Resistente Keime

Gegen Antibiotika resistente Keime gelangen aus Spitälern und mit der Gülle in die Umwelt. Kläranlagen filtern sie ungenügend aus. © ARD

Alternative für unwirksame Antibiotika stösst auf Hürden

Pascal Derungs /  Trotz vieler Todesopfer wegen Keimen, die gegen Antibiotika resistent sind, kämpft eine Alternative mit juristischen Hindernissen.

Mehrere 10’000 Menschen sterben allein in Deutschland jährlich an den Folgen multiresistenter Keime, gegen die keine Antibiotika mehr helfen. Weltweit sind diese oft in Spitälern verbreiteten Keime laut der medizinischen Fachzeitschrift «The Lancet» sogar die häufigste Todesursache – noch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. 

Phagen 5 Präparat aus Osteuropa
Phagen-Präparat aus osteuropäischer Produktion

Das müsste nicht sein, denn es gibt eine Alternative zu wirkungslosen Antibiotika: Bakteriophagen, kurz Phagen. Das sind Viren, die auf gefährliche Bakterien spezialisiert sind, diese als Wirtszellen nutzen und dabei unschädlich machen oder ganz abtöten. Doch Produktion und Verwendung solcher Phagen sind in der EU nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen erlaubt, was ihren Einsatz extrem teuer macht und eine breite Anwendung verunmöglicht. Das berichtete die ARD-Sendung Plusminus.

Dabei bestehe dringender Handlungsbedarf, sagt der Unfallchirurg Volker Alt von der Uni-Klinik Regensburg, denn Anzahl und Komplexität der Infektionen würden in den nächsten Jahren weiterhin dramatisch ansteigen. Der Bedarf an wirksamen Alternativen zu Antibiotika sei immens. 

Eine EU-Richtlinie von 2001 blockiert die Phagen 

In der EU sei die Gesetzeslage betreffend die Bakteriophagen sehr komplex und die Bürokratie lähmend. Ärzte, Kliniken und Labore, die Phagen entwickeln oder anwenden wollten, befänden sich in einer juristischen Grauzone, berichtete Plusminus. Die Behörden rechtfertigten ihre kostentreibenden Auflagen unter anderem mit der Gefahr von Verunreinigungen bei der Herstellung. Die Rechtsanwältin Barbara Brenner kennt sich im Paragrafendschungel zum Thema der Phagen aus. Mehrere hundert Seiten Vorschriften müssten eingehalten werden, berichtet sie. Ein deutsches Labor erleide eine Kostensteigerung von 50 auf 500’000 Euro pro Präparat, wenn es alle diese EU-Anforderungen erfüllen wolle. Ein rechtskonformer Einsatz von Bakteriophagen werde dadurch praktisch verunmöglicht.

Nur ein einziges EU-Land nutzt eine Sonderklausel  

Belgien beweist, dass das der Phagenproduktion immanente Gefahrenpotenzial auch ohne komplizierte Prüfverfahren und Sondergesetze gemeistert werden kann. Das kleine Land habe es durch ein paar einfache Rechtsänderungen geschafft, Patienten mit multiresistenten Keimen unter bestimmten Voraussetzungen eine Therapie mit Bakteriophagen zu ermöglichen. Laut Plusminus darf das Militärhospital Reine Astrid in Brüssel Phagen selber herstellen. Dies ermögliche ein Schlupfloch in der EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001. Dort heisst es: «Ein Mitgliedstaat kann (..) in besonderen Bedarfsfällen Arzneimittel von den Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie ausnehmen.» Der ARD-Bericht zeigte, wie der Mediziner Patrick Soentjens vom Militärhospital Brüssel davon regen Gebrauch macht, um seinen Patienten zu helfen. Er rät allen EU-Staaten dazu, es den Belgiern gleich zu tun.

Die weniger strengen Qualitätsstandards in Belgien reichten «nach Einschätzung vieler Fachleute» aus, «um die Patientensicherheit zu gewährleisten», schreiben der Wissenschaftsjournalist Thomas Häusler und der Herzchirurg Christian Kühn in ihrem 2022 erschienenen Buch «Bakteriophagen».

Phagen 3 Apotheke Tiflis
Apotheke in Tiflis, wo Phagen-Präparate frei erhältlich sind.

