Heute knicken FDP, SVP, Mitte und GLP vor der Pharmalobby ein
Am Anfang steht eine Erpressung der Pharmalobby: Entweder Regierungen verpflichten sich zur strikten Geheimhaltung darüber, welche Rabatte Pharmafirmen auf den Phantasie-Listenpreisen gewähren, oder die Hersteller würden sich nach – eigenen Angaben – weigern, das Medikament im betreffenden Land zur Verfügung zu stellen.
Die strikte Geheimhaltung der Preise der Corona-Impfstoffe, die stark kritisiert wurde, war kein Präzedenzfall. Schon vorher hatte Gesundheitsminister Alain Berset zugestimmt, dass die Preise besonders teurer Medikamente, die das BAG mit Pharmafirmen aushandelt, absolut geheim gehalten werden können.
Bei der Krankenkasse Visana oder der Groupe Mutuel kennen nach eigenen Angaben nur je fünf Sachbearbeiter die Höhe der Rückvergütungen. «Sie mussten sich verpflichten, diese Informationen vertraulich zu behandeln», erklärte Groupe Mutuel.
Diese Geheimhaltung verstösst gegen das Kranken- und Unfallversicherungsgesetz KVG. Aus diesem Grund soll das Parlament die Möglichkeit der Geheimhaltung jetzt im Gesetz festschreiben. Das würde gleichzeitig auch das Öffentlichkeitsgesetz für Medikamentenpreise ausser Kraft setzen. Aufgrund dieses Öffentlichkeitsgesetz hatte das Konsumentenmagazin «Saldo» die Herausgabe von geheimen Preisen verlangt und wurde dabei vom Öffentlichkeitsbeauftragten Adrian Lobsiger unterstützt. Das Verfahren ist gegenwärtig beim Bundesgericht hängig.
Um ganz sicher zu gehen, dass die schon bisher geheim gehaltenen Preise nicht ans Licht kommen – weder wegen Widerrechtlichkeit noch aufgrund des Öffentlichkeitsgesetzes – verlangt die Pharmalobby, dass die Gesetzesänderung auch rückwirkend gilt. Rückwirkend geltende Gesetze sind rechtspolitisch äusserst fragwürdig.
Doch man kann davon ausgehen, dass das Parlament der Gesetzesänderung zustimmt. Wenn es bei der Pharmabranche um die Wurst geht, kann sie im Parlament auf eine quasi automatische Mehrheit zählen. Fast alle Mitglieder der FDP, SVP, Mitte und GLP werden der Argumentation folgen, welche die Pharmalobby ihnen vorgelegt hat. Die SP scheint gespalten zu sein. Verharmlosend ist stets von «neuen Preismodellen» die Rede – ein Ausdruck der Pharmaindustrie.
«Die ganze Welt wird in gewisser Weise erpresst»
Das BAG rechtfertigt die geheimen Preise damit, dass «solche Rückerstattungen international ausnahmslos vertraulich festgelegt» würden: «Solange die internationale Transparenz nicht hergestellt ist, bleibt der Schweiz nichts anderes möglich, als bei Bedarf ebenfalls vertrauliche Preismodelle umzusetzen.» Die Pharmaunternehmen würden «lieber darauf verzichten, ein Medikament kassenpflichtig zu machen, als dass die Rückerstattungen publiziert werden».
Das BAG verbreitet, dank der geheim gehaltenen Rabatte würden fast 300 Millionen Franken eingespart. Das BAG hat jedoch keine Ahnung, welche Rabatte andere Länder gewähren.
Das BAG räumte ein: «Nur die Pharmaunternehmen selber kennen die tatsächlich vergüteten Preise in den verschiedenen Ländern.» Es handle sich um ein «ungleiches Spiel, bei dem jedes Land glaubt, es habe den besten Preis erzielt». Das kann ein Grund sein, weshalb die Länder die ausgehandelten Preise nicht untereinander austauschen.
