Spritzen

Lässt sich die Immunabwehr gegen das Coronavirus durch eine Lebendimpfung gegen Tuberkulose oder Masern «boostern»? Erste Indizien gibt es. Bald werden weitere Studienresultate dazu publik. © Tim Reckmann / pixelio.de

Kann die Masernimpfung Covid-19 vorbeugen ? (2)

Martina Frei /  Lebendimpfstoffe können das Immunsystem fitter machen. Forscher untersuchen, ob sie vor schwerer Covid-19-Erkrankung schützen.

Im ersten Teil dieser Serie ging es um die nicht-spezifischen Effekte von Impfungen. Der zweite Teil befasst sich mit der Frage, ob sich solche unspezifischen Effekte nützen lassen, um schweren Verläufen von Covid-19 vorzubeugen.

Die dänische Professorin Christine Stabell Benn und ihr Kollege Peter Aaby weisen seit Jahrzehnten darauf hin, dass Impfungen nicht nur spezifische Effekte haben, also die Schutzwirkung gegen die Erkrankung, gegen die sie entwickelt wurden. Sie können auch unspezifische Wirkungen entfalten. Und diese können positiv sein oder negativ. 

Positiv sind sie – so die Befunde von Aaby und Stabell Benn – nach Lebendimpfstoffen. Dazu zählt beispielsweise die Impfung gegen Masern. Die beiden Wissenschaftler hatten beobachtet, dass Kinder, die gegen Masern geimpft wurden, seltener wegen anderer Infekte ins Spital kamen

Training fürs Immunsystem

Der vermutete Grund: Die Masernimpfung «trainiert» das Immunsystem, so dass die Geimpften widerstandsfähiger gegen allerlei Erreger werden. Könnte das auch bei Covid-19 nützen?

Brasilianische Wissenschaftler haben dazu ein Experiment durchgeführt. Es scheint die Hypothese von Aaby und Stabell Benn zu bestätigen. Noch ist diese brasilianische Studie aber nicht von Fachleuten begutachtet worden. Deshalb sind die Resultate mit Vorbehalt aufzunehmen. 

An dem Versuch nahmen 424 Pflegefachleute, Ärztinnen und Ärzte und weiteres medizinisches Personal teil, die beruflich grösstenteils mit Covid-Patienten zu tun hatten. Zu Beginn wurde ausgelost, wer von den Studienteilnehmenden zweimal die Kombi-Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) bekam und wer zwei Placebospritzen erhielt. 

Gleich viele Ansteckungen, aber weniger Symptome

Im Verlauf von durchschnittlich fünf Monaten wurden in beiden Gruppen etwa gleich viele Personen positiv auf Sars-CoV-2 getestet. Die MMR-Impfung verhinderte also keine Ansteckung. 

Der grosse Unterschied war aber, dass die Wahrscheinlichkeit, Covid-Symptome zu entwickeln, bei den MMR-Geimpften nur etwa halb so gross war wie bei diejenigen, die Placebo erhalten hatten. In der MMR-Impfgruppe zeigten von 57 positiv Getesteten 30 keine Symptome, also mehr als die Hälfte. In der Placebo-Gruppe hatten acht von 45 keine Covid-Symptome, also etwa 18 Prozent. 

1,4 von 100 Personen in der MMR-Impfgruppe fühlten sich so krank, dass sie Behandlung brauchten. In der Placebogruppe betraf das fast 6 von 100. Schwere Erkrankungsfälle traten in keiner Gruppe auf. Nebenwirkungen durch die Spritzen (zum Beispiel Schmerzen und Schwellung an der Einstichstelle) waren in der MMR-Gruppe deutlich häufiger.

Die Ergebnisse seien faszinierend, aber es brauche grössere Studien, um sie zu bestätigen. Und es sei ungewiss, ob die MMR-Impfung auch älteren Personen mit höherem Covid-19-Risiko nützen würde, schreiben die Autoren. Die MMR-Impfung könne möglicherweise Ländern helfen, die keine Covid-19-Impfstoffe hätten.

