Sperberauge

«Höhere Fallzahlen nicht so stark bewerten»

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Das einseitige Starren auf die Fallzahlen hinterfragt jetzt auch der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz.

Besonders in Deutschland ist in den Medien vorwiegend von steigenden «Fallzahlen» die Rede. Im Februar erklärte Bundeskanzlerin Merkel 35 positiv Getestete pro 100’000 Einwohner innerhalb einer Woche als Schwelle für restriktive Massnahmen. Unterdessen wurden die Schwellenwerte für verschiedene Massnahmen auf 50, 100 und 200 verschoben.

Auch in der Schweiz informieren die meisten Medien an erster Stelle über die Entwicklung der Fallzahlen. Infosperber hat diese Priorität schon mehrmals hinterfragt: «Medien fokussieren auf Corona-Positive statt auf Schwerkranke».

Die Problematik von reinen Fallzahlen

Lukas Engelberger.SRF
Lukas Engelberger

«Wir sollten dieses Modell und die Grenzwerte noch einmal überdenken», sagte jetzt der Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger in der «Sonntags-Zeitung». Bei den Fallzahlen müsse man «insbesondere den Fortschritt der Testoffensive besser berücksichtigen», denn die Testoffensive werde «höchstwahrscheinlich dazu führen, dass ein höherer Anteil der Ansteckungen entdeckt wird und die Fallzahlen entsprechend steigen», erklärte der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren.

Lockerungen nicht von sinkenden Fallzahlen abhängig machen

Auf Schwachstellen des einseitigen Starrens auf die Fallzahlen hat Infosperber schon hingewiesen:

  1. Fallzahlen ohne gleichzeitige Angabe der Zahl der durchgeführten Tests sind unseriös. Denn je häufiger getestet wird, desto mehr «Fälle» findet man (Infosperber vom 10.4.2020, vom 16.4.2020 und vom 14.3.2021). Liesse man das Testen ganz sein, würden nur noch relativ wenige Corona-Fälle in Spitälern und Arztpraxen entdeckt. Je mehr jetzt aber reine Kontroll- und Schnelltests gemacht werden, desto mehr Virustragende werden gefunden, die selber nichts davon bemerkten und fast alle nicht oder nicht mehr ansteckend sind.
  2. Fallzahlen ohne gleichzeitige Angabe, wie viele der positiv Getesteten überhaupt an Krankheitssymptomen leiden und an welchen, können den irreführenden Eindruck wecken, bei den vielen «Fällen» handle es sich um Erkrankte und/oder Ansteckende (Infosperber vom 26.4.2020 und vom 25.9.2020). Auch beim Begriff «Infizierte» meinen viele, es seien damit Erkrankte und/oder Ansteckende gemeint.
  3. Etliche der positiv getesteten «Fälle» sind zum Zeitpunkt des Tests nicht mehr ansteckend, auch wenn sie vorher Krankheitssymptome hatten.

Obwohl die Fallzahlen im Zeitverlauf und auch mit dem Ausland ungenügend vergleichbar sind, bleiben sie ein Indiz für die Entwicklung der Pandemie. Doch wichtiger als die Entwicklung der Fallzahlen sind die Entwicklungen der Hospitalisierungen, der Intensivbehandlungen und der Todesfälle.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Coronavirus_1

Coronavirus: Information statt Panik

Covid-19 fordert Behörden und Medien heraus. Infosperber filtert Wichtiges heraus.

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13 Meinungen

  • am 28.03.2021 um 23:11 Uhr
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    4. Etliche der positiv getesteten «Fälle» wurden in den 7 – 14 – 28 Tagen vorher schon einmal positiv getestet, sind also Doppel- oder Mehrfacherfassungen; diese werden nicht separat erfasst. Ich lasse einen Schnelltest machen; weil der positiv ist, lasse ich einen PCR-Test machen, der ist auch positiv. Bin ich jetzt zwei positiv Getestete?! Das wird nicht erfasst, das wird nicht bekannt gegeben. Dieser Effekt erhöht die „Fallzahlen“ und die „Positivitätsrate“ künstlich. Da die Zahlen nicht zuverlässig erfasst werden, sind sie zu wenig aussagekräftig, und es wird schwierig, Massnahmen sachlich zu begründen. Das wirft leider einmal mehr ein schlechtes Licht auf die Fach- und Sachkompetenz des BAG und der anderen zuständigen Behörden.

