Kolumne Pietro Vernazza

Professor Pietro Vernazza © zVg / ChatGPT

Lockdowns veränderten das Immunsystem

Pietro Vernazza /  Forscher finden anhaltende Genveränderungen. Auch die Covid-Impfungen beeinflussten die allgemeine Immunabwehr ungünstig.

Red. – Professor Pietro Vernazza war bis Sommer 2021 Chefarzt der Infektiologie/Spitalhygiene am Kantonsspital St.Gallen. Sein folgender Gastbeitrag ist die leicht gekürzte Fassung eines Artikels auf seiner Website infekt.ch.

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Sowohl Lockdowns als auch Covid-Impfungen können tiefgreifende Auswirkungen auf das Immunsystem haben. Das zeigt eine Studie der Forschungsgruppe von Professor Mihai Netea von der niederländischen Radboud Universität in Nijmegen. Die Studie, veröffentlicht in «Frontiers in Immunology», liefert wichtige neue Daten. Sie stützen lang gehegte Hypothesen über die Rolle von Lockdowns und Impfungen auf das Immunsystem. Die Erkenntnisse werfen auch Fragen zu deren möglichen langfristigen Konsequenzen auf.

Die Forscher:innen analysierten die Immunreaktionen in einer Gruppe von gut behandelten HIV-Patienten, weil sie auf eine grosse Zahl tiefgefrorener Zellen dieser Kohorte zurückgreifen konnten. Aufgrund der Behandlung hatten diese Patienten eine normale Anzahl von Immunzellen. Die wichtigsten Erkenntnisse konnte Neteas Team danach noch an einer kleinen Gruppe von 30 HIV-negativen gesunden Personen bestätigen. Vermutlich lassen sich die zentralen Erkenntnisse auf die Gesamtbevölkerung übertragen.

Überschiessende Reaktion des Immunsystems

Lockdowns reduzierten den Kontakt der Bevölkerung mit alltäglichen Krankheitserregern. Dies erhöhte die Reaktionsbereitschaft des angeborenen Immunsystems deutlich, zeigt die Studie. Das angeborene Immunsystem ist der erste «Schutzwall» des Körpers, um auf Infektionen zu reagieren.

Wie die Experimente zeigten, kam es zur «Überaktivierung» des angeborenen Immunsystems. Dies äusserte sich durch eine erhöhte Produktion von sogenannten Zytokinen. Das sind Signalstoffe, die von Immunzellen freigesetzt werden, um eine Entzündungsreaktion auszulösen – eine wichtige Abwehrfunktion.

Bei Überaktivierung kann diese aber auch schädlich sein, weil es dann zu einer überschiessenden Immunreaktion kommen kann. Das Immunsystem reagiert dann bei einer Infektion stärker als nötig.

Nach der Covid-19-Impfung gedrosselte Immunreaktion

Während die Impfstoffe zwar spezifische Immunantworten gegen Sars-CoV-2 erzeugten, beobachtete die Studie nach der Impfung eine gedämpfte Reaktionsbereitschaft des angeborenen Immunsystems auf unspezifische Reize wie zum Beispiel einen Kontakt mit einem RNA-Virus. Dies könnte bedeuten, dass das Immunsystem nach der Covid-Impfung weniger stark auf Infektionen reagierte, die nicht durch Sars-CoV-2 verursacht werden.

Nach den Lockdowns kam es zu ungewöhnlich hohen Infektionsraten mit RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus) in mehreren Ländern. Diese RSV-Infektionswelle wurde unter anderem auf ein «verlerntes» Training des Immunsystems zurückgeführt – ein Phänomen, das nun durch die Studie von Neteas Forschungsgruppe gestützt wird.

Ihre neuen Daten liefern konkrete Hinweise, dass solche Effekte tatsächlich auftreten können. Sie unterstreichen auch, dass es nötig ist, die unspezifischen Wirkungen von Impfstoffen genauer zu untersuchen.

Veränderungen von Genen durch Lockdowns und Impfungen

Eine besonders spannende Erkenntnis betrifft die epigenetischen Veränderungen des Immunsystems. Epigenetik beschreibt Mechanismen, durch die Umwelteinflüsse – wie etwa Lockdowns oder Impfungen – die Aktivität von Genen dauerhaft verändern können, ohne die DNA selbst zu verändern. 

Konkret konnten die Forscher:innen zeigen, dass sowohl die Lockdowns als auch die Impfungen zu Veränderungen in der Aktivität bestimmter Gene führten, die für die Immunantwort verantwortlich sind. Dies könnte erklären, warum das Immunsystem der Studienteilnehmer:innen langfristig anders reagiert.

Frühere Vermutungen bestätigt

Die Ergebnisse von Netea et al. sind von erheblicher Bedeutung. Sie bestätigen viele der Vermutungen, die bereits in früheren Diskussionen über die Pandemie geäussert wurden.

In meinem Buchkapitel «Kann Physical Distancing auch Schaden anrichten?» (im Band «Der Corona-Elefant», S. 170f.) habe ich auf die potenziellen negativen Auswirkungen von sozialen Distanzierungsmassnahmen hingewiesen. Ein Argument war, dass ein reduzierter Kontakt mit alltäglichen Mikroorganismen das Gleichgewicht des Immunsystems stören könnte. Die Studie von Netea et al. liefert nun empirische Beweise für diese Hypothese, indem sie zeigt, wie sich Lockdowns direkt auf die Zytokinproduktion und epigenetische Signaturen des angeborenen Immunsystems auswirken.

