Trotz Krankenkassen-Einheitsprämien: Alte zahlen viel mehr
Jetzt liegen neue Zahlen und Fakten auf dem Tisch, welche den Vorschlag, die wählbare Mindest- und Maximalfranchisen zu erhöhen, in einem neuen Licht erscheinen lassen. Die Zahlen zusammengestellt und analysiert hat Gesundheitsökonom Pius Gyger im Auftrag der Krankenversicherung Helsana in einem ausgezeichneten Prämienreport.
Erst kürzlich hatte die Chefin der christlichen Krankenkasse CSS, Philomena Colatrella, vorgeschlagen, für alle Versicherten eine Mindestfranchise von 10’000 Franken vorzuschreiben und dafür die Kopfprämien zu senken. Das hätte eine massiv höhere Belastung der Bevölkerung im Alter ab 60 Jahren zur Folge.
«Einheitliche Kopfprämien»
Ob alt und krank oder jung und gesund: Seit 1996 gelten in der Schweiz für die Grundversicherung regional einheitliche Kopfprämien. Nur bis zum Alter 18 gibt es Kinderprämien. Diese Solidarität zwischen Jung und Alt wird allerdings durch mehrere Faktoren stark relativiert:
- Die Kantone und der Bund subventionieren die Prämien einkommensschwacher Personen und Haushalte mit jährlich 4,3 Milliarden Franken.
- Mit der Wahl eines «alternativen» Modells mit beschränkter Arztwahl (HMO, Telmed usw.) erhält man bis zu 20 Prozent Rabatt. Immer mehr Versicherten profitieren davon, darunter überdurchschnittlich viele Jüngere.
- Mit der Wahl einer höheren Franchise erhält man Rabatte. Es sind vor allem eher junge Frauen und Männer, welche die maximale Franchise von 2500 Franken wählen und auf ihren Prämien einen Rabatt von rund 30 Prozent erhalten.
- 10 Prozent der ambulanten Leistungen muss jeder Versicherte selber bezahlen, bis zu einem jährlichen Höchstbetrag von 700 Franken.
- Bei Spitalaufenthalten zahlen Erwachsene 15 Franken pro Tag aus der eigenen Tasche.
Trotz dem Prinzip gleicher Kopfprämien zahlen Seniorinnen und Senioren für ihre Grundversorgung mehr aus der eigenen Tasche als jüngere Erwachsene, weil sie deutlich mehr ambulante Leistungen beziehen und dafür Selbstbehalte zahlen müssen, und weil sie sich deutlich häufiger in Spitälern behandeln lassen und dort pro Tag 15 Franken zahlen müssen.
Zum Beispiel (maximal) 700 Franken Selbstbehalt für ambulante Leistungen und 210 Franken für 14 Tage im Spital, total als 910 Franken. [Die 210 Franken sind in der Grafik unten nicht einmal berücksichtigt. Sonst wären die blauen Säulen noch höher.]
Franchisen verlagern Kosten zu den Älteren
Die persönlich bezahlten Kosten für die Leistungen der Grundversicherung steigen mit dem Alter kontinuierlich an:
- Über 80-Jährige bezahlten im Jahr 2016 durchschnittlich zwischen 1’900 und 2’500 Franken mehr für grundversicherte Leistungen als 19- bis 35-Jährige.
Der Hauptgrund liegt bei der Wahl der unterschiedlichen Franchisen.
Die folgende Grafik zeigt, in welchem Alter wieviel aus der eigenen Tasche bezahlt wird: Die Prämien sind für Jüngere günstiger, weil sie höhere Franchisen wählen (rot).
Die gesamten Selbstkosten: Prämien inklusive Selbstbehalte und selbst bezahlte Leistungen innerhalb der gewählten Franchisen (blau).
«Prämiensoll» = Geschuldete Prämien, unabhängig davon, ob sie bezahlt wurden. KOBE = Kostenbeteiligung (Selbstbehalte und Leistungen innerhalb der Franchise. Nicht dabei sind die 15 Franken pro Spitaltag). Grössere Auflösung hier. Grafik: Helsana
Bezahlte Prämien sind deutlich tiefer als vom BAG ausgewiesen
Das Bundesamt für Gesundheit und die Kassenverbände veröffentlichen jedes Jahr die Prämien für die verschiedenen Regionen. Dabei gehen sie stets von der «normalen» Grundversicherung mit der tiefsten Franchise von 300 Franken aus. Das ergeben Monatsprämien, die im Durchschnitt 150 Franken zu hoch sind. Denn eine Mehrheit der Versicherten profitiert wegen der Wahl einer höheren Franchise oder eines alternativen Versicherungsmodells von tieferen Prämien:
Monatliche Prämien in Franken. Grössere Auflösung hier.
