Gekaufte Mutterschaft – ein international florierendes Geschäft
(Red. Der hier folgende Artikel wurde zuerst in der Zeitschrift «Blätter für deutsche und internationale Politik» veröffentlicht. Weitere Infos dazu am Schluss des Artikels.)
Sie wird als «Publikums-Event für alternative Familienplanung» und «das Elternwerden» angepriesen: Mitte Oktober findet in Köln zum dritten Mal in Deutschland eine Kinderwunsch-Messe der Fortpflanzungsindustrie statt. Dort stellen reproduktionsmedizinische Anbieter aus dem In- und Ausland alles aus, was technisch möglich ist, um Menschen ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Eine Heerschar von Klapperstörchen und Luftballons in Spermienform verniedlicht allerdings, worum es den Unternehmen dabei geht: ums Geschäft. Und dieses Geschäft mit Wunschkindern floriert, transnational.
Auf der Nachfrageseite ist die treibende Kraft der Wunsch, ja das Begehren von hetero- und homosexuellen Menschen, von Paaren und Singles nach einem Kind, genauer: nach einem biologisch «eigenen» und zugleich gesunden Kind. Die Angebotsseite – bei den Messen repräsentiert durch «weltweit führende Experten» – bemüht sich, dieses Begehren durch Behandlungsmethoden und Reproduktionstechnologien zu lenken und den Handel mit Körpermaterialien – Samen- und Eizellen –, entsprechendem Wissen und Dienstleistungen weiter anzukurbeln. Dabei verbinden lokale und transnationale Vermittlungsagenturen die Wunscheltern mit Samen- und Eizellbanken, mit Logistikunternehmen und ihren Kühlketten, mit professionellem Personal und einem Pool von Leihmüttern in Kliniken im Ausland, mit Rechtsanwaltspraxen, die zur staatsbürgerlichen Legalisierung des Neugeborenen beraten, mit der Pharmaindustrie und Touristikunternehmen – kurzum: mit einem ganzen reproduktionsindustriellen Komplex. [1]
Diese Fortpflanzungsmärkte sind Teil einer wachsenden, höchst profitablen, transnationalen «Bioökonomie», [2] die sich im Spannungsfeld von ethischen Diskursen, staatlichen Verboten, individuellen Kinderwünschen und Geschäftsinteressen immer wieder neue Standorte sucht. Denn während in Deutschland Leihmutterschaft und «Eizellspende» durch das Embryonenschutzgesetz von 1990 verboten sind – nicht aber die Werbung dafür –, ist die Eizellabgabe in Tschechien, Spanien, Polen und neuerdings auch in Österreich erlaubt. Die bei Kinderwunsch-Messen beworbenen Kliniken aus diesen Ländern arbeiten wiederum eng mit Reproduktionszentren in der Ukraine zusammen, wo auch die Leihmutterschaft legal ist. Seit Kurzem hat sich die Ukraine deshalb zum transnationalen Zentrum für Leihmutterschaft entwickelt. Die ukrainischen Paketangebote enthalten vieles, was anderswo verboten ist: keine Altersbegrenzung für die Wunscheltern und eine Geburtsurkunde in deren Namen. Vor diesem Hintergrund ist ein regelrechter «Fruchtbarkeitstourismus» entstanden. Deutsche Auftragseltern stellen dabei nach Italienerinnen und Italienern die zweitgrösste Gruppe von «Fruchtbarkeitstouristen» innerhalb der EU, denn die deutsche Gesetzgebung ist vergleichsweise streng, Reproduktionsmediziner diskreditieren sie mitunter gar als «steinzeitlich».
Zwischen Emanzipation und Ethik: Das gefühlte Recht auf ein Kind
Doch soll alles erlaubt sein, was technisch möglich ist? Seit der Geburt des ersten ausserhalb des Mutterleibes gezeugten Babys 1978 wird die «technische Machbarkeit» von menschlichem Leben in Öffentlichkeit und Ethikkommissionen, unter Feministinnen und Queer-Menschen kontrovers diskutiert. Denn während sich die Palette von Technologien und Therapien ständig erweitert, bleiben die alten Fragen aktuell: Rechtfertigen Werte wie Selbstbestimmung und Wahlfreiheit die teils drastischen Eingriffe in die Natur? Handelt es sich bei den reproduktionstechnischen Möglichkeiten um eine Befreiung von der Natur oder um die Unterwerfung der Menschen unter medizinische Kontrolle und Geschäftsinteressen?
