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Eltern wehren sich gegen die Trägheit der Behörden. © Video Screenshot

Die Stadt der krebskranken Kinder

D. Gschweng /  Im Boden der Kleinstadt Franklin (USA) liegen giftige Chemikalien, die die Kinder krank machen. Doch die Umweltbehörde tut nichts.

Nicht alle Kinder in Franklin, Indiana, sind krebskrank. Rechnerisch sind es nur wenige, statistisch gesehen 21,7 pro 100‘000. Das ist aber mehr als im nationalen Durchschnitt, der bei weniger als 18 pro 100’000 Kinder liegt. Franklin hat 24‘000 Einwohner, der ganze County hat 148‘000 Einwohner. Die Elterninitiative «If It Was Your Child» («Wenn es Ihr Kind wäre») hat in den letzten zehn Jahren 58 Krebsfälle bei Kindern gezählt. Die meisten dieser Kinder haben seltene Formen von Krebs, einige sind daran gestorben.

Schon vor Jahren haben die Eltern aufgehört, an einen Zufall zu glauben. Irgendetwas in Boden, Wasser oder Luft, argwöhnten sie, mache ihre Kinder krank. Ihr Verdacht fiel auf ein ehemaliges Industriegelände, das per Regierungsbeschluss schon vor Jahrzehnten gesäubert werden musste. Dort waren jahrelang Abwässer in das kommunale Abwassersystem eingeleitet worden.

Ein Analyseergebnis ohne Wirkung

Vor zwei Monaten nun wurde ihr Verdacht offiziell bestätigt. Nachdem eine Umweltgruppe in der Luft zweier Haushalte verdächtige Chemikalien entdeckt hatte, wurden die Behörden aktiv. Im November 2018 bestätigten sie: Unter Teilen der Stadt Franklin befindet sich eine giftige ‹Wolke›, bestehend aus Perchlorethen (PCE) und Trichlorethen (TCE). In Wasser- und Bodenproben vom August hatten die Tester in einem Fall sogar das 53-fache des erlaubten PCE-Grenzwerts gefunden. Für die Einwohner von Franklin waren die Analyseergebnisse bisher allerdings keine Hilfe. Die Behörden schieben Gegenmassnahmen noch immer auf, obwohl die Gefährdung, die von TCE und PCE ausgeht, bekannt ist.


Links eine Skizze der kontaminierten Stelle im Boden von Franklin, erstellt nach Grundwasseranalysen vom Oktober 2018 (TCE-Konzentration: gelb = wenig verschmutzt, violett = stark verschmutzt, Quelle: IWM Consulting), rechts die entsprechende Fläche auf Google Maps.

Beide Chemikalien gelten als giftig und krebserregend und sind leicht flüchtig. Beide werden oft im Boden und im Grundwasser gefunden, da sie als Lösungsmittel weithin verwendet wurden und noch immer werden. Zum Einsatz kommen Per- und Trichlorethen als Reinigungs- und Entfettungsmittel, beispielsweise in der Textilreinigung, in der Metallverarbeitung, in der chemischen Industrie, bei der Asphaltherstellung und bei der Leiterplatten-Herstellung. In der EU ist die Verwendung von Trichlorethen seit drei Jahren genehmigungspflichtig, was die Schweiz übernommen hat.

Eine Sanierung, die nichts brachte – und eine Behörde, die nichts bringt

Anfang Januar 2019, berichtet die «New York Times», wandten sich Dutzende Eltern nun an das US-Umweltministerium EPA und verlangten eine Untersuchung der TCE-Verschmutzung durch die Bundesbehörden. Die Gruppe, die die Eltern Franklins repräsentiert, warf den Behörden «ernsthaftes Missmanagement» und «erhebliche Verzögerungen» bei der Beseitigung der giftigen Substanzen vor.

Von deren Existenz im übrigen das EPA nicht erst kürzlich erfahren hatte. Schon 1990 erklärte sich das Unternehmen Amphenol bereit, bei der Sanierung zu helfen. Der Elektronik-Hersteller, dem das Gelände inzwischen nicht mehr gehört, pumpte jahrzehntelang Grundwasser ab. Die Verschmutzung blieb. Sowohl PCE wie auch TCE sind schwerer als Wasser, schlecht wasserlöslich und binden sich an organische Komponenten im Boden. Sie können lange Zeit in die Luft abgegeben werden, selbst wenn die Verschmutzung weiter zurückliegt. Einfach aus dem Boden ausspülen lassen sich diese giftigen Stoffe nicht.

Das EPA bestreitet die Verschmutzung nicht. Bewiesen ist ein Zusammenhang mit den vielen Krebserkrankungen, wissenschaftlich gesehen, jedoch noch nicht. Noch fehlen aussagekräftige Studien. Bisher, sagt das EPA, seien 37 Wohnungen getestet worden, in 10 davon habe es «Probleme in der Luftqualität» festgestellt. Weitere Tests seien also nötig.

Von der Politik im Stich gelassen

Dazu kommt die politische Situation. Die Obama-Adminstration hatte TCE noch als «karzinogen auf allen Expositionswegen» bezeichnet und versucht, Trichlorethen zumindest als Fleckenentferner und Entfettungsmittel zu verbieten. Unter Trump, der sich eine weitgehende Deregulierung auf die Fahne geschrieben hat, wurden diese Bemühungen auf Druck von Lobbygruppen eingestellt.

Die Eltern in der Stadt Franklin fordern ein vollständiges Verbot von TCE. Und das möglichst, bevor noch mehr Kinder sterben. «Mit Betteln sind wir fertig», sagte Kari Rhinehart, deren 13-jährige Tochter vor vier Jahren an Krebs gestorben ist. Als politisches Problem sehen die betroffenen Eltern die Chemie im Boden trotzdem nicht.

Im mehrheitlich republikanisch wählenden Johnson County, in dem die Stadt Franklin liegt, gibt es widersprüchliche Ansichten über den Umweltkurs der derzeitigen US-Regierung. Viele Mitglieder von «If It Was Your Child» fühlen sich von beiden Parteien im Stich gelassen. Dennoch kommen ihre Forderungen zu einer Zeit, in der die Trump-Administration genau die Gesetze geschwächt hat, die ein zweites «Franklin» verhindern könnten.

Letzte Hoffnung: kompetente Berater für Trump

«Wenn es um die öffentliche Gesundheit geht, können wir gegen die Parteigrenzen verstossen. Ich bin nicht einverstanden damit, die Rolle der EPA zurückzufahren», sagte Steve Barnett, Franklins Bürgermeister, gegenüber der «New York Times». Früher habe es gar keine Regulierungen gegeben. Deshalb gebe es so viele Verunreinigungen, begründete er.

Selbst Stacie Davidson, Mitgründerin von «If It Was Your Child», hält zu dem Präsidenten, den auch sie gewählt hat. Sie bereut ihre Stimme nicht. Trump sei Geschäftsmann und könne «grosse Dinge» für das Land tun. In Umweltdingen kenne er sich eben nicht so gut aus. «Unsere Hoffnung ist, dass er sich mit Menschen umgibt, die mehr Wissen haben», sagt sie.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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