Spitäler: Zu viele Todesfälle nach Operationen
In der Schweiz sterben mehr Menschen nach Operationen als in Holland, Schweden oder Finnland, obwohl die Spitalkosten in diesen Ländern deutlich geringer sind. Das zeigt die grösste je durchgeführte Vergleichsstudie, die «Lancet»* kürzlich veröffentlicht hat.
In einer weiteren Studie müsste man auch noch die Zahl von Komplikationen vergleichen, die nach Operationen auftreten, schreiben die Chirurgen René Vonlanthen und Pierre-Alain Clavien vom Universitätsspital Zürich in einem Editorial. Die Studienresultate zeigen, dass mit insgesamt vier Prozent der Patienten etwa doppelt so viele nach Operationen sterben wie bisher angenommen. Die Unterschiede von Land zu Land sind allerdings enorm: In Island starben nur 1,2 Prozent der in der Studie erfassten Patienten, in der Schweiz 2 Prozent und in Lettland hohe 21,5 Prozent.
Alle Operierten während sieben Tagen erfasst
In der Schweiz beteiligten sich die Universitätsspitäler Genf und Lausanne sowie das Kantonsspital St. Gallen und das Triemli-Spital in Zürich an der Studie. Während sieben Tagen im April 2011 wurden alle fast 50’000 Operierten in rund 500 Spitälern in 28 europäischen Staaten erfasst und deren Überleben während zwei Monaten verfolgt. Ausgeschlossen wurden lediglich Herz- und Hirnoperationen.
Um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, haben die Forscher das Alter der Patienten, deren Begleiterkrankungen und andere Faktoren berücksichtigt. Trotz einiger statistischer Unsicherheiten zeigt sich, dass die Sterberate in der Schweiz etwa gleich gross ist wie in Deutschland oder Grossbritannien, und merklich besser als in Belgien, Italien, Irland, Rumänien, Lettland und Polen. Zu deutlich weniger Todesfällen als in der Schweiz kommt es in Finnland, Island, Norwegen, Schweden, Estland und in den Niederlanden.
Alle Operierten während sieben Tagen erfasst
Den Ursachen für die grossen Mortalitäts-Unterschiede ging die Studie nicht nach. Die Autoren vermuten, dass eine unterschiedliche Nutzung von Intensivstationen eine Rolle spielt. Vonlanthen und Clavien zählen weitere Faktoren auf, deren Rolle in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen wurde:
- Institutionalisierte Nutzung von chirurgischen Sicherheitschecklisten und Behandlungsstandards.
- Häufigkeit der vom Chirurgen und dessen Team durchgeführte Eingriffe.
- Spezialisierungsgrad des Chirurgen.
- Rasche Erkennung und Umgang mit Komplikationen.
- Umfassende Genesungs-Strategie.
Die Lancet-Studie hat die Todesfälle pro Anzahl operierter Patienten untersucht. Pro Einwohner dürfte die Schweiz bei der Häufigkeit von Todesfällen und Komplikationen merklich schlechter dastehen. Denn Statistiken der Operationshäufigkeiten zeigen, dass die Schweizerinnen und Schweizer viel häufiger ins Spital eingewiesen und (allzu oft unnötig) operiert werden als Finnen, Schweden oder Holländer. Laut OECD gibt es in der Schweiz im Verhältnis zu den Einwohnern ein Viertel mehr praktizierende Ärzte sowie zwölf Prozent mehr Akutbetten als in den Niederlanden. «In der Schweiz erleidet jeder zehnte Patient in Spitälern einen Zwischenfall, der zu einer Schädigung führt», musste Manfred Langenegger, Projektleiter Qualitätssicherung im Bundesamt für Gesundheit, feststellen.
Marc-Anton Hochreutener, Geschäftsführer der Stiftung für Patientensicherheit, zeigt sich wenig überrascht, dass Länder wie Holland, Schweden oder Finnland im Trend besser abschneiden als die Schweiz: «Es bestätigt meinen Eindruck, dass die Skandinavier und Holländer in der Sicherheitskultur Vorreiter sind, von denen wir noch viel lernen können. In Holland zum Beispiel wird die chirurgische Checkliste sehr konsequent eingesetzt.»
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* The Lancet, Vol 380 September 22, 2012, 1059-1065 und 1034-1036 (Editorial)
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Siehe auch
«In kleinen Spitälern ist das Todesrisiko grösser» vom 15.10.2013
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Auf nach Estland! (Oder sollte man nicht auch noch einbeziehen, dass wohl in der Schweiz noch Operationen gemacht werden, wo in anderen Ländern die Leute dem lieben Herrgott überlassen werden?)