Millimeterwellen: Bedarf und Risiko ungewiss
Neue Geschäfte, eine bessere Internetversorgung auf dem Land und mehr Geld in der Staatskasse. Dies sind Gründe, weshalb der Bundesrat neue, hohe Mobilfunkfrequenzen in den Bereichen 6 GHz, 26 GHz und 40 GHz – sogenannte Millimeterwellen – vergeben will. Mit ihnen würde hierzulande die 5G-Technologie erst richtig eingeführt. Derzeit operiert sie in der Schweiz erst auf maximal 3.5 GHz.
Wie bei der Vergabe der ersten 5G-Frequenzen vor vier Jahren liess das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) deshalb kürzlich ein öffentliches Konsultationsverfahren durchführen. Doch auch diesmal interessierte einzig der Bedarf möglicher Betreiber und Nutzer.
Ärzteorganisation hebt Mahnfinger
Auch deshalb meldeten sich die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) mit einer detaillierten Stellungnahme beim Bakom. «Wir sind sehr besorgt, was die Nutzung von Millimeterwellen zu grossräumigen Kommunikationszwecken angeht», schreibt der Verein darin. Die Ärzteorganisation setzt sich seit 1998 mit den Gesundheitsrisiken von Mobilfunkstrahlung auseinander.
Millimeterwellen wirken anders auf den menschlichen Körper als tiefe Frequenzen. Wie genau ist allerdings unklar. Eine Annahme lautet: Sie dürften eher an der Hautoberfläche absorbiert werden. Dadurch wird die Haut stärker erwärmt. Welche Folgen dies haben kann, und ob neben der Wärmeerzeugung weitere Wirkungen auftreten, ist höchst unklar.
Aufwändige Forschung ist erst angelaufen
Es fehlen schlicht entsprechende wissenschaftliche Studien. Die Expertengruppe Berenis schrieb in einem Sondernewsletter im Juli 2020: «Im Hinblick auf die geplante zunehmende Nutzung des Frequenzbereichs oberhalb 6 GHz für die mobile Kommunikation gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige wissenschaftliche Studien. Entsprechend schwierig ist es, Aussagen über mögliche Gesundheitseffekte in diesem Frequenzbereich zu machen.»
Das weiss der Bundesrat auch deshalb genau, weil das Bundesamt für Umwelt (Bafu) erst letztes Jahr Forschungsprojekte in Auftrag gegeben hat. Die Laufzeit: Zehn Jahre in zwei Etappen. Im Beschrieb eines Projekts des Unispitals Lausanne steht: «Die Wirkung von Millimeterwellen auf die Haut ist noch unklar, es gibt jedoch Hinweise auf Veränderungen der Funktionalität der Zellen durch die Einwirkung von nichtionisierender Strahlung.»
Bundesrat will Verordnung vor der Frequenzvergabe anpassen
Vor vier Jahren forderten die Kantone Genf, Neuenburg und Jura mittels Standesinitiativen ein Moratorium für den Aufbau des 5G-Millimeterwellen-Netzes in der Schweiz «zum Schutz der Demokratie und zur Bekräftigung des Vorsorgeprinzips».
Sie scheiterten im Parlament. Doch darauf musste der Bundesrat einen vor wenigen Monaten veröffentlichten Bericht über Millimeterwellen abliefern. Darin sagt er hauptsächlich, dass es diesmal mit rechten Dingen zugehen soll. Diesmal will der Bundesrat nämlich die «umweltrechtlichen Rahmenbedingungen» anpassen, bevor er die Frequenzen zur Nutzung vergibt. Zudem will er sichergehen, dass die Messvorschriften eingehalten werden. Beides heisst bloss: Es braucht zuerst eine Anpassung der Verordnung zum Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung (NISV) durch den Bundesrat.
Bundesratsbericht lässt wichtige Fragen offen
Wie wichtig dabei gesichertes Wissen über Wirkungen hochfrequenter Strahlung sein soll – die zentrale Frage des Auftrags – lässt der Bericht offen. Dazu heisst es einzig, das Bafu könne dem Bundesrat Massnahmen zur Änderung der NISV vorschlagen, falls Forschungsergebnisse diesbezüglich Handlungsbedarf zeigten. Inwiefern der Bundesrat diese berücksichtigen will, überlässt er sich selbst.
Der Bundesrat stützt sich bisher auf die Berechnungsmethoden der International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP). Diese werden von Annahmen abgeleitet und orientieren sich nur an Temperaturveränderungen auf der Hautoberfläche. Der Millimeterwellenbericht geht hier nicht ins Detail.
