Höchstens noch acht Personen an öffentlichen Veranstaltungen
Red. Regula Bähler hatte früher in Stockholm gelebt und hält sich mehrmals pro Jahr in dieser Stadt auf.
Schwedens Regierung hat die Teilnahme an Veranstaltungen ab dem 24. November auf nur noch acht Personen beschränkt. In den letzten Wochen waren in Schweden öffentliche Anlässe mit bis zu 300 Personen erlaubt, sofern sie ein Schutzkonzept vorweisen konnten. Bis dahin waren seit dem Frühjahr durchgängig nur 50 Personen zugelassen. Die drastische Einschränkung auf acht Personen erfasst Theater- und Konzertveranstaltungen, Demonstrationen, Vorlesungen oder Sportanlässe. Für sie gilt damit faktisch ein Verbot.
Bereits vor ein paar Tagen kam es zu einem landesweiten Verbot, nach 22 Uhr alkoholische Getränke auszuschenken. Wegen fehlender Grundlage im Epidemiengesetz stützte sich die Regierung auf das Ordnungsgesetz, welches Belange der öffentlichen Sicherheit regelt.
Diese einschneidenden Massnahmen seien absolut notwendig im Bestreben, die rasch zunehmende Verbreitung von Covid-19 zu bremsen und auch um die Spitalkapazitäten zu erhalten, erklärte Ministerpräsident Stefan Löfven. Und weiter: «Im Frühjahr erlebten wir eine grosse Folgsamkeit. Ratschläge und Empfehlungen haben bei weitem ausgereicht, damit die meisten Abstand gehalten und Vorhaben abgesagt haben.» Nun brauche es Verbote. Eindringlich mahnte er, auch die weiter geltenden Empfehlungen zu befolgen: «Erfülle deine Pflicht. Geh nicht ins Fitnessstudio, geh nicht in die Bibliothek, feiere keine Feste. Sag ab. Finde keine Ausflüchte, damit deine Aktivität okey wird. Es ist deine und meine Wahl – jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick –, die darüber entscheidet, wie wir da hinauskommen.»
Grosszügige Ausnahmen
Von der neuen Regelung sind die Privatsphäre und gewisse öffentliche Bereiche nicht erfasst. Dazu zählen nicht nur private Feste, Firmenanlässe, Besuche von Fitnesscentern, Schwimmbädern, Bibliotheken, Restaurants, sondern auch von Schulen, Märkten, Einkaufszentren oder die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Da greifen allenfalls weitere Vorschriften der zentralen Sozialbehörde oder von einzelnen Schulvorstehern, ergänzt durch die Empfehlungen und auch Vorschriften in den Regionen.
Weiterhin grosses Vertrauen in die Behörden
«Letzten Endes nimmt es ein Ende. Das ist gewiss.» Übersetzt aus der schwedischen Gelassenheit, gespickt mit einer ansehnlichen Portion Fatalismus, heisst das so viel wie: «Wir haben keine Angst vor der Zukunft. Irgendwann wird es einen Impfstoff geben.» Mit dieser Einstellung steht die Pensionärin in einer Umfrage auf Stockholms Strassen nicht allein. Sie weiss sich in der Gesellschaft vieler. Und je schneller sich das Coronavirus in Schweden neuerlich ausbreitet, desto mehr nimmt das Vertrauen in die zentrale Gesundheitsbehörde (Folkhälsomyndigheten) und den Staatsepidemiologen Anders Tegnell wieder zu.
Im vergangenen Monat hatten 68 Prozent der wahlberechtigten Schwedinnen und Schweden grosses Vertrauen in die Gesundheitsbehörde, während Tegnell mit 72 Prozent den höchsten Vertrauensbonus seit Ausbruch der Pandemie überhaupt erhielt. Dies laut einer repräsentativen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos im Auftrag der Zeitung «Dagens Nyheter». Gleichzeitig verzeichnete die Regierung nur 36 Prozent Zuspruch für den Umgang mit der Corona-Krise und Ministerpräsident Stefan Löfven noch magere 33 Prozent.
