Neben der Schweiz fast nur noch Marokko, Haiti, Kuba und USA
Die bürgerliche Mehrheit im Parlament hat ein Tabakproduktegesetz verabschiedet, welches es der Schweiz nicht erlaubt, die bereits im Jahr 2004 von der Schweiz unterzeichnete Tabakkonvention der WHO endlich zu ratifizieren. Die meisten anderen Staaten haben die Konvention unterdessen ratifiziert und sind daran, diese umzusetzen. Sie verlangt ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung und der Sponsoring-Aktivität von Tabakkonzernen.
In seiner Botschaft zum Gesetz stellte der Bundesrat fest, dass der Tabakkonsum in der Schweiz jedes Jahr 9500 Todesfälle verursacht. Das sind fast 15 Prozent aller Todesfälle in der Schweiz. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 sind nach Angaben der Behörden rund 11’000 Personen an oder mit Corona gestorben.
Trotzdem erlaubt unser Parlament den Tabakkonzernen, weiterhin im Internet, das immer wichtiger wird, und auch in der Presse Werbung für Tabakprodukte zu platzieren. Lediglich auf Webssites und in denjenigen Zeitungen, die «für Minderjährige bestimmt sind», wird diese Werbung untersagt. Tabakwerbung «speziell an Minderjährige» gibt es kaum mehr. Doch Jugendliche begegnen der Tabakwerbung noch an vielen Orten.
Das Parlament will ebenfalls, dass mit einem Teil der Einnahmen aus der Tabaksteuer der Anbau von Tabak in der Schweiz weiterhin sogar noch subventioniert wird.
Das neue Tabakproduktegesetz verbietet künftig zudem Plakatwerbung für Tabakprodukten und E-Zigaretten, die von öffentlichem Grund aus sichtbar sind, sowie Werbung in Kinos, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Sportplätzen.
Sponsoring soll für Veranstaltungen in der Schweiz lediglich verboten sein, wenn diese internationalen Charakter haben oder sich gezielt an ein minderjähriges Publikum richten.
Bisher ist Werbung für Tabakprodukte in der Schweiz nur in Radio und Fernsehen verboten. Zudem ist es generell untersagt, schädliche Produkte zu bewerben, die sich speziell an Jugendliche richten. Auch die kostenlose Abgabe von Werbeprodukten an Jugendliche ist nicht erlaubt. All diese Verbote sind im Bundesgesetz über Lebensmittel geregelt. Sie werden künftig ins neue Tabakproduktegesetz integriert.
Weil das Gesetz den Tabakfirmen zu viel Spielraum lässt, wollen die Initianten der hängigen Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» diese zur Abstimmung bringen. Die Initianten bezeichnen das Gesetz der bürgerlichen Mehrheit im Parlament als eine «Alibiübung». Man könne Kinder und Jugendliche nur dann wirkungsvoll vor dem Einstieg in den Tabakkonsum schützen, wenn Werbung und Sponsoring sie nicht erreiche. Das Gesetz biete jedoch zu viele Möglichkeiten für die Bewerbung von Nikotin- und Tabakprodukten. Gerade Werbemassnahmen, die Jugendliche am stärksten erreichen, würden mit der Gesetzesrevision weiterhin erlaubt bleiben.
SP, Grüne und GLP setzten sich vergeblich für ein umfassenderes Gesetz ein.
Schweiz beweist ihre Unabhängigkeit
Die bürgerliche Mehrheit der Volksvertreterinnen und Volksvertreter liess sich nicht davon beeindrucken, dass 180 Länder die Tabakkonvention der Weltgesundheitsorganisation WHO ratifiziert haben. Über das Trauerspiel der langen Beratungen informierte Infosperber regelmässig. Beispielsweise am 20. April 2019: «Die Schweiz will ihre Unabhängigkeit beweisen und Tabakwerbung erlauben, die in allen zivilisierten Ländern verboten ist. Die Tabaklobby vernebelt das Parlament.» Der Bundesrat hatte die WHO-Konvention zwar bereits im Jahr 2004 unterschrieben, doch das Parlament hat sich unter dem Druck der Tabakindustrie bis heute geweigert, die Konvention zu ratifizieren und damit verbindlich zu machen. Neben der Schweiz haben nur noch Argentinien, Kuba, Haiti, Marokko, Mosambik und die USA die Konvention unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert. In den USA besteht das Problem darin, dass Werbung als von der Verfassung garantierte Meinungsäusserungsfreiheit behandelt wird. Die Konvention nicht einmal unterschrieben haben Andorra, die Dominikanische Republik, Eritrea, Indonesien, Lichtenstein, Malawi, Monaco, Somalia und Südsudan. Die vollständige Liste ist hier veröffentlicht.