Tuberkulose-Impfung verbessert die Immunabwehr gegen Atemwegsinfekte

Ganz ähnlich wie die brasilianischen Forscher, führen Christine Stabell Benn und Peter Aaby gegenwärtig drei Studien zu Covid-19 durch. Auch sie möchten herausfinden, ob eine Lebendimpfung aufgrund ihrer nicht-spezifischen Wirkung zu einem leichteren Krankheitsverlauf bei Covid-19 führen könnte. Anders als ihre brasilianischen Kollegen prüfen sie das aber mit der Impfung gegen Tuberkulose (BCG-Impfung).

In einem Artikel im Wissenschaftsmagazin «Science», den auch Robert Gallo mitverfasst hat, der Mit-Entdecker von HIV und «Fast-Nobelpreisträger», legen sie dar, warum sie sich von der BCG-Impfung einen Nutzen erhoffen – auch in Bezug auf künftige Corona-Virusvarianten. 

Die Tuberkulose-Impfung aktiviere das angeborene Immunsystem und «trainiere» das Immunsystem sozusagen. Nach der BCG-Impfung produzieren bestimmte Immunzellen mehr Entzündungsbotenstoffe. Innerhalb von Stunden kann die BCG-Impfung auf anderen, immunvermittelten Wegen, überdies das Risiko für eine Blutvergiftung senken. Das führt dazu, dass BCG-Geimpfte besser gegen Infektionen mit allerlei Erregern gewappnet sind. 

Studie mit Senioren

BCG ist die bislang am meisten eingesetzte Vakzine, etwa 130 Millionen Kinder werden weltweit jährlich damit geimpft. Aus früheren Studien ist bekannt, dass Babys, die gegen Tuberkulose geimpft wurden, weniger Atemwegsinfektionen hatten. Das Sterberisiko von Personen, die beim Primarschuleintritt gegen Tuberkulose geimpft wurden, war bis zu ihrem 45. Lebensjahr merklich tiefer als bei denjenigen, die diese Impfung nicht erhalten hatten. Das zeigte eine Studie in Dänemark (Unnatürliche Todesursachen wurden dabei nicht berücksichtigt).

Auch ältere Menschen erkrankten nach einer Tuberkulose-Impfung weniger an Atemwegsinfekten. Ein Beispiel dafür ist eine Studie aus Griechenland. Dort wurden Menschen ab 65 Jahren, die aus irgendeinem medizinischen Grund im Spital waren, bei der Entlassung noch geimpft. Das Los entschied, ob sie eine Tuberkulose-Impfung bekamen oder aber eine Placebospritze. Die 2017 begonnene Studie möchte untersuchen, ob Senioren vom nicht-spezifischen Effekt der BCG-Vakzine profitieren.

Wegen der Corona-Pandemie wurde eine Zwischenauswertung gemacht. Demnach hatten in der 72-köpfigen Impfgruppe im Jahr nach der Tuberkulose-Impfung nur 25 Prozent einen Infekt. In der 78 Personen umfassenden Placebogruppe waren es deutlich mehr, nämlich 42 Prozent. 

Schätzung: Etwa 20 Prozent der Hospitalisationen wären verhindert worden

Dieser Unterschied war wohl vor allem auf den Rückgang an viralen Atemwegsinfekten zurückzuführen. Im Jahr nach der BCG-Impfung sank die Wahrscheinlichkeit für eine virale Erkältung um rund 80 Prozent, verglichen mit der Placebo-Impfung. Zudem schien die BCG-Impfung sicher. 

Das weckt Hoffnungen, dass die BCG-Impfung auch einen gewissen «unspezifischen» Schutz vor Sars-CoV-2 bieten könnte, wenn auch kleiner als der «spezifische» Schutz, den die Covid-19-Impfung vermitteln kann. 

US-Wissenschaftler schätzten, dass geschickt eingesetzte Nicht-Covid-Impfungen, wie zum Beispiel die BCG-Impfung, bis zum März 2021 in den USA elf bis 23 Prozent der Todesfälle an Covid-19 hätte verhindern können, bei den Hospitalisationen wären es zwischen 16 und 25 Prozent gewesen. 