    • Favorit Daumen X
      am 29.03.2021 um 08:38 Uhr
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      Das ist nicht korrekt. Welche Quelle haben Sie für Ihre Information? Nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit werden positive Resultate von Schnelltests und positive Resultate des nachfolgenden PCR-Kontrolltests der gleichen Person nicht als zwei «Fälle» erfasst.

  • am 29.03.2021 um 11:08 Uhr
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    Man vergleiche beispielsweise bei OurWorldinData.org die Fallzahlen (cases) der Schweiz und Singapur. Mit gleitendem Durchschnitt über sieben Tage. Die Schweiz sieht überraschenderweise über längere Zeit besser aus als Singapur. Erst im Herbst kippt es. Man wechsle dann zu Todesfällen. Der Unterschied wird frappant. Das Beispiel ist etwas «gesucht», aber man kann viele weitere Inkonsistenzen entdecken. Die Qualität der Daten kann gar nicht anders als miserabel sein.

    https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer?zoomToSelection=true&pickerSort=asc&pickerMetric=location&Metric=Confirmed+cases&Interval=7-day+rolling+average&Relative+to+Population=true&Align+outbreaks=false&country=SGP~CHE

  • am 29.03.2021 um 12:17 Uhr
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    Wer «positiv» getestet ist, ist nicht zwingend «krank» und auch nicht zwingend ansteckend, und falls doch, gibt es für beides eine grosse Variante von Möglichkeiten.

  • am 29.03.2021 um 14:42 Uhr
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    Die «deutsche Verfahrensweise», nämlich dann, wenn man nahe einer Inzidenz von 50 ist,
    den «lockdown» möglichst voll aufrecht zu halten, indem nun «die Obrigkeit» -ohne schlüssigen Grund- ein «tieferes» Ziel von 30 vorgibt —

    und andererseits, wenn man in der Nähe von 200 angelangt ist, eine Inzidenz von 100 als akzeptables Ziel anpeilt,

    lässt mich vermuten, dass die Haupt-Absicht darin besteht, weiter «Pandemie-Kommandos» aufrecht erhalten zu können und in Konsequenz «das Volk knechten» zu können , Vergleichbar mit Geboten und Verboten «früher mal» in Kriegs-Zeiten.

    Auch viele andere «Mass»-Nahmen , die mass-los daherkommen, sprechen die gleiche Sprache. — Nämlich, dass es «oben» wichtiger ist, möglichst absolut herrschen zu können, als sich ernsthaft um logische Reaktionen auf die Bedrohung durch das Virus zu bemühen.

    Der Kabarettist Schneyer kommentierte vor vielen Jahren einmal (sinngemäss) : «Seit ich Frau Merkel kennenlernte, weiss ich, wie man Machiavelli auf deutsch schreibt!» Ob er recht hat-te ?!

    Alles Gute – und freundliche Grüsse !
    Wolfgang Gerlach, Ingenieur

  • am 29.03.2021 um 20:20 Uhr
    Permalink

    @Aders, @Gasche (Antwortfunktion funktioniert nicht): Ok; separate Erfassung von Schnelltests und PCR-Tests löst dieses Problem. Die Person geht nach dem ersten positiven Test in Isolation für 14 Tage (der PCR-Kontrolltest müsste dann doch eigentlich in der Isolation abgenommen werden, oder?!). Ist nach der Isolation ein erneuter PCR-Test empfohlen oder vorgeschrieben? Wenn nein, gibt es kaum Doppelerfassungen von positiven Tests. Ich hätte diese Frage gerne dem BAG gestellt; leider beantwortet das BAG keine Fragen aus dem gewöhnlichen Publikum, was ich durchaus als stossend um nicht zu sagen ungehörig empfinde.

