphenole ins Essen übergehen. © PikPik

«Öko-Test»: Nach Dosentomaten nun hohe Bisphenol-Werte in Pizza

Daniela Gschweng /  Ohne gesundheitsgefährdende Bisphenole geniesst es sich nur bei Pizza Hut. Andere Pizzakartons im Test waren deutlich belastet.

Bisher war Bisphenol A oder BPA eher ein Thema in den Beschichtungen von Konservendosen. «Öko-Test» fand die hormonaktive Chemikalie bereits in hohen Mengen in Dosentomaten und -mais. Nun haben die Testerinnen und Tester BPA auch in Pizzaboxen gefunden – in teilweise sehr hohen Mengen.

Das Pseudoöstrogen, das als Grundstoff von Polycarbonat (PC), in Klebern und Beschichtungen verwendet wird, wurde wegen seiner hormonähnlichen, krebserregenden und fortpflanzungsschädlichen Eigenschaften in vielen Anwendungen Stück für Stück verboten. Vor einigen Jahren stellte sich heraus, dass BPA auch das Immunsystem stört. Ersetzt wurde die Chemikalie oft durch Bisphenol S (BPS), das ähnliche Eigenschaften hat.

Einzig «sauber»: Der Pizzakarton von Pizza Hut

In Deutschland sind seit dem 20. Januar sämtliche Bisphenole in Materialien verboten, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen (Infosperber berichtete). Das Verbot gilt jedoch nicht für Papier und Karton. Bei Verpackungen aus Papier, Karton und alternativen Materialien standen wiederum bisher eher PFAS im Fokus. Diese werden oft verwendet, um Papier fett- und wasserabweisend zu machen.

«Öko-Test» untersuchte zehn Pizzakartons auf BPA und BPS und prüfte, wie viel davon in die Pizza übergeht. Ein Pizzakarton ist dabei grundsätzlich ein ungünstiges Behältnis. Nicht nur, dass die Pizza heiss, feucht und fettig ist. Auch die relativ grosse Kontaktfläche begünstigt den Übergang von Chemikalien.

Die Ergebnisse «übertrafen die Befürchtungen bei Weitem», so das Konsumentenmagazin. Neun der zehn untersuchten Pizzaboxen waren mit BPA belastet, acht mit BPS. Einzig «sauber» war der Karton der Restaurantkette Pizza Hut.

Im Karton von Call a Pizza fand sich zwar BPA, es ging jedoch nicht in die Pizza über. Bei vier anderen der neun Boxen wanderte Bisphenol A auch in die Pizzen. BPS ging in allen Fällen ins Essen über. Am meisten BPA und BPS löste sich von Kartons der Marke Italia, hergestellt vom selbsternannten EU-Marktführer Cuboxal. Cuboxal fertigt auch zwei der drei anderen von «Öko-Test» als «sehr hoch belastet» eingestuften Pizzakartons. Der vierte stammt von L’Osteria.

Öko-Test Pizzakartons BPA belastet
Drei der vier am meisten belasteten Pizzakartons stammen vom EU-Marktführer Cuboxal. Am meisten BPS gab der Karton der Marke Italia (Mitte) ab. Der vierte (nicht im Bild) stammt von L’Osteria.

Wer eine ganze Pizza aus dem Italia-Karton isst und 60 Kilogramm schwer ist, überschreitet den BPA-Tageshöchstwert (TDI, Tolerable Daily Intake) der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) um das 45’000-Fache, rechnet die nach eigenen Worten «sprachlose» Redaktion des Magazins vor.

Für BPS gibt es noch keinen Tageshöchstwert. Wende man den TDI für Bisphenol A auch für Bisphenol S an, wie es das deutsche Bundesamt für Risikobewertung empfiehlt, sei der Grenzwert um das 250-Fache überschritten. Die Empfehlung der EFSA überschreitet die BPS-Konzentration im Italia-Karton um das 250’000-Fache.

Woher stammt BPA in Pizzakartons?

Die Ursache für die schädlichen Chemikalien im Karton ist ein eigentlich erwünschtes Detail in der Herstellung: Die Kartons bestehen zu unterschiedlichen Anteilen aus Altpapier. Dieses wiederum enthält Kassenzettel, Parktickets oder Eintrittskarten aus Bisphenol-haltigem Thermopapier. Was zwar nachhaltig ist, aber auch problematisch.