Ähnlich argumentierte der Immunologie-Professor Andreas Radbruch in seinem Buchbeitrag («Der Corona-Elefant», S. 148 ff.), dass Impfungen sowohl spezifische als auch unspezifische Effekte auf das Immunsystem haben könnten. Radbruchs Überlegungen zur Balance zwischen Schutzwirkung und möglichen immunologischen Nebenwirkungen werden durch die aktuellen Daten weiter untermauert.

Infektionsschutz und Immuntraining in Balance bringen

Neteas Studie liefert nicht nur wertvolle Einblicke in die Immunologie, sondern lenkt auch den Blick auf die Effektivität der Infektionskontrolle durch Lockdowns. Die Lockdowns konnten zwar die Dynamik der Pandemie verzögern, aber letztlich nicht verhindern, dass sich das Virus weitgehend in der Bevölkerung verbreitete.

In diesem Licht stellt sich die Frage, wie Massnahmen bei einer zukünftigen Pandemie nicht nur die Verbreitung eines Virus eindämmen, sondern auch das natürliche «Training» des Immunsystems bewahren können. Das Konzept der «Hygienehypothese» könnte hier als Grundlage dienen: Ein gewisser Kontakt mit Mikroorganismen ist essenziell, um das Immunsystem in Balance zu halten.

Die neue Studie leistet einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen Pandemie-Massnahmen und dem Immunsystem. Ihre Ergebnisse zeigen, dass es dringend notwendig ist, die langfristigen Konsequenzen von Lockdowns und Impfungen genauer zu untersuchen, um die gleichen Fehler nicht bei der nächsten Pandemie zu wiederholen. Gleichzeitig sollten zukünftige Strategien die begrenzte Effektivität der Infektionskontrolle anerkennen und einen Ansatz verfolgen, der Infektionsschutz und die natürlichen Trainingsprozesse des Immunsystems in Balance bringt.

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4 Meinungen

  • am 17.01.2025 um 11:01 Uhr
    Permalink

    Nicht unerwähnt sollte auch der übermässige Gebrauch von Desinfektionsmitteln sein.
    Der SWR schrieb dazu den Beitrag «So schädlich können Desinfektionsmittel sein» (Susanne Henn, 10.6.2020)
    Auszug: «Desinfektionsmittel greifen die Haut an»
    Denn: «Das Desinfektionsmittel tötet auch nützliche Bakterien und greift den Säureschutzmantel an, der eigentlich dazu da ist, die Haut vor Krankheitserregern zu schützen. Die Hände werden rau und rissig, Eindringlinge haben leichtes Spiel. Zu viel Desinfektion schadet der Haut also mehr als sie nutzt.»
    «Vorsicht auch bei Putz- und Waschmitteln»
    Das Gleiche gilt für desinfektionshaltige Putz- und Waschmittel – die sind okay, wenn einer im Haushalt eine schwere Infektion hat und man die anderen schützen will, aber auch sie schaden der Haut und können sogar Allergien und Ekzeme auslösen. Sprays reizen zudem häufig die Atemwege. Das kann bei regelmäßigen Gebrauch schlimmstenfalls zu Asthma führen.»

  • am 17.01.2025 um 21:35 Uhr
    Permalink

    Die Nachteile und der Unsinn von Lockdowns dürfen mittlerweile offen thematisiert werden. Dass die modRNA-Injektionen nachweislich das Potential haben schwere Erkrankungen auszulösen, ist leider nach dreijähriger Nebenwirkungsgeschichte immer noch nicht salonfähig. Weil schon von Beginn der sog. Impfkamgne erkennbare Schadwirkungen von den Schwurblern angeprangert wurden, möchte bzw. darf diese heute niemand deutlich zugeben. Eher hinter vorgehaltener Hand tauscht man sich über die negativen Erfahrungen mit den «freiwilligen» Fremdschutz-Injektion aus. Davon hebt sich Prof. Vernazzas Text nun doch deutlich ab. Da ist erfreulich. Vielen Dank dafür.

    Wenngleich doch die Überschrift nur die Hälfte der Wahrheit verrät. Treffender hätte sie so lauten sollen:
    «Impfungen» und Lockdowns veränderten das Immunsystem

  • am 17.01.2025 um 23:27 Uhr
    Permalink

    Zuviel oder zuwenig – das ist hier die Frage – die ich auch nicht beantworten kann. Aber ich erinnere mich an den Bericht über ein, wohl sehr singuläres, Experiment, bei dem ein Mann sich mehrere Wochen lang nicht gewaschen hat, jedenfalls nicht mit Reinigungsmitteln, und dabei feststellte, daß
    es zu keinerlei hygienischen Problemen gekommen war und auch das psychische Befinden nicht negativ beeinfluß worden sei. Auch hier wird man wohl nicht zu sehr generalisieren dürfen, aber es ist berechtigt zu sagen, daß wir es mit dem Waschen vermutlich in jeder Hinsicht übertreiben. Sowohl was den Einsatz von Reinigungsmitteln als überhaupt von Wasser, meist sogar noch von warmem,
    heftig übertreiben. Man könnte fast von einem psychotischen Putzfimmel sprechen.Angesichts der Resourcen-Probleme vielleicht nicht unwichtig. Ich bin in dieser Hinsicht stutzig geworden im Kontakt mit Beduinen, die ja kein Wasser, sondern nur den Wind zur Verfügung haben.

  • am 19.01.2025 um 14:40 Uhr
    Permalink

    Der Verlag Frontiers, der auch Frontiers in Immunology herausgibt, hat in der Wissenschaft einen zweifelhaften Ruf!
    Ich bin also folglich recht vorsichtig im Ernstnehmen von Aussagen, die wesentlich auf Ergebnissen von Papers in diesen Journals basieren wie in diesem Beitrag.
    Irmi Seidl

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