Die Fehldiagnose der SP zu den Gesundheitskosten
In einem Gastbeitrag formulierte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer am 10. Juni in der NZZ das Grundübel aus Sicht der SP wie folgt:
«Ein so wichtiges Gut wie die Gesundheit darf nicht dem Renditestreben unterworfen sein.»
Doch die Analyse der SP ist einseitig und greift zu kurz.
Ausgerechnet bei den selbständigen Praxisärzten, die über eine grosse Diagnose- und Therapiefreiheit verfügen, stört die SP das Renditedenken nicht. Es stört sie nicht, dass Ärzte mit jeder erbrachten Einzelleistung ihre Einkommen erhöhen können. Ihr Einkommen steigt, wenn sie Patientinnen und Patienten weniger schnell gesund bekommen. Gute Ärzte, die ihre Patienten rasch gesund bekommen, verdienen weniger an ihnen.
Trotzdem verlangt die SP nicht etwa eine pauschale Entschädigung nach Anzahl der betreuten Patienten oder nach den aufgewendeten Stunden; oder dass Praxisärzte von Spitälern angestellt und entlöhnt werden, wie es in einigen nordischen Ländern der Fall ist.
Es fällt jedenfalls auf, dass die freiberuflichen Ärztinnen und Ärzte – unter ihnen etliche SP-Mitglieder – vom Kampf der SP gegen das «Renditestreben» verschont bleiben.
Bashing der Krankenkassen
Meyers Gastbeitrag in der NZZ trug vielmehr den Titel «Die Krankenkassenlobby verhindert nötige Reformen». Das Bashing der Krankenkassen hat bei der SP Tradition. Für sie ist eine Einheitskasse der Schlüssel, um Kosten zu dämpfen. Eine zweite Volksinitiative zur Einführung einer solchen Kasse ist in Vorbereitung.
Doch ausgerechnet bei den Krankenkassen ist kein «Renditestreben» auszumachen. Denn das Gesetz verbietet es den Kassen, mit der obligatorischen sozialen Grundversicherung Gewinne zu erzielen. Das ist ihnen nur mit den freiwilligen Zusatzversicherungen erlaubt.
Eine Einheitskasse könnte zwar auf Werbeausgaben verzichten, aber die Verwaltungskosten einer staatlichen Kassen wären wohl fast so hoch. In den Verwaltungsrat der Einheitskasse würde das Parlament auch Ärzte und Spitalvertreter wählen, die ihre finanziellen Interessen einbringen könnten.
«Reformen verhindert»?
Die SP übersieht, dass die Lobbys der Ärzte, der Pharmaindustrie und der Kantone mit ihren Spitälern im Parlament stärker sind als diejenige der Kassen. Eine für Schweizer Verhältnisse grössere Reform wäre das Managed-Care-Gesetz von 2012 gewesen. Doch es war die die SP zusammen mit der SVP, die das Gesetz mit Erfolg bekämpften. Die Krankenkassen gehörten zu den Befürwortern.
Ohnehin können die Kassen gegen die steigenden Kosten selber wenig unternehmen. Denn sie sind laut Gesetz nur Zahlstellen, welche sämtliche korrekten Rechnungen von Ärzten, Spitälern, Apotheken einfach zahlen müssen – zu fixen Preisen. Die Aufgabe als Zahlstelle könnte natürlich auch eine Einheitskasse übernehmen. Dafür braucht es tatsächlich nicht miteinander konkurrenzierende Kassen.
Um Kosten zu dämpfen, müsste man den Kassen eine gesetzlich definierte Vertragsfreiheit gewähren. Sie könnten dann beispielsweise eine Grundversicherung anbieten, welche abzockende Ärzte oder Spitalabteilungen ausschliessen, bei denen es zu besonders vielen Komplikationen kommt, oder die wegen zu geringen Fallzahlen zu wenig Übung haben. Dies läge auch im Interesse der Patientinnen und Patienten.
Den Krankenkassen in Holland ist dies schon seit langem erlaubt.
«Renditestreben schuld»?
Gewinnorientierte Pharmaindustrie und Spitäler gibt es in fast allen Ländern. Trotzdem sind die Kosten dort geringer.
In der Schweiz hat der Staat die Medikamente und die Spitäler unter vollständiger Kontrolle:
- Die Kantone reglementieren die Spitäler und setzen autonom die Bedingungen fest, damit sie auf die kassenpflichtigen Spitallisten kommen. Vorgaben macht das Parlament, also ebenfalls der Staat.
