PFAS: Krebsverdacht durch Arbeitskleidung
2020 hatte die Feuerwehr mehr zu tun, als jemals zuvor. Waldbrände von bisher ungekanntem Aussmass suchten ab August die US-Westküste heim, besonders die Staaten Kalifornien, Washington und Oregon. Die Luft wurde zur orange-grauen, extrem ungesunden Suppe. 20‘000 Feuerwehrmänner und -frauen kämpften gegen die Flammen, standen stundenlang im Löschwasserregen, trugen bei grosser Hitze Atemschutzmasken, riskierten ihr Leben.
Ohne Arbeitskleidung wäre ihre Arbeit undenkbar. Sie schützt Feuerwehrleute vor Schmutz, Hitze und Löschwasser. Und bringt sie womöglich am Ende um. Dieselben Inhaltstoffe, die die sperrigen Jacken und Hosen in Signalfarben wasserabweisend, schwer brennbar und quasi unzerstörbar machen, machen die Brandbekämpfer krank.
Die einzigen Leute, die sagten, diese Chemikalien seien sicher, waren die Leute, die sie herstellen.
Sean Mitchell, Feuerwehrmann
PFAS, so der zusammenfassende Name vom mehr als 4000 Chemikalien, finden sich nicht nur in Feuerwehrkleidung, sondern auch in vielen Brandschutzmaterialien und Feuerlöschschäumen. Für einzelne ist nachgewiesen, dass sie Krebs verursachen, andere stehen nur im Verdacht, wieder andere sind noch gar nicht untersucht worden.
«Wir sind diesen Chemikalien jeden Tag ausgesetzt», sagte Captain Sean Mitchell, seit 15 Jahren beschäftig bei der Feuerwehr in Nantucket, gegenüber der «New York Times». «Die einzigen Leute, die sagten, diese Chemikalien seien sicher, waren die Leute, die sie herstellen.» Warnungen oder gar Risikoabschätzungen der Hersteller gab es jahrzehntelang nicht. Dabei war den Herstellern die Gefährlichkeit einiger Stoffe seit den 1970er-Jahren bekannt.
Die Statistik gibt Mitchel und seinen Mitstreitern recht: Krebskrankheiten sind die vorherrschende Todesursache der Feuerwehrmänner und -frauen in den USA. 2019 starben laut der «New York Times» drei Viertel aller Feuerwehrleute daran. Nach Arbeitssicherheits-Studien haben Feuerwehrleute gegenüber der Durchschnittsbevölkerung ein 9 Prozent höheres Risiko an Krebs zu erkranken und ein 14 Prozent höheres Risiko daran zu sterben.
PFAS sind ein Problem, das nicht nur kalifornische «Firefighter» angeht: Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, so der ausführliche Name der Chemikalienklasse, finden sich in vielen Produkten. Sie können Leber und Niere schädigen, Krebs und Schilddrüsenkrankheiten verursachen. In den letzten Monaten waren sie im Gespräch, weil sie die Immunreaktion schwächen. Das könnte dazu führen, dass Belastete nach einer Impfung gegen Sars-Cov-2 weniger Antikörper bilden. Eine Chemikalie namens PFBA (Perfluorbutansäure) steht zudem im Verdacht, schwere Covid-Verläufe zu begünstigen, weil sie sich in der Lunge ablagert.
Kalifornische Feuerwehrleute klagen gegen DuPont, Chemours, 3M
Mitglieder der grössten Feuerwehrgewerkschaft der USA, der International Association of Fire Fighters, verlangen nun von ihrer Gewerkschaftsführung, endlich zu handeln. Sie möchten nicht länger Chemikalien ausgesetzt sein, die weder unabhängig geprüft noch in ihrer Gefährlichkeit eingestuft sind. Sie wollen verhindern, dass die Gewerkschaft weiter Sponsorengelder der Ausrüstungshersteller und der chemischen Industrie annimmt.
Im Oktober 2020 reichten zwei Dutzend kalifornische Feuerwehrleute Klage gegen die Konzerne 3M, Chemours, DuPont und andere Hersteller ein. DuPont zeigte sich «enttäuscht», Chemours lehnte einen Kommentar ab.