Experiment mit der Lebendimpfung gegen Gürtelrose

Ein weiteres Experiment, mit einem anderen Lebendimpfstoff, wurde bereits von Fachleuten begutachtet und in der Fachzeitschrift «Vaccines» veröffentlicht. In dieser israelischen Studie ging es um die Frage, ob eine Lebendimpfung gegen Gürtelrose mit einem positiven Effekt bei Covid-19 einhergeht.1

Von 625 Senioren, die im Verlauf der letzten Jahre gegen Gürtelrose geimpft worden waren, infizierten sich nicht einmal halb so viele mit Sars-CoV-2 wie Personen ohne diese Impfung. Die Vergleichsgruppe bestand aus über 5’600 Personen im selben Alter und mit ähnlichen Erkrankungen. Wegen Covid-19 mussten 0,16 Prozent der Senioren, die gegen Gürtelrose geimpft worden waren, ins Spital, und 0,37 Prozent derer, die die Impfung gegen Gürtelrose nicht erhalten hatten. Je kürzer diese Impfung zurücklag, umso deutlicher war der Effekt. 

Die Wissenschaftler bemühten sich, die Unterschiede in beiden Versuchsgruppen einzuberechnen. Allerdings ist bei einer solchen Beobachtungsstudie immer fraglich, ob weitere Faktoren das Ergebnis beeinflusst haben. Häufig gehen nämlich eher die Menschen zum Impfen, die allgemein vorsichtiger sind, die mehr auf Prävention bedacht sind und die gesünder leben. 

Über 20 Studien zur Wirkung der Tuberkulose-Impfung bei Covid-19

Definitive Schlüsse lassen sich jedoch weder aus solchen rechnerischen Modellierungen, noch aus der Zwischenanalyse einer kleinen Studie ziehen – auch nicht in Bezug auf unerwünschte Wirkungen. Es braucht weitere Forschung, und sie ist im Gang. Weltweit gehen momentan über 20 Studien der Frage nach, ob die BCG-Impfung den Verlauf von Covid-19 günstig beeinflusst. 

An den drei Studien von Christine Stabell Benn und Peter Aaby, die in Afrika und in Dänemark stattfinden, nehmen Senioren oder aber Gesundheitspersonal teil, also Personengruppen mit höherem Erkrankungsrisiko für Covid-19. Eine der drei Studien ist bereits abgeschlossen, mit den Resultaten ist demnächst zu rechnen. 

Mögliche Nachteile

Ein Nachteil der BCG-Impfung sei ihre vergleichsweise hohe Nebenwirkungsrate, schreiben die beiden Wissenschaftler. Sie würden deshalb eigentlich die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung (Polio) anstelle der BCG-Impfung favorisieren, ebenfalls eine Lebendimpfung. Denn die Schluckimpfung sei sicherer als die BCG-Vakzine.

Dass man unspezifische Impfwirkungen nützen könne, glaubt auch Thomas Kündig, Immunologe und Direktor der Dermatologischen Klinik am Universitätsspital Zürich. Verglichen mit dem spezifischen Schutz, den die mRNA-Impfungen vor schwerem Covid-Verlauf bieten, würde ein möglicher unspezifischer Schutz durch Lebendimpfungen jedoch deutlich geringer ausfallen, gibt er zu Bedenken. Zudem müsse man bedenken, dass das Hervorrufen unspezifischer immunologischer Effekte, also ein «Auf- oder Vorheizen» des Immunsystems, nicht nur eine Schutzwirkung haben, sondern auch zum Beispiel entzündliche Krankheiten verstärken könnte, sagt Kündig. 

Die Folge dessen könnten zum Beispiel mehr Autoimmunerkrankungen bei den Geimpften sein. Bisher allerdings scheint es, dass die BCG-Impfung vielleicht auch hier punktet. Einige Studien deuten nämlich darauf hin, dass sie bei Allergien und Autoimmunerkrankungen sogar positive Effekte haben kann. In einer kürzlich veröffentlichten, australischen Studie beispielsweise wurden Kinder mit hohen Risiko für Neurodermitis kurz nach der Geburt gegen Tuberkulose geimpft. Zwölf Monate später litten 35 Prozent der geimpften Kinder an Neurodermitis. In der nicht-BCG-geimpften Vergleichsgruppe waren es hingegen fast 47 Prozent. 

_____________________

1  Die Eidgenössische Kommission für Impffragen empfiehlt diese Impfung Personen zwischen 65 und 79 Jahren, die keine Immunschwäche haben. 

