Corona-Impfstoff

Begehrter Covid-19-Impfstoff: Die USA wollen den Patentschutz lockern, Deutschland und die EU sperren sich weiterhin dagegen. © Wilfried Pohnke/Pixabay/cc

Globale Impfstoff-Rivalitäten

Red. /  Fast nur China und Russland versorgen ärmere Länder mit Covid-Impfstoffen. Die USA wollen Patente aussetzen, die EU lehnt das ab.

Die Deutsche Bundesregierung und die EU blockieren die zeitweise Aussetzung der Patente für Covid-19-Impfstoffe auch nachdem die Biden-Administration überraschend eine Freigabe gefordert hat. Man sei nicht der Ansicht, die Patentfreigabe zum Zweck der Ausweitung der Vakzinproduktion sei der angemessene Schritt, teilten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ratspräsident Charles Michel nach dem jüngsten EU-Gipfel mit. Berlin sorgt sich vor allem um die mRNA-Patente von BioNTech: Das Unternehmen soll mit ihnen einen wichtigen Beitrag zum Ausbau des Biotechnologiestandorts Deutschland leisten; die Patente dürften deshalb nicht China in die Hände fallen, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel zitiert. 

Dabei trägt auch die Biden-Administration mit ihrem Vorstoss zur Patentfreigabe dem Machtkampf gegen Peking Rechnung: Seit Indien wegen der Eskalation der Pandemie im eigenen Land keine Impfstoffe mehr exportiert, werden ärmere und Schwellenländer fast nur noch von China und Russland versorgt – auch mit deren Lizenzen zu einer eigenen Vakzinproduktion. Die Patentfreigabe könnte die chinesisch-russische Impfdominanz brechen.

Patentfreigabe? – «Keine Lösung»

Die Bundesregierung und die EU blockieren – vor allem auf deutsches Insistieren – den Vorstoss der Vereinigten Staaten, dem international wachsenden Druck nachzugeben und die Covid-19-Impfstoffpatente zumindest eine Zeit lang auszusetzen. Während der UN-Generalsekretär sowie die Spitzen der Weltgesundheits- und der Welthandelsorganisation (WHO, WTO) die entsprechende Ankündigung der Biden-Administration ausdrücklich begrüssen, sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am 8. Mai nach dem jüngsten EU-Gipfel gegen die Patentfreigabe aus: Sie denke nicht, «dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist, um mehr Menschen Impfstoff zur Verfügung zu stellen», erklärte sie.[1] 

Hatten sich vor dem EU-Gipfel mehrere EU-Mitgliedstaaten noch über den US-Vorstoss erfreut gezeigt – darunter Österreich, Spanien und Polen –, so war nach dem EU-Gipfel, auf dem Merkel offen intervenierte, davon keine Rede mehr. EU-Ratspräsident Charles Michel äusserte zur Patentaussetzung: «Wir denken nicht, dass das kurzfristig eine Wunderlösung ist.»[2] Erst wenn ein konkreter Vorschlag vorliege, wolle man weiterdiskutieren. Deutsche Medien sprachen unter Berufung auf EU-Kreise abschätzig von einem «PR-Trick» der Vereinigten Staaten.

Unmut über Lieferblockaden

In der Tat erfolgte die Ankündigung der Biden-Administration vom 5. Mai, einer Patentfreigabe nicht mehr im Weg zu stehen, erst als Washington international immer stärker in Zugzwang geraten war. Zum einen nehmen Proteste gegen das Horten von Impfstoffen durch die Vereinigten Staaten zu, seit Mitte April bekannt wurde, spätestens Ende Juli könnten sich rund 300 Millionen Impfdosen ungenutzt in US-Lagern stapeln, während in den meisten ärmeren Ländern extremer Mangel herrscht.[3] 

Beschwerden gab es zudem, weil die USA nicht nur die Ausfuhr von Impfstoffen, sondern auch den Export von Vorprodukten stark beschränkt haben; dies hatte US-Präsident Joe Biden bereits kurz nach seinem Amtsantritt unter Nutzung von Bestimmungen des U.S. Defense Production Act (DPA) festgelegt. Weil dies die Impfstoffproduktion etwa des Serum Institute of India, des grössten Vakzinherstellers der Welt, empfindlich beeinträchtigt, hat dessen Chef Adar Poonawalla Mitte April öffentlich scharfe Kritik an Biden geübt.[4]

Die US-Blockaden haben im dramatisch pandemiegeplagten Indien den Unmut über die Vereinigten Staaten und über den Pro-US-Kurs der Regierung von Premierminister Narendra Modi anschwellen lassen [5] – eine Entwicklung, die Washington nicht gleichgültig sein kann, weil es im Machtkampf gegen Peking auf enge Kooperation mit New Delhi setzt.