- Das Bundesamt für Gesundheit wiederum entscheidet, welche Medikamente kassenpflichtig sind und zu welchen Preisen sie die Kassen bezahlen müssen. Vorgaben macht das Parlament, also ebenfalls der Staat.
Fragen an SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer
Infosperber gab Mattea Meyer Gelegenheit, zur ihrer Fehldiagnose Stellung zu nehmen. Im Folgenden die Fragen und ihre vollständigen Antworten, die sie auch auf Nachfrage nicht ergänzen wollte.
Guten Abend Frau Meyer
Sie sehen einen wichtigen Systemfehler im «Renditestreben», dem das Gesundheitswesen unterworfen sei. Namentlich zitieren Sie die Pharmabranche, welche die Prämienzahlenden abzocke.
Tatsächlich müssen die Krankenkassen in keinem Land Europas so hohe Preise für Arzneimittel zahlen wie in der Schweiz. Einschliesslich der Spitalmedikamente geht fast ein Viertel aller Prämieneinnahmen für Medikamente weg.
Der Grund dafür kann jedoch kaum das Renditestreben der Pharmafirmen sein, weil die Pharmakonzerne in allen Ländern ebenfalls nach Rendite streben.
Ferner kritisieren Sie zu Recht Exzesse bei den Löhnen von Chefärzten im Vergleich zu den Einkommen von Hausärzten und Pflegekräften.
Frage 1) Doch was sagen Sie dazu, dass in der Schweiz sowohl für die Medikamentenpreise als auch für die Chefarzt-Löhne in Spitälern allein der Staat verantwortlich ist?
1a) BAG/EDI entscheiden autonom, welche Medikamente zweckmässig und wirtschaftlich sind und setzen die europäischen Rekordpreise für die Kassen fest.
Antwort Mattea Meyer:
«Gerne verweise ich auf das Massnahmen-Papier, welches die SP Schweiz im Herbst zu diesem Thema veröffentlichte.
Das BAG hat in den letzten Jahren mehrfach die Medikamentenpreise geprüft und gesenkt. Damit konnten hunderte von Millionen eingespart werden. Dort, wo der zuständige Bundesrat einen Handlungsspielraum hatte, wurde dieser ausgenutzt. Das Problem liegt insbesondere beim Parlament, welches wegen Lobbyismus tiefere Medikamentenpreise verhindert hat (z.B. mit Ablehnung des Referenzpreis-Systems).»
Bemerkung Infosperber: Das Parlament ist Teil des Staates. Gerade weil das Parlament unter zu starkem Einfluss der Lobbys ist, erscheint das Vertrauen der SP in ein staatliches Gesundheitssystem kühn.
1b) Die Kantone entscheiden autonom, welche Spitäler sie auf die Spitallisten setzen und damit kassenpflichtig machen. Die Kantone können die Kriterien festlegen, welche Spitäler erfüllen müssen, um auf die Spitalliste zu kommen. Als Bedingung könnten sie maximale Löhne festsetzen, Mindestfallzahlen und vieles mehr.
Antwort Mattea Meyer: Keine
2) Was sagen Sie zur Aussage, der Staat habe bei den Medikamenten und bei den Spitälern in den letzten Jahrzehnten weitgehend versagt?
Antwort Mattea Meyer: Bei den Medikamenten liegt das Problem insbesondere beim Parlament (siehe oben).
Zu den Spitälern: Keine Antwort.
3) Warum sind Sie zuversichtlich, dass die von der SP vorgeschlagene Einheitskasse an der Politik des BAG/EDI und an der Politik der Kantone oder des Parlaments etwas ändern würde?
Antwort Mattea Meyer: Keine
4) Könnte nicht vielmehr eine regulierte Vertragsfreiheit für die Kassen – etwa nach dem Beispiel in den Niederlanden – kostendämpfender wirken?
