Mädchen in den USA kommen immer früher in die Pubertät
Mädchen in den USA haben ihre erste Periode im Durchschnitt ein Jahr früher als vor 50 Jahren. Der Anteil derer, bei denen die Menarche einsetzt, bevor sie 11 Jahre alt sind, oder sogar sehr früh (bevor sie neun Jahre alt werden), hat sich in diesem Zeitraum verdoppelt.
Der Zeitraum, bis sich ein regelmässiger Zyklus einstelle, sei ebenfalls länger, fanden die Forschenden der TH Chan School of Public Health der Universität Harvard in einer Untersuchung.
Diese basiert auf Daten von 71’000 Teilnehmerinnen, die in einer von Apple unterstützen Studie Gesundheitsdaten in eine App eingaben. Wissenschaftlich werden selbstberichtete Daten als nicht besonders zuverlässig eingeschätzt. Wegen der grossen Teilnehmerinnenzahl gibt die Studie aber deutliche Hinweise darauf, dass sich zwischen Frauen, die 1950 geboren wurden, und denen, die 2005 geboren sind, etwas geändert hat.
Es geht um weit mehr als eine kleine Verschiebung
In der ältesten Altersgruppe bekamen 8,6 Prozent die erste Mens, bevor sie 11 Jahre alt waren, in der jüngsten waren es 15,5 Prozent. Besonders ausgeprägt ist die Verschiebung bei Mädchen, die Teil der schwarzen, hispanischen, oder asiatischen Ethnien sind und bei einkommensschwachen Gruppen.
Dabei geht es um weit mehr als Zahlen. Länder, in denen die Menarche früher als mit 12 Jahren auftrete, spiegelten Bevölkerungen mit Überernährung und einem höheren Risiko für chronische Krankheiten wider, schreibt die Anthropologin Lauren C. Houghton, die sich mit der Studie auseinandergesetzt hat.
Die USA seien ein Beispiel für Letzteres. Das sinkende Alter bei der Menarche deute auf einen möglichen Anstieg chronischer Krankheiten hin, einschliesslich psychischer Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Brustkrebs.
Frühe Pubertät ist eine psychosoziale Belastung
Für die betroffenen Mädchen und Frauen ist frühe Pubertät eine psychisch schwierige Phase. So früh mit den Veränderungen der Pubertät umgehen zu müssen, stellt sie vor Probleme. Ihre kognitive Entwicklung kann mit der körperlichen nicht Schritt halten. Auch das Umfeld ist auf eine acht- oder neunjährige Pubertierende oft nicht vorbereitet. Einige Ärzte in den USA verschreiben deshalb Pubertätsblocker, um den Mädchen etwas Zeit zu verschaffen.
Frühe Pubertät wird mit einem erhöhten Risiko für Depressionen, Angstzustände, Drogenmissbrauch und Suizidneigung in Verbindung gebracht. «Frühpubertät und unregelmässige Zyklen können ein Zeichen für psychische und psychosoziale Probleme im späteren Leben sein», sagt auch der Hauptautor Zifan Wang gegenüber dem «Guardian».
Die Beobachtung, dass Frühpubertät immer häufiger auftritt, machen alle industrialisierten Länder. Das hat auch Folgen für das Wachstum. Bei einsetzender Pubertät schliessen sich die Wachstumsfugen der Knochen, das Längenwachstum kommt zum Stillstand.
Stress, Bewegungsmangel oder Umweltchemie?
Warum die Pubertät bei Mädchen immer früher einsetzt, ist Gegenstand der Debatte. Eine seit zehn Jahren gängige Hypothese ist, dass der Beginn der Pubertät mit dem Körpergewicht zusammenhängt. Ein hoher Body-Mass-Index scheint mit einer frühen Menarche zu korrelieren.
Die Menarche werde durch Veränderungen im Östrogenspiegel ausgelöst, erklärt der Kinderarzt Frank Biro, der seit mehr als zehn Jahren dazu forscht, in einem Bericht von «Scientific American». Dieser wiederum stehe in Bezug zum Körperfettanteil. Erste Anzeichen der Pubertät gibt es meist schon vorher.
Das durchschnittlich höhere Körpergewicht in den betreffenden Altersgruppen könnte mit Lifestyle-Faktoren wie fehlender Bewegung und zu üppiger Ernährung zusammenhängen. Die Anthropologin Houghton vermutet erhöhte Stresslevel, die das Gewicht von Kindern ansteigen lassen. Während der Corona-Pandemie häuften sich die Fälle, es ist noch unklar aus welchen Gründen. Stress könnte einer davon sein. In manchen Fällen kann hinter früher Pubertät auch eine vererbbare Krankheit oder ein Tumor stecken.
Einfluss von Umweltchemikalien auf Frauen noch wenig untersucht
Eine andere Erklärung ist die zunehmende Umweltverschmutzung durch hormonwirksame Umweltchemikalien. Endokrine Disruptoren kommen als Bestandteile von Kunststoffen, Kleidung, Möbeln und Gebrauchsgegenständen überall in der Umwelt vor. Diese Chemikalien wie Bisphenol A (BPA), Phthalate oder PFAS wirken wie Hormone und verändern das weibliche Hormongefüge. Das ist die Hypothese von Frank Biro.
Biro ist einer der wenigen Forschenden, die sich des Themas annehmen. Untersuchungen über Einflüsse von Umweltchemikalien auf die reproduktive Gesundheit konzentrierten sich bisher hauptsächlich auf die männliche Entwicklung.
Studien über sinkende Spermienzahlen gibt es einige. Die Fruchtbarkeitsmedizinerin Shanna Swan warnt beispielsweise seit etlichen Jahren vor den Auswirkungen hormonstörender Chemikalien (Infosperber: «Die schleichende Bedrohung der menschlichen Fruchtbarkeit»). Die Effekte hormonstörenden Chemikalien auf die weibliche Entwicklung sind bisher noch wenig erforscht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Endokrine Disruptoren können auch krebserzeugend wirken: Brustkrebs ist der häufigste Krebs bei der Frau, Hodenkrebs der häufigste Krebs des jungen Mannes. Beide nehmen stark zu und endokrine Disruptoren stehen im Verdacht. Sie sind Hauptverdächtige bei der dramatischen Abnahme der Spermienzahlen. Ebenso gibt es Anhaltspunkte, dass sie Endometriose verursachen und Störungen des männlichen Verhaltens. Die Indizien sind derart belastend, dass man endlich die Exposition beschränken sollte: Hauptquelle sind Plastik- und PET-Verpackungen der Nahrungsmittel: Es braucht Umstieg auf Glas und Verzicht auf beschichtete Konservenbüchsen und Pfannen. Die österreichische Genossenschaft «Berglandmilch» beweist, dass dies möglich ist. Die Schweizer Firma Univerre hätte sogar die Infrastruktur für wiederverwendbares Glas. Die Untätigkeit von Produzenten, Handel und Behörden ist stossend. Alles Bio in Plastik ist Schwindel.