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Der Pharmakonzern Roche sponsort das ETH-Institut für Personalisierte Medizin © ETH/Roche

Personalisierte Medizin ist ein «PR-Kampfbegriff»

Kurt Marti /  Kritiker sprechen offen von «leeren Versprechungen». Personalisierte Medizin heisst das neue Zauberwort der Gentech-Industrie.

Die PR-Offensive des umtriebigen ETH-Professors und Molekularbiologen Ernst Hafen war in fünf Etappen gut geplant: 1. Tagung der Academia Engelberg zur Personalisierten Medizin; 2. Finanzierungs-Antrag beim Schweizerischen Nationalfonds; 3. Erstellung einer Website zur Personalisierten Medizin; 4. Öffentliche Veranstaltungen und Diskussionsrunden und 5. Besuche in Schulen.

Academia Engelberg spricht von einem «Paradigmenwechsel»

Zunächst verlief Hafens PR-Offensive optimal. Am dreitägigen Symposium der Stiftung Academia Engelberg in Engelberg trafen sich im vergangenen September über 150 internationale Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Politik und Gesellschaft, um über die Personalisierte Medizin zu diskutieren. In der anschliessenden Medienmitteilung der Academia Engelberg, deren Stiftungsrat Hafen angehört, war vollmundig von einem «Paradigmenwechsel» in der Medizin die Rede.

Die Personalisierte Medizin verfolgt zwei Ziele: Prävention und Therapie. Dazu die Academia Engelberg: «Mittels eines Gentest erhält man Auskunft wie hoch das Risiko ist, ob man eventuell einmal an Diabetes, Alzheimer oder Brustkrebs erkrankt. Je nach Wahrscheinlichkeitsgrad und Krankheitsrisiken kann man die Gesundheit mit entsprechenden Präventionsmassnahmen fördern.» Zum zweiten sollen Gentests erlauben, Medikamente auf die einzelnen Patienten abzustimmen und so die Nebenwirkungen zu minimieren.

Kritiker sagen, es handle sich dabei immer nur um Wahrscheinlichkeiten und brauchbare Folgerungen seien daraus schwer zu ziehen. Zu komplex seien die genetischen Anlagen und die Umwelteinflüsse miteinander verwoben.

Der Ohrenschmalz von Professor Ernst Hafen ist klebrig

Am 21. September 2011 erschien in der NZZ ein PR-Artikel über die Engelberg-Tagung mit dem Titel «Heilung für mich und dich». Die NZZ bot Hafen die Gelegenheit, seine PR-Offensive für die personalisierte Medizin zu starten. In einem weiteren Artikel in der NZZ am Sonntag vom 22. Januar 2012 liess Hafen dann die Katze aus dem Sack: Er propagierte offen Gentests für alle und preschte gleich mit der Forderung nach einer Lockerung der gesetzlichen Vorschriften vor. Kritiker sprachen hinter vorgehaltener Hand von «Hafenkäse».

Hafen und seine ganze Familie hat sich übrigens einem Gentest unterzogen. Dadurch erfuhr der pfiffige Professor höchst Erstaunliches: Sein Ohrenschmalz ist «klebrig» und er hat ein höheres Risiko heroinabhängig zu werden. Auf die Frage, welche präventive Wirkung dieses Erkenntnisse für ihn hatten, antwortete er: «Keine». Die Hafen-Offensive ging selbst dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) zu weit, bei dem Hafen ein Gesuch für die Finanzierung seines Werbefeldzuges eingereicht hatte.

Hafen mischt auch in der Privatwirtschaft mit

Inbesondere wurden Hafens Äusserungen in den Medien beim SNF als Werbeoffensive für die Firmen aufgefasst, welche im Internet Gentests anbieten. Darauf zog Hafen sein Gesuch für eine SNF-Subvention in der Höhe von 135 000 Franken zurück. In Anbetracht der öffentlichen Kritik ging es um Schadensbegrenzung.

Hafen selbst ist nicht nur ETH-Professor, sondern mischt auch in der Privatwirtschaft mit. Zum Beispiel ist er in Mitbegründer der «The Genetics Company», ein in Privatbesitz befindliches Biotechnologieunternehmen in Schlieren. Zudem ist er Präsident der Bio-Technoparks in Schlieren, VR-Mitglied der EvalueScience AG und Stiftungsrat der Dr. Eric Slack-Gyr-Stiftung.

ETH baut für 130 Millionen ein «Gesundheitsinstitut»

Obwohl Hafen vom SNF zurückgepfiffen wurde, ist seine PR-Offensive wohl eingebettet in die wissenschaftliche Gemeinschaft und die Pharmaindustrie. Zur Zeit baut die ETH in Zürich für 130 Millionen eine sogenannte «Life Science Plattform». Darin soll ein neues «Institut für Molekulare Gesundheitswissenschaften» einziehen. Hinter der schönen Formulierung versteckt sich nichts anderes als ein Forschungsinstitut für die Personalisierte Medizin.

