Immunabwehr: Dauerhaft Masken zu tragen ist keine gute Idee (2)
Im ersten Teil dieses Interviews berichtete der Infektiologe und Immunologe Mihai Netea von der Tuberkulose-Impfung, die aufgrund ihrer «nicht-spezifischen» Wirkung – zumindest in ersten Studien – auch die Anzahl an Covid-Todesfällen verminderte. Im folgenden zweiten Teil erklärt der Wissenschaftler, was es mit der sogenannten «trained immunity» auf sich hat und warum es aus seiner Sicht schädlich sein könnte, für sehr lange Zeit Masken zu tragen. Mihai Netea trug entscheidend dazu bei, dass frühere Lehrmeinungen in der Immunologie revidiert wurden.
Letzten Sommer berichtete beispielsweise «20 Minuten» von «explodierenden» Fallzahlen bei Kindern, die wegen schwerer RSV-Atemwegsinfekte in Spitäler gebracht wurden. Danach folgten Meldungen von ungewöhnlich schweren Adenovirus-Infektionen bei Kindern, die selten sogar eine Lebertransplantation nötig machten. Diesen Sommer kamen Berichte aus Australien über einen starken Anstieg an Grippefällen, besonders bei Kindern. Ist das Immunsystem der Kinder in den letzten zwei Pandemiejahren zu wenig «trainiert» worden?
Wir wissen, dass es für das Immunsystem wichtig ist, sich mit verschiedensten Mikroorganismen auseinanderzusetzen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass diese mangelnde Auseinandersetzung in den letzten zwei Jahren dafür verantwortlich ist, dass es nun mehr Infektionen gibt.
Ist das nicht ein Argument gegen das Tragen von Masken?
Wenn die Spitäler wegen Covid-Patienten überzulaufen drohen, dann sind Masken absolut sinnvoll. Aber wenn Sars-CoV-2 sich nun einreiht in die Gruppe der üblichen Erreger von Atemwegsinfekten, dann wäre es aus meiner Sicht schädlich, das Maskentragen für sehr lange Zeit beizubehalten.
Warum?
Wenn wir Krankheitserregern für längere Zeit nicht ausgesetzt sind, lassen sowohl die angeborene als auch die erworbene Immunantwort dagegen nach. Je länger das andauert, umso grösser wird die Wahrscheinlichkeit, dass es beim erneuten Kontakt mit den Erregern zu schwereren Krankheitsverläufen kommt als sonst üblich. Das Immunsystem von Kindern stuft Dinge, die es nicht kennt, eher als «gefährlich» ein und reagiert dann darauf. Kinder, die auf dem Land leben, wo ihr Immunsystem mit vielen Mikroorganismen Kontakt hat, bekommen zum Beispiel seltener Allergien und Autoimmunerkrankungen als Kinder, die in der Stadt aufwachsen. Dazu trägt vor allem das angeborene Immunsystem bei.
Zur Person
Professor Dr. Mihai Netea leitet die Abteilung für experimentelle Medizin in der Abteilung für Innere Medizin am Medizinischen Zentrum der niederländischen Radboud Universität in Nijmegen. Der mehrfach ausgezeichnete Infektiologe und Immunologe hat massgeblich zur Entdeckung der «trained immunity» beigetragen. Netea ist unter anderem Mitglied der niederländischen königlichen Akademie der Künste und Wissenschaften und der Academia europaea. Neben seiner universitären Tätigkeit leitet er das wissenschaftliche Beratungsgremium der Firma «Trained Therapeutix Discovery», die er mit-gegründet hat, und hat unter anderem Forschungsgelder von GlaxoSmithKline und Ono Pharma erhalten. Ursprünglich stammt der Forscher aus Rumänien, wo er Medizin studierte. Zusammen mit den dänischen Wissenschaftlern Peter Aaby und Christine Stabell Benn veröffentlichte Mihai Netea kürzlich im Fachblatt «Lancet Infectious Diseases» einen Artikel zu den nicht-spezifischen Effekten von Impfstoffen gegen Covid-19.