Wir wissen aber, das PFAS in ihren Arbeitskleidern ist und dass es nicht darin bleibt
Linda Birnbaum, Toxikologin
«Wir wollen nicht, dass unsere Feuerwehrleute verbrennen», sagt Linda Birnbaum, ehemalige Leiterin des US-Instituts für Umweltgesundheitswissenschaften (National Institute of Environmental Health Science, NEIHS). «Wir wissen aber, das PFAS in ihren Arbeitskleidern ist und dass es nicht darin bleibt. Die Chemikalien gelangten in die Luft, die die Feuerwehrleute atmen, es sei auf ihren Händen und auf ihren Körpern. Mit der Kleidung, die sie zum Waschen nach Hause brächten, gelange es auch zu ihren Familien.
Damit spricht Birnbaum einen schwierigen Sachverhalt an: Dieselben Eigenschaften, die PFAS für den Brandschutz geeignet machen, sind Teil des Problems. Die Schutzkleidung der Feuerwehren lässt sich nicht so einfach ersetzen, wenn sie weiterhin geschützt sein wollen. Dasselbe gilt für Flammschutzmaterialien und Löschschaum.
Bekannte Substanzen werden durch unbekanntere ersetzt
Chemikalien, deren Gefährlichkeit bekannt ist, können zwar durch andere ersetzt werden, diese sollten aber ähnliche Eigenschaften haben. Meist stammen sie deshalb aus derselben PFAS-Stoffklasse und sind chemisch gesehen «nahe Verwandte», deren Giftigkeit und Gefährlichkeit noch nicht untersucht wurde. Transparenz gibt es diesbezüglich wenig. Die Hersteller halten sich in der Regel bedeckt, wenn es darum geht, welche Stoffe sie verarbeiten oder bei der Herstellung verwenden.
Eine Eigenheit des US- Zulassungssystems unterstützt dieses Vorgehen zusätzlich: eine Chemikalie darf so lange eingesetzt werden, wie ihre Gefährlichkeit nicht bewiesen ist. Allerdings riskieren Unternehmen in den USA im Gegensatz zu Europa sehr hohe Haftungsklagen, falls Schäden nachgewiesen werden können. Doch den Nachweis zu führen, kann jahrelang dauern. Bei tausenden in Frage kommenden chemischen Verbindungen ist es ein schier unmögliches Unterfangen.
Wir sind alle Feuerwehrleute
Den US-Feuerwehren könnten andere Berufsgruppen folgen, denn PFAS, das ist lange bekannt, finden sich in sehr vielen Produkten. Wem beispielsweise vage bewusst ist, dass Teflonpfannen gesundheitlich bedenklich sein können, dann liegt es wahrscheinlich an einer Chemikalie mit dem Kürzel PFOA (Perfluoroctansäure), die früher bei der Herstellung verwendet wurde. In der Schweiz und der EU sind die bekanntesten PFAS inzwischen verboten oder befinden sich in Übergangsregelungen.
Die chemischen Geschwister von PFOA finden sich dennoch in hunderten Alltagsgegenständen. Eine lesenswerte Titelgeschichte des «Beobachters» (Paywall), die auf eine Untersuchung der ETH-Umweltnaturwissenschaftlerin Juliane Glüge Bezug nimmt, listet einige davon auf.
In der Liste, die Glüge und ihre Co-Autoren durch akribisches Durchkämmen von Patentregistern, Datenbanken und Zulassungsdokumenten erstellt haben, findet sich beispielsweise Zahnseide, Lippenstift, verchromte Duschköpfe, Gitarrensaiten, Fisch, Eier, Kunstrasen und Handys.
Konsumenten können PFAS vermeiden
Welche Langzeitfolgen diese Allgegenwart nicht-natürlicher aber unzerstörbarer Chemikalien hat, ist grösstenteils unklar. Fachleute fordern deshalb seit längerem, zur Vorsicht die gesamte Stoffklasse der PFAS zu verbieten und nur begründete Ausnahmen zuzulassen.
