HIrslanden_Zrich_Renner

Aderlass von Hilfspersonal ausgeführt, als Arztleistung verrechnet © Montage is

Lukratives Geschäftsmodell in einem Privatspital

Christian Marti /  Wie ein Arzt, Professor und Partner der Zürcher Hirslanden-Klinik das Tarifsystem zu seinem Vorteil ausnutzt.

Red. Als Allgemeinmediziner in der Zürcher MediX Gruppenpraxis stiess Christian Marti bei der Kontrolle von Spitalrechnungen seiner Patienten auf den Fall einer krass überzogenen Rechnung. Der Beleg-Arzt der betroffenen Hirslanden-Klinik zeigt kein Einsehen, was darauf hinweist, dass solche regelwidrigen Abrechnungen in diesen Privatspitälern gang und gäbe sind. Diese Spitäler lassen ihre Ärzte offensichtlich unkontrolliert abrechnen und setzen damit ihr Image aufs Spiel.
Behandlung durch Hilfspersonal
Als Mitglied eines Ärztenetzes, das eine gewisse Budgetmitverantwortung trägt, kann ich bei Bedarf praxisexterne Leistungsabrechnungen, die meine Patienten betreffen, einsehen. Dabei ist mir kürzlich die Abrechnung für eine Aderlass-Behandlung an der Zürcher Hirslanden-Klinik aufgefallen. Darum habe ich den Patienten, der an einer Eisenspeicherkrankheit leidet, kontaktiert und von ihm erfahren, dass

  • die gesamte Aderlassprozedur kaum je länger als eine halbe Stunde dauert;
  • der ärztliche Kontakt zwischen dem behandelnden Hämatologieprofessor Christoph Renner und dem Patienten jeweils eher 5 als 10 Minuten dauert;
  • die Aderlässe ausnahmslos durch medizinisches Hilfspersonal durchgeführt werden.

Belege der Abrechnungen
Den Abrechnungsbelegen dagegen ist zu entnehmen, dass systematisch

  • ein Mehrfaches der Konsultationszeit des Arztes und deutliche längere Überwachungszeiten durch das Fachpersonal verrechnet wurden als sie den Angaben des Patienten entsprechen;
  • bei jedem Aderlass, das heisst ein- bis zweimal pro Monat, mehrere Laborpositionen verrechnet wurden, die sich ausnahmslos im Normbereich bewegen und keinerlei Bedeutung für die Behandlung haben;
  • die Tarifposition Aderlass durch den Facharzt verrechnet wurde, was nur dann erlaubt ist, wenn dieser durch den Facharzt persönlich durchgeführt wird.

Was mir wie Betrug und Mengenausweitung erscheint, rechtfertigt Hirslanden-Arzt Christoph Renner in einer schriftlichen Stellungnahme damit, dass er am Vortag des Aderlasses die Verordnung nochmals überprüfe. Am Tag der Behandlung finde «eine vorbereitende Sitzung mit dem Pflegepersonal» statt, wo «jeder Fall nochmals einzeln diskutiert und die Massnahmen im Team abgesprochen werden». Am Abend würden die Blutwerte dann von Pflege und Arzt kontrolliert und diskutiert.

Schutzbehauptung oder illegale Absprache

Aderlass ist eine banale, seit Jahrhunderten praktizierte Massnahme – und risikolos bei einem kreislaufgesunden Mann mittleren Alters. Technisch entspricht der Ablauf heutzutage genau demjenigen beim Blutspenden. Der hier beschriebene, bzw. behauptete und verrechnete Aufwand ist grotesk, ineffizient und führt insgesamt zu einer Verdoppelung der Kosten.
Ein beträchtlicher Teil davon müsste korrekterweise als «ärztliche Leistung in Abwesenheit des Patienten» und nicht als Konsultations- und Überwachungszeit abgerechnet werden.
Die Tarifposition «Aderlass durch den Facharzt» darf nicht verrechnet werden, wenn dieser durch eine Hilfsperson durchgeführt wird. Das hat auch der Tarifdienst der FMH schriftlich bestätigt.
Im Widerspruch dazu behauptet Professor Renner, dass diese Verrechnung «sowohl in Übereinstimmung mit internen und externen Kollegen als auch mit onkologischen Fachgruppen» korrekt sei, weil diese Therapie «vom Facharzt indiziert, überwacht und letztendlich verantwortet» werde.
Das riecht entweder nach einer Schutzbehauptung oder nach illegaler Absprache.
Lukratives Geschäftsmodell mit wenig Risiken

Der schriftliche Rechtfertigungsversuch für diese Leistungsabrechnung zeigen Elemente eines ebenso lukrativen wie unlauteren, aber risikoarmen Geschäftsmodells:

  1. Verrechnung nicht erbrachter Leistungen: im Beispiel wird die pflegerische Handlung Aderlass als teurere ärztliche Leistung abgerechnet. Die verrechneten Konsultations- und Überwachungszeiten überschreiten den effektiven Zeiteinsatz bei weitem;
  2. Mengenausweitung: im Beispiel die engmaschigen, umfangreichen aber bedeutungslosen Laborkontrollen;
  3. die Dramatisierung des Banalen: im medizinischen Alltag ist sie allgegenwärtig.