Kritik aus Fachkreisen nahm zu
Doch rundherum brachen Wogen der Kritik über Tegnell und die Gesundheitsbehörde herein, angetrieben von der Regierung über Forscherinnen, Ärzten der Intensivmedizin, Angestellten in Alters- und Pflegheimen bis zu Verantwortlichen von lokalen Betrieben des öffentlichen Verkehrs. Diese fordern seit längerem durchsetzbare Verbotsmassnahmen und somit eine Abkehr von Appellen an die Eigenverantwortung, welche sich zu dem bündeln, was den schwedischen Sonderweg ausmacht. Die Regierung hat bereits in den letzten Wochen das Heft verstärkt in die Hand genommen und die Regionen, welche in Gesundheitsfragen weitgehende Autonomie geniessen, haben lockdown-ähnliche Zustände geschaffen – mit einer Ausnahme: im nördlichen Jämtland Härjedalen, wo sich 3,3 Einwohner einen Quadratkilometer mit einem Rentier teilen, gibt es keine spezifischen Empfehlungen fürs Abstandhalten.
Ältere und Personen mit Vorbelastungen sollen auf Kontakte nicht verzichten
Mitten in diesen Auseinandersetzungen stehen Anders Tegnell und die zentrale Gesundheitsbehörde als unerschütterliche Felsen in der Brandung. In aller Gleichmut erklären sie immer und immer wieder, weshalb dies nicht angezeigt ist und weshalb das nicht. Sie bleiben, wo sie seit dem Frühjahr sind, und rücken argumentativ kaum von ihren früheren Positionen ab, ohne ständiges Rauf- und Runterfahren von Massnahmen wie im übrigen Europa. Abgesehen von einer wesentlichen Lockerung. Seit dem 22. Oktober gilt für Personen, die über 70 Jahre alt sind oder einer Risikogruppe angehören, die Empfehlung der Gesundheitsbehörde nicht mehr, den Kontakt mit anderen zu vermeiden.
Epidemie macht sich wieder bemerkbar
Die nackten Zahlen zeichnen ein düsteres Bild, auch wenn es schwierig ist, Vergleiche anzustellen. In der vergangenen Woche waren laut der zentralen Gesundheitsbehörde im ganzen Land rund 228’000 Tests durchgeführt worden. 10,9 Prozent fielen positiv aus, rund zehn Prozent mehr als in der Vorwoche [Red. In der Schweiz gegenwärtig 24 Prozent]. Gestern, am 16. November 2020, befanden sich 150 Personen auf der Intensivabteilung eines Spitals, 45 mehr als in der Woche davor. Ihr Durchschnittsalter beläuft sich auf 61 Jahre. 78 Prozent von ihnen leiden an einer Vorerkrankung (hoher Blutdruck 41%, Herz- und Lungenkrankheiten 25,9%, Diabetes 24,3%, Nierenkrankheiten 6,1%). Am 13. November 2020 waren seit Ausbruch der Pandemie 6’164 Personen mit Corona, also an einer Krankheit und gleichzeitiger Infizierung mit dem Virus oder ausschliesslich als Folge von Corona verstorben [Red. In der Schweiz mit nur 17 Prozent weniger Einwohnern 3536 Personen].
Die gegenwärtigen Fallzahlen sind weit von den Frühjahrswerten entfernt. Doch herrscht Alarmstimmung. Es ist von ernstzunehmendem und dramatischem Zuwachs die Rede, nicht zuletzt wieder in den Alters- und Pflegeheimen. Die Reproduktionszahl R ist anfangs September erneut über 1 gestiegen, hat sich Ende Oktober um 1,7 bewegt und pendelt sich aktuell um die 1,5 herum ein [Red. In der Schweiz gegenwärtig um 0,9]. Alle schwedischen Regionen – ausser eben Jämtland Härjedalen – sind betroffen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass.
Eindringliche Empfehlungen
Als erster Hotspot hat sich Uppsala herauskristallisiert. Allen, die sich in der Region der Universitätsstadt aufhalten, sind aufgerufen, nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, wenn möglich physischen Kontakt mit Personen zu vermeiden, die nicht im selben Haushalt wohnen, und im Homeoffice zu arbeiten.