Ausserhalb der EU sind Phagen breit im Einsatz

In vielen osteuropäischen Ländern gelten Bakteriophagen schon lange als wirksame medizinische Alternative – nicht nur, wenn Antibiotika knapp oder wirkungslos werden. Plusminus dokumentierte, wie in der georgischen Hauptstadt Tiflis diverse Präparate in der Apotheke schon für rund 5 Euro zu haben sind. Wollen deutsche Patienten davon profitieren, müssen sie selbst nach Georgien reisen und sich vor Ort für den Eigenbedarf eindecken. Bestellung per Versand verbietet die EU. Ein junger Mann kommt zu Wort, der selbst regelmässig nach Tiflis reisen muss, um Phagen-Präparate zu kaufen – das letzte Mittel, das ihm geblieben ist im Kampf gegen multiresistente Keime, die ihm das Leben lange zur Hölle machten. 

Zulassung blockiert, trotz positiver Forschungsergebnisse 

Im Westen wird vielerorts an der Entwicklung sicherer und wirksamer Phagen geforscht. Auch in der Schweiz gibt es mehrere Projekte, die sich auf therapeutische Bakteriophagen konzentrieren, wie zum Beispiel das Projekt «ImmunoPhage», das an der Universität Zürich durchgeführt wird und sich auf die Heilung von Harnwegsinfektionen konzentriert: ein Bereich, in welchem besonders häufig resistente Keime auftreten. 

Auch die ETH in Zürich und das Universitätsspital Lausanne arbeiten an der Weiterentwicklung von Phagen-Therapien gegen multiresistente Keime. Dabei sollen Phagen durch gezielte Genmanipulation sicherer und effizienter gemacht werden. «Es kommen immer mehr Berichte über erfolgreiche klinische Studien heraus. Ich habe das Gefühl, dass wir vor einem Durchbruch stehen», zitierte die NZZ Martin Loessner von der ETH Zürich. Wichtig sei allerdings auch in der Schweiz, die Qualitätsvorschriften für die Herstellung der Phagen zu vereinfachen, damit diese günstiger würden und die passenden Phagen schneller verabreicht werden könnten – so wie das in Belgien bereits geschehen ist. Mit belastbaren Resultaten und der breiten Marktzulassung in der Schweiz rechnen die Forscher allerdings erst in einigen Jahren. Denn auch hierzulande gelten – analog zur EU – strenge Regeln und westliche Qualitätsstandards. 

Ärzte in der Schweiz dürfen Phagen für individuelle Fälle importieren

Infosperber fasst im Folgenden die Stellungnahme der Schweizer Zulasssungbehörde Swissmedic zum Stand der Phagenproblematik zusammen:

  • Es gibt aktuell in der Schweiz keine zugelassenen Medikamente, die auf Phagen beruhen. 
  • Seit Anfang 2019 können in der Schweiz nicht zugelassene verwendungsfertige Arzneimittel, darunter auch Bakteriophagen, durch Medizinalpersonen unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen der Therapiefreiheit bzw. eines Heilversuchs importiert werden. 
  • Dies ist allerdings beschränkt auf kleine Mengen für eine bestimmte Patientin oder einen bestimmten Patienten und auf die Einfuhr aus einem Land mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle.
  • Zur Sorgfaltspflicht gehört bei einer einzelnen Anwendung eines aus Bakteriophagen individuell erstellen Arzneimittels oder eines Phagencocktails auch die Einhaltung der Qualitätsvorgaben bei der Herstellung (Good Manufacturing Practice GMP).
  • Zuständig für diesbezügliche Kontrollen sind die kantonalen Behörden.
  • Swissmedic erteilt unter bestimmten Voraussetzungen die Bewilligung für klinische Studien. In diesem Zusammenhang können Phagentherapien für einen breiteren Patientenkreis zur Anwendung gelangen.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 17.11.2023 um 09:45 Uhr
    Permalink

    Es wundert mich, dass man nicht längst viel mehr auf diesem Gebiet geforscht hat. Mit Phagen hat man schon 1917 angefangen zu experimentieren. Vielleicht hat das ja mit der Pharma-Industrie zu tun, die damit wohl weniger verdient hätte als mit Antibiotika?

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