Transplantation in der Gebärmutter von Fötus zu Fötus
Diese winzige Niere auf dem Bild oben kürte das Wissenschaftsmagazin «Nature» kürzlich zu den besten Wissenschaftsbildern des Jahres 2024 (Infosperber berichtete). Die kleine Rattenniere ist zugleich eine Weltpremiere: Das Gewebe stammt von einem Fötus und wurde in einen anderen Fötus transplantiert – ein völlig neuer Ansatz in der Transplantationsmedizin und in der Fötuschirurgie. In der Schweiz wurde bisher nicht darüber berichtet.
Das Ziel der Wissenschaftler um Takashi Yokoo von der Jikei-Universität in Tokyo ist, solche Fötus-zu-Fötus-Transplantationen beim Menschen durchzuführen. Lange wollen sie damit nicht mehr warten: Anfang Oktober 2024 ersuchte das Forscherteam um die Genehmigung, die zwei Millimeter kleine Niere eines Schweinefötus in einen menschlichen Fötus verpflanzen zu dürfen. Das berichtete «Kyodo News».
Bereits 2026 soll es soweit sein, falls dem Gesuch stattgegeben wird. Auch dies wäre eine Weltpremiere. Das fötale Gewebe würde dem Baby im Mutterleib vier Wochen vor dem Geburtstermin am Rücken unter die Haut gespritzt.
Schweineföten-Nieren als Überbrückung
Das Fernziel von Yokoo und seinen Kollegen: Sie wollen Kindern helfen, die ohne Nieren geboren werden. Doch ob das gelingen wird, ist völlig offen.
Ungefähr eines von 4000 Babys sei von einer solchen Erkrankung betroffen, schreibt Yokoos Team in seiner noch nicht begutachteten Vorab-Veröffentlichung. Bisher könne nur eine regelmässige Blutwäsche oder eine Nierentransplantation diese Babys retten. Beides ist aufwendig und klappt oft nicht, auch wegen weiterer Gesundheitsprobleme dieser Kinder. Die meisten von ihnen sterben darum kurz nach der Geburt.
Die Schweineföten-Niere soll zur Überbrückung dienen, bis die Babys gross genug sind für die Blutwäsche. Dann würden ihnen die Schweineniere wieder entfernt. So lautet der Plan.
«Schöne Daten»
Bis solche Fötus-zu-Fötus-Nierentransplantationen beim Menschen funktionieren, sei es noch ein weiter Weg, zitierte «Nature» den australischen Fötus-Chirurgen Glenn Gardener. Er lobte aber die «schönen Daten», die Yokoos Team im April zur Nieren-Xenotransplantation vorlegte, bis jetzt aber eben nur in Form des nicht-begutachteten «Preprints».
Rattenfreunden dürften bei diesen «schönen Daten» die Haare zu Berge stehen – obwohl Yokoos Team laut eigenem Bekunden alle Anstrengungen unternehme, um das Tierleid zu mindern.
Für die Fötus-zu-Fötus-Transplantation wurden zuerst trächtige Ratten narkotisiert. Dann eröffneten die Wissenschaftler deren Gebärmütter und «ernteten» – so die Wortwahl – die Nieren der Föten. Danach wurden die Rattenweibchen eingeschläfert und die Spenderföten geköpft.
Die Spenderföten hatten die Wissenschaftler zuvor genetisch so verändert, dass sie in den Nieren ein grün leuchtendes Eiweiss produzieren. So liess sich das transplantierte Gewebe später bei den Empfänger-Föten eindeutig erkennen.
Vier Tage nach der Transplantation wurden die Ratten geboren
Im zweiten Schritt narkotisierten die Forscher andere trächtige Rattenweibchen mit 18 Tage alten Föten im Bauch. Mit einem Schnitt eröffneten sie die Bauchdecke und holten jeweils die Gebärmutter hervor. Durch die dünne Gebärmutterwand hindurch waren die Föten erkennbar. Bei jeweils zwei bis vier Föten pro Weibchen spritzten die Forscher mit einer Kanüle etwas vom zuvor «geernteten» fötalen Nierengewebe durch die Gebärmutterwand direkt unter die Rückenhaut der Föten. Das Gewebe enthielt Zellen von Niere, Harnleiter und Harnblase. Danach wurde der Rattenbauch wieder zugenäht. 14 bis 43 Prozent der Föten überlebten die Prozedur nicht.
Rund vier Tage nach dem Eingriff kamen die derart transplantierten Rattenbabys auf natürlichem Weg zur Welt. Bei acht von neun Tieren war das grün fluoreszierende Spendergewebe erkennbar. Es wuchs in den Empfängerratten heran.
18 Tage nach der Geburt wölbte sich an ihrem Rücken etwas vor. Es war das transplantierte Gewebe, das mitgewachsen war und nun täglich etwa einen Milliliter Urin produzierte.
Allerdings erbrachte diese «Niere» nur etwa ein bis zwei Hundertstel der sonst üblichen Filtrationsleistung. Damit daraus wirklich eine Therapie wird, müsste dieses Gewebe folglich entweder mehr leisten oder es bräuchte mehrere solche Nierengewebs-Transplantationen.
Weniger Abstossungsreaktionen
Was die Forscher mit besonderer Freude erfüllte: Gewebeuntersuchungen zeigten, dass Blutgefässe der Empfängerratten ins Transplantat eingewachsen waren und es mit Nährstoffen versorgten. Auf dem Foto über dem Artikel sind diese roten Adern gut zu sehen. Der grosse Vorteil der Fötus-zu-Fötus-Transplantation sei, dass es zu weniger Abstossungsreaktionen komme, schreiben die Forscher in ihrem Vorabdruck auf «biorxiv».
Bis zu 150 Tage lang saugten sie aus der Urinzyste am Rücken der Tiere jeweils ein- bis zweimal pro Woche mit einer Spritze den Urin ab, der von dem transplantierten Gewebe immer wieder nachgebildet wurde.
Um den Beweis zu erbringen, dass das wirklich funktioniert, wiederholten die Wissenschaftler solche Xenotransplantationen mehrmals. Bei 4 von 17 Tieren – eine Erfolgsquote von 24 Prozent – bildete sich ebenfalls eine Urinzyste, die gross genug war, dass man sie punktieren konnte. Neugeborene Rattenbabys, bei denen kein Nierengewebe grün fluoreszierte, wurden sofort enthauptet.
Experimente über Artengrenzen hinweg
Diese Rattenfötus-Experimente seien «ein kleiner erster Schritt, aber ein sehr wichtiger» auf dem Weg zur Transplantation artfremder Organe beim Menschen», zitiert «Nature» die Anthropologin Maria Yasuoka von der Otaru Universität in Hokkaido.
In einem weiteren Experiment verpflanzten Yokoo und sein Team Nierengewebe von Mäuseföten in Rattenföten. Doch das transplantierte Gewebe wurde abgestossen und war nach rund 18 Tagen funktionsunfähig, sofern die Rattenbabys kein Medikament gegen die Organabstossung bekamen.
Was bei Transplantationen von Schweinefötus zu Schweinefötus und Schweinefötus zu Äffchenfötus herauskam, gab das Team noch nicht bekannt.
Künftig wollen die japanischen Wissenschaftler versuchen, den Urin aus dem transplantierten Nierengewebe bei den Ratten über einen Katheter ablaufen zu lassen. So stellen sich Yokoo und seine Kollegen das auch später bei den menschlichen Babys mit Schweinenieren vor.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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