Früher galt das angeborene Immunsystem als ein primitiver und starr ablaufender Abwehrmechanismus, nicht zu vergleichen mit der ausgefeilten, fein abgestimmten Immunantwort des erworbenen Immunsystems. Sie fokussieren nun auf das angeborene Immunsystem. Was ist daran so interessant?
Wir haben herausgefunden, dass das angeborene Immunsystem sich anpassen kann. Diese Fähigkeit hat man ihm lange nicht zugetraut. Aber es verändert sich tatsächlich, je nachdem, was es erlebt, und es «merkt» sich das auch für eine Weile. Der Fachbegriff dafür heisst «trained immunity».
Was bedeutet das?
Frühere Infektionen oder Impfungen, besonders im Kindesalter, beeinflussen die spätere Immunabwehr. Je nachdem reagiert das angeborene Immunsystem dann stärker oder schwächer auf andere Krankheitserreger. Nach einer Tuberkuloseimpfung beispielsweise können Versuchstiere auch Infektionen mit Candida-Hefe erfolgreicher abwehren. Behandelt man sie mit einer bestimmten Substanz aus einem Pilz, dann trotzen sie Infektionen mit Staphylokokken-Bakterien besser. Nach einer Infektion mit Herpesviren wiederum kann die Widerstandskraft gegen Infektionen mit Listerien- und Pestbakterien steigen.
Angeborene und erworbene Immunabwehr
Zum «angeborenen» Immunsystem gehören verschiedene Zelltypen, zum Beispiel sogenannte Makrophagen, Monozyten und Mastzellen. Sie können zum Ort der Infektion vordringen.
Auch verschiedene Eiweissstoffe und Entzündungsbotenstoffe wie etwa Interferon γ oder die verschiedenen Interleukine tragen zur angeborenen Immunantwort bei, indem sie die Abwehrzellen anlocken oder die schädlichen Mikroorganismen zerstören. Früher ging die Wissenschaft davon aus, dass das angeborene Immunsystem genetisch festgelegt und nicht veränderbar ist.
Bei den Wirbeltieren, zu denen auch der Mensch gehört, entwickelte sich vor etwa 500 Millionen Jahren noch eine zweite Form der Immunabwehr, das «erworbene» Immunsystem. Es reagiert auf die Erreger, mit denen der Körper Bekanntschaft macht, indem es spezifische Antikörper und T-Zellen gegen diese Erreger bildet. Das dauert einige Tage bis Wochen. Mit der Zeit sinkt die Zahl der Antikörper im Blut wieder. Im Knochenmark leben aber «Gedächtniszellen», die bei einem erneuten Kontakt mit demselben oder einem sehr ähnlichen Erreger sofort auf den Plan treten und diese spezifische Art der Abwehr wieder ankurbeln. Früher ging die Wissenschaft davon aus, dass die Wirkung von Impfstoffen lediglich dem erworbenen Immunsystem zu verdanken ist.
Schätzungsweise 97 Prozent aller Organismen auf der Erde kommen ohne «erworbenes» Immunsystem aus.
Wie lange halten solche nicht-spezifischen Effekte an?
Im Allgemeinen ist die Zeitspanne kürzer als beim erworbenen Immunsystem. Die Wirkung hält mindestens drei Monate an, nach manchen Impfungen kann man sie sogar bis zu fünf Jahre lang nachweisen.
Die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung, eine Lebendimpfung, ging in verschiedenen Studien mit positiven, nicht-spezifischen Effekten einher. Da sie als unerwünschte Wirkung selten selbst Kinderlähmung verursacht, wird sie nur noch in wenigen Ländern verwendet. Die WHO möchte diese Impfung nächstens vom Markt nehmen. Eine gute Entscheidung?
Sie stellen mir eine Frage zur öffentlichen Gesundheit. Ich bin aber Infektiologe und Immunologe. Deshalb kann ich ihnen nicht sagen, was besser ist. Meines Erachtens sollte man jedoch unbedingt Studien machen, bevor man diese Vakzine vom Markt nimmt. Man sollte dabei die Folgen der Marktrücknahme abschätzen und auch modellieren, welche nicht-spezifischen, positiven Wirkungen man verliert, wenn man anstelle der Lebendimpfung weltweit auf den Totimpfstoff umstellen würde.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Netea.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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