Im Werbeprospekt heisst es vielversprechend: «Um Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Alzheimer oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wirksam bekämpfen zu können, ist es wichtig, die zugrundeliegenden molekularbiologischen Prozesse und Einflussfaktoren zu kennen. Darauf basierend können Medikamente gezielt auf Patienten zugeschnitten und diese durch die personalisierte Therapie besser und mit weniger Nebenwirkungen behandelt werden.»

Roche zahlt 4,5 Millionen an das neue ETH-Forschungsinstitut

An der Forschung des neuen ETH-Instituts ist auch die Pharmaindustrie brennend interessiert. Der Pharmakonzern Roche zahlt 4,5 Millionen an einen Lehrstuhl für Personalisierte Medizin und an ein entsprechendes Forschungsprogramm. Gleichzeitig hat Roche eine Übernahmeofferte in Höhe von 5,7 Milliarden Dollar an die amerikanischen Gentech-Firma Illumina angekündigt, welche sich auf die Gen- Sequenzierung spezialisiert hat.

In der Pharmaindustrie und den verwandten Wissenschaftlern ist eine wahre Goldgräberstimmung ausgebrochen. Anfang 2011 kaufte der Pharmakonzern Novartis die US-Firma Genoptix für 470 Millionen und Roche hatte im Jahr 2009 sogar 47 Milliarden Dollar für die US-Biotechfirma Genentech auf den Tisch geblättert.

«PR-Strategie von Pharmaindustrie und interessierten Wissenschaftlern»

Während die Personalisierte Medizin in der Schweiz bisher auf wenig öffentliche Kritik stiess, erschienen im deutschen Spiegel und in der Süddeutschen Zeitung herbe Attacken (siehe Links unten am Schluss des Artikels). In der Süddeutschen Zeitung war von einer «Mogelpackung» die Rede. Bei der Personalisierten Medizin gehe es «um eine PR-Strategie von Pharmaindustrie und interessierten Wissenschaftlern». Zudem gaukle die Personalisierte Medizin ein intensives Arzt-Patienten-Verhältnis vor, geprägt von Respekt und Verständnis.

«Doch das Gegenteil sei der Fall», zitiert die Süddeutsche das Canadian Medical Association Journal: «Es geht bei der personalisierten Medizin um hochtechnisierte Forschung, um Gene, Proteine und den Zellstoffwechsel. Hier werden die Patienten in die Irre geführt.» Es würden falsche Hoffnungen geweckt, so das Journal weiter: «Wir sollten nicht damit rechnen, dass die großen Volksleiden bald besiegt werden. Dazu ist das Wechselspiel zwischen Genen, Proteinen, dem Stoffwechsel und Myriaden von Umwelteinflüssen viel zu komplex.»

«Ähnlich wie die Teflonpfanne die bemannte Raumfahrt gerechtfertigt hat»

Im Spiegel-Artikel kommt der Berliner Onkologe Wolf-Dieter Ludwig, der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, ausführlich zu Wort. Für ihn ist die Personalisierte Medizin «Geldverschwendung» und weckt «falsche Hoffnungen». Laut Ludwig wäre es besser, das viele Geld für eine bessere Schmerztherapie oder für eine bessere Versorgung zu Hause einzusetzen, damit Tumorpatienten nicht im Krankenhaus sterben müssen.

Für Bärbel Hüsing, Leiterin des Bereichs Biotechnologie am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, ist die Personalisierte Medizin ein «PR-Kampfbegriff». Wer diesen erfunden habe, dem könne man nur gratulieren. Und sie fährt in ihrer Kritik fort: «Das ist kein Paradigmenwechsel. Das gibt das Thema überhaupt nicht her. Aber es eignet sich sehr gut dazu, die riesigen Investitionen, die in die Genomik geflossen sind, vor Lieschen Müller zu rechtfertigen – ähnlich wie die Teflonpfanne die bemannte Raumfahrt gerechtfertigt hat.»

Experten-Kritik an der abgebrochenen Herceptin-Studie

Dieser Sicht widerspricht im Spiegel Hagen Pfundner, der Geschäftsführer von Roche Pharma in Deutschland, vehement und verweist auf das Brustkrebs-Wundermittel Herceptin. Er bezeichnet es als eine «unglaubliche Erfolgsstory» und als «Urknall der personalisierten Medizin». In einer Teststudie über zwei Jahre schnitt das Herceptin relativ gut ab. Doch dann wurde die Studie abgebrochen und dadurch eine Aussage über die Überlebensdauer verhindert.

Der Onkologe Wolf-Dieter Ludwig kritisierte dieses Vorgehen und folgerte, dass so kein sauberer Vergleich möglich sei: «Man weiß also gar nicht, ob Herceptin das Leben langfristig spürbar verlängern kann.». Es ist also auch möglich, dass durch das Mittel das Krebswachstum nur vorübergehend gebremst wird, um dann umso heftiger fortzuschreiten. Eine Herceptin-Behandlung kostet im Jahr rund 50 000 Franken.