So wenden sich einerseits Feministinnen gegen die wachsende Kontrolle der menschlichen Reproduktion durch Medizinbusiness und Pharmakonzerne, wie etwa das Netzwerk FINRRAGE, Kampagnen wie «No2Eggsploitation» und «Hands Off Our Ovaries» oder der aktuelle Aufruf «Stop Surrogacy Now». [3] Andererseits sehen immer neue soziale Gruppen in der Reproduktionsmedizin Chancen der Befreiung von natürlichen Zwängen und sozialen Normen: Frauen (und Männer) wollen Unfruchtbarkeit überwinden, gleichgeschlechtliche Paare und Singles eine «vollwertige» Familie gründen und Transgender-Personen sich aus binären Geschlechternormen befreien.
Die technischen Möglichkeiten und ihre kommerziellen Anbieter versprechen, dass solche Sehnsüchte eingelöst werden können, und führen damit letztlich zu einem «gefühlten» Recht auf ein Kind. Gleichzeitig erzeugen die Reproduktionstechnologien die Hoffnung auf eine ständige Optimierung der Verfahren und auf ein perfektes Kind, etwa durch Präimplantationsdiagnostik oder das «Social Freezing», das Einfrieren qualitativ hochwertiger Eizellen junger berufstätiger Frauen für den späteren Gebrauch.
Beim nachvollziehbaren Bestreben, sich einen Kinderwunsch zu erfüllen, gerät allerdings eines schnell aus dem Blick: nämlich, dass dieser im Fall von Eizellspende und Leihmutterschaft auf Kosten anderer geschieht. Denn in den transnationalen Reproduktionsmärkten spiegeln sich vielfältige globale Machtverhältnisse und Hierarchien wider: Kaufkräftige Wunscheltern stehen Frauen gegenüber, die oftmals keine andere profitable Einkommensquelle haben, als ihre Eizellen zu verkaufen oder ihren Körper vorübergehend anderen zur Austragung ihres Kind zur Verfügung zu stellen – dabei müssen sich beide Seiten nicht zwangsläufig begegnen. Ein kinderloses Paar kann sich die notwendigen Bioressourcen sogar in verschiedenen Ländern kaufen: Eizellen passend zur eigenen Augen- und Haarfarbe etwa in den USA und eine preisgünstige Leihmutter in einem Land des globalen Südens. Dabei entsteht eine wechselseitige Abhängigkeit in einem asymmetrischen Machtverhältnis. Die schwächsten Glieder in dieser Kette sind zum einen die Eizellgeberinnen, deren nach IQ, Herkunft und Hautfarbe differenzierte Entlohnung hierarchisierende und rassistische Selektions- und Herrschaftsmechanismen reproduziert, zum anderen die Leihmütter – deren Arbeitsbedingungen die Reproduktionsunternehmen bestimmen und damit erhebliche Gewinne erzielen. Das führt zu höchst ungleichen Reproduktionsbedingungen zwischen sozialen Klassen, aber auch zwischen dem Norden und dem Süden. Die transnationalen Reproduktionsmärkte lassen sich deshalb als Teil der «imperialen Lebensweise» der globalen Konsumklassen auf Kosten «anderer» verstehen. [4]
Die Kommerzialisierung biologischer Reproduktion hat zur Voraussetzung, dass Biosubstanzen, Körpermaterialien und körperliche Prozesse aufgespalten und isoliert werden. Nur so können sie warenförmig gehandelt und vermarktet werden, wie beispielsweise die Befruchtung von Eizellen unter Laborbedingungen ausserhalb des Körpers. [5] Dadurch entstehen neue Wertschöpfungsketten sowie neue Arbeitsverhältnisse, die den Marktprinzipien von Effizienz, Konkurrenz und Profit unterliegen.