Hautmodell entscheidend für Grenzwertberechnung
Dabei sind die Grenzwerte entscheidend für die Akzeptanz des 5G-Ausbaus. Das Parlament hat einem schnellen 5G-Ausbau nur unter der Bedingung zugestimmt, dass die Grenzwerte nicht gelockert werden. Genauer ist der wichtige Bafu-Bericht Mobilfunk und Strahlung von 2019. Dieser zeigt, wie wenig über die Absorption von Strahlung durch die Haut bekannt ist.
Eine Studie zur Absorptionsfähigkeit von Schweissdrüsen legte die Unzulänglichkeit der verwendeten Modellierungen nahe. Entscheidend für die Grenzwertberechnung bei Millimeterwellen sei demnach das verwendete Hautmodell. «Eine möglichst realitätsnahe Abbildung der Haut mit ihren Schichten ist unabdingbar, denn gut aufgelöste Hautmodelle zeigen andere induzierte elektrische Feldstärken als homogene Einschicht- und Mehrschichtmodelle, wie sie häufig verwendet werden.» Doch auch hierzu fehlten Studien. Die Haut sei ein komplexes Organ. Mögliche Effekte hätten daher potenziell weitreichende Konsequenzen für den Organismus.
Wie hält es der Bundesrat mit dem Vorsorgeprinzip?
Auch deshalb forderte die Bafu-Expertengruppe Berenis in ihrer Stellungnahme zu den neuen ICNIRP-Richtlinien weiterhin eine konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips – und damit tiefere Grenzwerte als ICNIRP. Dies müsste auch in den Grenzwertberechnungen für Millimeterwellen berücksichtigt werden.
Bei den Grenzwerten hat der Bundesrat zuletzt jedoch an den Grenzen seiner Kompetenz getrickst. Mit dem sogenannten Korrekturfaktor erlaubt er den Anbietern, den vorsorglichen Grenzwert punktuell überschreiten zu dürfen. Inwiefern dies mit dem Vorsorgeprinzip im Umweltschutzgesetz vereinbar ist, muss nun das Bundesgericht klären.
Gigabit-Ziele könnten Millimeterwellen brauchen
Die Ziele des Bundes verlangen eigentlich eine schnelle Vergabe höherer Frequenzen. Auch, weil der Bundesrat den Glasfaserausbau auf die lange Bank geschoben hat. Eine Recherche der SRF-Wirtschaftssendung Trend zeigte kürzlich, dass besonders ländliche Gegenden in der Schweiz viel schlechter mit Internet versorgt sind als gemeinhin angenommen. Erste Gemeinden bauen sich die Glasfaserleitungen deshalb nun selber. Ein wichtiger Grund: Der Versorgungsauftrag der Swisscom ist schwach.
Bis 2033 möchte der Bundesrat deshalb mit einem Förderprogramm eine möglichst flächendeckende Versorgung aller Geschäfte und Haushalte mit Bandbreiten von mindestens 1 Gigabit erreichen. Dies schreibt er in einem vor wenigen Monaten veröffentlichten Bericht zu seiner Hochbreitbandstrategie. Im Vordergrund stehen Glasfaserleitungen, es könnten aber auch Mobilfunknetze eingesetzt werden. Dabei sei auch zu erwarten, dass im Laufe der Jahre höhere Frequenzen verfügbar gemacht würden.
Bedarf noch ungewiss
Doch ob diese so schnell gebraucht werden, ist unklar. Beim Gigabit-Ziel geht der Bundesrat nämlich nicht vom tatsächlichen Bedarf, sondern von Annahmen über die Zukunft aus. Im Bericht steht zudem wörtlich, dass beim Mobilfunk «hohe Bandbreiten heute von wenigen Diensten und Anwendenden effektiv benötigt» würden.
Für Millimeterwellen gilt: Je höher die Strahlungsfrequenz, desto schlechter die Ausbreitungseigenschaften. Im erwähnten Bericht Mobilfunk und Strahlung von 2019 steht: «Je nach Frequenz kann die sinnvolle Versorgungsdistanz nur einige Meter betragen. Zudem brauchen diese Frequenzen in den meisten Fällen eine Sichtverbindung zwischen Sender und Empfänger. Dies ist beispielsweise bei den Besuchern eines Fussballspiels im Stadion machbar».
Ebenfalls denkbare Anwendungen seien die Versorgung abgelegener Gebäude mit Hochbreitband, die Kapazitätsversorgung in kleinen Gebieten mit grosser Nutzung (Hauptbahnhof, Einkaufszentrum, Stadion) oder die Campusversorgung in Industriehallen.
