Mobilfunk: Bafu kontrolliert Grenzwerte nur auf «Plausiblität»
Die Grenzwerte sind der Knackpunkt beim Streit um den Ausbau des Schweizer Mobilfunknetzes. Doch ob bewilligte Antennen sie überhaupt einhalten, wurde lange kaum kontrolliert. Deshalb forderte das Bundesgericht das zuständige Bundesamt für Umwelt (Bafu) auf, die Antennen vor Ort zu überprüfen (Infosperber berichtete).
Das Resultat eines Pilotprojekts: Fast 40 Prozent der stichprobenartig überprüften Anlagen wichen von der bewilligten Installation ab. Die Ergebnisse des Projekts kommunizierte das Bafu in einem «Faktenblatt». Gemäss diesem haben die Abweichungen bei keiner Antenne zu Grenzüberschreitungen geführt.
Keine Grenzwertüberschreitungen – oder doch?
Dokumente, welche Infosperber gestützt aufs Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) vom Bafu erhielt, zeigen: Dies war das Fazit, welches die Antennenbetreiber vom Bafu kommuniziert haben wollten. Der Branchenverband Asut intervenierte bei Urs Walker, Abteilungsleiter Lärm und nicht-ionisierende Strahlung, obschon Vertreter der einzelnen Anbieter bereits ins Projekt involviert waren. In einem entsprechenden Asut-Schreiben steht, dass die Bafu-Kontrollen keine Überschreitung der vorsorglichen Anlagegrenzwerte ergeben hätten, sei «sicherlich die wichtigste Erkenntnis der bisher erfolgten Abklärungen».
Doch dies lässt sich nicht unabhängig überprüfen.
Das Bafu lässt zwar die Installation der Anlagen kontrollieren. Ob unbewilligte Abweichungen aber zu Überschreitungen der gesetzlichen Grenzwerte führen, konnten die Anbieter selber berechnen. Dabei handelt es sich gemäss Bafu um dieselbe Berechnung, wie sie bei der Bewilligung einer Mobilfunkantenne durchgeführt wird.
Das Amt schreibt dazu: «Zuständig für die Bewilligung und Kontrolle von Mobilfunkanlagen sind die Kantone und Gemeinden. Diese verfügen über die genauen Angaben zu den Mobilfunkanlagen. Da das Bafu nicht in den Bewilligungsprozess involviert ist, verfügen wir nicht über die vollständigen technischen Daten der Antennen, wie etwa die Antennendiagramme. Die Betreiber hingegen können mit den bei ihnen bereits vorliegenden Modellen die neuen Berechnungen effizient durchführen. Seitens Bafu überprüfen wir die Ergebnisse anschliessend auf Plausibilität.»
Unmut über verzögerte Berechnungen
Dass diese Abhängigkeit Kontrollen erschwert, zeigt eine Email-Korrespondenz. Während dem Projekt sorgte im Bafu nämlich für Unmut, dass die Firmen für die Berechnungen eigenmächtig doppelt so viel Zeit in Anspruch nahmen wie abgemacht. Anfang 2023 vereinbarte das Bafu mit Swisscom, Salt und Sunrise, dass die Firmen innerhalb eines Monats neue Berechnungen für die Antennen liefern, bei denen Fehler der baulichen Parameter festgestellt wurden.
Als die Berechnungen nach zwei Monaten nicht eingetroffen waren, warf das Bafu den Anbietern vor, die Kontrollarbeiten zu verzögern. Eine Asut-Vertretung beteuerte in seiner Antwort, dies sei nicht Absicht gewesen. Es seien aber bei der verbandsinternen Diskussion der Kontrollen und deren Resultate offene Fragen identifiziert worden. «Die von euch angeforderten Abklärungen wurden von den Betreibern selbstverständlich gemacht und haben keine Überschreitungen der Anlagegrenzwerte ergeben.»
Erklärungsbedürftige Abweichungen
Doch die Berechnungen waren durchaus heikel. An einer Sitzung wies eine Vertretung der Freiburger Kontrollbehörde gemäss Bafu-Protokoll nämlich darauf hin, dass die festgestellten Abweichungen andernorts durchaus zu einer Grenzwertüberschreitung führen könnten.
Eine Vertretung der Stadt St. Gallen erwähnte, dass bei Abnahmemessungen Abweichungen von der rechnerisch bewilligten Strahlung festgestellt würden, für die man bislang keine konkrete Erklärung gefunden habe. 2021 berichtete bereits der K-Tipp, dass gemäss Abnahmemessungen der Kantone viele neue Antennen die Grenzwerte überschritten.
Und schliesslich ergaben Infosperber-Recherchen, dass der Kanton Bern dieses Jahr bei eigenen Kontrollmessungen – und nicht etwa blossen Berechnungen der Strahlung – wiederholt Grenzwertüberschreitungen feststellte.
Kontrollmessungen der Strahlung kommen gemäss Bafu allerdings erst infrage, wenn die Berechnungen ergeben haben, dass die entsprechende Anlage 80 Prozent des Anlagegrenzwerts ausschöpft.