Kliniken konkurrieren bei der Erfolgsquote von In-Vitro-Fertilisation (IVF) [6] und der nachfolgenden Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter, die im weltweiten Durchschnitt lediglich bei 30 Prozent liegt. Ukrainische Online-Plattformen werben etwa mit differenzierten Paketangeboten und Festpreisen: Die Kunden können sich entscheiden zwischen dem Programm «Garantie» mit «unbegrenzten IVF-Versuchen» mit eigenen Eizellen, dem Programm «Erfolg» mit Fremdzellen und einem IVF-Versuch oder dem Programm «Sieg» mit eigenen Zellen und einem Versuch. Alle zusätzlichen Leistungen – etwa weitere Versuche oder im Falle des mehrmaligen Misserfolgs gar der Rückgriff auf eine Leihmutter – kosten extra. Um die Einnistungschancen des Embryos zu erhöhen, werden den Leihmüttern allerdings nicht nur grosse Mengen von Hormonen verabreicht, sondern beispielsweise in Indien auch drei bis fünf Embryos, manchmal versuchsweise sogar in zwei Leihmütter, gleichzeitig implantiert. Kommt es bei beiden Frauen zur Schwangerschaft oder zu Mehrlingsschwangerschaften, wird die Anzahl der Embryos je nach Wunsch der Bestelleltern «reduziert», oft ohne die Schwangeren angemessen zu informieren. Überdies versuchen die Reproduktionsmediziner die «Qualität des Produkts» durch häufige Ultraschalluntersuchungen und Pränataldiagnostik zu sichern. Genetisch «anormale» und behinderte Föten werden abgetrieben. [7] Denn immer wieder sind Fälle bekannt geworden, in denen die Bestelleltern sich weigerten, ein Baby abzunehmen, das nicht das gewünschte Geschlecht hatte oder am Down-Syndrom litt.
Um das Vordringen von Geschäftemacherei in die private und intime Sphäre der Reproduktion zu rechtfertigen, entstand ein moralisierender Begleitdiskurs, der Werte wie Altruismus und Solidarität unter Frauen sowie eine Ökonomie des Schenkens propagiert. So wird die Eizellabgabe auch deshalb als «Spende» deklariert, weil der Handel mit Eizellen wie auch mit anderen Körperorganen international nicht zulässig ist. Doch der Warencharakter zeigt sich in der Bezahlung der Frauen, die sich der gesundheitlich strapaziösen und mitunter auch riskanten Prozedur der Eizellgewinnung unterziehen. Oder darin, wenn Wunscheltern ein Preisnachlass für eine Leihmutterschaft angeboten wird, wenn sie überschüssige unbefruchtete und befruchtete Eizellen «spenden». Auch die Bezahlung der Leihmutter wird nicht als Lohn, sondern als Kompensation bezeichnet, was letztlich vernebelt, dass es sich bei ihrer Tätigkeit um Lohnarbeit handelt.
Leihmutterschaft als neue reproduktive Arbeit
Dabei ist die Leihmutter die Schlüsselgestalt bei der transnationalen markt- und warenförmigen Organisation des Kinderkriegens. Laut Vertrag mit den Reproduktionsunternehmen tritt die Leihmutter die Kontrolle über ihren Körper während Schwangerschaft und Geburt sowie alle Rechte an dem Embryo ab. Sie wird zur Unternehmerin ihres Körpers, die ihren Uterus für das Austragen eines bestellten Kinds temporär vermietet. Sie muss für viele Transplantationsversuche zur Verfügung stehen und trägt das Risiko misslungener Versuche, von Fehl- oder Totgeburten. Der Löwenanteil der Bezahlung wird erst nach der Geburt des «makellosen» Wunschkindes ausgezahlt.
Es handelt sich also um eine sozial nicht abgesicherte, risikoreiche Auftragsarbeit auf Zeit. Die Leihmutter wird neun Monate lang angehalten, sich einerseits auf das Kind in ihrem Körper emotional wie auf ein eigenes zu beziehen, es jedoch andererseits als Produkt für jemand anderes zu betrachten, damit sie die Trennung von dem Neugeborenen nach der Geburt akzeptiert. Eine Frau wird nur als Leihmutter akzeptiert, wenn sie bereits mindestens ein eigenes Kind hat, damit die emotionale Bindung an das Auftragsbaby nicht zu stark wird.