China und Russland ohne westliches Gegengewicht

Hinzu kommt, dass die dramatische Eskalation der Pandemie in Indien die Positionen des Westens in der Impfrivalität mit China und Russland schwächt. Entwicklungs- und Schwellenländer haben bislang fast ausschliesslich Impfstoffe aus China, Russland und Indien erhalten. China etwa hat mittlerweile 240 Millionen Impfdosen in zahlreiche Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sowie in einige ärmere Länder Ost- und Südosteuropas geliefert.[6] 

Peking wie auch Moskau, das trotz geringerer Produktionskapazitäten gleichfalls nach Kräften Impfstoff exportiert, fördern zudem die Lizenzproduktion ihrer Vakzine durch einheimische Firmen in diversen ärmeren bzw. Schwellenländern, darunter etwa Brasilien, Marokko, Indonesien und Serbien. Lieferungen kamen bis vor kurzem auch aus Indien, wo das Serum Institute of India das Vakzin von AstraZeneca (Grossbritannien) in Lizenz herstellt. Nach Angaben des indischen Aussenministeriums lieferte es mittlerweile mehr als 66 Millionen Impfdosen in Entwicklungs- und Schwellenländer. Weil Indien nun aber sämtliche verfügbaren Kapazitäten für den eigenen Kampf gegen die Pandemie benötigt, fällt es als pro-westliches Gegengewicht gegen Russland und China auf absehbare Zeit bei der Belieferung der ärmeren Welt mit Vakzinen aus.

Die EU: Apotheke der Reichen

Damit sind die ärmeren Länder beinahe vollständig auf Unterstützung aus China und Russland angewiesen – denn auch die EU beliefert sie entgegen anderslautenden Behauptungen kaum. Zwar hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 6. Mai in einer Rede beim European University Institute in Florenz erklärt, die EU sei «die einzige demokratische Region weltweit, die in grossem Massstab Impfstoff exportiert»; zudem hatte sie die Union stolz «Apotheke der Welt» genannt.[7] Als «Apotheke der Welt» wird gelegentlich Indien bezeichnet, da dessen Pharmakonzerne in grossen Mengen kostengünstige Medikamente herstellen, die auch für ärmere Länder erschwinglich sind. 

Freilich haben Konzerne aus der EU vor allem kostspielige BioNTech/Pfizer-Impfstoffe exportiert – und dies, wie die Sprecherin der Kommission für Handelsfragen, Miriam García Ferrer, bestätigt, überwiegend in wohlhabende Länder. Brüssel hat demnach seit Januar 178 Millionen Dosen für den Export prinzipiell freigegeben; Empfänger sind Japan (72 Millionen), Grossbritannien (18,6 Millionen), Kanada (18,4 Millionen), Saudi-Arabien (7 Millionen), die Schweiz und die Türkei (jeweils 5 Millionen), Singapur und Südkorea (jeweils 3 Millionen). EU-Lieferungen an ärmere Länder fallen kaum ins Gewicht.[8]

Auf dem Durchmarsch

Während der Westen in der Impfrivalität in erheblichem Mass Einfluss an China und Russland verliert, liegen in zahlreichen Ländern Kapazitäten zur Impfstoffproduktion brach. So bemüht sich das kanadische Unternehmen Biolyse Pharma seit Monaten vergeblich, die Lizenz für die Herstellung eines Vakzins zu erhalten. Seine Kapazitäten werden mit rund 50 Millionen Dosen im Jahr angegeben. Incepta Pharmaceuticals aus Bangladeschs Hauptstadt Dhaka könnte bis zu 350 Millionen Dosen jährlich produzieren, bekommt aber ebenfalls keine Lizenz.[9] Doch das könnte sich nun ändern. 