Bafu protokolliert zurückhaltend
Die Dokumente zeigen ausserdem, wie zurückhaltend das Bafu protokolliert. In einem Faktenblatt zum Projekt erwähnt das Amt zwar «verschiedene Gespräche mit Messfirmen, Netzbetreibern sowie kantonalen und städtischen NIS-Fachstellen».
Besonders die Gespräche mit Kantonen und Städten wären aussagekräftig, weil sie in erster Linie für die laufenden Kontrollen und die Behandlung der Baugesuche zuständig sind und die Interessen der Einwohnenden gegenüber den Anbietern vertreten müssen.
So erhielt vor wenigen Monaten die Stadt Wil (St. Gallen) vor Bundesgericht recht, weil sie gegenüber der Swisscom auf einem Baugesuch beharrte (Infosperber berichtete). Eigentlich wären die Gemeinden als baupolizeiliche Behörden für die Kontrollen zuständig. Doch ihnen fehlt es dafür an Wissen und Ressourcen, wie ein Vertreter des Kantons Graubünden feststellte.
Von den Gesprächen sind gemäss BGÖ-Auskunft allerdings nur zwei dokumentiert. Von der wichtigsten Sitzung mit allen involvierten Parteien, für welche drei Stunden eingeplant waren, gibt es bloss ein zweiseitiges «Kurzprotokoll». Von einer separaten Sitzung mit Sunrise fehlen jegliche Notizen.
Das Online-Magazin Republik schrieb unlängst in einem Artikel zum zwanzigjährigen Jubiläum des Öffentlichkeitsgesetzes, es kursiere mittlerweile der «Verdacht, dass die Verwaltung gewisse Dinge überhaupt nicht mehr aufschreibt. Und damit auch keine Dokumente besitzt, die herausgegeben werden könnten.»
Kontrollen wirken – wenn sie stattfinden
Immerhin: Die aufwändigen Kontrollen – sie kosten gemäss Offerten der Messfirmen über 2000 Franken pro Antenne – zeigten Wirkung und veranlassten die Betreiberfirmen dazu, die Mängel an den Anlagen zu beheben.
Grundsätzlich sollen sich die per Software ferngesteuerten Antennen über ein Qualitätssicherungssystem selber kontrollieren. In einem letzten Monat publizierten Leiturteil erachtete das Bundesgericht die Qualitätssicherungssysteme weiterhin grundsätzlich als ausreichend, unter anderem weil die Systeme vom Bundesamt für Kommunikation validiert wurden. Allerdings wie es darauf hin, «dass die Kontrolle durch die QS-Systeme bei unrichtigen Angaben der Mobilfunkbetreiberinnen verfälscht werden kann».
Ein Fall aus dem Kanton Schwyz war nämlich der Auslöser fürs Bafu-Pilotprojekt. Bereits 2015 zeigte eine Stichprobenkontrolle, dass acht von damals 14 Antennen im Kanton gegen die Baubewilligung verstiessen. Es zeigte sich auch, dass Antennenparameter falsch im QS-System eingetragen waren. So war es für dieses unmöglich, einen illegalen Betrieb überhaupt zu erkennen.
Deshalb verlangte das Bundesgericht 2019 neben der Kontrolle baulicher Parameter vor Ort auch eine Kontrolle der Qualitätssicherungssysteme, welche sicherstellen sollen, dass Antennen gemäss Bewilligung betrieben werden. Diese Arbeiten sind jedoch noch nicht abgeschlossen.
Das Bafu teilt dazu mit: «Es werden Stichprobenkontrollen im QS-System der Betreiber für über 100 Mobilfunkanlagen vorgenommen. Diese Stichprobenkontrollen erfolgen zum Teil in den Netzzentralen der Mobilfunkbetreiber und zum Teil durch Fernzugriff. Den Betreibern werden die zu kontrollierenden Basisstationen erst bei der Kontrolle bekannt gegeben. Mit dem Abschluss der Arbeiten ist gemäss derzeitiger Planung im Laufe des Jahres 2025 zu rechnen.»
In seinem jüngsten Entscheid äusserte sich auch das Bundesgericht zum Bafu-Pilotprojekt: «Diese ersten Ergebnisse stellen die aktuelle bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht grundsätzlich infrage. Die definitiven Ergebnisse der Überprüfung durch das Bafu sind abzuwarten.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Schon erstaunlich, wie die Mobilfunkbetreiber und das Bundesamt Seriosität, Transparenz, Ehrlichkeit und den Schutz der Bevölkerung ungestraft links liegen lassen.
Da könnte man direkt auf die Idee kommen, dass in der Schweiz wie überall auf der Welt eine Verfilzung der Interessen stattgefunden hat und des Geldes wegen alle wegschauen. Dabei weiss Jedermann, dass die Mobilfunk-Strahlung keineswegs unschädlich, sondern für Umwelt, Mensch und Tier in ihrer Wirkung höchst schädlich ist.
Aber wie überall, wo viel Geld im Spiel ist : Die Industrie füllt ihr Portemonnaie mit egal wie fragwürdigen Machenschaften und die Beamtenschaft drückt sich mit Unterstützung der Politik um die effektive Kontrolle, weil sie ihre Sponsoren nicht verärgern will.