  • am 29.03.2021 um 20:31 Uhr
    Permalink

    Klassische selektive Wahrnehmung, man liest nur dass, was man hören will.
    Es wird ausschliesslich auf die positiven Zahlen gestarrt, obwohl (laut BAG!!) seit Januar die Anzahl Tests massiv stiegen und die negativen Tests sich verdoppelten! – Trotz 85% Mutationen.

    Seit Januar haben sich die Anzahl Tests um rund 1/3 erhöht, die Positiven haben sich seither halbiert und die negativen verdoppelt.

    KW 1: 167’573 Tests, davon 143’417 neg. und 24’156 pos.
    KW 11: 219’997 Tests, davon 231’226 neg. und 11’229 pos.

    Quelle: BAG Dashboard_3_COVID19_labtests_positivity.xlsx

  • am 29.03.2021 um 23:58 Uhr
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    Vor einigen Wochen hiess es, bei Massen-Schnelltests müssten die negativen Resultate nicht mehr gemeldet werden, da dies zu aufwendig wäre.
    Wenn dieser Entscheid noch gilt, so sind auch die Positivitätsraten (positiv Getestete / Total Getestete) immer überhöht und fast unbrauchbar, da der Fehlerrahmen der Grundgesamtheit von Tag zu Tag und Kanton zu Kanton schwankt und im Dunkeln liegt.
    So ein unsinniger Entschied, der das Ergebnis statistisch verhunzt, aber kaum eine Arbeitsersparnis bringt, dürfte doch jede Massentest-Übung wissen, wieviele Test-Sets verbraucht wurden.

  • am 30.03.2021 um 08:59 Uhr
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    Dieser Artikel müsste in der NZZ, dem Tagi, der BAZ und anderen grossen Zeitungen – ev der FAZ oder anderswo international veröffentlicht werden, sonst hat es kaum Wirkung. Wir sind Insider hier und solange die Mainstream-Journalisten, die diesen Text doch lesen, keine Schimpfe dafür bekommen, dass sie mit diesen Infos nichts anfangen, passiert wenig. Sehr gut Herr Herzog – beim BAG die Zahlen holen zu gehen, nützt schon ein bisschen, aber noch besser wäre es, wenn zusätzlich unterschieden würde, wieviele von den positiv getesteten, wirklich krank sind, oder überhaupt Infektions-Symptome haben, welche ein Arzt mit Augenmass feststellen kann. Das wären dann wahrscheinlich von den 11’229 Positiven noch 5-20% – also ca. 600 bis 2500 Patienten von 220’000 = 0,3 bis 1,2% Infizierte mit Symptomen. Das heisst ein normales Winter/Frühling-Vorkommen von Erkältungen.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 30.03.2021 um 09:40 Uhr
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    Insgesamt wurden seit der systematischen Erfassung der Test 636’000 positive Ergebnisse gemeldet, aber nur 593’000 «Fälle». Dies ergibt insgesamt 43’000 Doppelzählungen [7.3% der «Fälle»].

    Dies betrifft v.a. die Herbstwerte nach der Einführung der neuen Teststrategie. Allein in der ersten Novemberwoche gab es über 5000 solcher Doubletten.

    Im Dezember lagen die mittleren Tageswerte noch knapp unter 300/Tag. Seither hat sich das beruhigt. Der Mittelwert ab Jahresanfang liegt bei etwa 140 Doubletten pro Tag.

  • am 30.03.2021 um 12:12 Uhr
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    Entschuldigung. Noch einmal @Gasche, @Aders: Die Publikationen des BAG, die Zahlen und die Erklärungen, lassen leider viele Fragen offen, Zahlen und Erklärungen sind nicht über jeden Zweifel erhaben. Das BAG beantwortet keine Fragen von „gewöhnlich Sterblichen“. Durch diese Situation habe ich mich dazu verleiten lassen, Zahlen und Erklärungen zu interpretieren. In diesem Zusammenhang ist Interpretation Spekulation, die ich gerne vermieden hätte. Entschuldigung.

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