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Trump machte Lobbyisten zu Chefs von Bundesämtern und Ministerien © MSNBC

Gift im Untergrund: Wie die US-Lobbys Sanierungen verschleppen

D. Gschweng /  Etliche Chemie-Rückstände machen krank, doch die chemische Industrie in den USA blockiert Regulierungen mit allen Mitteln.

Die Schmuckdesignerin Jayne DePotter betrieb ein kleines Studio in Franklin, Michigan, in dem sie Interessierten die Möglichkeit gab, ihr Handwerk zu lernen. Seit Mitte letzten Jahres aber ist das Studio geschlossen. DePotter möchte vorerst auch nicht wiedereröffnen, denn sie macht sich sowohl um ihre eigene Gesundheit als auch um die ihrer Kunden Sorgen.

Boden und Grundwasser unter ihrem Studio sind mit der Chemikalie TCE (Tetrachlorethylen oder Perchlorethylen) verseucht, ein Entfettungsmittel und Fleckenentferner, der noch immer verwendet wird. Im Nachbarhaus befand sich einst eine Reinigung. Die Chemikalie verdampft stetig durch den Boden. TCE, stellte die US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) 2016 fest, sei «krebserregend auf allen Expositionswegen».

Zehn Jahre lang giftigen Dämpfen ausgesetzt

DePotter, die den Dämpfen zehn Jahre lang ausgesetzt war, geht es nicht gut. Die 56-Jährige hat Nierenschmerzen, Leberprobleme und kämpft mit Schwindel. Noch mehr als um sich selbst sorgt sie sich um die jungen Frauen, die in ihrem Atelier ein- und ausgingen, besonders um diejenigen, die schwanger waren. Eine ihrer ehemaligen Studentinnen hat Blasenkrebs, eine andere leidet unter wiederkehrenden Blasenentzündungen. TCE wird mit diesen Beschwerden in Verbindung gebracht, genauso wie mit Krebs und Geburtsgebrechen. Es dauerte Jahre, bis ein Arzt die wahrscheinliche Ursache von DePotters Beschwerden vermutete. Eine Untersuchung ihres Ateliers ergab hohe TCE-Konzentrationen in der Luft. 2016 mussten fast 300 Anwohner die umliegenden Gebäude vorübergehend verlassen. Die Behörden stellten Luftreinigungsgeräte auf, die Ursache aber blieb. Der Boden unter den Gebäuden müsste dringend saniert werden, eine gesetzliche Handhabe aber fehlt.

Ein Verbot, das sich hinzieht

Die Nutzung der krebserregenden Chemikalie TCE ist noch immer erlaubt. Das liegt zum einen an den Zulassungsvorschriften. Anders als Medikamente werden Gebrauchschemikalien in den USA ohne grosse Prüfung zugelassen. Erst wenn Beweise für ihre Schädlichkeit erbracht sind, werden sie verboten. Ein Verfahren, das sich jahrelang hinziehen kann.

Bereits 2016 legte die EPA zwei Gesetzesvorschläge vor, die Nutzung und Import von TCE weitestgehend verbieten sollten. Was unter Obama noch nach einem routinemässigen Gesetzgebungsverfahren aussah, zog sich in die Länge. Die Klassifizierung von TCE und einiger weiterer Chemikalien ist noch immer nicht abgeschlossen. Lobbys verzögern jeden Schritt.

Ein Schaustück für Lobbyisten

Im Juni 2017 beispielsweise hat Stephen Risotto, Leiter des US-Chemieverbands ACC (American Chemistry Council) von der EPA verlangt, die Umsetzung eines Memos von 2014 «auszusetzen», das TCE-Sanierungen beschleunigen sollte. Das zeigen E-Mails, welche die Umweltorganisation «Sierra Club» aus Prozessunterlagen erhalten hat, berichtet der «Guardian». Die wissenschaftlichen Studien, die hinter der Risikoeinschätzung der EPA stünden, seien nicht belastbar, der Grenzwert zu niedrig angesetzt, Sanierungen seien für die Hersteller kostspielig, argumentiere Risotto.

Risotto hatte zunächst keinen Erfolg. Sein Vorgehen zeige aber exemplarisch das immer gleiche Vorgehen der Lobbys in Washington, sagt Sonya Lunder, leitende Toxikologin bei «Sierra Club». Tatsächlich liest sich die Geschichte der seit Jahren hängigen Regulierung von TCE wie eine Anleitung für Lobbygruppen.