Ein Sachverhalt, der nicht nur Pizzaboxen betrifft und in der Kreislaufwirtschaft häufig auftaucht: Viele Produkte enthalten zu viele Giftstoffe, um sicher recycelt zu werden. Dieselbe Problemstellung gibt es auch bei Textilien oder Kunststoffen.

Die Sache mit dem Thermopapier

Pizza Hut verwendet ausschliesslich Frischfasern für seine Pizzaboxen. Andere Kartons enthalten wechselnde Anteile Recyclingpapier. Welche, konnte die «Öko-Test»-Redaktion nicht in Erfahrung bringen. Der Anteil kann sogar im gleichen Produkt variieren. Auch die Pizzabäcker kennen den Altpapieranteil meist nicht. Es gibt ausserdem verschiedene Möglichkeiten, um zu vermeiden, dass Chemikalien aus dem Karton ins Essen gelangen. Zum Beispiel kann nur die innerste Kartonschicht aus einem Material gefertigt werden, das kein Bisphenol abgibt.

BPA in Thermopapier wurde in der EU 2020 verboten, seither sinkt seine Konzentration im Altpapier. BPS, das als Ersatz dient, findet sich weiter. Eine Lücke im Konsumentenschutz, reklamiert «Öko-Test». Die Schweiz verbot 2020 gleich beide Stoffe. Der BPS-Gehalt im Altpapier stieg bis 2021 dennoch an. Vermutlich, weil Restposten aufgebraucht wurden oder Papier aus der EU bezogen worden war.

Bisphenole in der Pizza vermeiden

Die Pizza selbst zu backen, um giftige Chemikalien zu vermeiden, ist ein vermutlich utopisches Vorhaben – schliesslich essen die meisten Leute Take-Away, weil es schnell und ohne viel Aufwand gehen soll.

Es gibt aber Möglichkeiten, die Chemikalienlast zu senken. «Öko-Test» und das Nachhaltigkeitsportal «Utopia» geben folgende Tipps, die wir ergänzt haben:

  • Die Pizza gleich vor Ort essen. Das schont auch die Umwelt, weil weniger Altpapier entsteht.
  • Die Pizza schnell aus dem Karton nehmen. Die Zeit, in der sie problematische Chemikalien aufnehmen kann, wir dadurch verkürzt. Pizzakartons sind ohnehin nur für einen Kontaktzeitraum von etwa 30 Minuten vorgesehen.
  • Pizzareste nicht im Karton aufbewahren.
  • Wer häufig Pizza abholt, kann sich für wenig Geld eine BPA-freie Mehrwegbox zulegen.
  • Thermopapier nicht im Altpapier entsorgen. «Blaue» Kassenzettel und die meisten Schweizer Kassenzettel sind BPA- und BPS-frei.

Kleines Umweltchemie-Lexikon: Bisphenol A (BPA), Bisphenol S, Bisphenol F

Bisphenol A (BPA) ist ein endokriner Disruptor. Das heisst, die Chemikalie kann im Körper agieren wie ein Hormon. Erfunden wurde BPA in den 1930er-Jahren als Ersatz für natürliches Östrogen, heute wird es in Kunststoffen verwendet. In höheren Dosen kann BPA die Fortpflanzung und die fötale Entwicklung stören, die Spermienqualität reduzieren und Krebs verursachen. BPA ist als reproduktionstoxisch (fortpflanzungsgiftig) eingestuft und steht im Verdacht, Brustkrebs, Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern zu befördern. BPA kann ausserdem das Immunsystem stören.

Bisphenol A steckt in vielen Kunststoffen, Flammschutzmitteln, Baustoffen und Epoxidharzen. In der EU wurde BPA in Babyflaschen schon 2011 verboten. In der Schweiz gab es mehrere freiwillige Beschränkungen. Seit 2017 ist Bisphenol A in Babyflaschen und seit 2020 auch in Thermopapier wie Kassenzetteln und Parktickets nicht mehr erlaubt.

Ersetzt wurde Bisphenol A teilweise durch Bisphenol S (BPS) oder Bisphenol F, von denen sich mittlerweile herausgestellt hat, dass sie ebenfalls schädlich sind. Seit dem 20. Januar 2025 sind in der EU alle Bisphenole in Lebensmittelkontaktmaterialien verboten, ausser in Papier und Karton. Die Schweiz verbot 2020 neben BPA auch BPS in Thermopapier.

BPA kann durch Wärme aus Kunststoffen freigesetzt werden und durch die Haut in den Körper gelangen. Besonders vorsichtig mit Bisphenol A sollten Kinder, Schwangere und Übergewichtige sein.

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