Wie die Pharma die Freigabe des Covid-Impfstoffes verhinderte
Ende 2020 war die Covid-Pandemie in vollem Gange. Es war die Zeit der Ausgangssperren und Grenzschliessungen. Spitäler auf der ganzen Welt waren völlig überlastet, das Pflegepersonal am Rande des Zusammenbruchs. Die Bilder der Särge im italienischen Bergamo gingen um die Welt. Wer konnte, blieb zuhause und vermied jeden persönlichen Kontakt.
Was jede Regierung der Welt gerade dringend brauchte, waren Impfstoffe gegen Sars-Cov-2, das politische Gewicht, um sie zu bekommen, und das Geld, sie zu bezahlen.
Länder mit wenig Macht und Geld hatten das Nachsehen
Gerade waren die ersten Impfstoffe auf den Markt gekommen. Mit den noch knappen Mengen geimpft wurden zunächst vulnerable Gruppen und Gesundheitspersonal in den Industrieländern. Länder mit weniger Macht und Geld blieben grösstenteils aussen vor.
Es gab die ersten Bemühungen, das zu ändern. Im Oktober 2020 schlugen Südafrika und Indien der Welthandelsorganisation vor, die Lizenzierung der Covid-Impfstoffe vorübergehend auszusetzen. Das solle sicherstellen, dass der lebenserhaltende Covid-Impfstoff auch in ärmeren Ländern hergestellt und importiert werden konnte.
Die Pharma lief Sturm. Mit teilweise zweifelhaften Mitteln, berichtet das US-Medium «The Intercept».
Die EU, Sitz der meisten Hersteller, sprach sich für den Patenschutz aus, genauso wie zunächst die USA. Südafrika und Indien, die das Abkommen vorgeschlagen hatten, sowie mehr als 100 andere Länder waren für die Freigabe. Bis zur Einigung sollte es noch Monate dauern.
Drohungen gegen Belgien, Geldforderungen in Lateinamerika
Im November 2022 veröffentlichte das Bureau of Investigative Journalism in «Politico» einen Bericht, aus dem hervorgeht, welche Anstrengungen Pharmaunternehmen unternommen hatten, um die Patentfreigabe zu verhindern. Die Bemühungen seien sehr vehement gewesen, berichten mehrere Befragte.
Demnach drohte der Sprecher eines Tochterunternehmens von Johnson & Johnson einem belgischen Regierungsmitglied, milliardenschwere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Belgien zurückzufahren, falls Belgien Südafrikas und Indiens Bemühungen zur Aussetzung von Impfstoffpatenten unterstütze. Ein indonesisches Regierungsmitglied berichtete von ähnlichen Drohungen.
Auch lateinamerikanische Länder seien von Pfizer erpresst worden, berichtet das Bureau of Investigative Journalism. Der Impfstoffhersteller habe Regierungen aufgefordert, Staatsvermögen als Garantie für künftige Rechtsstreitigkeiten zu hinterlegen. Kolumbien habe sich auf internationalem Parkett zurückgehalten, um laufende Verhandlungen mit Pfizer nicht zu gefährden. Das Land schwenkte erst im Dezember 2021 in der Patentfrage um.
Lobbyarbeit in Deutschland
Im Herstellerland Deutschland zielte die umfangreiche Lobbyarbeit darauf, eine Ausnahmeregelung der Welthandelsorganisation WHO zu blockieren. Bundeskanzlerin Merkel, zu Beginn der Pandemie der Meinung, der Covid-Impfstoff sei ein «globales öffentliches Gut», änderte ihre Meinung, andere Regierungsmitglieder ebenfalls.
Die Pharma-Lobbys hätten die deutsche Bundesregierung mit Anfragen geradezu geflutet, berichtete «Abgeordnetenwatch» im September 2022. Die Bemühungen von Biontech schlossen demnach womöglich einen Deal mit Taiwan ein, das von Deutschland dringend benötigte Computerchips liefern konnte und dringend Impfstoffe brauchte.
