Weg mit Corona-Regeln: Frivol, obszön oder einfach zynisch?
Urs P. Gasche. Das Folgende ist eine Replik zu Aussagen von Professor Anton Gunzinger, den ich in meinem Artikel «Zuschauertribünen, Bars und Restaurants sofort öffnen» ausgiebig zitiert habe. Ich füge am Schluss eine Duplik an.
Auf den ersten Blick wirkt die Heilsbotschaft des ETH-Professors und Unternehmers ja recht verführerisch: Corona sei nur für Alte über 80 gefährlich; das sind weniger als 6 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz, und nur diese müsse man konsequent schützen; die übrigen 94 Prozent sollen ihr Leben weiterführen können wie vor Corona, denn für sie sei Covid-19 so ungefährlich wie eine gewöhnliche Grippe. Also subito weg mit allen Corona-Einschränkungen! «Maskenpflicht abschaffen; möglichst viele Umarmungen (sic!); Zuschauertribünen, Bars und Restaurants sofort öffnen», so lässt er sich auf «Infosperber» zitieren, denn dann «wäre das Ganze nach 60 Tagen vorbei». Wie wunderbar! Warum ist noch niemand vor ihm darauf gekommen?
Vom Irrsinn der mutwilligen Komplexitätsreduktion
Wie viel muss man als vernunftbegabter Mensch wegblenden, um solch gemeingefährlichen Unsinn zu verbreiten? Es ist in diesem Rahmen unmöglich, auf alle Löcher in Gunzingers Argumentation einzugehen, aber ein paar zentrale Aspekte sollen hier doch hervorgehoben werden. Keiner dieser Punkte sticht für sich allein; es braucht zwingend eine Gesamtschau:
Gunzinger fokussiert in seinen Zahlenmodellen fast ausschliesslich auf die sogenannte Übersterblichkeit. Das wird der Komplexität der Corona-Problematik in keiner Weise gerecht. Aber klar, Zahlen sind das, womit der Elektronikprofessor seine Computer füttern kann. Diese Zahlen sind im Übrigen kaum neu oder originell und können auf diversen Data-Seiten eingesehen werden.
Sein Lösungsansatz heisst: Wegsperren der besonders gefährdeten über 80-Jährigen. In der Schweiz leben rund 454 000 Menschen, die älter als 80 Jahre sind; 93 000 leben in Alters- und Pflegeheimen (APH), das sind 20 Prozent; 80 Prozent wohnen also zu Hause und haben auch den legitimen Anspruch auf ein einigermassen normales Leben – ohne Internierungszwang.
Diese halbe Million Menschen Ü80 total zu isolieren, ist schon rein praktisch und zudem auch aus rechtsstaatlichen Gründen ein Ding der Unmöglichkeit. Kein Staat der Welt hat das geschafft, und dies gewiss nicht einfach aus Fahrlässigkeit (auch wenn in den Anfängen der Pandemie da und dort sicher Fehler passiert sind).
Ob es nun um Ü-80iger im eigenen Haushalt oder im APH geht – deren strikte Abschirmung von Pflegenden und anderen Teilen der werktätigen Bevölkerung ist in einem freiheitlichen System schlicht unmöglich. Und wo es zu Kontakten kommt, liegen Ansteckungen buchstäblich in der Luft. Auch bei hochgradigem Schutz (s.u. die erschreckend hohe Zahl von Todesfällen bei health workers.)
Die massiven Langzeitfolgen von Covid-19
Wenn nun, wie Gunzinger vorschlägt, die gesamte Bevölkerung unter 80 Jahren systematisch durchseucht wird, erhöht das selbstredend auch die Gefahr der Infizierung der besonders Vulnerablen in allen Altersgruppen. Es käme, wie alle ernstzunehmenden Fachleute bestätigen, zu Fallzahlen von Covid-Erkrankungen, die jedes Gesundheitswesen überfordern würden.
Unbestritten ist, dass die Sterblichkeit bei über 80-Jährigen am grössten ist. Gunzinger blendet dabei aber völlig aus, dass es auch bei jüngeren Jahrgängen zahlreiche massive und langanhaltende Covid-Erkrankungen gibt. Eben hat am 24. Januar die «NZZ am Sonntag» eine eindrückliche Reportage zu den Long-Covid-Folgen aus einer Davoser Höhenklinik veröffentlicht. Hier nur ein Ausschnitt: «Bei 42 Jahren liegt der Altersdurchschnitt der bisher in der Hochgebirgsklinik betreuten Post-Covid-Patienten. Der älteste war 67, die jüngste 24. Vornehmlich sind es Männer. Ein Drittel hatte Vorerkrankungen an Herz oder Lunge. «Covid-19 trifft nicht einfach die Alten», sagt Duchna (der leitende Lungenarzt). Er stammt aus dem Ruhrgebiet und ist seit dreissig Jahren in der Lungenheilkunde tätig. «Die Alten sterben daran, weil sie alt sind. Die Jungen werden aber genauso krank. Sie überleben, weil sie jung sind.» Die Überlebenden würden mit schweren Restschäden und langen Spätfolgen ringen. Zwischen 10 und 30 Prozent der ursprünglichen Leistung komme bis jetzt nicht mehr zurück. Duchna trifft Personen, die bei der Ankunft in Davos zwei Schritte schaffen und vier Wochen später, wenn sie abreisen, da die Krankenkasse die Reha nicht mehr zahlt, nur 150 Meter gehen können.»
Das alles nimmt Gunzinger lässig in Kauf bzw. bagatellisiert sie als Einzelfälle. Eine eben veröffentlichte Studie des Wissenschaftsmagazins «The Lancet» belegt, dass 76 Prozent der Covid-Erkrankten auch 6 Monate nach der Ansteckung noch unter Corona-Symptomen leiden.
Wer liegt auf den Intensivstationen?
Die Hauptgruppe der Covid-Patienten auf den Intensivstationen (IPS) bilden übrigens nicht die über 80-Jährigen, sondern die 50-70-Jährigen; ein Drittel der Covid-Erkrankten auf den IPS ist unter 60, jeder Fünfte unter 50 Jahre alt.
