Papageno-Effekt: Mit einem Hip Hop Song Suizide verhindern
Als sich der bekannte Schauspieler und Komiker Robin Williams im August 2014 das Leben nahm, kam es in den Monaten danach allein in den USA zu über 1’800 Suiziden mehr als sonst in diesem Zeitraum. Die Berichterstattung über seinen Tod zog weitere Suizide nach sich. «Werther-Effekt» nennen Fachleute dieses traurige Phänomen, benannt nach Johann Wolfgang von Goethes «Die Leiden des jungen Werther».
Weniger bekannt ist das Gegenteil, der «Papageno-Effekt». In der Oper «Die Zauberflöte» von Wolfgang Amadeus Mozart wird Papageno von drei Knaben davon abgehalten, sich zu suizidieren. Sie schlagen ihm andere Möglichkeiten vor, um seinen Kummer zu überwinden.
Der Rapper als Vorbild
Das könnte auch mit Hip Hop funktionieren, legt eine aktuelle Studie im «British Medical Journal» nahe: Mutmasslich 245 Suizide allein in den USA soll ein Lied mit dem Titel «1-800-273-8255», das der Rapper «Logic» im Jahr 2017 herausbrachte, verhindert haben. Der Titel des Songs ist die Telefonnummer der Suizid-Hotline in den USA. In dem Lied geht es um einen Heranwachsenden, der von anderen schlecht behandelt wird und an Suizid denkt. Anstatt sich das Leben zu nehmen, ruft er bei der Telefonseelsorge an und bekommt Hilfe. Alles wendet sich zum Guten. Logic hatte in der Vergangenheit selbst mit Suizidgedanken zu kämpfen und überwand sie.
Mit Hilfe von über 80’000 Tweets untersuchte ein internationales Team von Wissenschaftlern nun, ob dieses Lied einen Papageno-Effekt hatte. Die Tweets dienten den Wissenschaftlern als Mass dafür, wann dem Lied mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde.
Ihre Auswertung für die USA ergab: Immer dann, wenn besonders viel zu «1-800-273-8255» getwittert wurde, meldeten sich etwa sieben Prozent mehr suizid-gefährdete Menschen bei der Suizid-Hotline – und die Zahl der Selbsttötungen sank um rund 5,5 Prozent.
Randgruppen erreichen
Zum Beispiel gab es in dem Zeitraum, als das Lied den MTV Music Video Award gewann und Schlagzeilen machte, rund 37’000 Tweets dazu – gleichzeitig gingen unter der Telefonnummer «1-800-273-8255» schätzungsweise etwa 10’000 Anrufe mehr ein als sonst üblich und die Anzahl der Suizide schien abzunehmen.
Dieses Zusammentreffen beweise keinen ursächlichen Zusammenhang, geben die Wissenschaftler selbstkritisch zu. Man wisse ja nicht einmal, ob die Personen, die sich bei der Telefonseelsorge meldeten, auch das Lied «1-800-273-8255» kannten. Neu sei aber, dass sich ein Bezug herstellen lasse zwischen einem Hip Hop Song und den Anrufen.
Sonst werden Rap und Hip Hop eher mit Gewaltverherrlichung in Verbindung gebracht als mit Suizidprävention. Im Fall von «1-800-273-8255» trifft das nicht zu. Das Lied zeigt einen konstruktiven Ausweg aus einer scheinbar hoffnungslosen Situation. Vielleicht würden sich auf solche künstlerische Art auch Menschen in Randgruppen erreichen lassen, die herkömmliche Präventionskampagnen verpassen, schreibt eine Psychiaterin in einem Kommentar mit dem Titel «Ein Lied der Hoffnung».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Entertainer sind keine Künstler. Sagen wir doch einfach «Musiker», um diesem Sprachmissbrauch keinen Vorschub zu leisten.