Die Beweggründe von Frauen, als Leihmutter zu arbeiten, sind äusserst vielfältig. In Indien beispielsweise – bis 2016 eine Drehscheibe für reproduktive Märkte – führt meist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren dazu, dass eine Frau sich zu diesem Schritt entscheidet: Die Rekrutierung durch Reproduktionsunternehmen, der Druck vom Ehemann oder den Schwiegereltern sowie die eigene Überzeugung. Oft lässt sich dabei nicht klar trennen zwischen Freiwilligkeit und Zwang, zwischen Einverständnis und Vereinnahmung. Zentral ist bei vielen die Hoffnung auf ein Einkommen, das fast das Zehnfache des Jahresverdiensts eines Saisonarbeiters in der Landwirtschaft beträgt. Häufig sind die Familien der Leihmütter hochverschuldet und wollen mit dem Einkommen Schulden zurückzahlen.
Einen Aufschwung erlebte das Geschäft mit der Leihmutterschaft während der Weltfinanzkrise in den Jahren 2008 und 2009, als im westindischen Bundesstaat Gujarat viele Männer ihren Job in der Diamantenindustrie verloren und ihre Frauen die lukrative Verdienstquelle nutzten, um die Familien zu ernähren. [8]
Die meisten indischen Leihmütter geben an, dass sie die Arbeit «für die eigenen Kinder» tun, um ihnen eine Ausbildung und bessere Lebenschancen zu ermöglichen. Das bestätigt einmal mehr das in Indien vorherrschende Klischee der sich selbst aufopfernden, dienenden Frau. Doch umgekehrt gewinnen die Frauen durch diese Erwerbstätigkeit an Selbstvertrauen und ein Bewusstsein ihrer Körpermacht. Sie sehen sich selbst als Akteurinnen, wünschen sich Anerkennung und wollen nicht nur als Opfer oder als moderne Sklavinnen gesehen werden.
Während die Auftraggeber Leihmütter oft als Retterin und Heilige idealisieren, werden Leihmütter selbst in Indien mit einem Hurendiskurs konfrontiert, der die Verwertung des eigenen Körpers in die Nähe der Prostitution rückt. Einige erleben bei der Rückkehr in ihr Dorf eine Stigmatisierung durch die Nachbarn oder eine Ablehnung durch den Ehemann, auch wenn dieser der Leihmutterschaft vorher zugestimmt hat.
In Russland und der Ukraine entscheiden sich Frauen eindeutig für die Leihmutterschaft als Einkommenserwerb, in Russland mit dem dominanten Motiv, eine Eigentumswohnung zu kaufen. Während viele der indischen Leihmütter zur ständigen Überwachung in Wohnheimen bei der Klinik untergebracht wurden, wohnen und agieren russische Leihmütter selbstständig und bieten ihre Dienstleistungen selbst online an. In der Ukraine, wo der Markt durch die Wirtschaftskrise in den Jahren 2014 und 2015 in Schwung kam, ist Armut das zentrale Motiv der oft alleinerziehenden Leihmütter. Während viele von ihnen diese Arbeit vor Verwandten und Bekannten verheimlichen, täuschen umgekehrt einige Auftragsmütter in ihren Herkunftsorten eine Schwangerschaft mit aufblasbaren Bäuchen vor.
Ein Markt in Bewegung
Während die Leihmütter also zumeist aus ökonomischen Motiven handeln, manövrieren Staaten vor allem zwischen gesellschaftlich vorherrschenden medizinethischen Positionen, den Wünschen ungewollt kinderloser Paare sowie den Standortinteressen der Reproduktionsmedizin und entsprechend zwischen Regulierung, Zulassungen und Verboten. Dadurch ist eine transnationale Topographie von Erlaubtem und Verbotenem entstanden, die Reproduktionsunternehmen wie auch Fruchtbarkeitstourismus fördert oder begrenzt und sich je nach den biopolitischen Entscheidungen einzelner Staaten ständig verändert.