Seltsam berührt in diesem Zusammenhang auch Gunzingers Bemerkung, heute kämen viel mehr Schwerkranke «dank Patientenverfügungen nicht mehr auf die Intensivstationen. Auf Lebenserhaltungsmassnahmen bis zum Letzten würden viele freiwillig verzichten». Nichts gegen Patientenverfügungen, aber hat das in diesem Kontext nicht ein «Geschmäckle»? Wird da, wenig subtil, Werbung für vorauseilendes Abdanken gemacht? Und: Gibt es konkrete Zahlen und Erhebungen zu diesen «vielen», die «freiwillig verzichten»? Wäre vielleicht auch zu überlegen, wie diesbezüglich einem allfälligen gesellschaftlichen Druck vorzubeugen ist?
Die neuen, noch gefährlicheren Virus-Mutationen begrüsst Gunzinger sogar offensiv – ob frivol oder zynisch, sei dahingestellt, in seiner eigenen Logik zumindest konsequent –, weil so die Durchseuchung der Bevölkerung beschleunigt werde. Die Direktfolgen für Vulnerable mit Vorerkrankungen in allen Altersgruppen – man geht dabei von mindestens 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, das sind mindestens 1,7 Millionen Menschen – scheinen Gunzinger jedenfalls nicht zu kümmern.
Der Text behauptet, dass die Situation auf den Intensivstationen nie kritisch gewesen sei und insinuiert, dass man also mehr riskieren könnte, ohne aber zu sagen, dass die Intensivstationen erstens nie «fast voll» sein dürfen, weil es dann schon zu spät wäre, und zweitens, dass es nicht nur um Intensivstationen geht, sondern auch ums Personal, das man nicht beliebig belasten und nicht beliebig Risiken aussetzen kann. Und das, wie man weiss, auch nicht in beliebigem Umfang vorhanden ist.
Gunzingers „mentale Entkoppelung“
Wie schwierig ein totaler Schutz vor Covid-19 ist, belegen die Zahlen der health worker, der mit Sicherheit am professionellsten geschützten Gruppe in dieser Pandemie, die an Corona gestorben sind: Weltweit waren das bereits im September letzten Jahres über 7000 Pflegende und Ärzte (Quelle: Amnesty international, 3.9.2020); allein in den USA sind es inzwischen 3000 (The Guardian, 23.12.2020), in Italien sind es auf Ärztinnen und Ärzte beschränkt 200 (La Repubblica, 17.11.2020).
Ein noch stärkeres «Geschmäckle» hat eine Bemerkung, auf die Gunzinger bei «Infosperber» verzichtet, die er aber in einem Gastkommentar mit weitgehend identischem Inhalt wie auf «Infosperber» bereits am 9. Januar im «Tages-Anzeiger» gemacht hat. So wahnsinnig neu war also nicht, was der Elektronik-Professor zu verkünden hatte, dass man es 12 Tage später zwingend auch auf «Infosperber» («Sieht, was andere übersehen») doppeln müsste. Gunzinger schreibt: «Deshalb brauchen wir eine neue Corona-Strategie. An deren Anfang steht eine «mentale Entkopplung» der Risikogruppen vom Rest der Bevölkerung.» Ich will mir lieber nicht ausmalen, wohin das führt, wenn solche «mentalen Entkoppelungen» gesellschaftliche Wirklichkeit werden. Es ist einfach nur gruselig. Aus meiner Sicht sollte, gerade in einer Krise, allen Entkoppelungsphantasien energisch entgegengewirkt werden. Oder will jemand behaupten, ein ETH-Professor habe sich hier einfach etwas ungeschickt ausgedrückt?
Warum sich der Lockdown lohnt
Gunzinger beklagt selbstverständlich auch den «wirtschaftlich verheerenden Lockdown». Die schmerzhaften Einschnitte sollen hier nicht kleingeredet werden. Aber vielleicht muss man auch neuere Forschungsergebnisse zur Kenntnis nehmen, die die «NZZ am Sonntag» am 24.1.2021 unter dem Titel «Warum sich der Lockdown lohnt» veröffentlicht hat: «Der erste Lockdown hat in der Schweiz 35 000 Todesfälle verhindert. Dadurch wurden volkswirtschaftliche Schäden von 100 Milliarden Franken vermieden.» Und weiter: «In der Schweiz und anderen westlichen Industriestaaten hat der Lockdown wirtschaftliche Schäden von vielen Milliarden Franken verursacht. Die wirtschaftliche Aktivität nicht einzuschränken, hätte aber nicht nur mehr Tote gefordert, sondern auch volkswirtschaftlich noch weitaus grössere Schäden verursacht. Das mag für Lobbyisten schwer zu akzeptieren sein. Ein Blick in die volkswirtschaftliche Literatur der letzten Monate aber kann helfen. (…) Ohne Lockdown und ohne Verhaltensänderungen wären 65 000 Menschen mehr gestorben.» Das alles sind natürlich Modellrechnungen, wie sie auch der Zahlenmensch Gunzinger liebt und sicher grundsätzlich versteht.
In den jetzigen Umständen, die durch die Impfungen eine Immunisierung der Bevölkerung in einigen Monaten ermöglichen, sei ein schneller und strenger Lockdown ökonomisch die beste Option. Damit erkaufe man sich Zeit, bis die erforderliche Immunität in der Bevölkerung hergestellt sei, sagen die in der «NZZ am Sonntag» zitierten Forscher.
Wie kurzsichtig Gunzinger selbst in ökonomischen Dingen denkt, zeigt sich darin, dass bei der von ihm vorgeschlagenen Durchseuchungs-Strategie die Fallzahlen der Infizierten derart in die Höhe schnellen würden, dass selbstverständlich alle Nachbarstaaten die Grenzen zur Schweiz sofort schliessen würden – mit allen offensichtlichen Folgen für die Mobilität von Menschen und Waren, für Tourismus und Gewerbe.