Jörg Indermitte ist beim BAG für die Kassenpflicht der Medikamente und deren Vergütungen zuständig und führt Preisverhandlungen mit den Pharmafirmen. Er wurde in einem Interview mit «Heidi.News» noch deutlicher: «Ich weiss nicht, wieviel beispielsweise Österreich oder Schweden zahlen. Deshalb kann ich Ihnen wirklich nicht sagen, ob der Preis, den wir in der Schweiz erhalten, angemessen ist.» Und weiter: «Jeder Staat kämpft blind für seine Bürger […] Die ganze Welt wird in gewisser Weise erpresst, auch wenn der Begriff vielleicht etwas zu hart ist.»
«In Interesse der Patienten»
Im Einklang mit der Pharmalobby verbreiteten Bundesrat Berset und das BAG, dass dank der geheimen Rabatte innovative Medikamente «schneller und günstiger zur Verfügung» stünden. Dies sei «nicht im Interesse der Pharmaindustrie, sondern im Interesse der Patienten», meinte etwa BAG-Vizedirektor Thomas Christen.
Zu einem anderen Schluss kam Kerstin Noëlle Vokinger, Professorin für Gesundheitsrecht und Regulierung an der Universität Zürich, nachdem sie 51 Fälle dieser «Preismodelle» untersucht hatte: «Diese Preismodelle brachten insgesamt weder einen schnelleren Zugang noch einen günstigeren». Pharmafirmen seien beispielsweise einfach mit einem höheren Preisangebot in die Verhandlungen eingestiegen.
Es geht insbesondere um Medikamente bei fortgeschrittenem Krebs, schweren Immunkrankheiten und seltenen Krankheiten. Was als «Innovation» und als «bahnbrechend» angepriesen wird, entpuppt sich in vielen Fällen als unzweckmässig: Mehr Nebenwirkungen als Nutzen. Siehe Beispiele hier und hier oder hier oder hier.
Für solche Medikamente sind Kosten von mehreren Hunderttausend Franken pro Patient und Behandlung in der Schweiz keine Seltenheit mehr. Weil die Schweizer Krankenkassen europaweit die höchsten Medikamentenpreise zahlen müssen, ist davon auszugehen, dass Pharmafirmen die wohlhabenden Schweizerinnen und Schweizer besonders schröpfen. Wissen tun es nur die Pharmafirmen selber. Der Kassenverband Santésuisse schrieb Infosperber: «Wir vermuten, dass vielerorts die Rabatte wesentlich höher ausfallen als in der Schweiz.»
Für Medikamente müssen Prämienzahlende europaweit am meisten ausgeben
Wer – ohne eigene Interessen zu verfolgen – über die Preise von Medikamenten mitreden möchte, muss folgende Rahmenbedingungen kennen:
- In keinem anderen Land Europas müssen die Krankenkassen so hohe Preise für Medikamente zahlen wie in der Schweiz. Die soziale Krankenversicherung muss fast ein Viertel aller Prämieneinnahmen für Medikamente ausgeben (die Spitalmedikamente eingeschlossen). Das ist ein europäischer Rekord. Es fällt auf, dass dieser Klartext weder von Bundesrat Berset noch vom Bundesamt für Gesundheit zu hören ist. Sie reden jeweils lieber von angeblich «mehreren hundert Millionen Franken Einsparungen».
- Wenn die Pharmaindustrie und auch das BAG die Preise in der Schweiz mit dem Ausland vergleichen, vergleichen sie nicht etwa wie sonst üblich die Konsumentenpreise, welche die Krankenkassen tatsächlich zahlen müssen. Vielmehr vergleichen sie die Listenpreise ab Fabrik der verschiedenen Länder. Diese Listenpreise sind stark überhöhte Schaufensterpreise, die mit den Preisen wenig zu tun haben, welche die Krankenkassen in den verschiedenen Ländern zahlen müssen. Denn in fast allen Ländern gewähren die Pharmakonzerne den Behörden oder Kassen erhebliche Rabatte.