Dieselben Empfehlungen gelten auch für die Region Stockholm. Darüber hinaus soll man sich nicht in Innenräumen wie Läden, Einkaufszentren, Museen, Bibliotheken, Schwimmhallen und Turnhallen aufhalten; abgesehen für notwendige Einkäufen in Lebensmittelläden oder Apotheken. Es wird davon abgeraten, an Treffen, Konzerten, Vorstellungen, Sporttrainings, Matches und Wettkämpfen teilzunehmen. Davon ausgenommen sind Sporttrainings für Kinder und Jugendliche, die 2005 oder später geboren sind.
Die Ladenbetreiber und Arbeitgeber sollen Massnahmen treffen, damit diese Empfehlungen auch praktisch umgesetzt werden können. – Solche und andere regionale Beschlüsse, die in Absprache mit der zentralen Gesundheitsbehörde gefasst worden sind, gelten für eine befristete Zeit, sind aber mehrfach verlängerbar und betreffen auch den Privatbereich.
Im Zuge des Wechsels von landesweiten zu regionalen Empfehlungen ist es für die schwedische Bevölkerung zunehmend schwieriger geworden, den Überblick zu behalten.
Bis vor wenigen Wochen waren zur Hauptsache vier einfache Verhaltensregeln der zentralen Gesundheitsbehörde angesagt: Abstand halten, in die Armbeuge husten, bei Krankheitssymptomen zu Hause bleiben und die Hände waschen. Kommt hinzu, dass die Medien, welche im vergangenen Frühjahr weitgehend als Sprachrohr der Behörden gedient haben, inzwischen ihre Aufgabe des kritischen Hinterfragens wiedergefunden haben. Helena Sandberg, Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft in Lund und Halmstad, hat sich verschiedentlich in diese Richtung geäussert.
Das Tragen von Masken ist nicht angesagt
Doch was auch immer für Kritikpunkte aufs Tapet kommen, Anders Tegnell und die zentrale Gesundheitsbehörde bleiben standhaft bei ihren bisher vertretenen Auffassungen und kommunizieren ihre Einwände auf der Webseite der Gesundheitsbehörde. Zum Beispiel zum Thema Maske tragen, was Gruppen von Wissenschaftlern lautstark fordern. Da heisst es nach wie vor, dass die Erkenntnisse über die Schutzwirkung unzureichend seien. Zudem bestünde das Risiko einer falschen Sicherheit, so dass man die anderen Empfehlungen wie Abstandhalten nicht befolge. Und berühre man die Maske, könne sich das Virus über die Hände verbreiten, und zwar mehr, als wenn man keine Maske tragen würde. Diese Antwort erhielt auch der König, der sich zwar nicht in politische Belange einmischen darf, aber öffentlich die Frage gestellt hatte, was gegen einen Mund-Nasen-Schutz spreche.
Tatsache ist, dass in Schweden praktisch niemand mit einer Maske unterwegs ist. Das Abstandhalten funktioniert im Alltag denn auch recht gut, auf der Strasse, im Restaurant oder beim Sport. Aber nicht mehr beim Einkaufen in grösseren Geschäften und im öffentlichen Lokalverkehr. Es wird davon berichtet, dass Coronatests einzig dazu dienen, einen Persilschein für die Teilnahme an einer Party zu bekommen. Die politisch-kulturelle Haltung der Eigenverantwortung bröckelt in verschiedener Hinsicht. Darauf aufmerksam gemacht, räumen viele ein, sie hätten in der Selbstdisziplin etwas nachgelassen hätten, was eigentlich nicht angehe.
Banges Warten auf die Weihnachtszeit
Das neue Versammlungsverbot und die nächtlichen Verbote des Alkoholausschanks führen dazu, dass sich die Stimmen, welche den schwedischen Sonderweg als gescheitert einstufen, bestärkt fühlen. Vor allem im Ausland. Vielleicht auch in Schweden selbst.