Wundermittel Erbitux ist auch nicht das Gelbe vom Ei

Auch das Darmkrebs-Mittel Erbitux wird von der Pharmabranche als Wundermittel angepriesen. Doch laut Studie, welche 2009 im «New England Journal of Medicine» erschien, überlebten Patienten mit einer normalen Chemotherapie im Durchschnitt 21 Monate, mit zusätzlich Erbitux waren es 25 Monate. Kritiker reden von einer verlängerten Leidenszeit, denn Erbitux habe noch viel unangenehmere Nebenwirkungen als die Chemotherapie allein.

Bei solch kleinen «Erfolgen» kann wahrlich nicht von einem «Urknall der personalisierten Medizin» gesprochen werden. Eine Jahresbehandlung mit Erbitux kostet rund 75 000 Franken. Bei allen Unsicherheiten, welche in der Personalisierten Medizin stecken, eines ist sicher: Die Gesundheitskosten würden massiv steigen. Zur Freude der Pharma-Konzerne und deren Aktionäre.

Endet die Personalisierte Medizin wie die Somatische Gentherapie?

Aber wahrscheinlich wird es der Personalisierten Medizin so ergehen, wie der Somatischen Gentherapie, welche in den 90er Jahren einen wahren Forschungsboom verursachte, begleitet von grossartigen Versprechungen in den Medien und von hektischen Börsenspekulationen. Dabei werden Gene oder Genfragmente in Körperzellen (nicht Keimzellen) übertragen, mit der Absicht eine Krankheit zu behandeln oder dem Ausbruch einer Krankheit vorzubeugen, beispielsweise Erbkrankheiten wie Muskeldystrophie oder erblich vorbelastete Krankheiten wie Krebs.

«Es war zu viel Geld und zu viel wirtschaftliches Interesse im Spiel.»

Nach 20 Jahren Forschung und unzähligen Rückschlägen schaffte noch kein einziges Medikament die Zulassung der Behörden, wie Sandro Rusconi im vergangenen Dezember an einer Veranstaltung der Akademien der Wissenschaften Schweiz bestätigte. Rusconi war von 1996 bis 2002 Leiter Forschungsprogramms 37 «Somatische Gentherapie» des Nationalfonds.

In seinem Referat verwies er auf die «naive Vorstellungen am Anfang der 90er Jahren», inbesondere auf «aggressive Finanz-Spekulationen, mittelfristig kaum haltbare Versprechungen, Presse-Konferenzen anstatt Zeitschrift-Veröffentlichungen und die Neigung zur Extremen Spektakularisierung der Medien». Und Rusconi schlussfolgerte: «Es war zu viel Geld und zu viel wirtschaftliches Interesse im Spiel.»


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2 Meinungen

  • am 13.02.2012 um 12:08 Uhr
    Permalink

    Wenn ich die «Echo der Zeit"-Sendung von Anfangs Februar noch richtig im Ohr habe, hatte der Nationalfonds das Projekt von Professor Hafen bereits zur Unterstützung frei gegeben, als in der betreffenden Sendung kritische Fragen gestellt wurden. Es ging um Personen die Hafen in seiner Angabe als Referenzen angeführt hatte, ohne deren Einverständnis einzuholen. Ich erinnere mich, dass der SNF-Präsident Imboden in der Sendung sich positiv zur Vergabe der Fördermittel für Hafens Projekt äusserte.
    Die entgangenen 135 000 Franken Fördergeld werden die Projektinitianten kaum wirklich schmerzen. Was aber weh tun dürfte ist der Wegfall des erhofften medienwirksamen Vertrauensvorschusses vom Nationalfonds. Dass der SNF drauf und dran war, diesen blauäugig einer so fragwürdigen Pharma-PR-Kampagne zu verschenken. ist bedenklich

  • Portrait_Marcel1
    am 14.02.2012 um 15:08 Uhr
    Permalink

    Markus Seger erinnert richtig, und der SNF kommt im Beitrag von Kurt Marti zu gut weg: Der SNF hatte 135000 Fr. für das Projekt bewilligt, offiziell am 23. Januar (eine Tag nach dem NZZ-am-Sonntag-Artikel). Er legte es aber auf Eis, nachdem Radio-DRS-Redaktor Christian Heuss aufgedeckt hatte, dass Hafen im Gesuch ein fiktives Advisory Board aufgeführt hatte. Dann zog Hafen das Gesuch zurück. erst im Nahhinein fand der SNF nun auch kritische Worte zum Gesuch, das doch von Anfang an als PR-Aktion zu erkennen gewesen wäre. Pikantes Detail: Im Komitee des SNF, das das Geld sprach, saß als einer von sieben Mitgliedern Gerd Folkers vom Collegium Helveticum, der auch in Hafens Projektgruppe sitzt.

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