Methodisch hochproblematisch ist auch, dass Gunzinger bei all seinen Berechnungen nicht wirklich einbezieht, wie die Situation ohne Lockdown ausgesehen hätte. Das macht viele seiner Vergleiche, Daten und Folgerungen unbrauchbar.
Wenn man dem Gunzinger-Artikel ein Verdienst abgewinnen will, dann dies, dass er exemplarisch zeigt, wie eine rein technoide und selbstherrliche Herangehensweise an ein so komplexes und tief menschliches Problem wie Corona brutal in die Irre führt.
Wer ist Anton Gunzinger?
Ich habe grössten Respekt, und ich meine das ehrlich, für die Karriere eines Bauernsohns, der es auf dem zweiten Bildungsweg bis zum ETH-Professor gebracht hat. Auch in seinem Buch «Kraftwerk Schweiz. So gelingt die Energiewende» (2017) bewies er sich als so innovativer wie engagierter Forscher, der die Schweiz schneller als andere in eine Energiezukunft ohne Atomstrom und fossile Brennstoffe bringen will. In Corona-Zeiten aber scheint sich Gunzinger verrannt zu haben. Bereits im Mai 2020 demonstrierte er trotz Versammlungsverbot auf dem Zürcher Sechseläutenplatz, ein Tambourin schlagend, gegen die Pandemie-Massnahmen. Die «NZZ am Sonntag» hat ihn in einem Porträt vom 12. September 2020 dazu befragt. Schon sehr früh habe er dem Bundesamt für Gesundheit seine Hilfe angeboten. Doch er habe nicht mal eine Antwort erhalten. «Das hat mich verärgert», sagt Gunzinger. Er hätte gerne Experimente gemacht, um herauszufinden, wo man sich anstecke. Menschenversuche? «Ja, man würde sicher genug Freiwillige finden.»
Gunzinger fühlt sich also zu wenig gehört. Deshalb trommelt er. Hätte man ihn in die wissenschaftliche Task Force berufen sollen, damit er Ruhe gibt?
Warum trommelt «Infosperber» mit?
Im redaktionellen Vorspann zum Gunzinger-Artikel heisst es: «Infosperber hält es für die Meinungsbildung wichtig, auch Kritiker solcher Massnahmen zu Wort kommen zu lassen und über deren sachliche Argumente zu informieren.» Über die behauptete Sachlichkeit von Gunzingers Argumenten liesse sich wohl streiten. Zahlen sind weder einfach «sachlich» noch «objektiv». Sie folgen vielmehr bestimmten Auswahlkriterien und selektiven Einbettungen. Bei Gunzinger kommt meines Erachtens ein ziemlich verqueres Menschenbild hinzu, das das Zahlenmaterial als manipulativ und scheinsachlich entlarvt.
Blickt man auf den Verlauf von Gunzingers Aufmerksamkeitsmaximierung in Corona-Dingen, versteht man es erst recht nicht mehr, warum ihm «Infosperber» ein weiteres Megaphon in die Hand drückt. Hier nur eine kleine Auswahl der medialen Gunzinger-Auftritte, bei denen er immer die gleiche Kritik an den Corona-Massnahmen vorbringt:
- Am 12.9.2020 erscheint das Gunzinger-Porträt in der «NZZ am Sonntag», in dem er u.a. auch sagt: «Bei Corona arbeiten die Wissenschafter einfach nicht seriös genug.»
- Darauf löst am 13.9.2020 der Berner Epidemiologe Christian Althaus eine kleine Twitter-Debatte zu dieser Gunzinger-Attacke aus.
- Am 22.9.2020 lädt der SRF Club Gunzinger zur Diskussionssendung «Spaltet Corona die Schweiz?» ein.
- Vor und nach der SRF-Sendung berichten verschiedene Medien über diese Diskussion.
- Am 9.1.2021 erscheint im «Tages-Anzeiger» Gunzingers Gastkommentar unter dem Titel «Risikogruppen schützen, Lockdown vermeiden» und generiert 294 Kommentare.
- Am 12.1.2021 lädt Lukas Hässig auf «Inside Paradeplatz» Gunzinger zum 20-minütigen Interview unter dem Titel «Massnahmen machen uns kaputt» und generiert damit 13 382 Viewer und 197 Kommentare.
- Am 21.1.2021 folgt schliesslich «Infosperber» und generiert mit dem Artikel 5393 Facebook-Likes und 29 Kommentare (Stand 25.1.2021).
Macht man sich die Mühe und liest sich durch die fast 300 Kommentare zum Gunzinger-Artikel im «Tages-Anzeiger» und die 27 bei «Infosperber», fällt zweierlei auf: Erstens äussert sich im «Tages-Anzeiger» eine deutliche Mehrheit überaus kritisch und ablehnend, bei «Infosperber» hingegen nur ein Drittel. (Beim im Sommer 2020 von der «NZZ» übernommenen Corona-Artikel des Kardiologen Scherrer war es noch umgekehrt, dort äusserte sich die «Infosperber» -Leserschaft klar kritischer als jene der «NZZ». Hat sich «Infosperber» hier eine Gefolgschaft von Corona-Skeptikern herbeigeschrieben?) Zweitens äussern sich zustimmende Voten sehr oft im etwas simplen Ein-Satz-Jubelmodus à la «Bravo! Bravo! Bravo! Endlich sagt es mal einer!», während Gegnerstimmen deutlich mehr argumentierend vorgehen.
Auch die das übliche Mass weit überschiessende Zahl der Likes auf den Gunzinger-Artikel müsste «Infosperber» zu denken geben. Es ist naheliegend, dass dieser Text in Corona-Skeptiker-Kreisen im gesamten deutschsprachigen Raum breit geteilt wurde, wo zurzeit überall wesentlich schärfere Corona-Einschränkungen verordnet sind als in der Schweiz. Das führt zu einer Verzerrung der Wahrnehmung. Will «Infosperber» das? Die Herkunft der Zugriffe und Likes lässt sich an der Quelle technisch eruieren. Es wäre deshalb im Interesse der Transparenz, wenn «Infosperber» bei einschlägig auffälligen Artikeln solche Daten zugänglich machen würde.