Lobbyistin bat Twitter um das Ausblenden von Tweets
Auch im digitalen Raum waren Lobbyisten aktiv. Im Dezember 2020 warnte die Twitter-Lobbyistin Nina Morschhäuser ihre Twitter-Kolleg:innen vor «Aktivismus» in Bezug auf die Impfstoffe. Die Pharmahersteller Biontech, Moderna und Astra Zeneca seien Ziel einer Kampagne, die die Entwicklung der Covid-Vakzine verzögern könne. Sie bezog sich auf eine E-Mail der Biontech-Specherin Jasmina Alatovic, die darum bat, «Aktivisten-Tweets» zwei Tage lang zu verbergen
Morschhäuser fragte ausserdem an, die Hashtags #PeoplesVaccine and #JoinCTAP zu überwachen. #JoinCTAP ist eine Kampagne der britischen Organisation Global Justice Now, die sich für die schnelle Verteilung von Covid-Impfstoffen (COVID-19 Technology Access Pool, CTAP) in Länder mit geringem Einkommen einsetzte.
Inwieweit Twitter danach handelte, ist unklar. Morschhäusers Anfrage löste eine interne Diskussion aus, geht aus E-Mails hervor, die der «Intercept» ausgewertet hat. Su Fern Teo, ein Mitglied des Twitter-Sicherheitsteams, fand keine Regelverletzungen und fragte nach Details.
Auch die deutsche Cybersicherheitsbehörde warnte vor «Aktivismus»
Involviert war auch das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das Twitter vor «Regelverletzungen» warnte. Ein Sprecher der Cybersicherheitsbehörde teilte dem «Intercept» mit, dass die Behörde eine Warnung herausgegeben hatte, weil sie befürchtete, dass es sich «bei der Kampagne um einen DDoS-Angriff» handle.
Bei einer DDoS-Attacke greifen sehr viele, teils automatisierte, Teilnehmer auf eine Internet-Adresse zu, wodurch diese lahmgelegt wird. Eine Anfrage von «Frag den Staat» bittet das BSI darzulegen, wie es zu seiner Einschätzung kam. Die Anfrage ist derzeit noch offen.
Unter Lockdown-Bedingungen sei es ein enormer Beeinflussungsversuch, digitale Kommunikation zu unterbinden, so Nick Dearden, der Geschäftsführer von Global Justice Now gegenüber dem «Intercept». «Digitalen Protest zu einer Zeit zu ersticken, in der Tweets und E-Mails die einzig verfügbare Form sind, ist sehr ernst.»
Es endete mit einem Geldregen für die Pharma
Es endete wie bekannt: Die Impfstoff-Verteilungsbemühungen blieben halbherzig, Ende 2021 waren rund 60 Prozent der Bevölkerung in den wohlhabenden Ländern geimpft, in den ärmeren höchstens jeder Zehnte.
Der mRNA-Impfstoff war zur Goldgrube geworden. Pfizer/Biontech erwirtschafteten im Jahr 2021 rund 37 Milliarden Dollar und machten Comirnaty damit zu einem der bisher lukrativsten Arzneimittel der Welt. Moderna, das im Jahr 2021 mit dem Verkauf von Impfstoffen 17,7 Milliarden Dollar einnahm, kündigte kürzlich an, den Preis für seine Covid-Spritze um etwa 400 Prozent zu erhöhen.
Und Astra Zeneca?
Nach Modellrechnungen des Imperial College in London haben die Corona-Impfstoffe 2021 weltweit 20 Millionen Todesfälle verhindert – die meisten in wohlhabenden Ländern. Wären, wie von der WHO geplant, 40 Prozent der globalen Bevölkerung zweimal geimpft worden, hätte das 600’000 weitere Leben gerettet, haben die Forschenden berechnet.
Den grössten Anteil im ersten Jahr hatten die Impfstoffe von Astra Zeneca. Astra Zeneca-Impfstoffe sind nach konventionellem Muster gebaut und nutzten einen Schimpansen-Erkältungsvirus, um die wirksamen Bestandteile in den Körper zu transportieren. Astra Zeneca verkaufte sie zum Selbstkostenpreis.
Die Vakzine von Astra Zeneca stellt zudem weit weniger hohe Ansprüche an Kühlung und Transport als die mRNA-Impfstoffe. Zugelassen wurde sie «auf der ganzen Welt ausser in den USA», schreibt das Fachmagazin BMJ, das die Auseinandersetzung um den Patentschutz aufgearbeitet hat. Nur Grossbritannien blieb lange ausschliesslich beim Astra Zeneca-Impfstoff, an dessen Entwicklung die Uni Oxford beteiligt war.