Als etwa in den 1980er Jahren in den USA – dem Ursprungsland der kommerziellen Leihmutterschaft – zwei Leihmütter, die für die künstliche Befruchtung eigene Eizellen bereitgestellt hatten, vertragswidrig in Gerichtsverfahren die von ihnen ausgetragenen Kinder nach der Geburt für sich beanspruchten, wurde die sogenannte gestationale Leihmutterschaft entwickelt: Dabei stammt die Eizelle nicht von der Leihmutter, so dass diese nicht genetisch mit dem Kind verwandt ist.
Die reproduktionsindustriellen Geschäftemacher bauen angesichts des sich stetig verändernden rechtlichen Umfelds immer neue Verbindungen und Standorte auf. Ein Beispiel dafür ist Asien, wo Marktakteure wie auf einem Schachbrett verlagert und verschoben werden. Fünfzehn Jahre lang war Indien eine Drehscheibe für reproduktive Märkte, vor allem für Leihmutterschaft, weil die Preise weniger als halb so hoch waren als in den USA, das medizintechnische Niveau exzellent ist und die staatliche Regulierung minimal war. Als die hindu-chauvinistische Regierung unter Narendra Modi 2014 ein Verbot der kommerziellen Leihmutterschaft ankündigte, wurden viele Leihmütter nach Nepal, Thailand und Kambodscha transferiert. Doch nach verschiedenen Skandalen, als bekannt wurde, dass indische Leihmütter in Nepal die Kinder von israelischen Schwulen austrugen, und Bestelleltern ein Zwillingskind mit Down-Syndrom nicht akzeptierten, führten Nepal und Thailand ebenfalls ein Verbot ein. Kambodscha folgte auf Druck von Australien, nachdem sich viele australische Agenturen in Kambodscha niedergelassen hatten. In kambodschanischen Dörfern werden jedoch weiterhin ahnungslose Frauen als Leihmütter rekrutiert.
Inzwischen wird auch in der Ukraine die Leihmutterschaft zunehmend in Frage gestellt: Nachdem ukrainische Kliniken in den Verdacht geraten sind, unter dem Deckmantel des Leihmüttergeschäfts Kinderhandel zu betreiben, liegt dem Parlament ein Antrag vor, Leihmutterschaft zukünftig nur für in der Ukraine lebende Paare zu gestatten. China wiederum hat unter dem demographischen Druck einer alternden Bevölkerung seine Ein-Kind-Politik revidiert und Leihmutterschaft 2016 erlaubt.
Der Fall Indien: Zwiespältiges Verbot der Leihmutterschaft
Doch obwohl die Leihmütter oft unter äusserst ausbeuterischen Bedingungen arbeiten und dazu hohe gesundheitliche Risiken eingehen, ist die Frage nach einem Verbot keineswegs leicht zu beantworten. Das zeigt die Debatte über das Verbot der kommerziellen Leihmutterschaft in Indien. Dort hat das Kabinett mittlerweile einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die kommerzielle Leihmutterschaft verbietet. Diese soll künftig nur noch innerhalb der Verwandtschaft aus «altruistischen» Gründen – sprich: nicht gegen Lohn – erlaubt sein.
Während technologiekritische Feministinnen das Gesetzesvorhaben begrüssen, weil es der zunehmend industrialisierten Produktion von menschlichem Leben Einhalt gebietet, kritisieren andere, dass die Regierungspartei mit dem Verbot nicht zuvorderst an Frauenrechten, sondern vor allem an ihrer hindu-identitären, moralischen Profilierung interessiert sei. Einige Forscherinnen, die Leihmutterschaft als Arbeit anerkennen, fordern wiederum die Einführung von Fair-Trade-Prinzipien durch entsprechende Arbeitsrechte und eine soziale Absicherung für Leihmütter, [9] so als handele es sich dabei um normale Lohnarbeit. Jede Verrechtlichung würde allerdings die kommerzielle Leihmutterschaft normalisieren. Die Leihmütter selbst protestieren, weil armen Frauen damit die lukrativste Einkommensmöglichkeit entzogen wird, ohne dass die Regierung ihnen eine alternative, ähnlich gut entlohnte Beschäftigung anbieten oder sich um andere Ausbeutungsformen im informellen Sektor kümmern würde. Hinzu kommt, dass Familien auch unter der neuen Gesetzgebung Frauen zu Leihmutterschaft oder Eizell-«Spende» «aus altruistischen Gründen» zwingen könnten.