Bersets Bundesamt für Gesundheit intervenierte
Vor zwei Jahren fasste das Bundesamt für Gesundheit Mut und machte das Parlament darauf aufmerksam, dass die damals vorliegende Fassung des Tabakproduktegesetzes dazu führe, dass die Schweiz den völkerrechtlichen Vertrag, den der Bundesrat 2004 unterschrieben hatte, weiterhin nicht ratifizieren könne. Der Gesetzesentwurf erfülle nicht einmal die minimalen Anforderungen der WHO-Konvention.
Der Einfluss der Tabaklobby kommt nicht von ungefähr: Die weltweit grössten Zigarettenhersteller (ausser des nationalen chinesischen) haben ihr Welt- oder Europa-Hauptquartier in der Schweiz: Philip Morris International PMI, Japan Tobacco International JTI sowie BAT.
Die EU verbietet Exporte – die Schweiz springt in die Lücke
Die drei Konzerne BAT, JTI und PMI produzierten in der Schweiz im Jahr 2019 rund 40 Milliarden Zigaretten, die sie zu rund 80 Prozent in die Welt exportierten. Besonders stossend: Die Tabakkonzerne exportieren namentlich nach Afrika und Asien besonders starke Zigaretten, die in der Schweiz und in der EU verboten sind (zu hoher Gehalt an Teer, Nikotin und Kohlenmonoxid). Von Ländern der EU aus dürfen solche Zigaretten nicht exportiert werden. Mit ihrer Exporterlaubnis für diese besonders abhängig machenden Zigaretten demonstriert die Schweiz ihre Unabhängigkeit und Einzigartigkeit.
Die Tabakkonzerne arbeiten zusammen im Verband «Swiss Cigarette». Auf der Homepage prangt die beruhigende Botschaft: «Handel und Tabakbranche engagieren sich für Jugendschutz».
Dieser Lobbyverband unterstützt zusammen mit der SVP und CVP die «Allianz der Wirtschaft für eine massvolle Prävention» (AWMP), die von Economiesuisse und dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) gegründet wurde.
Eigentlich sollte es um die Volksgesundheit gehen, insbesondere um den Schutz der Jugend. Und um die Solidarität mit 180 anderen Ländern, welche die Werbung und das Marketing für Tabakprodukte stärker eingeschränkt haben als die Schweiz.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ich denke es würde Sinn machen, eine Studie zu lancieren, welche Zigaretten-Marken am meisten karzinogene Krankheiten provozieren. (Zb. Durch Additive) Ebenso wäre es interessant zu erfahren warum einige Sargnagelraucher null Lungenprobleme haben, während andere Softraucher und auch Nichtraucher an Raucherkrebs erkranken. Einfach verbieten hat sich selten bewährt. In Frankreich blüht der Zigaretten Schwarzhandel, dort wo es auch die harten Sachen gibt, der Raucher geht jetzt zum Schwarzmarktdealer. Ich habe seit 45 Jahren jeden Lungenkrebskranken gefragt welche Marke er raucht. Das Resultat darf ich nicht sagen, sonst werde ich verklagt. Bei etwa 40 Befragten waren es dominant 2 Marken. Tabak ist nicht nur Suchtmittel, er hat gemässigt genossen auch medizinisch relevante Eigenschaften und ersetzt manchem das Antidepressiva. Die Verbieterkeule würde nur neue illegale Märkte schaffen, es braucht differenziert e Regulierungen.
Es entstehen bei allen Zigaretten beim Verbrennen tausende Stoffe, wovon über 70 krebserregend sind. Die Verwendung von Zusätzen macht da keinen so großen Unterschied, in der EU dürfen Aufdrucke wie «ohne Zusätze» auch schon seit 2016 nicht mehr verwendet werden. Trotzdem wäre es richtig Zusätze, welche das Rauchen attraktiver machen, einzuschränken.
Und ist es nun mal so, dass Rauchen das Risiko für verschiedenen Krankheiten signifikant erhöht, was jedoch nicht bedeutet, dass jeder die Krankheit bekommt. Es stirbt ja auch nicht jeder Übergewichtige vorzeitig.
Ein beschämendes Beispiel für Korruption nach schweizer Art.
Zum Kommentar von B. Gubler. Sie haben insofern recht, dass Suchtmittel als solche zu verbieten, zum Schwarzmarkt der betrofenen Substanzen führt. Die anzustrebende Public Health– Massanahme ist nicht das Substanzverbot, sonder das Verbot der Werbung / Promotion für Nikotin und Tabak. Denn, wie bei andern Suchtmitteln, sind die angefixten Jungen die Opfer der Dealer, im Falle von Nikotin und Tabak, der mächtigen Industrie, die Gewinne einfährt.. Die der Rahmen-konvention der WHO zugrundeliegende Vision ist Tabak und NIkotin ohne Produkteverbot aus der Banalität der gängigen Konsumgüter zu verdrängen. Denn solange die Produkte durch raffinierte Werbung, heute v.a. auf dem Net als «cool» etc. angepriesen werden und gleichzeitig Schule und Eltern davor warnen, bleiben sie für Jugendliche im Alter, wo man Schranken übertritt, erstrebenswert, trotz (oder wegen) Verkaufsverbot.an Minderjährige. Eine strikte Regulierung der Werbung muss auch im Falle der Canabislegalisierung stattfinden, wenn ein der Tabakepidemie ähnliches Problem vermiden werden soll. ( Das Gesundheitsproblem ist bei weiten nicht nur Lungenkrebs, sondern auch Angina Pectoris, Herzinfarkt, Nierenkrenkheiten, COPD etc., ein Grossteil der Nicht-übertragbaren Krankheiten, die bei den jahrelang Süchtigen auftreten, und die enorme Kosten verursachen. Dr med. R.M:Kaelin .