Trotzdem setzen etliche Länder – gleich wie auch die Schweiz – ihre Preise auf Grund von Vergleichen der Listenpreise fest.
Es bleibt die Frage: Wie oft und wo hat sich der Bundesrat auf internationaler Ebene dafür eingesetzt, dass alle europäischen Länder die Preise erfassen und bekanntgeben, welche den Pharmafirmen für Medikamente tatsächlich bezahlt werden? Die Pharmakonzerne agieren ebenfalls international und spielen die einzelnen Regierungen gegeneinander aus.
Insbesondere Parteien, die im Gesundheitswesen für mehr Wettbewerb plädieren, müssten sich auch im Pharmamarkt für mehr Markt einsetzen und geheime Preise grundsätzlich ablehnen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Danke, Herr Gasche, für diesen topaktuellen Artikel, der vielleicht besser als alle sonstigen Analysen aufzeigt, woran das helvetische Gesundheitswesen krankt. Falls „unser“ von den übermächtigen Pharmalobbyisten weitgehend gekauftes Parlament die heutige Gesetzesvorlage tatsächlich durchwinken sollte, ist wohl eine Volksinitiative erforderlich, um Transparenz in diese gewiss nicht grundlos geheim gehaltenen Preisverhandlungen zu bringen — ähnlich wie schon bei den Spendeneinnahmen der Parlamentarier. Ohne hinreichende Transparenz kann ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat nicht gemeinwohldienlich funktionieren.
Und fragt noch jemand, warum von vielen keine Partei mehr als wählbar gilt….
Es bräuchte eine neue Partei, die den verschiedensten Entscheidungsklamauk nicht mitmacht und der Bevölkerung zuhört und zum Wohle dieser agiert.
Die wird wahrscheinlich schnell totgeredet und verunglimpft. Schöne Politik!
Was wir seit Jahren im kranken Gesundheitswesen erleben und erleiden ist der folgerichtige Ablauf des neoliberalen Konzepts, das uns die Chigago Boys eingebrockt haben und das unter dem Panier Mehr Freiheit weniger Staat in der Schweiz seine ethusiastischste Glaubensgemeinschaft gefunden hat. Staaten und Staatengemeinschaften sind als Steuerunginstitutionen und Regulatoren faktisch abgeschafft. Die privaten Kartelle und Monopole haben die Macht übernommen. Wäre es nicht von katastrophalen Folgen begleitet, könnte man das Phänomen insofern mit einer gewissen Schadenfreude quittieren, indem die Freisinnigen der Welt und der Schweiz damit sich selber abgeschafft haben, denn Politik ist nur noch der Erfüllungsgehilfe unter dem Kommando unterschiedlich agierender Vereinigungen: Pharma, Energie, Finanzen, Militär, Kommunikaton. Nach 45 Jahren neoliberaler Manipulation ist das Gemeingut überall geplündert, wo etwas in private Gewinne verwandelt werden konnte.
Passend dazu dieser Artikel im deutschen Ärzteblatt aus dem Jahre 2002:
Gesundheitssystem: In der Fortschrittsfalle
«11. Der Wettbewerb zwingt zur Erschließung neuer Märkte. Das Ziel muss die Umwandlung aller Gesunden in Kranke sein, also in Menschen, die sich möglichst lebenslang sowohl chemisch-physikalisch als auch psychisch für von Experten therapeutisch, rehabilitativ und präventiv manipulierungsbedürftig halten, um „gesund leben“ zu können. Das gelingt im Bereich der körperlichen Erkrankungen schon recht gut, im Bereich der psychischen Störungen aber noch besser, zumal es keinen Mangel an Theorien gibt, nach denen fast alle Menschen nicht gesund sind.»
https://www.aerzteblatt.de/archiv/32976/Gesundheitssystem-In-der-Fortschrittsfalle