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...tolle Geschäftsidee in einer Zeit, in der so viele Menschen übergewichtig sind... © Pixabay

Genetic Counselling: Gespräche statt Prozentzahlen

Franziska Meister /  «Was sollen die Leute mit diesen Zahlen?», fragt die Humangenetikerin Sabina Gallati, von Franziska Meister zu Gentests befragt.

Franziska Meister (Woz): Frau Gallati, in der Medizin herrscht eine grosse Big-Data-Euphorie. Wissenschaftler rufen alle Menschen dazu auf, ihr Genom sequenzieren, also ihre gesamte Erbinformation entschlüsseln zu lassen und diese Daten der Forschung zur Verfügung zu stellen. Krankheiten sollen so besser verstanden und schneller geheilt werden können. Teilen Sie diese Euphorie?

Sabina Gallati: Natürlich gewinnt man durch das Sammeln und Vergleichen verschiedener Daten immer mehr Erfahrung, da stehen wir erst ganz am Anfang. Grundsätzlich wird aber mit solchen Gentests zu viel Hoffnung geschürt. Man erhält durch das Sequenzieren des gesamten menschlichen Genoms zwar eine Unmenge an Informationen, ist aber noch kaum in der Lage, diese auch zu interpretieren. Da besteht aktuell eine gigantische Lücke, zumal man noch weit davon entfernt ist, von allen Genen die Funktion zu kennen.

«Das ist genau das Unangenehme an diesen Tests;
dass man nur mit Risiken arbeiten kann»

Wie kommen denn solche Gentests zu Aussagen über ein Krankheitsrisiko, das sie auch noch in konkreten Prozentzahlen ausdrücken?

Das ist genau das Unangenehme an diesen Tests: dass man nur mit Risiken arbeiten kann. Sie konzentrieren ihre Analysen auf Varianten, sogenannte Snips, die aufgrund von genomweiten Assoziationsstudien erhoben worden sind, in denen man bei kranken Menschen ein gehäuftes Auftreten dieser Snips im Vergleich zur gesunden Bevölkerung festgestellt hat (siehe auch «Gentests, Mutationen und das Recht auf Nichtwissen» auf Infosperber). Aber damit hat man noch nicht die primär krankheitsverursachenden Varianten identifiziert, sondern lediglich solche, die dazu beitragen können. Darin liegt der zentrale Unterschied zu unserer Diagnostik im Spital: Wir konzentrieren uns auf die primär krankheitsverursachenden Varianten. Finden wir Mutationen, können wir auch gesicherte Aussagen zum Risiko einer Erkrankung machen.

Gibt es aus Ihrer Sicht als Humangenetikerin medizinische Gründe, die ein Screening des gesamten Genoms ratsam erscheinen lassen?

Aktuell wird das in der Diagnostik noch gar nicht gemacht, sondern erst auf Forschungsebene – zum Beispiel, um neue Gene zu finden. Wenn wir Gentests durchführen, widmen wir uns mehrheitlich Eigenschaften, von denen man weiss, dass sie von einem einzelnen Gen verursacht werden, allenfalls von zwei oder drei Genen. Was darüber hinausgeht, lässt sich noch kaum interpretieren. Dabei konzentrieren wir uns vor allem auf Exoms oder klinische Exoms.

Was sind denn Exoms?

Als Exom bezeichnet man die kodierenden Abschnitte des Genoms, jene Sequenzen also, von denen man weiss, dass sie eine Funktion besitzen. Klinische Exoms umfassen nur jene Sequenzen eines Exoms, die mit einer bestimmten Krankheit assoziiert werden. Selbst auf diesen kleinen Ausschnitten findet man noch sehr viele Varianten respektive Mutationen, von denen man nicht weiss, was für eine klinische Bedeutung sie haben. Aber dank der Fokussierung auf solche Exoms ist die Chance grösser, dass gefundene Mutationen auch eine gewisse klinische Relevanz besitzen.

Je breiter man sucht, desto unklarer werden die Befunde»

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Nehmen wir Brustkrebs: Da sequenzieren wir die beiden Gene BRCA1 und BRCA2 komplett durch. Dadurch erfassen wir 99,9 Prozent aller Varianten, die in den kodierenden Sequenzen vorkommen. Finden wir dort nichts, können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschliessen, dass die Frau ein Brustkrebsrisiko besitzt, das durch eine Mutation im BRCA1- oder BRCA2-Gen verursacht wird. Umgekehrt bedeutet das auch: Wenn wir eine Mutation finden, dann können wir als nächsten Schritt eine zuverlässige Abklärung von Familienmitgliedern anbieten bezüglich dieser Mutation und diesen dann sagen, ob sie die Mutation geerbt haben oder nicht.