Kritiklose Übernahme
Bedauern muss man aus journalistischer Sicht zudem, dass die Gunzinger-Aussagen bei «Infosperber» einfach kritiklos «referiert» werden, und dies ohne jede Bezugnahme auf den sehr gleichartigen Ursprungstext aus dem «Tages-Anzeiger» vom 9. Januar. Es findet kein Nachfragen, kein Überprüfen des Behaupteten statt, es mangelt an journalistischer Distanz.
Der «Infosperber»-Text zu Gunzingers Corona-Phantasien spiegelt vor, dass man die Vulnerablen ganz human «schützen» kann, damit die Übrigen machen können, was ihnen gefällt. Er denkt diesen «Schutz» nicht durch, er fragt nicht, ob die aufgelisteten Massnahmen genügen für diesen Schutz, er überlegt nicht, ob spezielle Einkaufszeiten für Vulnerable nicht auch spezielle Öffnungszeiten für diese Gruppe in Post, Bank, Praxen etc. bedeuten müssten, eine klare Separierung (also eine Art Apartheid), und er überlegt nicht, ob dieser «Schutz» nicht in eine Art «Schutzhaft» ausarten könnte, weil die Gefährdeten ja von den Freilebern zunehmend als «Gefahr» empfunden werden für ihren Freilauf.
Man muss es deutlich sagen: Gunzinger ist ein biedermännischer Brandstifter im Mantel der Wissenschaftlichkeit; wenn man seine Abschottungsphantasien zu Ende denkt, entlarvt sich ihr menschenverachtender Charakter. Und wenn man solch unausgegorene Ideen nicht hinterfragt, ihnen nicht widerspricht, dann macht man sich mitschuldig.
Es gibt sie, die kräftigen Gegenstimmen in der Schweiz
Und falls man gewichtige Gegenstimmen zu Corona-Massnahmen-Kritikern wie Anton Gunzinger sucht, muss man eigentlich gar nicht unbedingt ins Ausland gehen. Ein starker Anstoss in der Schweiz stammt aus Schriftstellerinnen- und Künstlerkreisen um die Autorin und Musikerin Melinda Nadj Abonji mit ihrem Protestbrief «Gegen die Gleichgültigkeit!» an die politischen Entscheidungsträger, den bereits gegen 18 000 Menschen unterzeichnet haben und dem sich auch die Walder-Stiftung für Leben und Wohnen im Alter angeschlossen hat. Eine neu gestartete Aktion lanciert einen Offenen Brief: StopCovid an den Bundesrat, der einen sofortigen Kurswechsel im Umgang mit der Pandemie fordert und unter anderem auf die dramatischen Folgen von Long-Covid und die prekären Arbeitsbedingungen der Pflegefachleute hinweist. Das sind wichtige zivilgesellschaftliche Initiativen, von denen man in diesem Kontext gerne auch auf «Infosperber» gelesen hätte.
Nicht „mentale Entkoppelung“ à la Gunzinger ist die Lösung, sondern das exakte Gegenteil: Vorsicht, Rücksicht und solidarisch-humanistische Vernetzung!
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Alfred Schlienger, ehem. Prof. für Literatur, Philosophie und Medien an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz; Mitbegründer der Bürgerplattform Rettet-Basel!; schreibt in verschiedenen Medien über Film, Theater, Literatur, Gesellschaft, Kultur und Medien; lebt in Basel.
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DUPLIK
Zur Auswahl und zur Interpretation von Corona-Statistiken sowie zu epidemiologischen Einschätzungen entgegnet ein Professor für Literatur, Philosophie und Medien einem Professor für Informationstechnologie. Weil Anton Gunzinger, der in meinem Artikel ausführlich zu Wort kam, von Alfred Schlienger persönlich hart angegangen wird, und weil Schlienger Infosperber vorwirft, den Artikel überhaupt veröffentlicht zu haben, halte ich Folgendes fest:
- Schlienger wirft Gunzinger vor, «gemeingefährlichen Unsinn» zu verbreiten, eine «selbstherrliche Herangehensweise» zu haben und Zahlen «manipulativ» zu verwenden. Gunzinger sei ein «biedermännischer Brandstifter» und seine Abschottungsphantasien hätten einen «menschenverachtenden Charakter».
Diese Aussagen sind unnötig herabsetzend und deshalb ehrverletzend. - Schlienger behauptet, Infosperber habe die Darstellungen Gunzingers «einfach kritiklos übernommen». Zutreffend ist, dass ich die Angaben so weit wie möglich überprüft und die Quellen möglichst angegeben habe. Selbstverständlich kann auch eine Auswahl korrekter Daten zu einer einseitigen, kritisierbaren Darstellung führen. Eine Auseinandersetzung, die sich auf unterschiedliche Fakten und Einschätzungen stützt, ist erwünscht.
- Schlienger schreibt, Gunzinger stütze sich in meinem Artikel «fast ausschliesslich auf die Übersterblichkeit». Zutreffend ist, dass Gunzinger die Übersterblichkeit, die tatsächlich mit einer komplizierten Formel berechnet und unterschiedlich interpretierbar ist, ein einziges Mal erwähnt. Vielmehr stützt sich Gunzinger in erster Linie auf die effektiven Todesfälle, also die statistisch erfassten, unbestreitbaren Todesfälle in den unterschiedlichen Altersgruppen. Dazu hat Infosperber auch eine Grafik vom BFS veröffentlicht.
- Schlienger zitiert viele eindrückliche Berichte über Langzeitfolgen auch jüngerer Erkrankter. Vom Gesichtspunkt der öffentlichen Gesundheit ist entscheidend, wieviele aller positiv Getesteten und aller Erkrankten davon betroffen sind. Die Schweizer Behörden erheben diese wichtigen Daten bisher leider nicht.
- Schlienger behauptet, dass Gunzinger «noch gefährlichere Virus-Mutationen sogar offensiv begrüsst – ob frivol oder zynisch, sei dahingestellt». Richtig ist, dass Gunziger lediglich zutreffend feststellte, dass die britische und südafrikanische Variante noch ansteckender sei als die erste Variante.
