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Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer in der Bild-Zeitung © bild.de

Gefährdete vor Corona schützen: Tübingen macht es vor

Urs P. Gasche /  Die Stadt treibt viel Aufwand, um Gefährdeten ein würdiges Leben zu ermöglichen. In Altersheimen sei seit Mai niemand gestorben.

Es sind fast nur ältere Menschen mit Vorerkrankungen, die wegen Covid-19 schwer erkranken. Fast alle, die an oder mit diesem Virus gestorbenen sind, waren über 80 Jahre alt. Über die Hälfte der Verstorbenen lebte in Alters- und Pflegeheimen. Freilich kann es auch unter den jüngeren Generationen zu ernsthaften Corona-Erkrankungen kommen. Doch unter diesen Jüngeren gibt es kaum mehr schwere Fälle als bei einer schweren Influenza-Welle.

Das Leben erleichtern

Bund und Länder in Deutschland sollen sich deshalb «auf die gefährdeten Alten konzentrieren», meint Oberbürgermeister Boris Palmer (48, Grüne). Es gehe nicht nur darum, dass sich Gefährdete sehr gut schützen können, sondern dass man ihnen auch ein möglichst gutes Leben ermögliche.
«Macht es doch wie Tübingen» titelte die Bild-Zeitung und zitierte damit Palmer. In keinem der neun Altersheime Tübingens, einer Stadt im Herzen Baden-Württembergs mit 89‘000 Einwohnern, sei es seit Mai 2020 zu einem Todesfall gekommen.
In den letzten vier Wochen sei es unter den über 65-Jährigen in Tübingen nur zu einem Zehntel so vielen Neu-Infektionen gekommen wie im deutschen Durchschnitt, bei den über 75-Jährigen sogar zu keinem einzigen neuen Fall.

Oberbürgermeister Palmer hatte sich vom Chef des Universitätsklinikum Tübingen, Michael Bamberg, und von der Chefin des örtlichen Roten-Kreuzes, Lisa Federle beraten lassen.

Und das sind die Massnahmen

Schon vor Monaten hat Tübingen im Interesse der gefährdeten, meist betagten Personen folgende Massnahmen ergriffen:

  • Kostenlose Abgabe von FFP2-Masken für Seniorinnen und Senioren. Um die Masken zu erhalten, mussten die Betagten nichts unternehmen. Sie wurden per Post an die rund 15’000 Tübingerinnen und Tübinger verschickt, die 65 oder älter sind. Für diese Aktion bewilligte die Stadt 50’000 Euro. Der Oberbürgermeister sagte, «Arme können sich die Masken nicht leisten».
  • Alle Bewohner und Beschäftigte in Altersheimen – und seit einiger Zeit auch Besucherinnen und Besucher – können sich kostenlos regelmässig testen lassen.
  • Seit kurzem können sich Angehörige, die ihre hochbetagten Verwandten besuchen möchten, auch auf dem Marktplatz mit einem ebenfalls kostenlosen Schnelltests testen lassen.
  • Für Seniorinnen und Senioren gibt es Rufbusse und Taxis, die sie 30 Minuten vorher anfordern können. Die sogenannten «Sammel-Anruf-Mietwagen» holen die Anrufenden dann an der Bushaltestelle ab. Sie kosten gleich viel wie ein Busticket und mit einer Abo-Karte sind sie gratis. Das Sammeltaxi fährt zu den regulären Abfahrtszeiten der jeweiligen Bushaltestelle. Näheres über diese Dienstleistung hier.

«Einsamkeit ist eine Qual», erklärte Eveline Widmer-Schlumpf, Präsidentin der Stiftung «Pro Senectute» in der NZZ am Sonntag. Um allen Betagten soziale Kontakte zu ermöglichen, fehle es in der Schweiz noch an «einheitlichen Standards».

Häufig fehlt es auch an Geld, damit Alters- und Pflegeheime sichere Kontaktmöglichkeiten in angenehmer Atmosphäre einrichten können. Für alleinlebende Betagte kann man die Dienstleistungen wie Hauslieferdiensten usw. noch verbessern. Man kann ihnen Hilfe anbieten, mit Skype, Facetime, Zoom etc. zu kommunizieren. Vielen ohnehin gebeutelten Kultureinrichtungen fehlen die Mittel, um bei Beriebsaufnahme Gefährdeten spezielle Zutritte und Plätze anzubieten.
Mit etwas Initiative, Kreativität und Geld gäbe es noch etliche Möglichkeiten, um Gefährdete sozial nicht abzuhängen und ihnen im Alltag mehr Freude zu bereiten.
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4 Meinungen

  • am 9.12.2020 um 14:04 Uhr
    Permalink

    Es sind nicht «fast nur» Ältere, die an Covid19 schwer erkranken. Auch 28-jährige sind schon wochenlang an den Schläuchen gehangen. Es trifft alle. Die Jungen weniger, das schon, aber eben auch. Und die Spätfolgen auch von Jüngeren sind alles andere als lustig. Mit dem «fast nur» ist die Relativierung des Problems zu gross. Das Ergebnis sieht man jetzt. Die Kommunikation der Regierungen und der Presse ist ungenügend und halt ziemlich verniedlichend. Ihre Ohren hängen eben meist am Lautsprecher der Economiesuisse. Teile der Wirtschaft gingen schon seit jeher über Leichen.

  • am 9.12.2020 um 16:36 Uhr
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    @Beglinger. Hier die genauen Zahlen bis zum 9. Dezember nach Angaben des BAG:
    Von den positiv Getesteten beträgt der Anteil der Hospitalisierten im Alter von über 60 Jahren 76%. Der Anteil der über 60-Jährigen an den an oder mit Covid-19 Verstorbenen beträgt 98%. 92% starben im Alter von über 70 Jahren. – Wie im Artikel erwähnt kann es auch unter den jüngeren Generationen zu ernsthaften Corona-Erkrankungen kommen. Doch unter diesen Jüngeren gibt es kaum mehr schwere Fälle als bei einer schweren Influenza-Welle. Das können viele Hausärzte bestätigen.

  • am 10.12.2020 um 06:33 Uhr
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    Auch in der Schweiz haben wir frappante Unterschiede zwischen den Altersheimen. Als Ursachen dafür ist bei uns allerdings mehr die medizinische Prophylaxe bekannt (Elgg, Muotathal. Spannend wäre hierzu Informationen aus Tübingen zu haben.

  • am 11.12.2020 um 19:12 Uhr
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    @Beglinger N°2
    Wegen der Corona-Filterblase werden jetzt plötzlich aus Korrelationen Kausalitäten hergestellt.
    Auch ohne Corona starben früher jedes Jahr Jugendliche an Coronasymptomen: Covid-19 (Herz- und/oder Kreislauferkrankungen u.ä).

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