Antwort Mattea Meyer: Keine
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Dass eine staatliche Einheitskasse gleich viel Verwaltungskosten haben würde wie die vielen Privatkassen mit den vielen Geschäftsführern, Managern usw., ist eine sehr gewagte These des Autors. Den Beweis dafür bleibt er schuldig, daher ist es eine reine Behauptung. Man muss den SP-Bemühungen um Prämienreduktion und Einheitskassen bei aller Unausgereiftheit der Vorschläge grundsätzlich Recht geben. Gesundheit darf nicht privaten Gewinninteressen ausgeliefert werden. Die Schweiz ist übrigens (saldo hat das vor längerer Zeit berichtet) ganz schlecht im Vergleich mit den OECD-Ländern, was die Gesundheitskosten betrifft, die der Einelne zu tragen hat. Wir zahlen nicht nur sehr hohe Prämien, dazu zahlen wir auch noch die höchsten Selbstbehalte. Bei einzelnen Krankenkassen finanzieren die Prämienzahler sogar noch indirekt Fussballvereine.
Das Parlament ist zwar Teil des Staates, aber leider immer weniger, weil immer mehr Parlamentarier, kaum sind sie gewählt, ihren Partikularinteressen nachgehen und das Gemeinwohl und der «Staat für alle» sind ihnen Schnuppe. Der Radikalliberalismus zerfrisst Gesellschaften wie in regnerischen Zeiten die Nacktschnecken das Basilikum im äusserlich noch so gepflegten Garten.
Sehr geehrter Herr Gasche,
die Schweiz hat schon eine staatlich organisierte Gesundheitsorganisation, die SUVA, und dort scheint das ja bestens zu funktionieren, ausser dass das bürgelich dominierte Parlament vielen Branchen die Mitgliedschaft bei der SUVA verwehrt.
Aus welchen Gründen könnte Ihrer Ansicht nach das SUVA-Modell bei der Krankenversicherung nicht funktionieren?
in Erwartung Ihrer Antwort
R. Burkhardt
Ja, die Suva ist ein interessanter Fall. Sie hat die Behandlungsverantwortung bis zur Genesung. Falls man dies im KVG einführen würde, müssten die Spitäler für die Nachbehandlungen und Rehas die Vertragsfreiheit erhalten.
Weil die Suva die Patientendaten bis zur Genesung kennt, hat sie ausgezeichnete Daten über die Behandlungsqualität der verschiedenen Spitäler und Chirurgen. Vor allem, was die Unfallchirurgie betrifft, aber auch bei Behandlungen von Berufskrankheiten. Aber die Suva wertet diese Daten nicht aus oder veröffentlicht sie jedenfalls nicht. Da spielt wiederum der Filz und die Rücksichtsnahme eine Rolle. Die Suva fühlt sich vor allem gegenüber den prämienzahlenden Arbeitgebern verpflichtet. Das Parlament, d.h. die Politik, hat der Suva keinen verbindlichen Auftrag gegeben, Daten über die Qualität der Spitäler und Chirurgen systematisch zu erfassen und zu veröffentlichen.
Die SP ist bekannt für sogenannte Pflästerlipolitik, Symbolbekämpfung, die sie als Realpolitik verkauft. Hier nur als Skizze: Will man auf lange Sicht eine für alle tragbare, gerechte und effiziente Gesundheitsversorgung, braucht es, in vernünftiger Relation zur Zahl der zu Versorgenden, zentrale Gesundheitszentren in allen Ortschaften und Stadtquartieren. Diese sind mit allem was notwendig ist eingerichtet und die obligatorischen Anlaufstellen für alle Fälle, die nicht dringend ein Spital benötigen. Das gesamte Personal ist zu anständigen Tariflöhnen angestellt. Für PatientInnen sind die Dienstleistungen kostenlos oder kostengünstig. Zur Finanzierung werden Steueranteile herangezogen, Krankenkassenprämien fallen weg. Folge: Kurze Wege, gute Versorgung, mehr Gerechtigkeit und die Gesundheitskosten halbieren sich.
Wenn es etwas bei den KK’s zu kritisieren gäbe dann wäre das riskantes Investment mit Prämienreserven und Sponsoring:
Ein weiterer Punkt wäre, dass die KK’s nichts oder zu wenig gegen den sogenannten «Overuse – unnötige Behandlungen als Qualitätsproblem» unternehmen. Siehe Beitrag von Michelle Gerber und Kollegen in der Schweizerischen Ärztezeitung.
Dann muss man auch sehen, dass die Schweiz gar nie eine Einheitskasse hatte. Trotzdem waren die Prämien früher viel tiefer.
Also darf man sich von einer EK nicht zu viel versprechen. Sie bringt nur mehr Komfort & Bequemlichkeit.