Viele Einwände und Überlegungen von Alfred Schlienger sind selbstverständlich beachtenswert. Zwar hätten viele der rund 500‘000 Gefährdeten wohl nichts dagegen, während zwei Monaten weiterhin isoliert zu bleiben, falls nachher alle Einschränkungen definitiv aufgehoben werden könnten, wie Gunzinger es verspricht. Allerdings kann unter anderem bezweifelt werden, ob eine Immunisierung der Nicht-Gefährdeten innerhalb von zwei Monaten tatsächlich zustande käme und ob Spitäler in dieser Zeit nicht überfordert wären.
Bei der heutigen Strategie ist zu hinterfragen, ob eine Ausbreitung des Virus durch Kontaktverfolgung mittels Tracing und Shutdowns angesichts der noch ansteckenderen Varianten überhaupt noch möglich ist. Um die Kontaktverfolgung wieder möglich zu machen, will Deutschland die Zahl der positiv Getesteten auf 50 pro 100‘000 Einwohner und Woche mit Shutdowns und Lockdowns herunterbringen.
Zweifellos verhindern Shutdowns und Lockdowns in Europa gegenwärtig viele vorzeitige Todesfälle und langfristige Krankheitsfolgen. Es müsste jedoch der Frage nachgegangen werden, ob die europäischen Massnahmen nicht zu noch mehr Todesfällen und noch mehr langfristigen Folgen für die Gesundheit in Afrika und Asien führen. Oder hört die Analyse und Solidarität an den Landesgrenzen auf?
Bereits die Wirkungen und Folgen unterschiedlicher Massnahmen im Inland kann niemand genügend abschätzen – umso schwieriger wird es, wenn man die weltweiten Folgen einbezieht. Aber die Diskussion sollte geführt werden.
Mit dem obigen Beitrag von Alfred Schlienger sowie mit ergänzenden Beiträgen zu anderen Medien bietet Infosperber Grundlagen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.
Urs P. Gasche
Beim Lesen dieses Artikels bekomme ich den Eindruck, die Covid-19-Tragödie sei ein rein inländisches Problem. «Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen» steht in der Bundesverfassung. In Zeiten der Globalisierung darf solches Denken und Handeln nicht an Landesgrenzen halt machen. Dass die weltweite Covid-19-Lockdown-Politik (initiiert und offenbar ohne Ende weiterverfolgt von den reicheren Industriestaaten) verheerende Konsequenzen für die ärmeren Länder haben muss, das war schon im Frühling 2020 abzusehen. Bei einer mehrwöchigen Reise in Costa Rica konnte ich mich kürzlich nun selbst davon überzeugen: «Lockdowns haben mit Sicherheit eine Konsequenz: Sie machen arme Menschen um ein Vielfaches ärmer.»
Die Vereinten Nationen warnen vor einer «Hungersnot biblischen Ausmasses» mit 265 Millionen Menschen. Sie schätzen, dass die Krise «weitere 150 Millionen Kinder in Armut gestürzt hat – ohne Bildung, Gesundheit, Unterkunft, Ernährung, sanitäre Einrichtungen oder Wasser. Laut einer Studie mit Daten aus 79 Ländern der Hilfsorganisation Oxfam wird die Einkommensungleichheit als Folge der Corona-Krise weltweit zunehmen.
Eine Frage noch an Herrn Schlienger: Wie wäre es um die Regierungen bestellt und was für ein medialer Wind ginge wohl um die Welt, hätten Mittelstand und Reiche seit Beginn der Massnahmen gegen die Pandemie sagen wir mal 25 bis 50 Prozent ihres Vermögens eingebüsst, statt den Besitzstand in dieser Krise zu wahren oder gar zu vermehren?
@Alain Vannod: Ihre Frage ist sehr berechtigt und wichtig. Wie ungleich diese Pandemie die Menschen trifft, sowohl weltweit wie auch in der Schweiz, wird oft verdrängt. Ich beschäftige mich gerade mit Artikeln, die diesen blinden Fleck etwas ausleuchten. Wenn alles klappt, lesen Sie davon anfangs kommender Woche auf Infosperber.
@Herr Gasche
Bitte gehen Sie doch einmal auf mein Argument der Erhöhung der Mutationsgeschwindigkeit (ansteckendere und tödlichere Varianten) bei «Durchseuchung» ein – schauen Sie sich dazu gerne den Twitteraccount von Karl Lauterbach an. Es wäre schön, die Komplexität wäre so gering, wie Herr Gunziger dies in seinen Annahmen voraussetzt. Aber: er operiert im Hintergrund mit einer ceteris paribus Annahme, Herr Schlienger thematisiert eine davon zu recht mit der unvermeidbaren Grenzschliessung bei CH-Alleingang, siehe Schweden im ersten Lockdown. Aber die zentrale «Alles-Gleich» Annahme von Herrn Gunziger ist: Es wird nicht mehr als drei Mutationen (weltweit) geben. Wie statistisch unwahrscheinlich diese Annahme ist, das müsste er selbst mit einem Bruchteil seiner statistischen Fachkompetenz berechnen können.
Ob diese Corona-Geschichte der ideale Anlass ist über Medien-, Bewegungs- etc.-Freiheit zu diskutieren sei dahin gestellt. Als 72-jähriger der die Bekanntschaft mit dem Virus kennt, finde ich weder die eine noch die andere Stellungnahme besonders Hilfreich. Auch wenn die Nachhaltigkeit der Wirkung unsicher ist, bin ich heute dafür es mit den Massnahmen welche die Kampagne Zero-Covid vorschlägt zu versuchen. Trotzdem, zwei Aussagen in der Auseinandersetzung in Info-Sperber finde ich interessant. Einerseits der Bezug auf die Zahlen der Übersterblichkeit. Wenn die Übersterblichkeit plus-minus 10% über der „Norm“ liegt, dann sind eben 90% nicht an sondern, allenfalls mit Corona gestorben. Damit ist dann auch die Zahl der „Geretteten“ dank Lockdown auch etwas aus dem Hut gezaubert. Das ist nicht Zahlenklauberei, sondern Grundlage einer Kommunikation, die überzeugt anstatt zu verunsichern. Und wenn Herr Schlienger zurecht darauf hinweist, Zahlen folgten „bestimmten Auswahlkriterien und selektiven Einbettungen“, dann gilt das natürlich für beide Parteien.
