Neuer Rückschlag für Brustkrebs-Sreening
Was schon bekannt war:
- Wegen des Screenings werden viel mehr Frauen ohne einen Nutzen behandelt als vor dem Tod an Brustkrebs gerettet. Nach Angaben der Krebsliga bringt eine Brustoperation nach einer Früherkennung vier von fünf Frauen keinen Nutzen: «Pro verhinderten Brustkrebstodesfall werden etwa vier Überdiagnosen gestellt.»
- Das organisierte Screening zur Früherkennung von Brustkrebs verlängert das Leben der Frauen nicht. Es sterben einige weniger an Brustkrebs, dafür sterben andere früher an den Folgen von Operationen und Bestrahlungen.
Was jetzt neu ist:
- Eine soeben im JAMA veröffentlichte grosse Studie zeigt, dass es höchstwahrscheinlich nichts nützt, mit Screenings entdeckte Vorstufen von Brustkrebs zu operieren (Duktale Karzinome in situ DCIS = Krankhafte Wucherungen in einer Brustdrüse).
Weil das Sreening verbessert wurde, finden Röntgenärzte in Brüsten von gesunden Frauen immer häufiger kleine krebsartige Zellen in den Milchgängen. Heute erhalten in der Schweiz rund 1500 an Screenings teilnehmende Frauen eine solche Diagnose.
Die meisten dieser krebsartigen Zellen bleiben ein Leben lang an Ort («in situ») und verursachen keine Beschwerden. Einige wenige breiten sich im Körper aus. Aber die Ärzte können nicht feststellen, welche. Deshalb behandeln sie fast alle betroffenen Frauen.
Operierte sterben nicht weniger häufig an Brustkrebs wie alle andern Frauen
Eine Auswertung der Todesursachen von 108’000 Frauen in den USA, bei denen das Screening krebsartige Zellen «in situ» entdeckt hatte, und die sich diese Zellen entweder brusterhaltend herausoperieren oder sich die ganze Brust entfernen liessen, ergab, dass diese Frauen bis zwanzig Jahre nach der Behandlung ebenso häufig an Brustkrebs starben wie die Frauen in der allgemeinen Bevölkerung. Zur Zeit der Behandlung waren die Frauen durchschnittlich 54 Jahre alt.
Dieses ernüchternde Resultat hat die Fachzeitschrift «Journal of the American Medical Association» JAMA am 20. August veröffentlicht. Bis heute haben weder die Krebsliga noch die grossen Medien in der Schweiz – mit Ausnahme der NZZ – darüber berichtet.
Bei Frauen, die trotz teilweiser oder ganzer Entfernung einer oder beider Brüste an Brustkrebs starben, waren die Brustkrebszellen bereits vor den Operationen im Körper verbreitet, vermutet Steven A. Narod, Hauptautor der Studie und Forscher am «Women’s College Research Institute» in Toronto.
Trotz Früherkennung sind die entdeckten Krebszellen meistens bereits einige Jahre alt, so dass aggressive Zellen Zeit hatten, sich zu verbreiten. Bei der Mehrheit der 956 Frauen, die an Brustkrebs starben, hat man vorher keinen invasiven Primärtumor in der Brust nachgewiesen. Deshalb zweifeln die Forscher daran, dass die krebsartigen Zellen «in situ» einen aggressiven Krebs auslösen können.
Die Resultate der neuen Studie «decken sich mit andern Forschungsergebnissen, die zu ähnlichen Schlüssen kamen», erklärte Barnett S. Kramer, Direktor am «National Cancer Institute» in der «New York Times».
Doch der Schweizer Brustkrebs-Spezialist und Verfechter der organisierten Screenings, Beat Hürlimann, will Ergebnisse einer noch aussagekräftigeren prospektiven Studie abwarten, deren Resultate erst in etlichen Jahren vorliegen werden. Bis dann werde er in St. Gallen alle mit Screening entdeckten Krebsvorstufen weiterhin entfernen, sagte Hürlimann gegenüber der NZZ.
Gleich viele Erkrankungen an invasivem Brustkrebs
Bisher galt es als Ziel der Früherkennung, das Behandeln von Brustkrebs in einem frühen Stadium zu ermöglichen, so dass die Heilungschancen grösser seien, und damit weniger invasiv operiert werden müssten.
So hatte der Onkologe Thomas Ruhstaller vom Kantonsspital St. Gallen erklärt: «Bei einem früh erkannten Tumor sind oft weniger Chirurgie, Bestrahlung und medikamentöse Therapien nötig als bei einem später festgestellten.»
Und Rudolf Morant, Leiter des St. Galler Diagnose-Zentrums Zetup: «Dank Früherkennung können teils grössere Operationen oder aggressive Therapien vermieden werden.»
Jetzt zeigt aber die Krebsstatistik in den USA, dass die frühe Entdeckung und das frühe Behandeln nicht wie erwartet zu einem Rückgang der invasiven Behandlungen geführt hat. Das ist ein starkes Indiz, dass fast alle Frühbehandlungen Überbehandlungen waren – ohne Nutzen für die Frauen.
Krebsspezialist Steven A. Narod folgert: «Die beste Methode, um DCIS zu behandeln, ist nichts zu tun.» Also lohnt sich die Früherkennung mit Screenings nicht.
«Frauen unterschätzen die Folgen von Überbehandlungen»
Die «New York Times» zitiert Karuna Jaggar, Direktorin der Selbsthilfeorganisation «Breast Cancer Action»: Frauen würden das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, häufig überschätzen, und das Risiko von Überbehandlungen ohne Nutzen unterschätzen.
Frauen, die eine Brustkrebsoperation hinter sich haben, hätten es schwieriger, eine Stelle zu finden und verdienen tendenziell weniger als vor der Operation. In ihren Beziehungen käme es zu emotionalem Stress. Häufig leide ihr Selbstwertgefühl. Dazu kämen selten, aber doch, gesundheitliche Komplikationen infolge der Operationen.
«Alle diese Nachteile und Schäden gibt es nicht nur theoretisch», insistiert Karuna Jaggar.
Die «New York Times» besuchte Therese Taylor in Kanada, die sich im Alter von 51 Jahren nach einem Mammografie-Screening, welches kleine krebsartige Zellen entdeckte, eine Brust operieren liess: «Ich war schockiert und hatte Angst». Heute bedauert sie die Operation: «Wenn eine Frau wirklich Krebs hat, ist sie in Ordnung. Aber eine Brustentfernung ohne Nutzen, ärgert mich. Seit der Operation habe ich das Gefühl, nicht mehr attraktiv zu sein.»
Der Schweizer Präventivmediziner Peter Jüni, Professor an der Universität Bern, äusserte Anfang 2015 die Überzeugung, dass die Brustkrebs-Früherkennung «gestoppt werden sollte, weil der Schaden überwiegt». Anders die Krebsliga Schweiz: Sie empfiehlt das Screening weiterhin, weil «aus heutiger Sicht die Vorteile der Screening-Programme die Nachteile überwiegen». Die Krebsliga macht bei Screening-Programmen in mehreren Kantonen aktiv mit.
—
—
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor verfolgt das Einführen von Screening-Programmen seit 16 Jahren als Journalist.