Viele Leistungserbringer fördern sie nach Kräften durch Übertreiben von Risiken und Chancen. Dies begünstigt nicht nur übertriebene Erwartungen, sondern auch Verunsicherung und Angst bei den Laien (die man postwendend als begehrlich beschimpfen kann). Eine schmerzhafter Insektenstich, ein kleine Marsch- oder Brandblase, eine leichte Erkältung oder eine flüchtige Befindlichkeitsstörung führt umgehend zum Arzt – oft als Notfall. Und aus einer simplen venösen Blutentnahme (Aderlass) und der Interpretation eines Eisenwertes entwickelt sich in Spezialistenhänden eine Aufgabe, die Spezialist und Patient einem Hausarzt kaum mehr zuzutrauen.

Krankenkassen weitgehend auf verlorenem Posten

Dieses Geschäftsmodell ist nahezu risikolos, denn die Krankenversicherungen sind diesen Mechanismen aus folgenden Gründen weitgehend ohnmächtig ausgeliefert:

  • Die Verrechnung nicht erbrachter Leistungen wird selten entdeckt. Am ehesten könnte dies noch der Patient, falls er überhaupt noch eine Rechnungskopie zu Gesicht bekommt und die Rechnung auch interpretieren könnte.
  • Mengenausweitung eines einzelnen Arztes ist für die Krankenversicherung nur erkennbar, wenn er sie in grossem Stil betreibt. Ganz verborgen bleibt sie, wenn sich ganze Gruppen von Leistungserbringer auf eine selbstherrliche Tarifauslegung einigen.
  • Die Dramatisierung des Banalen, oft unter dem Mäntelchen des medizinischen Fortschrittes, ist das grösste Problem, weil sie zunehmend Bestandteil des medizinischen Alltags wird. Die weitere Vertiefung dieses Themas würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Weil das Risiko erwischt zu werden minim ist, sollten Sanktionen umso schmerzhafter sein. Es sollte z.B. die Möglichkeit geschaffen werden, spätestens im Wiederholungsfall den Fehlbaren eine Karenzzeit aufzuerlegen, während welcher sie keine Leistungen zu Lasten der Sozialversicherungen abrechnen dürfen.

Verrechnete Kosten doppelt so hoch wie bei einem Hausarzt

Beschrieben wurde hier der Einzelfall eines Arzt-Kollegen, der eindeutig falsch und zuviel abrechnet. Aus seiner Sicht scheint es so, dass eine einfache Aderlass-Behandlung bei einem weitgehend gesunden Menschen ihm einen derart grossen intellektuellen und logistischen Aufwand abverlangt, dass die Behandlung am Ende doppelt so viel kostet wie bei einem Hausarzt. Dieser Einzelfall erlaubt natürlich keine Rückschlüsse darauf, wie gravierend oder wie marginal die geschilderte Problematik für das Gesamtsystem ist.
Wo wir Ärzte nicht nur Einsicht in die medizinische Problematik, sondern auch in die zugehörigen Leistungsabrechnungen haben, z.B. in Budgetmodellen, sollten wir bei Auffälligkeiten hinschauen statt wegschauen und den Kollegen Feedback geben und Auskunft verlangen. Wo die Abrechnungen trotzdem nicht nachvollziehbar bleiben, sollten wir sie aus dem Netz ausschliessen.
Zuweisungen an netzexterne Kollegen, die das System trotz Feedback mit eindeutiger Mengenausweitung oder gar Verrechnung nicht erbrachter Leistungen zu Ader lassen, sollten ebenso obsolet sein wie Zuweisungen an fachlich zweifelhafte Kollegen.

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Dieser Beitrag erschien ohne Namensnennungen in der Schweizerischen Ärztezeitung 2018;99(4):116-117


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Christian Marti ist Facharzt für allgemeine Innere Medizin. Er ist Verwaltungsratspräsident der Gruppenpraxis MediX in Zürich.

Zum Infosperber-Dossier:

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7 Meinungen

  • KarlKlingler1
    am 7.02.2018 um 16:07 Uhr
    Permalink

    Präzise Recherche ist ein unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. So will es der Pressekodex. Doch ausgerechnet der «Infosperber» veröffentlicht Behauptungen, die sich bei sorgfältiger Recherche als falsch erwiesen hätten. Deshalb bitte ich den Autor des oben erwähnten Artikels und die Redaktion, unverzüglich den Titel des Beitrages und den einführenden Text der Redaktion wie folgt und in angemessener Weise richtigzustellen.
    Der Autor des oben erwähnten Beitrages ist als betreuender Hausarzt des beschriebenen Patienten und als Verwaltungsrat der Medix-Praxisgruppe nicht unabhängig – aber er hätte wissen können, dass er die Fakten nicht korrekt darstellt: Er hat nicht verstanden, dass der Arzt, den er angreift, kein Angestellter der Klinik Hirslanden ist und diese Auseinandersetzung über Tariffragen gar nichts mit der Klinik Hirslanden zu tun hat. Gemäss dem Titel des Artikels stehen nun alle Ärzte, die ein selbstständiges Praxiszentrum mit dem Namenszusatz Hirslanden an der Klinik Hirslanden betreuen, im Ruch des Betrügers. Weil sie auch auf mich und unser selbstständiges LungenZentrum an der Klinik Hirslanden einen Schatten werfen, den wir nicht zu verantworten haben. Ich verlange, dass diese Behauptungen in angemessener Weise richtiggestellt werden.
    Dr. med. Karl Klingler

  • am 7.02.2018 um 16:45 Uhr
    Permalink

    Zitat: «Wir haben eine physiologische Funktionsstörung erzeugt. Wir haben die Fähigkeit zur Selbstregulierung auf allen gesellschaftlichen Ebenen verloren.» (Peter Whybrow: Wenn mehr nicht genug ist – Analyse einer gierigen Gesellschaft, 2007 – Zitat aus der Kurzfassung des Buches von Christoph Pfluger
    Dies gilt Notabene für alle Geschellschaftsschichten – für Ärzte genauso wie für Patientinnen usw.
    Solange, bis wir begriffen haben, wie destruktiv der Kapitalismus sich inzwischen auswirkt und somit bereit sind für den Postkapitalismus.

  • am 7.02.2018 um 17:12 Uhr
    Permalink

    Ich gratuliere Dr. med. Christian Marti für das Aufdecken dieses lukrativen Geschäftsmodell in der Hirslanden Klinik, einer eigentlichen Geldmaschine, die vorzugsweise Privatpatienten prioritär ausnimmt. Ich denke, der Patient hat die Pflicht der sorgfälltigen Klinikwahl und der Rechungskontrolle, soweit ihm dies möglich ist. Martin A. Liechti, Maur

  • am 8.02.2018 um 08:45 Uhr
    Permalink

    Zu Karl Klingler, Lungenzentrum!
    Klingler Sie unterschlagen dass die Klinik Hirslanden an diesem System partizipiert und damit Gewinn an die südafrikanischen Investoren liefern kann. Kommt noch dazu dass Hirslanden auf der Spitalliste des Kantons Zürich ist und somit von den Steuerzahlern profitiert, obwohl Hirslanden nicht alle Anforderungen erfüllt! Dank dem FDP RR Heiniger! Dass Sie Klingler, noch solche Praktiken verteidigen zeigt wie krank unser Gesundheitssystem ist!

  • am 8.02.2018 um 09:22 Uhr
    Permalink

    @Klingler. Wir haben im fett gesetzten Lead gleich am Anfang korrekt informiert, dass es sich beim Arzt um einen «Partner» der Hirslandenklinik handelt. Er nennt sich selber so. «Partner» sind Belegärzte, welche die ganze Infrastruktur des Spitals nutzen. Selten halten sie sogar Hirslanden-Aktien, was aber nicht transparent gemacht wird. – Aufgrund Ihrer Reaktionen haben wir den Titel «Lukratives Geschäft eines Privatspitals» geändert in «Lukratives Geschäft in einem Privatspital». Offensichtlich lassen Hirslandenspitäler ihre Belegärzte unkontrolliert abrechnen. Sie setzen so das Image ihres Namens «Hirslanden» aufs Spiel – und damit das Image anderer Partner-Ärzte.

  • am 12.02.2018 um 21:58 Uhr
    Permalink

    Hallo,
    Ich bin zwar keine Fachperson dennoch weiß ich aus eigener Erfahrung, dass ein Aderlass relativ billig ist, daher meine Frage, wie hoch denn der nun entstandene „Schaden“ sich beziffert. Habe das mal selber hochgerechnet und komme auf 10 Franken Unterschied zwischen einem von Hilfspersonal durchgeführten und von einem Facharzt durchgeführten Aderlass (Preise aus Internetquellen) bei diesem Preisunterschied finde ich so eine große Diskussion für sehr sehr fragwürdig.

  • am 13.02.2018 um 11:25 Uhr
    Permalink

    @Weber. Wenn der Aderlass durch das Pflegepersonal durchgeführt wird, ist er in der verrechneten Betreuungszeit inbegriffen. Laut schriftlicher Aussage des Patienten betrug der Kontakt mit dem Arzt kaum mehr als 5 Minuten, verrechnet wurde regelmässig eine Mehrfaches. Es wurde auch eine längere Überwachungszeit durch das Personal verrechnet als die Zeit, während welcher der Patient im Behandlungsraum war.
    Dazu kamen regelmässig Laboranalysen, die überflüssig sind.
    So kostete ein einziger Aderlass à la Hirslanden rasch 240 CHF oder mehr – gegenüber 120 CHF oder weniger in der Hausarzt-Gruppenpraxis.

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