Regel 1: Zweifle die wissenschaftlichen Grundlagen an

Obwohl die EPA die Giftigkeit von TCE festgestellt hatte, wurde zunächst die wissenschaftliche Grundlage angezweifelt. Die EPA stützt sich vor allem auf eine Studie an Ratten. Schon bei sehr kleinen TCE-Dosen traten bei ungeborenen Ratten Herzfehlbildungen auf. «Die Ergebnisse wurden nicht in besser durchgeführten Studien reproduziert», fand Risotto in dem Schreiben.

Der Lobbyist wandte sich an Kell Kelly, einen der Helfer des damaligen Leiters der EPA, Scott Pruit. Dieser arrangierte ein Treffen der EPA mit den Herstellern. Die Studie wurde zur Ausnahme erklärt, die sich nicht bestätigen lasse. Die Basis der «Cleanup Rules», liess ein Sprecher der EPA den «Guardian» wissen, entspreche nicht den Schlüssen, die «die meisten anderen Wissenschaftler» gezogen hätten.

Das Dilemma für die Regulierungsbehörden

Der Verband der Hersteller halogenierter Lösungsmittel hatte eine eigene Studie finanziert. Diese stellte fest, dass sich die in der ersten Studie bewiesene Wirkung von TCE auf Ratten nicht reproduzieren lässt. Jennifer Sass, leitende Chemikalienexpertin der Umweltgruppe des «Natural Resources Defense» hält diese Argumentation für weit hergeholt. Während es einige «vernünftige Kritikpunkte» an der ersten Studie gebe, bestätigten etwa ein Dutzend anderer Studien ihre Ergebnisse.

Für die Regulierungsbehörden ist das ein bekanntes Dilemma. Bei der wissenschaftlichen Faktenfindung geht es nicht darum, wer die meisten Studien mit entsprechenden Ergebnissen vorweisen kann. Beschriebenen Zweifeln müssen die Behörden nachgehen. Bei der Prüfung von Studien durch andere Wissenschaftler geht es aber oft um Details wie den Versuchsaufbau, die eingesetzten Methoden und die Art der Auswertung von Ergebnissen. Ein Prozess, der lange dauern kann.

Inzwischen werden unter Umständen neue Studien veröffentlicht und Menschen wie Jayne DePotter sind weiter unsichtbaren Dämpfen ausgesetzt. In Michigan gibt es nach offiziellen Angaben bis zu 4‘000 «Vapor Intrusion Sites». In einer Stadt in Indiana, die zufälligerweise ebenfalls Franklin heisst, wehren sich mittlerweile die Anwohner, weil es auffällig viele krebskranke Kinder gibt (Infosperber: «Die Stadt der krebskranken Kinder»). Saniert wird auch dort nicht. Staaten wie New York, Wyoming, Oregon und Kalifornien haben ebenfalls Probleme mit kontaminiertem Boden. Der Bundesstaat Minnesota erwägt, TCE im Alleingang zu verbieten.

Regel 2: Besetze Schlüsselpositionen mit Interessenvertretern

Währenddessen spielt das politische Geschehen Herstellern und Händlern in die Hände. Nach dem Wechsel von Obama zu Trump sind Schlüsselpositionen der EPA mit Industrielobbyisten besetzt worden. Nancy Beck beispielsweise habe als leitende Angestellte des «American Chemistry Council» die Regulierung toxischer Chemikalien bekämpft, schreibt der Investigativjournalist Eric Lipton über das Lobbying der chemischen Industrie zur Regulierung gefährlicher Chemikalien.

Jetzt sei sie als Assistentin bei der EPA selbst für Regulierungen zuständig. Es habe sie nur wenige Wochen gekostet, die Prioritäten der EPA zu ändern. Der Prozess, mit dem die EPA toxische Stoffe evaluiert, wird nun überarbeitet, was eine grössere Zeitverzögerung bedeutet. Wichtige Positionen nach einem Regierungswechsel neu zu besetzen ist nichts Unübliches für eine neue Regierung. Allerdings waren die Neubesetzungen bei der EPA besonders zahlreich, schreibt Lipton. Der «Guardian» legt ein halbes Dutzend Namen als Beispiele vor.

Ein Kampf gegen die Zeit

Müssten die Hersteller am Ende die Kosten für die TCE-Sanierung verseuchter Böden übernehmen, wäre das zwar eine späte Hilfe für DePotter und viele andere. Schnell ginge es in einem bewohnten Gebiet aber nicht. TCE löst sich nur wenig in Wasser und bindet sich an organische Stoffe im Boden. Einfach auswaschen lässt es sich nicht. Moderne biotechnologische Verfahren, die TCE mit Hilfe von Bakterien in ungefährliche Bestandteile zerlegen, benötigen ein bis mehrere Jahrzehnte, bis die Chemikalie abgebaut ist, berichtet ein Portal aus Kalifornien.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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