Seit Bangladeschs Hauptlieferant Indien ausfällt, bemüht sich Dhaka intensiv um Ersatz – in Peking und in Moskau. Insbesondere ist die Lizenzproduktion von Sputnik V im Gespräch; an Verhandlungen darüber nahmen vor einigen Tagen auch Vertreter von Incepta Pharmaceuticals teil.[10] Will der Westen im globalen Impfstoffrennen nicht noch mehr hinter Russland und China zurückfallen, muss eine Wende her. Der aktuelle Vorstoss der Biden-Administration zielt exakt darauf ab.

Eine «Gamechanger-Technologie»

Damit allerdings verstösst die Biden-Administration – aus geostrategischen Gründen – nicht nur gegen das Interesse der mächtigen US-Pharmaindustrie, die um die Profite fürchtet, sondern auch gegen Interessen Deutschlands. Die Bundesregierung fördert BioNTech und CureVac mit ihren mRNA-Impfstoffen nicht zuletzt deshalb, weil die mRNA-Technologie als bedeutender Faktor bei dem erstrebten Ausbau des Biotechnologiestandorts Deutschland gilt. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte daher laut Berichten auf dem EU-Gipfel, die mRNA-Patente dürften nicht China in die Hände fallen.[11] Am 10. Mai hat sie sich mit einschlägigen Experten über «Gamechanger-Technologien für den Biotechnologiestandort Deutschland» ausgetauscht; zentral ist dabei die mRNA-Technologie. Deren Förderung gewinnt in der deutschen Pandemie-Politik eine zunehmende Bedeutung. 

Dieser Beitrag ist auf german-foreign-policy.com erschienen.

Quellen:
[1] Pressekonferenz nach dem informellen Treffen des Europäischen Rats und EU-Indien-Gipfel in Porto. 08.05.2021.
[2] Matthias Kolb: Europas Unmut über Bidens PR-Trick. («Süddeutsche Zeitung», 08.05.2021).
[3] Adam Taylor, Emily Rauhala: U.S. could have 300 million extra vaccine doses by end of July, raising concerns about hoarding. («Washington Post», 15.04.2021).
[4] Poonawalla twitterte am 16. April: «Respected @POTUS, if we are to truly unite in beating this virus, on behalf of the vaccine industry outside the U.S., I humbly request you to lift the embargo of raw material exports out of the U.S. so that vaccine production can ramp up. Your administration has the details.»
[5] S. dazu «Ein Signal an China».
[6] Iain Marlow, Sudhi Ranjan Sen, James Paton: China is filling the global COVID vaccine shortage left by the U.S. and India. («Fortune», 08.05.2021).
[7] Rede von Präsidentin von der Leyen auf der Konferenz zur Lage der Union des European University Institute. (ec.europa.eu, 06.05.2021).
[8] EU vaccines: Millions of doses exported to rich countries, less to poor countries. «Brussels Times», 08.05.2021).
[9] Saeed Shah, Yaroslav Trofimov, Gabriele Steinhauser: India’s Covid-19 Crisis Raises Pressure to Waive Vaccine Patents. «The Wall Street Journal», 01.05.2021).
[10] Mohammad Al-Masum Molla: Chinese Vaccine: 5 lakh doses may arrive on May 10. («The Daily Star», 03.05.2021).
[11] Matthias Kolb: Europas Unmut über Bidens PR-Trick. («Süddeutsche Zeitung», 08.05.2021).


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4 Meinungen

  • am 17.05.2021 um 11:38 Uhr
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    ??? Was denkt «man» denn nun wirlich ??? In der «Vereinigung der «Guten» , der wir (unsere Regierungen) behaupten, anzugehören ?! Was wird uns verheimlicht ?!

    Warum überlassen wir China und Russland —
    über deren aggressive Handels- und Aussen-Politik wir seither immer «sehr verärgert» waren —
    auf einmal !und freiwillig! den gesamten Markt der ärmeren Länder ?

    Die Logik der «neuen Haltungen / neuen Handlungsweisen» von USA und EU erschliesst sich mir nicht. Beim besten Willen und viel Nach-Denken nicht ! ! !

