Gefässersatz Humacyte

Die im Labor erzeugte Ader soll die Blutversorgung wichtiger Körperteile sicherstellen. © Humacyte

Ukraine: Bio-Engineering «an vorderster Front»

Martina Frei /  An schwer verletzten Soldaten wird die neuartige Bio-Tech-«Arterie» einer US-Firma erprobt.

Soldaten in der Ukraine dienen nicht nur ihrem Land, sondern auch der Wissenschaft. Im Rahmen eines «humanitären Programms» erprobten Chirurgen bei 19 verletzten «Kriegskämpfern», wie es in der Studie heisst, eine neue Art von Gefässersatz. «Bio-Engineering an vorderster Front» lautet der doppeldeutige Titel eines Kommentars zweier Gefässchirurgen in «Jama Surgery». 

Starke Blutungen zählen zu den häufigsten Gründen, weshalb Soldaten auf dem Weg zum Spital sterben. Bei denen, welche die erste Stunde überleben, sinkt mit jeder weiteren Stunde die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine verletzte Extremität noch retten lässt, falls wichtige Arterien, die das Gewebe versorgen, zerstört wurden.

In der Not versuchen Chirurgen, eine (nicht lebensnotwendige) Vene des Patienten von einer anderen Körperregion als Ersatz zu verpflanzen. Doch das braucht Übung und dauert. Folglich steigt das Risiko, dass der Verletzte sein Bein oder seinen Arm verliert. 

Eine andere Möglichkeit ist ein Blutgefäss aus Kunststoff. Doch in der Folge kommt es öfter zu Infektionen. 

Arzneimittelbehörde prüft die Zulassung

Die US-Firma «Humacyte Global», welche die nun veröffentlichte Studie finanzierte, hat eine dritte Methode entwickelt. Sie hofft, dass ihre neuartige «Biotech-Ader» zur Alternative wird. Die US-Arzneimittelbehörde FDA prüft derzeit in einem Vorzugsverfahren, ob sie das Produkt zulässt. 

Die «Biotech-Ader» wird von menschlichen Gefässzellen aus einer Zellbank hergestellt. Zuerst werden sie auf ein Kunststoffgewebe aufgebracht, das sich mit der Zeit auflöst. Umspült von einer Nährlösung, bilden die Zellen dann Bindegewebe. Schliesslich werden die Zellen entfernt. So bleibt nur das Bindegewebe übrig, das laut den Erfindern bisher zu keinerlei Abstossungsreaktion bei den Empfängern führte. 

Humacyte Gefässersatz
Die «Biotech-Ader» hat sechs Millimeter Durchmesser.

Innerhalb von Minuten parat

Der biologische Gefässersatz, der in der Studie verwendet wurde, ist 42 Zentimeter lang und hat einen Durchmesser von 6 Millimetern. Das Gewebe wird tiefgefroren gelagert und sei innerhalb von Minuten einsatzbereit. Nach dem Einpflanzen scheint es nach und nach von Zellen des Empfängers besiedelt zu werden. 

Nebst den Soldaten dienten auch 69 schwer verletzte Zivilisten in Israel und den USA als Versuchspersonen. Kam ein Chirurg zum Schluss, dass ein Venenersatz nicht machbar sei, konnte er die Biotech-Ader einsetzen. 

Die Studienautoren der in «Jama Surgery» veröffentlichten Studie, die zahlreiche Interessenkonflikte mit dem Hersteller haben, bewerten das Experiment als Erfolg. 

Bei acht Patienten verstopfte das Gefäss oder ging zu

Innerhalb von 30 Tagen sei es nur bei einem Patienten zur Infektion gekommen und nur ein solches Blutgefäss riss, vermutlich, weil Metallsplitter im Gewebe es verletzten. Bei sieben Patienten musste die Extremität trotz der Biotech-Ader amputiert werden. Bei acht Patienten kam es im ersten Monat zur Thrombose oder zum Gefässverschluss, der teilweise behoben werden konnte. Diese Komplikation sei teilweise deshalb aufgetreten, weil die Betroffenen entgegen der Empfehlung keinen Blutverdünner nahmen. Soweit es sich bei erst wenigen Patienten bisher beurteilen lässt, scheint das neuartige Blutgefäss bei etwa drei Viertel der Behandelten nach einem Jahr noch zu funktionieren.

Der Hersteller der Biotech-Ader erhofft sich einen grossen Markt. Allein in den USA würden jährlich etwa 83’000 Menschen wegen Gefässverletzungen ein Bein oder ein Arm amputiert. 

Früher wurden Nabelschnurvenen benützt

Über 30 Jahre lang wurden auch menschliche Nabelschnurvenen als Ersatzarterien verwendet. Doch aus Furcht vor der möglichen Übertragung von Erkrankungen wie BSE verbot die FDA 2004 deren Einsatz – obschon es bei den rund 20’000 solchen Transplantationen weltweit nie zu einer erwiesenen Übertragung gekommen sei, wie ein Chirurg 2006 im «Journal of the American College of Surgeons» kritisch anmerkte.

Seither habe es nur wenig Fortschritte gegeben, bemängeln die Gefässchirurgen in ihrem Kommentar zum «Bio-Engineering an vorderster Front». Sie schliessen mit den Worten: «Wir freuen uns auf umfangreichere Daten zu den Langzeitergebnissen.»

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