Da das indische Parlament dem Gesetz noch nicht zugestimmt hat, besteht derzeit ein rechtliches Vakuum. Die Reproduktionsunternehmen, denen das Gesetz die Geschäftsgrundlage entziehen würde, tauchen deshalb unter und verstecken Leihmütter in mobilen Arrangements, womit sie sie in eine noch grössere Prekarität und Rechtlosigkeit drängen. [10] Zugleich hat sich unter diesen Bedingungen in Indien ein neuer Typus reproduktiver Arbeitskräfte herausgebildet: Frauen, die auf einen Auftrag als Leihmütter warten, werden wegen der rechtlichen Unsicherheit von Reproduktionskliniken stattdessen zur Eizell-«Spende» angeworben oder als Testpersonen für Pharmazeutika und neue Behandlungsmethoden – alles körperliche Arbeiten in der Bioökonomie, die mit hohen Gesundheitsrisiken verbunden sind.
Das zeigt: Verbote haben nur eine beschränkte Wirkung, denn die Reproduktionstechnologien sind an keinen Ort gebunden. Sie kommen überall dort zum Einsatz, wo Geschäfte zu machen sind. Wenn dies auf legalem Weg nicht möglich ist, suchen sich die Unternehmen eben andere, halblegale oder gar illegale Wege – stets auf Kosten der schwächsten Akteure, der Eizellgeberinnen und der Leihmütter.
Fussnoten mit Quellenhinweisen:
[1] Christa Wichterich, Leihmutterschaft. Das Begehren nach einem eigenen Kind auf transnationalen Reproduktionsmärkten, in: Katharina Pühl und Birgit Sauer (Hg.), Kapitalismuskritische Gesellschaftsanalyse. Queer-feministische Positionen, Münster 2018, S. 93-113.
[2] Susanne Lettow (Hg.), Bioökonomie. Die Lebenswissenschaften und die Bewirtschaftung der Körper, Bielefeld 2012.
[3] Vgl. www.finrrage.org, www.no2eggsploitation.wordpress.com, www.handsoffourovaries.com, www.stopsurrogacynow.com.
[4] Vgl. Ulrich Brand und Markus Wissen, Imperiale Lebensweise, München 2017.
[5] Martha E. Gimenez, Die Heraufkunft der kapitalistischen Fortpflanzungsweise – Umbrüche in der Reproduktion im 21. Jahrhundert, in: „Das Argument“, 4-5/2001, S. 657-670.
[6] Genau genommen wird unterschieden zwischen der einfachen IVF, bei der Spermien zusammen mit der bzw. den zu befruchtenden Eizellen in einer Petrischale zusammengebracht werden, und der sogenannten intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI), bei der ein Spermium in die Eizelle injiziert wird. Letztere machen inzwischen den Großteil der Behandlungen aus.
[7] Zu Leihmutterschaft in Indien und den Praktiken der Kliniken liegen ausgezeichnete ethnographische Studien vor. Vgl. Amrita Pande, Wombs in Labour. Transnational Commercial Surrogacy in India, New York 2014; Sharmila Rudrappa, Discounted Life. The Prize of Global Surrogacy in India, New York und London 2015; N. Sarojini und Vrinda Marwah, Reconfiguring Reproduction, New Delhi 2014; Kalindi Vora, Indian transnational surrogacy and the commodification of vital energy, in: „Subjectivity”, 1/2009, S. 266-278.
[8] Auch in Spanien löste die Krise einen Boom von Eizell-„Spenden“ aus: Als die Regierung damals ihre Unterstützung für Studierende strich, erwarben viele Studentinnen auf diese Weise Einkünfte – mit 1500 Euro wurde die „Spende“ gut entlohnt, nicht zuletzt deshalb, weil bei Studierenden ein hoher IQ vorausgesetzt wird.
[9] Casey Humbyrd, Fair trade international surrogacy. Developing World Bioethics, 9/2009, S.111–118.
[10] Sarojini Nadimpally, Sneha Banerjee und Deepa Venkatachalam, Commercial Surrogacy: A Contested Terrain in the Realm of Rights and Justice, Sama Resource Group for Women and Health, New Delhi 2016.
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