Ist der Versuchsleiter männlich, reagieren Labormäuse anders
Das Narkosemittel Ketamin wird seit über zehn Jahren als Medikament gegen schwere Depression beforscht. Ungezählte Mäuse dienten der Wissenschaft dafür in Laborexperimenten. Doch einen wichtigen Aspekt liessen fast alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausser Acht: das Geschlecht des menschlichen Versuchsleiters.
Es entscheidet, ob das Ketamin bei Mäusen wirkt oder nicht. Das fand die Psychologie-Professorin Polymnia Georgiou von der US-Universität in Milwaukee heraus, als sie für einen männlichen Kollegen einsprang. Als er die Versuchsmäuse mit Ketamin behandelt und einem Test1 unterzogen hatte, wirkte die Substanz bei den Nagern anti-depressiv. Als Georgiou dasselbe Experiment wiederholte, wirkte das Ketamin dagegen nicht.
Forscherinnen konnten ihre Ergebnisse nicht replizieren
Ketamin zählt zu den «aufregendsten» Entdeckungen in der Depressionsforschung der jüngeren Geschichte, schreibt Georgiou im Fachblatt «Nature Neuroscience». Ihre Forschungsgruppe hatte jedoch Mühe, die Ergebnisse ihrer eigenen Experimente zu replizieren, bei denen Ketamin auf Mäuse ähnlich gewirkt hatte wie Antidepressiva.
Dass Forschungsergebnisse nicht reproduzierbar sind, ist ein weit verbreitetes Problem in der Wissenschaft. Bei Tierversuchen ist die Reproduzierbarkeit «erstaunlich schlecht», schrieb die Universität Bern 2020.
Die Idee, dass das Geschlecht eine Rolle spielt, schien abwegig
Die Idee, dass dieses Problem auch mit dem Geschlecht der Versuchsleiterin zu tun haben könnte, erachtete Georgiou jedoch zunächst als «nicht wahrscheinlich», wie sie in dem Ende August erschienen Artikel bekennt. Ihr Forschungsgruppenleiter habe ihr anfangs sogar davon abgeraten, das Thema weiterzuverfolgen.
Doch Georgiou und ihre Mitarbeitenden wiederholten die Mäuseexperimente in unterschiedlichen Konstellationen – immer mit demselben Effekt. Der blosse Geruch eines T-Shirts, das ein Mann getragen hatte, genügte, damit das Ketamin bei den Mäusen antidepressiv wirkte. Der Geruch eines Frauen-T-Shirts dagegen schien das Ketamin unwirksam zu machen.
Schliesslich bat Georgiou Kolleginnen und Kollegen an einer anderen Universität, die Experimente zu wiederholen. Auch dort hing die Wirkung des Ketamins mit dem Geschlecht des Versuchsleiters oder der Versuchsleiterin zusammen.
Dem Faktor «Geschlecht» wird bei Laborexperimenten keine Bedeutung beigemessen
Doch das Geschlecht der Versuchsleiterin wird in Tierexperimenten normalerweise kaum je beachtet, geschweige denn in Fachartikeln erwähnt. Da Mäuseexperimente in der Regel am Anfang der Forschung stehen, können Faktoren wie dieser – die den Forschenden gar nicht bewusst sind – den weiteren Gang der Dinge beeinflussen.
Ohne Zweifel würden bei Experimenten viele unbekannte Faktoren hineinspielen, die vielleicht genauso wichtig seien wie die bereits bekannten, vermutet Georgiou. «Unsere Beobachtung stellt wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs dar.»
Bereits 2014 stellten der kanadische Schmerzforscher Jeffrey Mogil und sein Team etwas Ähnliches fest. In ihren Experimenten zeigten Mäuse und Ratten ihre Schmerzen deutlich weniger, wenn ein Mann sie beobachtete. Auch damals genügte ein T-Shirt mit Männergeruch, um den Effekt herbeizuführen. Offen blieb, ob die Nager beim Geruch eines Mannes tatsächlich weniger Schmerzen spüren oder ob sie ihre Schmerzen nur weniger zeigen.
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1 Dabei handelte es sich um den sogenannten «forced swim test». Die Maus wird dazu in einen teilweise mit Wasser gefüllten Behälter getan, aus dem sie nicht entkommen kann und in dem sie schwimmen muss, wenn sie nicht untergehen will. Sechs Minuten lang wird dann gemessen, wie lange das Tier zunächst erfolglos versucht, dem Wasser zu entkommen, und wie lange es aufgibt und sich bloss noch treiben lässt. Das Experiment soll «Verzweiflung» und «erlernte Hilflosigkeit» messen. Es dient beispielsweise dazu, die Wirkung von Antidepressiva an Mäusen zu erforschen. Kritiker wenden ein, dass ein solcher Sechs-Minuten-Test nur wenig mit der Krankheit Depression zu tun hat, bei der genetische und Umweltfaktoren lang anhaltende Verhaltensänderungen bewirken. Mehr dazu in Teil 2 des Artikels.
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➞ Lesen Sie demnächst Teil 2: Woran Tierversuche kranken. Mangelnde Reproduzierbarkeit und Übertragbarkeit auf den Menschen sind ein Problem.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Danke, sehr interessant. Aehnliches gibt es bei Menschen. Alkohol wirkt im Alter so wie Medikamente anders als bei jungen Menschen. Die Rezeptoren und der Stoffwechsel verändern sich. Die Leber und Nierentätigkeit nehmen ab dem 30igsten Lebensjahr ab. Alte Menschen mit derselben Dosis wie junge Menschen zu behandeln, kann zu lebensbedrohlichen Intoxikationen führen. Oft wird in Studien der Lebenswandel der Studienpersonen, an welchen Medikamente getestet werden, nicht oder zu wenig berücksichtigt.
Zum gleichen Thema passt, was kürzlich in der WOZ publiziert wurde:
https://www.woz.ch/2236/medizin/medizin-wer-hat-angst-vor-der-gesunden-Frau/%21GGDTEYEPQ0RZ.
Neue Medikamente werden noch heute vielfach nur an und mit Männern getestet und zugelassen. Das hat mit seriöser Wissenschaft nichts zu tun.
Frauen reagieren ja auch auf Männer anders als auf Frauen; schon die hormonelle Situation, die unbewußt immer wahrgenommen wird, macht einen Strich durch eine neutrale Rechnung. Haben Frauen ihre fruchtbaren Tage, beeinflusst das natürlich die umgebende Männlichkeit. Warum sollte es bei anderen Säugetieren nicht auch vorkommen; schließlich stammen wir aus der selben Brühe. Hunde und Pferde reagieren nachweislich auch anders, wenn sie Kommandos von unterschiedlichen Geschlechtern bekommen. Wir sind Säugetiere, evolutionär auf erfolgreiche Partnersuche, Balz, Fortpflanzung und sicheres Hochbringen des Nachwuchses getrimmt, mit allen biochemischen und sozialen Konsequenzen.
Die Geschichte ist spannend. So wie die Experimente hier beschrieben werden, sind die Schlussfolgerungen valide.
Die Frage ist dann allerdings, ob das bei anderen Medikamenten auch so abläuft und wie man eine solche Interaktion im Experiment unter Kontrolle bringt.