Alfred Schlienger, ehem. Prof. für Literatur, Philosophie und Medien oder Naturwissenschaftler Gunzinger?
Es ist jetzt schon dutzende Male gesagt worden: Alle Viren, auch Corona, aber auch jede Impfung dagegen, regen das Immunsystem an. Funktioniert das Immunsystem nicht oder mangelhaft, ist Heilung unwahrscheinlich. Bitte falsifizieren wenn das falsch ist, aber nicht auf weiteren 100 Seiten Duplik und Replik.
Aus dieser Sicht ist die Argumentation Gunzinger weit einleuchtender. Herr Gunzinger hat ja, wenn ich richtig gelesen habe, kein Wort gegen eine gute Impfung geschrieben.
Die Philosophie irrt sich schon seit 3000 Jahren und hinterfragt das bisher wenig, die Naturwissenschaft irrt seit 200 Jahren und gibt zu, dass nur Falsifikation möglich ist, Wahrheitsbeweis nicht, auch bei Corona.
Ich unterstütze die Duplik von Urs P. Gasche. Die Diskussion ist allerdings akademisch, da weder das Szenario Gunzinger noch das von vielen angestrebte totale Containment gesellschaftlich funktionieren kann. Aber das eine tun und das andere nicht lassen: ältere Menschen und Risikopersonen besser schützen, als dies heute getan wird, und zwar ohne Zwang (z.B. Modell Göttingen), sowie wenig effektive oder gar kontraproduktive allgmeine Massnahmen aufheben (dazu zähle ich undifferenzierte Maskenpflichten), und Jüngere machen lassen, aber gleichzeitig die von Herrn Schlienger geforderte Rücksicht ausbauen, nämlich für alle, die sowohl objektiv als auch subjektiv bedroht sind, also z.B. bei ihrer Arbeit besonders exponiert sind. Dazu gehören u.a. Abstandhalten und Zurückhaltung beim Sprechen, denn lautes Sprechen kann einen Infizierten mit Maske ansteckender machen als einen schweigenden Infizierten ohne Maske, was leider nie offen kommuniziert wird.
Wo der Vorschlag Gunzinger schlecht funktioniert ist bei den «Zwischendurchpersonen» wie ich, sehr gesund aber nicht mehr jung und durch die viele Information und Desinformation verunsichert, ob tatsächlich eine Risikoperson oder nicht. Also weder bereit sich absichtlich oder leichtfertig anstecken zu lassen, aber sich dennoch nicht mit absurden oder unverhältnismässigen Massnahmen schützen zu müssen, oder mit solchen, deren Wirksamkeit zwar logisch erscheint aber nicht erwiesen ist, z.B. bei verschiedenen Arten des «Lockdowns».
Im Gleichmacher-Land Schweiz geht es eben nicht, dass bestimmte Menschgruppen besser geschützt werden. In Deutschland hat ein Bürgermeister noch eine beschränkte Macht solche Massnahmen durchzusetzen. Es geht bei uns doch nicht, dass für Senioren andere Ladenöffnungszeiten gelten («wo kämen wir da hin?»). Dass eine Gemeinde an die Taxikosten für Senioren etwas bezahlt ist undenkbar («wer soll das bezahlen?»). Eine Sonderregelung für Senioren andere Gefährdete würde sofort ein Aufschrei von Kindergarteneltern hervorrufen («man muss doch zuerst unsere Kinder schützen!»).
Zitat: «Aus meiner Sicht sollte, gerade in einer Krise, allen Entkoppelungsphantasien energisch entgegengewirkt werden.»
Das sehe ich anders. Entkopplungen wie zBsp.: Alle über 65-jährigen im ÖV (wo möglich) in der Ersten Klasse fahren zu lassen, den Rest in der Zweiten, und/oder die Schüler mit verschobenem Schulanfang von den restlichen Pendlern zu trennen, und/oder spezielle Einkaufszeiten für gefährdete Personengruppen zu ermöglichen, immer als zusätzliche Massnahmen, wären meiner bescheidenen Meinung nach nicht falsch.
Das wäre vielleicht nicht nett und politisch korrekt, aber auch nicht «gruselig» und könnte durchaus eine Wirkung haben, einen Versuch wärs doch wert.
Dass der Infosperber immer wieder ins coronakritische Lager schwappt, befremdet mich sehr. Vielen Dank Alfred Schlienger für die ausführliche, sachliche und deshalb überzeugende Replik.
Unterschiedlichen Ansichten einen Platz zu geben ist doch geradezu die Aufgabe von Journalismus .. so wie ich es verstehe.
Die Argumente von Herr Schlienger überzeugen mich in keinster Weise. Insbesondere die Passage betreffend dem Nutzen von Lockdowns erscheint mir äusserst fragwürdig. Die zitierte Studie (gem. NZZ am Sonntag, 24.1.) bezieht sich auf ein epidemiologisches Modell. Wie wir wissen haben sich diese Modelle jeweils im nachhinein als falsch erwiesen. Mit absoluten Zahlen zu argumentieren ohne jeweils die Basis zu nennen ist grob fahrlässig und reisserisch. Meiner Meinung nach geht es darum so schnell als möglich die aktuell lebensfeinliche Strategie zu ändern. Dies bedeutet die älteren und/oder vulnerablen Personen mittels kreativen Massnahmen zu schützen. Das heisst mitnichten diese Menschen einfach einzusperren. Tübingen hat es ja erfolgreich vorgemacht. Weiter traue ich es gesunden selbständigen älteren Menschen durchaus zu, sich selbst zu schützen. Ich muss nicht mit allem Einverstanden sein was Herr Gunziger sagt, aber es ist erfrischend auch alternative Sichtweisen und Vorschläge zu hören und zu bedenken. Leider gehen diese Meinungen im Gebrüll der Mainstream Medien vielfach unter. Die Petiton Lockdown-Stopp der jungen FDP haben übrigens mittlerweile über 60’000 Menschen unterschrieben. Das zeigt, es sind längst nicht mehr alle mit dem Vorgehen der Regierung einverstanden und es werden immer mehr.