Lesen Sie demnächst Teil 3: Gibt es unspezifische Effekte bei den Covid-Impfungen?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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3 Meinungen

  • am 8.02.2022 um 12:40 Uhr
    Permalink

    Die Alternativmedizin sagt seit Langem, dass erst der Kontakt mit der Umgebung das Immunsystem organisiert und stärkt. Interessant wäre zu wissen, ob die Studienteilnehmer als Kinder geimpft oder nicht geimpft wurden, ob sie eine oder mehrere der Kinderkrankheiten durchgemacht hatten und wie? – Das wurde nicht untersucht?
    Es könnte sich vielleicht zeigen, dass das Immunsystem besser und billiger als durch Impfungen gestärkt würde, wenn Kinder meist harmlose Kinderkrankheiten durchmachten (notabene mit unterstützender Begleitung statt Fiebersenkung) und dass dadurch auch das Immunsystem der Erwachsenen durch sporadischen Kontakt mit dem Wildvirus «geboostert» würde…

    Vielleicht könnte man auch untersuchen, wie sich die «Behandlung» grippeartiger Krankheiten mit fiebersenkenden Mitteln auf das Immunsystem auswirkt… Aber das interessiert halt niemanden. Das Impfbusiness hingegen lohnt sich, die Lobby ist aktiv und wenn die Covid-«Impfung» schon nicht nützt, könnte man die Menschen doch zur regelmässigen MMR-, BCG-, Polio- oder Windpocken-Impfung nötigen, bzw. alle Impfungen, die jetzt schon den Kindern verabreicht werden, zwangsmässig bis ins hohe Alter verabreichen: ein regelmässiger kleiner Pieks, alles in einer Spritze, das ist doch kein Problem. Das zur gesellschaftlichen Teilnahme benötigte Zertifikat haben inzwischen fast alle, sei es als «Geimpfte» oder als «Genesene»…

  • am 8.02.2022 um 13:14 Uhr
    Permalink

    mRNA ist genau genommen ja gar keine Impfung, sondern eine Gentherapie:

    mRNA-Präparate gleich Gentherapie – was hat es damit auf sich?
    «mRNA-Impfungen sind ein Beispiel für Zell- und Gentherapie»
    Stefan Oelrich, Mitglied des Vorstandes der Bayer AG und Leiter der Medikamentensparte des Chemie- und Pharmakonzerns, machte an der Gesundheitskonferenz «World Health Summit», die im vergangenen Oktober in Berlin stattgefunden hat, eine Aussage, die aufhorchen liess:
    «Die mRNA-Impfungen sind ein Beispiel für Zell- und Gentherapie. Hätten wir vor zwei Jahren eine öffentliche Umfrage gemacht und gefragt, wer bereit dazu ist, eine Gen- oder Zelltherapie in Anspruch zu nehmen und sich in den Körper injizieren zu lassen, dann hätten das wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen abgelehnt. Diese Pandemie hat vielen Menschen die Augen für Innovationen in einer Weise geöffnet, die vorher nicht möglich war.»

    Definition von «Impfstoff» wurde im Januar 2021 geändert
    «mRNA-Produkte erfüllten nicht die Definitionskriterien für einen Impfstoff, welche 15 Jahre bei Merriam-Webster galten. Die Definition wurde jedoch so erweitert, dass mRNA-Produkte nun als Impfstoffe gelten.»

    Ganzer Artikel:

    https://www.medinside.ch/de/post/mrna-praeparate-gleich-gentherapie-was-hat-es-damit-auf-sich

  • am 9.02.2022 um 10:09 Uhr
    Permalink

    Aus meiner bescheidenen Sicht, werden die Menschen in eine Hamsterrad aus Angst gejagt.
    Wir können mit unserem Lebenswandel viel Tun (nicht alles) um gesund zu bleiben.
    Aber die Gesundheit «daherimpfen» geht nicht!
    Wenn man den Jetzigen Moment anschaut und etwas über den Tellerrand, da geht einiges in die extrem Falsche Richtung.
    Wir laufen die Gefahr dass wir für alles eine Spritze bekommen und noch gleich 6 Medikamente gegen die Nebenwirkungen.
    Momentan wurden die Menschen hinters Licht geführt, man will sich gegen eine leichte Grippe impfen und ebenso die «Freiheit» herbei impfen.
    Aber: schaut mal dieses sehr trockene aber sehe aufschlussreiche Video an: https://www.youtube.com/watch?v=qjJaVr2XDQ8
    Ein Zahlenmensch der sehr genau hinschaut und keine Schlüsse zieht, die müsst ihr selber machen.

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