Nun gibt es aber noch eine ganze Reihe weiterer Gene, die ebenfalls zu einem erhöhten Brustkrebsrisiko beitragen.

Das stimmt. Wir können deshalb statt Einzelgenanalysen die Untersuchung eines klinischen Exoms anbieten – dies umfasst aktuell mehr als 6000 Gene –, und dann filtern wir auf Gene, die bislang im Zusammenhang mit Brustkrebs beschrieben worden sind – das sind dann vielleicht noch 15 Gene. Mit diesem Verfahren ist aber die Wahrscheinlichkeit gross, dass man Varianten findet, von denen man nicht sagen kann, ob sie tatsächlich krankheitsverursachend sind oder ob es sich lediglich um gutartige Mutationen handelt. Je breiter man sucht, desto unklarer werden die Befunde.

Und wie kommunizieren Sie das?


Sabina Gallati, Humangenetikerin

Es ist so: Finden wir bei einer Frau nichts, so sagen wir, dass wir deshalb noch nicht ausschliessen können, dass nicht in einem anderen Gen, das wir nicht untersucht haben oder das man noch gar nicht kennt, eine Mutation vorliegt. Aber wir können ihr unter Umständen mitteilen, dass sie aufgrund unserer Untersuchung kein höheres Brustkrebsrisiko hat als die Gesamtbevölkerung. Wenn man, wie in diesen anderen Tests, eine Prozentzahl angibt, also zum Beispiel ein 4,5-fach erhöhtes Risiko, dann bezieht sich auch diese Zahl immer auf einen Vergleich mit der allgemeinen Bevölkerung.

Was bedeutet dieses viereinhalbmal so grosse Risiko?

Das ist genau der Punkt: Was sollen die Leute mit diesen Zahlen anfangen? Dies verdeutlicht, wie dringend man ein Gespräch benötigt, um solche Befunde überhaupt für sich persönlich einordnen zu können. Menschen sind sehr unterschiedlich: Für die eine Person ist eine solche Zahl enorm hoch, eine andere sieht darin ein kleines Risiko, das sie nicht sonderlich beunruhigt.

«Er muss sich dazu äussern können,
was er selber überhaupt wissen will»

Sie finden es also fahrlässig, wenn man – wie es im Internet möglich ist – einfach seine Speichelprobe einschickt und dann völlig unvorbereitet mit einem solchen Analyseresultat konfrontiert wird?

Absolut! Wenn jemand eine genetische Untersuchung machen will – egal ob es dabei nur um ein Gen oder um das gesamte Genom geht –, muss er vorher beraten werden. Er muss wissen, was auf ihn zukommt, wie zuverlässig die ermittelten Daten sind und was man auf der Basis solcher Daten überhaupt aussagen kann und was nicht. Und er muss sich dazu äussern können – und zwar, bevor man die Untersuchung macht –, was er selber überhaupt wissen will.

Für sogenannte Lifestyle-Gentests, die etwa die ideale persönliche Diät bestimmen wollen, soll aber auch in Zukunft keine Beratung notwendig sein.

Also, solche Gentests sind natürlich eine tolle Geschäftsidee in einer Zeit, in der so viele Menschen übergewichtig sind. Solchen Ideen wird auch das Gesetz, das gerade im Parlament verhandelt wird, keinen Riegel schieben. Aber man muss meiner Meinung nach Mittel und Wege finden, um die Öffentlichkeit besser zu informieren, was Gentests bedeuten, was sie leisten, was nicht, wo die Risiken liegen und was eine genetische Beratung alles bieten kann. Man darf auch nicht vergessen: Nicht jede Beratung endet mit einer genetischen Analyse. Manche Menschen entscheiden sich aufgrund einer Beratung auch gegen eine genetische Untersuchung.

Braucht es also eine unabhängige Beratungsstelle?

Ja, das wäre sinnvoll. Wobei diese Beratung unbedingt im persönlichen Kontakt und nicht nur telefonisch erfolgen muss. Denn häufig kommen die Leute erst im Gespräch auf zusätzliche Fragen. Darüber hinaus müsste man unbedingt auch gezielt Leute für eine solche Beratung ausbilden. Wie überhaupt alle Fachpersonen, die irgendwo mit genetischen Tests in Berührung kommen – also zum Beispiel Hausärzte –, viel besser in Genetik geschult werden sollten. Eigentlich plädiere ich für eine neue Ausbildung in genetischer Beratung: Genetic Counselling.

Dieser Text erschien erstmals in der Wochenzeitung.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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