Auch wenn ich nicht auf A. Schliengers doch ziemlich polemisch geprägte Attacke eingehen möchte, so bleibt die Frage der Verhältnismässigkeit der verordenten Eingriffe in unser soziales und wirtschaftliches Leben offen. Gerade hier versagen ja die verantwortlichen Stellen. Nach einem Jahr Corona-Strategie, die man – so leid es mir tut – als behördliches JoJo einstufen muss und in der Fallzahlen-Sackgasse gestrandet ist, müsste es doch eigentlich möglich sein, die Wirkung der einzelnen Massnahmen sauber analysieren zu können. Man kann doch nicht z.B. eine Maskenpflicht damit begründen, dass diese – selbst wenn deren Wirkung nicht nachweisbar sei – bei der Bevölkerung wenigstens das Bewusstsein für das Vorhandensein des Virus stärke. Wie das vom Berner Gesundheitsdirektor und anderen noch vor einem halben Jahr verkündet worden ist. Der massiv eingeschränkte Bürger hat das Recht zu wissen, wo, wann, wie effizient Massnahmen wirken. Die Behörden haben die Pflicht, die Verhältnismässigkeit ihrer verordneten Massnahmen zu beweisen. Und zwar bevor Bussen verteilt werden. Solange man diesen Beweis – wie in der Schweiz und anderswo – schuldig bleibt, muss die Strategie als willkürlich eingestuft werden und lässt das Schlimmste für die vielleicht schon in einem, zwei oder drei Jahren in Aussicht stehende nächste Pandemie befürchten. freystefan.ch
Urs P. Gasche will seinen Kniefall vor Professor Anton Gunzinger kaschieren, indem er dem Autor Professor Alfred Schlienger Ehrverletzung unterstellt. Sie kommt an erster Stelle seiner Duplik, weil sie sein stärkstes Argument ist. Und weil Ehrverletzung ein Straftatbestand ist, ist Gasches Duplik in erster Linie falsch, in zweiter Linie ist sie eine scheinheilige, plumpe Rechtfertigung für die Verbreitung des Lärms von Trommler Gunzinger.
«Und falls man gewichtige Gegenstimmen zu Corona-Massnahmen-Kritikern wie Anton Gunzinger sucht, muss man eigentlich gar nicht unbedingt ins Ausland gehen.»
Herr Schliengen scheint an einer verzerrten Wahrnehmung der Realität zu leiden. Wenn man Gegenstimmen finden will, braucht man bloss Fernsehen oder Radio einzuschalten oder eine Tageszeitung zur Hand zu nehmen. Die Gegenstimmen sind in der Schweiz vorherrschend.
Bedenklich finde ich die Haltung die in folgendem Satz zum Ausdruck kommt:
«Und wenn man solch unausgegorene Ideen nicht hinterfragt, ihnen nicht widerspricht, dann macht man sich mitschuldig.»
Herr Schliengen möchte uns allen also seine eigene Sichtweise verordnen. Wer etwas anderes denkt, «macht sich mitschuldig».
Eher in die Sparte Humor geht dann, dass der Literatur-, Philosophie- und Medienprofessor dem Elektroingenieur Gunzinger pauschal die fachliche Qualifikation zur Sache Corona absprechen möchte. Selber scheint er nicht gemerkt zu haben, dass unsere Tageszeitungen (auch die NZZ) ihre Wissenschaftsredaktionen arg dezimiert haben. Längst nicht alles, was in der Presse erscheint, hat Hand und Fuss.
Ob ein Vorgehen gemäss Gunzinger funktionieren würde, weiss ich nicht. Sein Vorschlag wird in der Schweiz sowieso nicht 1:1 umgesetzt werden. Viele seiner Ideen sind jedoch genügend interessant, dass man sie besser diskutiert, statt versucht, ihren Urheber mundtot zu machen.
#Daniel Heierli
Das Vorgehen Gunzinger würde nur funktionieren, wenn es gleichzeitig weltweit verordnet und durchgesetzt würde. In der heutigen Verfassung der UNO wohl schwierig. Aber trotzdem sind die Überlegungen Gunzinger höchst beachtenswert.
@Walter Schenk
Ich sehe keine Gründe dafür, warum «Methode Gunzinger» darauf angewiesen sein sollte, dass die ganze Welt mitzieht. Wenn es gelingen sollte, bei einem grossen Teil der Bevölkerung in kürzerer Zeit eine Immunität gegen das Virus herbeizuführen, dann wären aus dem Ausland eingeschleppte Viren kein Problem.
Im Gegensatz dazu ist ein «Zero Covid»-Ansatz, der auf Ausrottung des Virus durch eine harten Lockdwon setzt, zum Scheitern verurteilt, wenn nicht die Ganze Welt gleichzeitig mitmacht.
Danke, was für eine Aufklärungsarbeit, was für ein Aufwand, da war ein Profi am Werk. Das kann man nicht einfach mal schnell durchlesen, hier muss mitgedacht werden, ich werde den Bericht noch ein viertes mal Lesen müssen, um alles zu integrieren. Nachdem dieser Mistkäfer Corona meinen Bruder hingerafft hatte, im April/Mai des Vorjahres, schaute ich mich achtsamer um in der Medienlandschaft. Da waren die Systemernannten Wahrheitsverkünder mit Rang und Namen, aber null Fronterfahrung mit Patienten und Akutsituationen, Statistiker, Datensammler, Strategen, was das Resultat war, brauche ich ja nicht zu erwähnen. Während in Luxemburg schon seit Wochen mit dem Spuktest die Testbereitschaft sich vervierfacht hatte, bohrt man hier mit einem Test welcher von Fachpersonen in der Kritik steht, immer noch in den Nasen der Probanden rum, mein Abwart hatte danach eine Stunde lang Nasenbluten. Beim Speicheltest bekommt man innerhalb des gleichen Tages per Email das Resultat. Wer sperrt hier die Zulassung für die Schweiz? Stehen noch andere persönliche Interessen dahinter? Warum nicht das tun, was auch die ohnehin schon bedrückende Situation für die Menschen erleichtern würde? Haben wir es hier mit dem gleichen Phänomen zu tun wie beim oben beschriebenen Herr Gunzinger? Selbstprofilierung, Selbstinszenierung und Besserwisserei, ohne jemals einem Schwerkranken das Erbrochene aus dem Gesicht gewischt zu haben, das gehört sich nicht, es ist unmenschlich.