Teilweise ist es möglich, den Fluorchemikalien zu entkommen, wenn es auch etwas weniger praktisch und teilweise teurer wird. Der Durchschnittskonsument löscht zwar beispielsweise keine Waldbrände, trägt aber Outdoorkleidung, die mit PFAS belastet ist («Öko-Test» gibt hier Tipps, wie sie sich vermeiden lassen) oder verwendet beschichtetes Pfannen, die um ein Vielfaches günstiger sind als eine Keramikpfanne.
Was schon da ist, bleibt giftig
Von den PFAS, die bereits da sind, befreit uns das aber nicht. Nach jahrzehntelangem Einsatz befinden sich PFAS in der Nahrung, im Boden und im Grundwasser. Sie sind derart stabil, dass sie als «ewige Chemikalien» bezeichnet werden. Einige Brunnen in der Schweiz sind so verschmutzt, dass sie nach EU-Grenzwerten geschlossen werden müssten, der «Beobachter» führt ein Beispiel in Laufen BL an.
Viele Verschmutzungsquellen wie alte und wilde Mülldeponien, ehemalige Übungsgelände von Feuerwehren oder Gelände ehemals PFAS-verarbeitender Firmen sind vermutlich noch gar nicht gefunden. Taucht die Verschmutzung nicht irgendwann bei einer Grundwassermessung oder in einem geologischen Gutachten wieder auf, schlummern sie weiter vor sich hin.
PFAS zu entsorgen, ist schwierig
Ist eine Verschmutzungsquelle gefunden, fängt das Problem erst an. Um die sehr stabilen Chemikalien loszuwerden, müssen sie mindestens 1000 Grad verbrannt werden. Das bedeutet, Wasser jahrzehntelang über Filter laufen zu lassen oder grosse Mengen Boden auszubaggern, um sie anschliessend zu vernichten.
Ein teures Unterfangen: Die nicht gesundheitsbezogenen Folgekosten von PFAS für die Schweiz betragen nach einer Studie des Nordischen Rats von 2019 pro Jahr zwischen 13 Millionen und 1,7 Milliarden Franken – vorbehaltlich neuer Grenzwerte oder noch unbekannter schädlicher Substanzen. Es sind die Steuerzahlenden und nicht die Hersteller und Verkäufer, die dafür aufkommen müssen.
Zum Thema PFAS sind auf Infosperber bereits erschienen:
Wie Vale durch Scheingeschäfte in der Schweiz Steuern vermied
«PFAS: Chemie, die kostet»
«Wie giftige Chemikalien ewig im Nahrungszyklus bleiben»
«Der Mann, der DuPont das Fürchten lehrte»
«Transparente Wasserqualität wäre ein Albtraum»
«Kompostgift im Spargelfeld»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Es scheint ein ?welt?weit angewandter Trick der Chemie-Industrie zu sein:
Ist von einer (seither nicht aufgefallenen) Substanz bekannt, dass diese «unakzeptable Neben-Wirkungen» hat
und wird DIESE Substanz verboten,
so wird meist zügig als Alternative eine andere Substanz angeboten, die «nicht auffällig», da nicht entsprechend untersucht worden war.
Ich nehme an, dass
erstens die Hersteller meistens mindest vorausahnen, welch üble Substanzen und welch ähnlich üblen Ersatz sie anbieten – weil sich DAS ziemlich «treffsicher» aus der chemischen Struktur —
UND den seitherigen Erfahrungen mit «verwandten» Substanzen ableiten lässt
Die staatlichen «Überwacher» sind auch nicht «ungebildeter» als deren Kollegen mit vergleichbarer Ausbildung in der Industrie.
Also stellt sich abschliessend die Frage,
warum wir trotzdem immer wieder -wider besseres Wissen der Ver-antwortlichen- der Gefahr ausgesetzt werden, vergiftet zu werden ??? !!!
Alles Gute – und freundliche Grüsse !
Wolfgang Gerlach, Ingenieur