Kommentar

HIV-Infizierte werden immer noch diskriminiert

Bernd Hontschik © ute schendel

Bernd Hontschik /  An einer deutschen Universität wurde ein HIV-positiver Student ausgeschlossen, obwohl er nicht ansteckend ist.

Red. Der Autor dieses Gastbeitrags ist Chirurg und Publizist in Frankfurt.

Zuerst die gute Nachricht, sie stammt vom Februar diesen Jahres: In Düsseldorf konnte ein HIV-positiver Patient geheilt werden! Bei dem Patienten war 2011 eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert worden, wes- wegen er sich zwei Jahre später einer Stammzelltransplantation unterziehen musste. Das Immunsystem des seit 2008 an AIDS erkrankten Patienten kann seitdem die HIV-Infektion ohne jede antivirale Therapie abwehren. 

Das kam so: Jede Zelle verfügt über Eintrittspforten auf der Oberfläche ihrer Hülle. Das sind Proteine in der Membran, sogenannte Chemokinrezeptoren. Deren Konfiguration ist in der Erbsubstanz jeder Zelle festgelegt. Auch das HIV-Virus braucht einen Chemokin-Rezeptor, um in die Wirtszellen einzudringen und diese zu infizieren. Für die Stammzelltransplantation des HIV- Patienten fand man nun einen Spender, bei dem das Gen für diesen speziellen Chemokin-Rezeptor in der Erbsubstanz fehlte. Das HIV-Virus wurde damit sozusagen ausgesperrt, eine Infektion war nach der gelungenen Stammzelltransplantation nicht mehr möglich. Auf die gleiche Weise sind zuvor bereits ein Patient in Berlin und ein Patient in London geheilt worden. Ob diese Methode für den breiten Einsatz bei HIV-Patient:innen geeignet sein wird, ist allerdings noch eine offene Frage, denn eine Stammzelltransplantation ist kein Spaziergang, und es gibt inzwischen auch einige Fälle, wo die Methode erfolglos eingesetzt worden ist. 

Nun zur zweiten Meldung vom November letzten Jahres, die ich zunächst nur für einen schlechten Scherz gehalten habe: An der Philipps-Universität in Marburg ist im vergangenen Jahr ein Student der Zahnmedizin vom Studium ausgeschlossen worden, weil er HIV-positiv ist. Der junge Mann hatte bereits die ersten beiden theoretischen Studienabschnitte absolviert und sollte nun mit dem klinisch-praktischen Teil des Studiums beginnen. Bei der routinemässigen arbeitsmedizinischen Untersuchung vor diesem Studienabschnitt stimmte er einem HIV-Test zu. Er wusste schon seit 2012 von seiner Infektion und hatte seine Viruslast medikamentös und auf Dauer unter den Grenzwert von 200 Viruskopien pro Milliliter Blut senken können. Damit galt er nicht mehr als infektiös. Er fiel also aus allen Wolken, als ihm die Universität mitteilte, dass er nunmehr vom Studium ausgeschlossen werden müsse. Es bestünde ein Verletzungsrisiko, mit dem er Patient:innen und Mitstudierende in Gefahr bringen könne. 

Mit einem Gutachten eines führenden HIV-Wissenschaftlers konnte er den Prozess vor dem Verwaltungsgericht Giessen gewinnen, aber der Hessische Verwaltungsgerichtshof gab in zweiter Instanz der Universität recht. Erinnerungen an den früheren bayerischen Innenstaatssekretär Peter Gauweiler («Das sind halt Aussätzige») und den jungen Abgeordneten Horst Seehofer werden wach, die vor vierzig Jahren Zwangstests für Homosexuelle forderten und Infizierte in bewachten «Heimen» oder gleich auf einer Insel isolieren wollten, oder auch an den ehemaligen bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair (auch CSU), für den Homosexualität in den «Randbereich der Entartung» gehörte, nicht nur «contra naturam, sondern auch contra deum». Fast vierzig Jahre danach haben Mittelalter und Schwulenfeindlichkeit anscheinend nicht nur von der Marburger Universität, sondern auch von der hessischen Justiz erneut Besitz ergriffen. Es ist diese Gleichzeitigkeit von tiefem Mittelalter und futuristischer High-Tech-Medizin, die sprachlos macht. 

Diese Kolumne widme ich dem Arzt und Sexualwissenschaftler Professor Volkmar Sigusch, der am 7. Februar im Alter von 83 Jahren in Frankfurt am Main verstorben ist. In dem oben beschriebenen anfänglichen Umgang mit AIDS sah Sigusch 1985 ein «neues Kapitel der Homosexuellenverfolgung». Im Deutschen Ärzteblatt schrieb er 1986: «Das Nachdenken über die kulturelle Indienstnahme einer Erkrankung, über Mechanismen einer Perversion kann die Medizin jedoch darin bestärken, nur die Krankheit und nicht ein ganzes Leben als Pathologie zu begreifen. Weder Ärzte noch Sexualforscher sind dazu da, die Strasse sauberzuhalten und die Widersprüche des modernen Lebens technisch zu frisieren.» Das gilt bis heute, das gilt immer, und dem ist nichts hinzuzufügen. 

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Dieser Beitrag erschien am 4. März in der «Frankfurter Rundschau».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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