Wenn ich die Wahl habe, «bei der Auswahl und Interpretation von Corona-Statistiken sowie der epidemiologischen Einschätzungen» entweder auf die Meinung eines Professors für Literatur, Philosophie und Medien, oder auf die Meinung eines Professors für Informationstechnologie zu setzen, dann ist meine Wahl klar: Ich nehme den Informatiker.
Da stellt ein Professor der Naturwissenschaft mit bester Intention Konzepte in den Raum, welche man in einem akademischen Diskurs fundiert beleuchten und hinterfragen könnte. Doch tatsächlich ist die Stellungnahme von Hrn. Schlienger so durch herabsetzende Untertöne geprägt, dass sie sich eigentlich selbst entwertet und man keinen Kommentar dazu abgeben muss; trotzdem ein Dank an Herrn Gasche für die Duplik.
Es ist genau diese Debattenkultur, die ich am infosperber so schätze. Also sollte sich Schlienger nicht über Gunzingers Sicht der Dinge und die diesem gebotene Plattform auf infosperber ärgern, sondern dankbar sein, dass er hier ebenso prominent seine Sicht der Dinge darlegen kann. Merci infosperber!
Mindestens so interessant wie alle Entgegnungen zu den Corona-Fakten fand ich an Schliengers Artikel, dass er auch die Rezeption in den Medien und was dabei mit diesen geschieht, thematisiert. Denn die Corona-Krise ist – nach Trump – ein weiteres gutes Beispiel, welch enorme Macht die Medien in unserer Gesellschaft ausüben. Eine Macht, an der Dank der Demokratisierung der Medien, wir alle – u.a. dank infosperber – aber auch ein bisschen teilhaben können.
Der Beitrag von Alfred Schlienger hebt sich wohltuend von der allzu vereinfachenden Milchbüechlirechnung von Anton Gunzinger ab.
Die «Duplik» war nützlich, kaum jedoch der Artikel (es sei denn, darin ein Beispiel zu finden, dass «Emeritus» nicht unbedingt ein Synonym für Weisheit ist, sondern mitunter für etablierte Gehässigkeit).
Als Mediziner mit aktiver Mitarbeit und Umsetzung der Corona-Massnahmen auf kantonaler Ebene kann ich die Aussagen von Herrn Grunzinger nur unterstützen. Die skizzierte Strategie ist eine prüfenswerte und wahrscheinlich nachhaltigere Alternative zu den aktuell fragwürdigen und kurzsichtigen Massnahmen und müsste deshalb breit diskutiert werden. Es ist eindrücklich auf wie wenig Evidenz, hingegen viel Angst die Strategie des Bundes bzw. BAG aufgebaut ist. Es ist deshalb sehr wichtig, dass vorhandene Daten fundiert ausgewertet und darauf aufbauend breit zu diskutierende Strategien entwickelt werden.
Dr. med. Michael Vetter
Schlienger antwortet emotional auf technokratische Ideen (um nicht zu sagen Phantasien). Ich mag es ihm nicht verübelt – denn der Text von Anton Gunzinger steht auch aus meiner Sicht quer und undifferenziert in der Welt. Darf er ja tun – doch muss er dann auch mit entsprechenden Reaktionen rechnen. Immerhin: danke IS, dass eine weitere Stimme sich äussern kann. Die Diskussion muss aufrecht erhalten werden.
Das Problem mit solchen tendenziösen Artikeln ist, dass sie einfach unglaublich sektiererisch und religiös verbrämt sind. Der Rufmord-Light, der damit einhergeht, finde ich besonders stossend (mein Gott, ein Bauernsohn wird ETH Professor, dass sie so etwas überhaupt erwähnen und sich dabei nicht in Grund und Boden schämen, come on, es ist 2021). Wie sollen wir so jemals wieder aus dieser verflixten Situation rauskommen? Dieser cachierte Aufruf zur Hexenjagd ist garantiert nicht Teil der Lösung.
Was mir auffällt ist die zunehmende Härte, mit der argumentiert wird. Starke Wertungen wie sie Alfred Schlienger verwendet, sind möglicherweise Fronten bildend; ich habe Zweifel ob sie förderlich sind. Was ihn zu solchen Äusserungen treibt ist mir unklar. Was mir auch auffällt, sind die Zahlen-Spiele, wie sie irgendwie alle betreiben: Studie kontra Gegenstudie, Zahlen verglichen mit anderen Zahlen. Fakt ist: Wir sind alle gefordert, und vermutlich meist überfordert. Und ja, wenn einer beginnt mit Zahlen und Modellen um sich zu schlagen, ist es vielleicht klug ihm zu antworten und dagegen zu halten, wenn sie aus der Luft gegriffen scheinen. Ob dann Vergleiche weiterbringen… das kennen wir seit fast einem Jahr, hin und her – offenbar verspricht nur noch der neue Messias Impfung Hoffnung. Die Lösung? Ich habe sie leider auch nicht, doch schwant mir, dass eine gemeinsame Diskussion auf Augenhöhe wichtig wäre (anstelle den jeweils anderen zu verteufeln, das machen auch irgendwie fast alle); möglichst transparent und finanzielle Interessen offen legend. Richtig gefährlich wird es vermutlich erst dann, wenn im stillen Kämmerlein gebrütet und entschieden wird – Intention hin oder her…
SRF Rundschau 27.1.2021 -> Bergamo heute in der zweiten Welle: Anton Gunzinger scheint recht zu haben.