Krankenkassen: Ganz Guttannen zahlt für einen Cheflohn
Mit abenteuerlichen Berechnungen versucht die Krankenkassen-Lobby, die exorbitanten Cheflöhne kleinzureden. So behauptet etwa Martin Landolt, Verwaltungsratspräsident des Krankenkassenverbandes Santésuisse: «Würden die CEO gratis arbeiten, würde das pro Prämienzahler jährlich bestenfalls einen Franken ausmachen.»
Infosperber wies kürzlich nach, dass die Berechnungen falsch sind. Und sie dienen lediglich dazu, das Problem der vielen Krankenkassen und der hohen Löhne zu bagatellisieren. Das fand auch ein Infosperber-Leser. Ihn interessiert: Wie viele Leute müssen Prämien zahlen, bis schon nur ein Cheflohn bezahlt ist?
Die Löhne der Krankenkassen-Chefs
Dazu muss man die Löhne kennen. Sie sind in den Geschäftsberichten der Krankenkassen gut versteckt. Infosperber hat die Zahlen von zehn grossen Kassen erhoben.
Die Tabelle zeigt: Sanitas-Chef Andreas Schönenberger kassierte 2022 fast eine Million Franken. Ein Bundesrats-Lohn beträgt 456’854 Franken. Neun der Krankenkassen-Chefs verdienen mehr.
Die mittlere Krankenkassen-Prämie betrug im letzten Jahr 3766 Franken. Dabei sind die Prämien von Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern berücksichtigt. Ebenso Prämien von Versicherten mit ordentlicher oder höherer Franchise. Und auch Prämien von speziellen Versicherungsmodellen.
254 Prämienzahler für einen Lohn
Teilt man nun den Jahreslohn von Sanitas-Chef Schönenberger durch die 3766 Franken, resultiert die Zahl von 254. Das heisst: Bis schon nur der Lohn des Sanitas-Chefs bezahlt ist, müssen 254 Personen ihre Krankenkassen-Prämien bezahlen. 254 Personen – das entspricht zum Beispiel der Einwohnerzahl der Gemeinde Guttannen auf der Berner Seite des Grimselpasses.
Die zehn aufgelisteten Krankenkassen-Chefs erhalten insgesamt 6,7 Millionen Franken. Das entspricht dem Prämienvolumen von knapp 1800 Menschen – oder sämtlichen Bewohnern von Gemeinden wie Fulenbach SO oder Hüttwilen TG.
Die Löhne der Geschäftsleitungen
Aber die CEOs sind ja nicht allein. Sie stehen einer Geschäftsleitung vor. Diese besteht aus einer ganzen Anzahl Personen, die ebenfalls gut verdient.
Am besten bezahlt ist die neunköpfige Geschäftsleitung der Groupe mutuel mit Sitz in Martigny VS. Sie erhält fast vier Millionen Franken.
Die Löhne der Verwaltungsräte
Beaufsichtigt wird die Geschäftsleitung von einem Verwaltungsrat. Obwohl deren Mitglieder meist nur kleine Pensen zu bewältigen haben, bekommen sie dafür ganz ordentlich Geld.
Am meisten lassen sich die Krankenkassen Helsana und Swica ihre Verwaltungsräte kosten. Sie zahlen je über eine Million Franken aus. In die Nähe einer Million kommen auch die Groupe mutuel und die CSS.
Insgesamt wendet die Groupe mutuel am meisten für die Chefetage — also Geschäftsleitung und Verwaltungsrat — auf. Insgesamt sind es fast fünf Millionen Franken. So viel zahlen alle Einwohner der Gemeinde Leukerbad VS an Krankenkassen-Prämien.
Das ganze Stadion Schützenwiese
Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen der obgenannten zehn grossen Krankenkassen erhalten insgesamt über 34 Millionen Franken jährlich. Damit dieses Geld zusammenkommt, braucht es die Prämien von über 9000 Personen.
Das sind mehr, als dem FC Winterthur zuschauen – wenn die Schützenwiese ausverkauft ist. Und auch mehr als in die Eishockey-Stadien in Freiburg, Genf, Lugano, Kloten, Davos, Zug oder Biel passen.
Sicher: Die Löhne der Krankenkassen-Chefs sind nicht der Hauptgrund für die steigenden Gesundheitskosten. Dennoch ist das Ausmass der Kosten, die unser System mit um die 50 Krankenkassen verursacht, besorgniserregend.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Die 34 Mio. Franken für Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen bedeuten also weniger als 4 Franken pro Prämienzahler und Jahr. Und es fehlt sogar jeder Vergleich zu Vorjahren; sind die Löhne gestiegen oder nur die Prämien? Ich stehe einer Reduktion der Kassen positiv gegenüber. Aber solche Zahlenspielereien lenken nur von den wirklichen Problemen ab – egal welche man hier anfügen mag.
Die Krankenkassen ziehen nach, was die Banken vorgemacht haben. Insbesondere die Verwaltungsratsmandate der Banken sind viel zu hoch entlöhnt und ohne, dass damit eine entsprechende Übernahme von Verantwortung verbunden wäre. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haften mit ihrer Stelle für die strategischen Risiken, die der Verwaltungsrat eingeht.
…und wie viele Millionen könnten durch eine Gemeinschaftskasse eingespart werden, und welche Auswirkungen hätte dies auf die Grundversicherungsprämien?
Die Einkommen der Krankenkassen Kaderleute sind das Eine. Die Kostenentwicklung beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) das Andere. Dessen Personalkosten sind von 2007-2018 von 55 auf 83 Millionen Franken gestiegen. Der Durchschnittslohn der Angestellten erhöhte sich während derselben Zeitspanne von 136’000 auf 173’000 Franken pro Vollzeitstelle (Quelle: Medinside). Eine detaillierten Auslegeordnung über die Kostenentwicklung in einzelnen Gesundheitsbereichen (Spitäler, Ärzte nach Fachgebiet, Medikamente, Medizinalgeräteausrüster, Zahnärzte, usw.) liefert das BAG nicht, obschon es über all diese Informationen verfügen müsste. Eine solche Auslegeordnung ist jedoch unabdingbar, um die Kostenentwicklung gerecht steuern zu können. Die Versicherten bezahlen das BAG und die kantonalen Gesundheitsämter zusätzlich über Steuern.Der Kostenteiler zwischen Steuerbehörden, Krankenkassen und Patient müsste danach unter dem Aspekt der Solidarität neu organisiert werden.
«Sicher: Die Löhne der Krankenkassen-Chefs sind nicht der Hauptgrund für die steigenden Gesundheitskosten.»
Genau. Fragt sich dann nur, was diese Berichte bewirken sollen?
Das Obligatorium ist das Hauptproblem und wer dies nicht benennen mag, der ist Teil des Problems. Als solidarischen Menschen unterstütze ich ein gesetzliche verankertes Recht auf eine der Schweiz angemessene Gesundheitsgrundversorgung für alle Bewohner. Doch das Obligatorium ist ein Desaster und zwar war das Desaster absehbar.
Ab nächstem Jahr stellen in unserer autofreien, in einer Genossenschaftsimmobilie wohnenden sechsköpfigen Familie den grössten Budgetposten dar.
Und wer hat’s erfunden? Wer hat uns verraten?
Genau, einmal mehr die Sozialdemokraten!