@Kaelin. Wahre Worte. Danke. Ich setzte immer auf Prävention und Information welche aber objektiv sein muss. Damit bin ich oft in Kritik geraten. Das reine verteufeln von Genuss und Suchtmitteln ist für gewisse Menschen die beste Werbung eben genau dies zu tun. Da für einige Menschen aufgrund ihrer Geschichte der Staat, Menschen, Eltern, Lehrer und Organisationen ohnehin konsequente Lügner sind, muss alles was als Gefahr dargestellt wird, eher harmlos, spassvoll, cool und hipp sein. Auch sollte Prävention und Information den Menschen dort abholen wo er ist, so wie Martin Buber es in seinem Beispiel mit der Schlammgrube beschreibt. Ich denke, da gibt es noch vieles was man verbessern kann. Nicht der Konsum ist das Hauptproblem, sondern die zum Teil systemimanenten Ursachen. (Was aber den Einzelnen nicht von der Eigenverantwortung enthebt) Ein Werbeverbot ist sicher sinnvoll, insbesondere dann wenn diese Werbung verharmlost und Nachteile sowie Gefahren ausblendet. Gruss Beatus Gubler Prävention Projekte Streetwork Basel.
‹Jedes Jahr 9500 Rauchertote in der Schweiz.›
Das ist eine willkürliche Schätzung, die sich nicht belegen lässt, wäre aber auch, wenn es stimmte, kein Argument. Menschen sterben und je später das stattfindet, umso bedeutungsloser ist die Todesursache. Ab einem bestimmten Alter konkurrieren ein halbes Dutzend potentieller Todesursachen und welche gewinnt, hängt immer mehr vom Zufall ab. Welche gewonnen hat, erfährt man nur durch Obduktion, der Totenschein ist auch immer nur eine willkürliche Schätzung. Ohne Obduktion ist unmöglich zu wissen, woran ein Mensch gestorben ist und welche Risikofaktoren kausal beteiligt waren. Wir können nicht wissen, wie viele Tote das Rauchen oder der Sars Cov-2 Virus verantwortet, aber sicher sind es in beiden Fällen sehr viel weniger, als offiziell geschätzt wird.
Im Grundkurs Epidemiologie lernt man, die Todesursachenstatistik ist willkürlich und hat keine handlungsanleitende Bedeutung. Aus wissenschaftlichen Gründen kann man darauf verzichten, gemacht wird sie nur aus ideologischen Gründen um ausgewählten Krankheiten oder Risiken einen willkürlich angesetzten Wert zuzuweisen. Wer mit Todeszahlen arbeitet, will manipulieren.
Zu R.-R. Schrader. Die Wertschätzung epidemiologischer Daten von Politikern hängt tatsächlich sehr vom Standpunkt ihrer Partei und dem ihren vorgelegten Problem ab, was aber ein Problem der Politik ist, und nicht eines der Epidemiologie. Hier geht es darum in Kollektiven zuverlässig Daten zu erheben, wie es auch die Versicherungen tun, um Risikogruppen voneinander zu unterscheiden. Im uns interessierenden Fall ist unbestreitbar, dass Tabakrauch zu Krankheiten führt, die chronisch verlaufen und die Lebenserwartung sehr einschfränken, unabhängig ob die Todesursache Herz-., Kreilaufkrankheiten, Krebs oder COPD, oder anders heisst. Zu dieser Tatsache ist die Datenlage seit den 60 -Jahren eindeutig und mit den Jahren immer solider geworden. Vergl. Doll und Peto et al. Mortality in relation to smoking: 40 years observation of male British doctors. BMJ.1994;309:901-911. Die Pauschalrelativierung epidemiologischer Daten ist unzulässig und gefährlich, denn die Planung von Spitälern, Altersheimen und Pflegepersonal etc. muss sich auf sie abstützen, wenn diese Investititionen nicht willkürlch sein sollen. Auch für die Massnahmen der Luft- und Wasserreinhaltung sind sie von Bedeututung. Die willkürliche sehr interessierte Darstellung der angeblich wissenschaftlich kontroversen Epidemiologie wurde sehr eindrücklich von der Tabakindustrie illustriert, als sie die Oeffentlichkeit davon überzeugen wollte, dass Passivrauchtoxizität nur in den Köpfen der Menschen existiere.