Mehr Frequenzbänder dürften mehr Geld bringen
Neben der möglichen Nachfrage wirkt der Druck auf eine schnelle Vergabe höherer Frequenzen auch indirekt. Der Bundesrat möchte das Gigabit-Förderprogramm nämlich über die Einnahmen aus kommenden Versteigerungen der Mobilfunklizenzen vergeben. Eine nächste Vergaberunde sei bereits in drei Jahren geplant.
Dass weitere Frequenzen mehr Geld generieren dürften, liegt dabei auf der Hand. Dabei hatte das Parlament auch hier zuletzt andere Pläne. 2019 nahm es eine Motion der damaligen SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher gleich an. Sie forderte mehr Geld für die Erforschung von Gesundheitsrisiken durch Mobilfunkstrahlung. Und zwar aus den Einnahmen der Lizenzversteigerung. Doch das Geld wurde schon damals gegen den Willen des Parlaments nicht dafür verwendet.
ComCom will Wirtschaft fördern und Gesellschaft verändern
Die Frequenzen freigeben kann nur der Bundesrat. Davor (Bedarfsabklärung) und danach (Versteigerung der Lizenzen) ist die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom) tätig. Und diese kann kaum warten.
Vor einem Jahr bezeichnete die damalige ComCom-Präsidentin Adrienne Corboud Fumagalli die Hochbreitbandstrategie offen als Wirtschaftsförderungsmassnahme. Die ComCom hätte sie gerne nicht nur als blosse Regulatorin, sondern als Gestalterin der digitalen Zukunft gesehen. «Durch ihre wesentliche Funktion bei der Vergabe von Frequenzen kann sie aktiv zum sozialen Wandel und zur Entstehung einer Gigabit-Gesellschaft in der Schweiz beitragen.»
AefU fordern neutrale Beurteilung von Gesundheitsrisiken und Technologie
Die Ärztinnen und Ärzte für Umwelt dagegen sehen die Schweiz noch nicht bereit für die Gigabit-Gesellschaft. Sie finden: «Millimeterwellen für die Kommunikationsnutzung sollten erst zugelassen werden, wenn eine verlässliche Risikobeurteilung möglich ist. Hierfür gilt es die Ergebnisse der angelaufenen Studien abzuwarten und in einer Gesamtschau zu bewerten.»
Zudem fordern sie eine unabhängige technische Evaluation. «Sie soll klären, wie Millimeterwellen in Kommunikationsdiensten zur Anwendung kommen sollen, welche Infrastrukturen hierfür nötig sind, und wie Schutz- und Nutzinteressen, inklusive Energiefragen, dabei berücksichtigt werden können.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Obwohl in einem höheren Frequenzbereich, zeigt der Vergleich zwischen UV- und IR-Licht, und sogar zwischen blauem und rotem Licht, der enorme Unterschied zwischen Schaden und Nutzen bei relativ geringen Frequenzverschiebungen. Der Unterschied ist jedoch, dass wir das Licht sehen bzw. fühlen (Sonnenbrand bei UV versus Erwärmung bei IR), Radiowellen jedoch nicht, ausser der thermischen Erwärmung.
Deshalb sind Schadensvergleiche allein aufgrund dieser thermischen Erwärmung fahrlässig.
Eine Arbeitsgruppe des UVEK dokumentierte, dass über 80% des Datenvolumens der Mobilkommunikation fürs Videostreaming benötig wird. (Bericht der Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung im Auftrag des UVEK vom 18.Nov.2019)
Offensichtlich ist unser Bundesrat der Meinung, dass das schnelle Runterladen hochauflösender Filme aufs Handy bedeutender ist, als die gesundheitlichen Bedenken der Ärzteschaft!
Ich kannte Forscher (Dienstkollegen) im Konzern wo ich tätig war, die hatten sensationelles herausgefunden, auch bezüglich Krebs Erzeugung, und wie man ihn stoppen könnte (ohne Pharma!) was unserem Konzern nicht gefiel. Plötzlich wurde die Weiterforschung verboten, die Geräte weggenommen, Abteilung aufgelöst. Sie waren u.a. am 17.12.1988 auch bei Kurt Felix in der Sendung und zeigten eine Ihrer sensationellen Entdeckungen. Auch Gentechnik sei überflüssig, denn auf ’natürlicher Basis› kann man Mehrertrag erzielen und weniger Pestizide wären nötig. Analoges bezüglich Fischsterben. Sie warnten mich: im Auto darfst Du nie mit dem Händy telefonieren, oder nur mit Aussenantenne. Das hatte ich damals. Plötzlich wurde es mir einmal übel, während ich am telefonieren war. Ich erinnerte mich rasch an die Warnung meiner Dienstkollegen: ich überprüfte, ob das Händy an der Antenne angeschlossen ist. Aha, das Steckerli war rausgerutscht. Sofort wieder reinstecken. Und sofort wurde es mir wieder wohl