Quelle und Grafik: Helsana
Grosse Abweichung von der Einheitsprämie
Falls sämtliche Altergruppen (ausser Kinder und Jugendliche) tatsächlich eine gleiche Einheitsprämie zahlen würden, «müssten die obersten Altersklassen jährlich über 1’000 Franken weniger Prämien zahlen, die Erwachsenen bis zum Alter 40 hingegen fast 500 Franken mehr berappen», stellt der Helsana-Prämienreport fest. Und weiter: «Die Differenz der finanziellen Belastung zwischen ältester und jüngster Erwachsenenklasse beträgt über 2’500 Franken … Die jüngste Erwachsenenklasse erreicht quasi einen Rabatt auf den Sollprämien von rund 38 Prozent.»
Daraus folgert der Autor und Gesundheitsökonom Pius Gyger,
- dass eine gesetzliche Begrenzung der Rabattierung das politisch vorgesehene Mindestmass an Solidarität unter den Versicherten garantiere;
- dass das Ziel des Ausgleiches zwischen Arm und Reich mit Prämienmassnahmen schlecht zu erreichen sei, weil die Ausübung der Wahlfreiheiten durch die Bevölkerung nicht vorhersehbar ist. Geeignet bleibe das bewährte Mittel der Prämienverbilligung;
- dass sich die bestehenden Prämienverbilligungen durch Kantone und Bund auch in das bestehende Steuersystem integrieren liessen. Denn die Prämienverbilligungen richten sich wie die Steuern an den Einkommens- und Vermögensverhältnissen aus.
————————————————————————————
- Zum ausgezeichneten Helsana-Prämienreport 2018 (kostenloser Download)
- Zum Infosperber-DOSSIER: Gesundheitskosten
————————————————————————————
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Eine MINDEST-Franchise von zehntausend Franken? Spinnt die Frau komplett? Da brauchen mindestens die Hälfte gar keine Versicherung mehr.
So langsam beschleicht mich der Verdacht, dass es bei unseren Krankenkassen wie in den USA drum geht, Gewinn zu erwirtschaften, und dann kommt mir das Grausen!
Fazit; A) Bloss nicht älter werden! A) Keinesfalls krank werden! Und schon gar nie die Arbeitsstelle verlieren!
Falls doch, sind sie in diesem Sozialstaat nur eine finanziell Rote Nummer, die der Sterbehilfe zugeführt werden müsste. Amen
Wenn man die Franchise auf 1000 Franken erhöhen und gleichzeitig den Selbstbehalt streichen würde, könnte man den Anreiz für unnötige Behandlungen mindern, ohne dass chronisch Kranke stärker belastet werden.
Bisher glaubte ich, «Kopfprämien» habe es nur im Wilden Westen gegeben?!
Da gibt es natürlich noch den spürbaren Prämienunterschied zw. Frauen und Männern…
Aber für Chronisch Kranke gibt es nur eine Lösung, die Basisfranchise. Hier subventioniert das System im Durchschnitt einen Drittel der Kosten.
Sehr schönes Papier, Gratulation an die Herren der Helsana.
Da gibt es natürlich noch den spürbaren Prämienunterschied zw. Frauen und Männern…
Aber für Chronisch Kranke gibt es nur eine Lösung, die Basisfranchise. Hier subventioniert das System im Durchschnitt einen Drittel der Kosten.
Sehr schönes Papier, Gratulation an die Herren der Helsana.
Ich (79 Jahre) glaube, man sollte das Solidaritätsprinzip nicht überstrapazieren. Denn die mit den hohen Franchisen verbundenen Rabatte sind wahrscheinlich weniger eine Belohnung für die Jungen als eine Anerkennung für gesundheitsbewusste Menschen, welche nicht wegen jeder Bagatelle zum Arzt gehen und damit ein wesentlicher Kostendämpfungsfaktor. Das Problem chronischer Erkrankungen wird auch nicht gelöst, wenn wir alle «Couchpotatos» mit grösserer Solidarität subventionieren. Die Gesamtkosten im Gesundheitswesen werden aber eher steigen. Darum: eher Hände weg von Rabatteinschränkungen bei den Franchisen. Für ältere Menschen wäre es ziemlich sicher nützlicher, Pallitivbehandlungen stärker zu unterstützen. Denn die heutige Überbewertung der curativen Medizin ist nicht nur ein Kostentreiber sondern in vielen Fällen auch eine starke Minderung der Lebensqualität Betroffener zu Gunsten einer bescheidenen Erhöhung ihrer Lebenserwartung.
@Gutmann. Ich bin natürlich mit Ihnen einig und habe meine Franchise von 1500 CHF beibehalten obwohl es rein ökonomisch schon seit einigen Jahren nicht mehr besonders sinnvoll ist, da ich diese Franchise leider regelmässig überschreite.
Die Mehrkosten, die daraus entstehen halten sich allerdings in Grenzen und ich habe immer noch ein bisschen das Gefühl, durch Zurückhaltung bei den Gesundheitsleistungen, eines Jahres wieder unter die Limite zu kommen. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings gering und wird jedes Jahr kleiner.
So wird es halt zu einem kleinen, zusätzlichen Solidaritätsbeitrag.