Denn eben ist ein Buch angekündigt, welches im April nächsten Jahres erscheint und den Titel trägt: «Die Herde – Die Geschichte, wie Schweden in der Pandemie den Weg wählte» (Flocken – Berättelsen om hur Sverige valde väg under pandemien). Der Journalist und Autor Johan Anderberg hat zusammengepuzzelt, was sich hinter den Kulisssen abspielte. Schon jetzt kursieren in den Medien gewisse Emails. Etwa jene von Peet Tüll, dem früheren Chef der Abteilung ansteckende Krankheiten bei der zentralen Sozialbehörde, der am 15. März 2020 an Anders Tegnell geschrieben hat:
- «Hej Anders. Es gibt drei Strategien, um die Pandemie zu stoppen:
- Die erste Alternative ist, die Gesellschaft während vier Wochen total runterzufahren.
- Die zweite Alternative ist, so viele Infizierte zu finden wie möglich, alle nahen Kontakte nachzuverfolgen und diese in eine zweiwöchige Quarantäne zu setzen.
- Die dritte Alternative ist: Lass die Ausbreitung der Infektion zu, langsam oder schnell, um eine hypothetische ‹herd immunity› zu erreichen.»
Tüll sprach sich für die zweite Variante, vor allem, weil die dritte zu Tausenden von Toten führen würde. Einige Stunden später antwortete Tegnell:
- «Ja, wir sind das Ganze durchgegangen und trotz allem bei 3 gelandet.»
Wie auch immer: das öffentliche Leben ist ab dem 24. November in Schweden praktisch lahmgelegt, auf vier Wochen befristet. Zwei Tage vor Weihnachten gelten die Massnahmen entweder als aufgehoben oder sie werden verlängert. Das trifft hart, denn Weihnachten ist im dunklen schwedischen Winter gefühlsmässig noch stärker besetzt als bei uns. «Oh du Fröhliche» ist Programm, beim Tanz um den Baum, aber nicht nach Text und Melodie dieses Weihnachtsliedes, sondern viel mehr nach «Små grodorna» (Kleine Frösche). Auch die Erwachsenen hüpfen aus der Hocke, deuten in Gesten an, dass Frösche keine Ohren und Schwänze haben, und stimmen lauthals den Refrain ein: «Ko-ack-ack-ack-ack-a».
Aber auch die Vorweihnachtszeit ist unter den Restriktionen kaum vorstellbar, zu der auch die pompöse Verleihung der Nobelpreise am 10. Dezember gehört. Das Bankett ist im Sommer bereits abgesagt worden. Aber was ist mit dem Festanlass im Stockholmer Konzerthaus, an dem die gesamte Regierung, die königliche Familie und zahlreiche Gäste aus der ganzen Welt teilnehmen? Oder mit Lucia, welche am 13. Dezember Licht ins Dunkel bringt? Denn nach dem Volksglauben ist die Nacht zum 13. Dezember eine gefährliche, weil übernatürliche Wesen unterwegs sind, und die Tiere sprechen können. In dieser Nacht muss man etwas extra essen und trinken. Auch der Jultomte, so eine Art Weihnachtsmann dürfte es schwer haben. Er fragt jeweils, bevor er vor die versammelten Familien tritt, ob es hier brave Kinder gebe.
Die Bloggerin, welche zu den wenigen Corona-Skeptikerinnen und -Skeptiker in Schweden zählt, muss wohl ihr vorsorgliches Plakat neben der Haustür wegräumen, wonach es bei ihr nur brave Kinder gebe (Bild links).
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Infosperber-DOSSIER:
Coronavirus: Information statt Panik
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Regula Bähler ist Mitglied des Stiftungsrats, der Infosperber herausgibt.
Was man nicht oft genug betonen kann: Ein PCR Test kann und darf keine Diagnose sein, steht in so gut wie allen Beipackzetteln eines PCR Tests, Beispiel:
https://www.creative-diagnostics.com/pdf/CD019RT.pdf
"This product is for research use only and is not intended for diagnostic use.» PCR Tests sind schlicht nicht zur Diagnose zugelassen.