    WER weiss was –
    und kann erklären, warum und was DA auf einmal so ganz anders gehandhabt wird ?

    Herzlichen Dank im Voraus !

    Wolf Gerlach, Ingenieur

  • am 17.05.2021 um 12:59 Uhr
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    «Beschwerden gab es zudem, weil die USA nicht nur die Ausfuhr von Impfstoffen, sondern auch den Export von Vorprodukten stark beschränkt haben; dies hatte US-Präsident Joe Biden bereits kurz nach seinem Amtsantritt unter Nutzung von Bestimmungen des U.S. Defense Production Act (DPA) festgelegt.» – Der selbe Biden will aber philanthropisch mittels Patentaufhebung die ganze Welt mit Impfstoffen beglücken, der Widerspruch ist offensichtlich. Der US Präsident kann doch jederzeit mit dem guten Beispiel vorangehen und das Patent vom US Produzenten Moderna seinem offensichtlich darbenden Nachbarland Kanada zur Verfügung stellen. – Auch hier ein Hinweis, dass die Pandemie mehr mit Geopolitik und Wirtschaftsmacht als mit Medizin und menschlichen Wohlergehen zu tun hat. Aus meiner Sicht ist derzeit persönliche Distanz und Abwarten gut für die Gesundheit.

  • am 17.05.2021 um 13:23 Uhr
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    Danke für den komplexen Bericht, das muss sehr aufwändig gewesen sein, dies alles zu recherchieren. Im Moment halte ich von den mRna Vakzinen nicht sehr viel, die Nebenwirkungen können drastisch sein. Als Impfbefürworter steht mir der Sinn nach Impfsicherheit. Die Risiken einer Gefässschädigung bei Anti-Spike Vakzinen sind nicht gerade eine Höchstleistung der mRna Technologie. Von allen Vakzinen halte ich persönlich den chinesischen Totimpfstoff Coronavac von Sinovac für den sichersten Impfstoff welcher gegenwärtig auf dem Markt ist. Da er das ganze Virus in disfunktionaler Form als Antikörperstimulans verwendet, wirkt er laut Aerzteblatt breitbandig auch gegen Mutationen. Finanzielle Interessen, Lobbyisten und politische Interessen blockieren diese Stoffe für die Schweiz. Mir wäre auch wohler wenn die Schweiz den Leader-Impfstoff hätte und selber produzieren könnte, aber dem ist leider nicht so, man muss dieser Tatsache ins Auge sehen, unabhängig von Politik und finanziellen Interessen. Das Wohl und die Volksgesundheit steht auf dem Spiel. Ich nehme an dass das zwanghafte aufdrücken eines experimentellen mRna Vakzines auf alle Schweizer, obwohl es sicherere Alternativen gäbe, noch ein Nachspiel haben wird. Es scheint mir vor zu kommen wie ein zynischer Witz was im Moment geschieht. Man nehme alles und prüfe es, und das Beste behalte man, so sollte es laufen.

  • am 18.05.2021 um 17:49 Uhr
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    Ehemalige erfolgreiche Schweizer Impfstofffirma Berna!
    Die niederländische Biotechfirma hat Berna Biotech 2006 übernommen. Nun ist dieser Firmenname fast vollständig verschwunden. Trotzdem hat Crucell mit den Bernern noch viel vor. ….

    Ja das war einmal. Zuerst vom Schweizer Staat verkauft, dann weiterverkauft. Wohl als als Teil eines globalen Pharma Deals = Marktabsprache. Auf diese Art kann die «freie» = ungebändigte Pharma Wirtschaft die Staaten optimal erpressen. Know-How abziehen billiger/riskanter produzieren und dann abkassieren. Den Gewinn quasi steuerfrei als «Geistiges Eigentum» verschieben e.g. nach Holland.

    Nur selbstverständlich, dass neulich der Bundesrat (ist ein Teil des Systems) vielversprechende Schweizer Impfstoff-Entwicklungen torpediert.
    Man müsste den einfachen Leuten einfach einmal klar machen, dass Geld, Pharma, Bau, Versicherungen, Energie, Waffen Wirtschafts-Felder sind wo «unsere Regierung» eben nicht unsere Regierung ist, sondern sich an Absprachen halten muss.

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