Neun von zehn US-Amerikanern als krank eingestuft

Von den 20- bis 44-Jährigen in den USA sind über 80 Prozent krank, berichtet die US-Ärztezeitung «Jama». Die Autoren stützen sich auf eine laut ihren Angaben repräsentative nationale Erhebung. Von allen Erwachsenen ab 20 Jahren sind demnach sogar 90 Prozent nicht gesund, wenn man die Kriterien anlegt, welche die Amerikanische Herzvereinigung (AHA) letztes Jahr vorschlug. Damit wird fast die ganze Nation behandlungsbedürftig.

Während die Hersteller der neuen «Fett weg»-Spritzen eine riesige Werbe- und Lobbyingkampagne fuhren (Infosperber berichtete), kreierte die AHA einen neuen Begriff: die kardiovaskuläre-renale-metabolische Gesundheit (auf englisch cardiovascular-kidney-metabolic health, abgekürzt CKM). Damit will die AHA dem Zusammenspiel von Übergewicht, Diabetes, chronischer Nierenerkrankung und Herz-Gefäss-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall Rechnung tragen.

«Wird zu vielen diagnostischen Tests führen»

Ob diese vierstufige Klassifikation der Nation nach CKM-Kritierien der Bevölkerung jedoch einen Nutzen bringe, gehe weder aus der «Jama»-Studie noch aus anderen Informationen hervor. Das kritisiert Rita Redberg, Kardiologie-Professorin an der Universität von Kalifornien in San Francisco, auf Anfrage von Infosperber.

Die Einteilung von Menschen gemäss der CKM-Klassifikation «wird zu vielen diagnostischen Tests führen. Gesunde Menschen werden ohne klaren Nutzen mit einem Diagnose-Label versehen», prophezeit Redberg. «Wir können unsere Patienten auch ohne dieses Klassifikations-Schema zu gesunder Lebensweise beraten.»

Stadium 1: Übergewicht

Am Anfang des CKM-Syndroms steht die Gewichtszunahme. Laut der Erhebung, die «Jama» veröffentlichte, sind von den 20- bis 44-Jährigen 37 Prozent wegen gesundheitsgefährdenden Übergewichts im Krankheitsstadium 1 des CKM-Syndroms. 

Das Übergewicht verändert den Stoffwechsel. Es gesellen sich erhöhte Blutdruck-, Cholesterin- und Blutzuckerwerte hinzu und / oder die Nierenfunktion lässt nach. Seit 2011 betrifft dies laut der oben genannten Erhebung stets etwa die Hälfte der US-Amerikaner. Von den 20- bis 44-Jährigen sind 43 Prozent in diesem Stadium 2 des CKM-Syndroms, von den 45- bis 64-Jährigen 63 Prozent.

Aus dem Prä-Diabetes kann mit der Zeit ein Diabetes Typ 2 werden, aus den leicht erhöhten Blutdruckwerten eine Hypertonie. Die erhöhten Cholesterinwerte befördern Gefässablagerungen, die sich allmählich vergrössern.

Behandlungsempfehlungen erweitern den Kreis der Behandlungsbedürftigen

Weil es mit dem Abnehmen nicht klappt, werden im nächsten Schritt der typischen «Patientenkarrieren» die Werte medikamentös gesenkt. Von 2008 bis 2019 stieg die Anzahl der Personen in den USA, die beispielsweise einen Cholesterinsenker nahmen, um 197 Prozent*, von 31 Millionen auf 92 Millionen Menschen. Jeder vierte Mensch über 40 Jahre schluckt dort ein solches Medikament. Diese Zunahme hängt allerdings auch damit zusammen, dass die Behandlungs-Richtlinien 2013 geändert wurden, was den Personenkreis der Behandlungsbedürftigen ausweitete.

Eine US-Medizinprofessorin nannte diese Änderung damals im «British Medical Journal» einen «grossen Kuss für die Pharmaindustrie». Später kam heraus, dass ein erheblicher Teil der Ärzte, welche die Leitlinie erstellt hatten, Interessenkonflikte aufwiesen: Sie bekamen Honorare von Pharmafirmen, waren für diese als Berater tätig oder erhielten Forschungsgelder von ihnen. Eine 2014 erstellte Leitlinie, deren Autoren keine Interessenkonflikte mit Pharmaherstellern hatten, sprach vorsichtigere Empfehlungen aus. Das berichtete «Jama Internal Medicine» 2017.

Fast jeder Zehnte zwischen 45 und 64 Jahren im vierten Krankheitsstadium

Bei den Patientinnen und Patienten summieren sich mit der Zeit die Gefässschäden, die der erhöhte Blutzucker, der Bluthochdruck und das erhöhte Cholesterin verursachen. Diese machen sich oft an den Augen, an den Nieren, am Herz und / oder im Gehirn bemerkbar und ziehen weitere Behandlungen nach sich. Die Leber verfettet, das Risiko für einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall, für bestimmte Krebsarten oder für Nierenschäden steigt. 

Fast jeder zehnte Mensch in den USA zwischen 45 und 64 Jahren hat laut eigenen Angaben bereits einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall hinter sich oder leidet an Angina pectoris oder Herzversagen. Bei den ab 65-Jährigen sind es 28 Prozent. Diese Personen haben das Krankheitsstadium 4 des CKM-Syndroms erreicht.

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*in einer früheren Version stand hier fälschlicherweise 149 Prozent. Die Autorin entschuldigt sich für den Fehler.