Astra Zeneca kämpfte gleich zu Anfang mit mehreren Problemen bei der Herstellung und Lieferung, teilweise begründet in mangelnder Erfahrung im Impfstoffgeschäft. Dazu kamen Impffolgeschäden und Todesfälle bei jungem, gesundem Gesundheitspersonal. Statistisch gesehen traf es nur wenige Personen, aber es reichte, um den Ruf des Impfstoffs so zu verschlechtern, dass ihn keiner mehr haben wollte. Inzwischen sei Astra Zeneca vom Markt fast verschwunden, resümert BMJ.
Chance für zukünftige Pandemien nicht genutzt
Mit Blick auf die Pandemien der Zukunft sei der gesamte Prozess nicht gut ausgegangen, schliesst Ameet Sarpatwari, Epidemiologe und Anwalt am Zentrum für Bioethik der Harvard Medical School, den BMJ zitiert. Unternehmen wie Moderna und Biontech könnten Technologietransfer verzögern und hätten das definitiv auch getan.
Der Epidemiologe favorisiert einen Open-Source-Ansatz, wie ihn die Entwickler der Universität Oxford geplant hatten und aus dem bekanntlich nichts wurde. Ärmere Länder hingen in Folge von den reichen Ländern ab. Für eine globale Infrastruktur, die in ähnlichen Fällen von Nutzen wäre, eine verpasste Chance, sagt Sarpatwari.
«Nature Biotechnology», das der Patentfrage ebenfalls nachgegangen ist, findet, dass das «geistige Eigentum bei der Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln eine unterstützende, nicht eine primäre Rolle spielte». Die Diskussion hätte politische Experimente wie den Open-Source-Ansatz allenfalls verzögert. Was nichts anderes ist, als was Sarpatwari sagt, nur mit anderer Gewichtung.
Ob die Patentfreigabe der Welt schneller Impfstoffe und Arzneimittel gegen Sars-Cov-2 zur Verfügung gestellt hätte, kann freilich niemand genau sagen. Es wurde ja kaum versucht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Gentherapie oder Impfung? Man braucht heute beide Begriffe. Welcher ist richtig?
heute spricht man von Abschöpfen der ausserordentlichen Gewinne bei der Oel, Gasindustrie und Elektroindustrie. Warum kann man nicht das Gleiche machen bei der Pharmaindustrie? Sie profitieren sogar wenn es um das sterben geht
Es macht mich traurig, wie sich die so genannte «Gesundheitsbranche» entwickelt. Und das leider schon viel zu lange. Verantwortliche der Branche und der Politik sollten sich ernsthaft fragen, ob ihre Bemühungen der Gesundheit und dem Volk dienen oder eher dem eigenen Portemonnaie. Bei zweiterem sind beide meiner Meinung nach im falschen Beruf.
Das ist ja ein Rückfall in die Steinzeit der Covid-19 Verarbeitung, liebe Frau Gschweng! Ihr Artikel geht von A-Z (ich habe allerdings nur etwa bis X lesen können vor lauter Entsetzen) von der gläubigen Prämisse aus, dass die Impfungen eine sehr gute Sache seien, die man aus philanthropischen Gründen unbedingt der ganzen Welt zugute kommen lassen müsse, was neben dem unermüdlichen WHO-Direktor ja auch ausgesprochene Impfspezialisten wie old man Schwab von Davos und der grosse Bill Gates stets wieder fordern. Mit dem gleichen Entsetzen hatte mich vor einigen Monaten schon eine SRF-TV-Sequenz von «Public Eye» erfüllt, in welcher ernsthaft «Impfstoffgerechtigkeit» für die armen Länder Afrikas gefordert wurde. Seien wir doch froh, dass diese Gerechtigkeit nicht zustande kam und Afrika – ähnlich wie andere Entwicklungsgebiete, auch Indien und Bangladesh wurden nicht zum Desaster – dank tiefer Testrate und Impfquote von der Presse-geschmierten Pseudokatastrophe verschont blieben.
Möglicherweise hatten die armen Länder ja Glück, dass für sie kaum «Impfstoffe» zur Verfügung standen. Viele Länder, beispielsweise in Afrika, sind trotz (oder vielleicht dank?) tiefer Impfquoten ohne die vorhergesagte Katastrophe durch die Pandemie gekommen.