Rechtskräftig verurteilter Arzt bleibt uneinsichtig
Es sind bereits zweieinhalb Jahre verstrichen, seit ein in der Region Bern tätiger Hausarzt wegen «mehrfacher Urkundenfälschung» und gewerbsmässiger unrechtmässiger Bereicherung» mit einem Strafbefehl rechtskräftig verurteilt wurde. Er hatte namentlich Betagten in einem Alterszentrum Leistungen verrechnet, die er nie erbracht hatte. Beispielsweise belastete der Arzt einer einzigen Kasse 330 mal die Tarifposition «Instruktion von Selbstmessungen», «obwohl die Patienten im Pflegezentrum … selber keine Messungen durchgeführt haben», hiess es in der Urteilsbegründung. Weitere erfundene Leistungen betrafen die Tarifpositionen «Vorbesprechung diagnostischer/therapeutischer Eingriff mit Patienten / Angehörigen», «obwohl fast nie ein Eingriff durchgeführt wurde oder bevorstand». Oder «Praxiskonsultationen», obwohl diese Patientinnen und Patienten nie in seiner Praxis waren.
Einer 95-jährigen Patientin verrechnete der Vorgängerarzt im Alterszentrum während fast neun Monaten nur 587 Franken. Sein verurteilter Nachfolger stellte innerhalb von zwölf Monaten 6653 Franken für Leistungen in Rechnung, obwohl der Zustand der Betagten nach Aussagen eines von ihr Bevollmächtigten stabil blieb.
Der Betrüger-Arzt betreute im Alterszentrum rund zwanzig Betagte. Zu Schaden kamen mehrere Krankenkassen sowie zu einem kleineren Teil auch die Patientinnen und Patienten, denen zu viele Selbstbehalte und Franchiseanteile belastet wurden.
Seit Jahren uneinsichtig
Nach der Verurteilung vom März 2017 verbot ihm die Berner Gesundheitsdirektion, ab Ende November als selbständiger Praxisarzt weiter tätig zu sein. Trotzdem praktizierte der Arzt mindestens zweieinhalb Monate weiter. Nach einer Vollstreckungsverfügung der Berner Gesundheitsdirektion wurde die Praxis am 15. Februar 2018 zwangsgeschlossen und die Behandlungsunterlagen wurden beschlagnahmt.
Am 28. August 2019 verurteilte das Berner Regionalgericht Mittelland den Arzt erneut wegen gewerbsmässigen Betrugs, weil er ohne Praxisbewilligung mit den Krankenkassen weiterhin abgerechnet hatte. Der Arzt machte vergeblich geltend, er habe vom Praxisverbot nichts gewusst, weil er den eingeschriebenen Brief der Aufsichtsbehörde zwar selber bei der Post abgeholt, diesen aber anschliessend verlegt habe.
Diese zweite Verurteilung und die bedingt ausgesprochene Gefängnisstrafe sind noch nicht rechtskräftig.
Der Arzt zieht Infosperber vor Gericht
Infosperber ist von diesem Arzt direkt betroffen. Vor Gericht verlangt er 120’000 Franken Schadenersatz und 15’000 Franken Genugtuung, weil Infosperber seinen vollen Namen veröffentlicht hatte. Infosperber hatte ihn genannt, um passiv gebliebene Ärztegesellschaft und Behörden zum Handeln zu bringen, um Patientinnen und Patienten zu warnen, als er falsche Abwesenheitsmeldungen verbreitete und keinen Zugang zu den Krankengeschichten wie Diagnosen, Laborbefunde oder Röntgenbilder gewährte, und weil er Patienten weiter behandelte, obwohl ihm die Bewilligung zur Führung einer Praxis entzogen war. Seine damaligen und künftigen Patientinnen und Patienten sollen selber informiert entscheiden können, ob sie einen Arzt, der zwei Jahre lang wiederholt und vorsätzlich Leistungen verrechnete, die er gar nicht erbracht hatte, weiterhin aufsuchen oder neu konsultieren möchten. Dies unabhängig von seiner medizinischen Qualifikation.Seit er in der Schweiz nicht mehr als selbständiger Arzt tätig ist, haben wir seinen Namen anonymisiert. Seine Klage gegen Infosperber ist noch hängig.
«Verbreitete Praxis»
Der Arzt bestreitet nicht, dass er seinen Patientinnen und Patienten immer wieder einige Tarifpositionen verrechnete für Leistungen, die er gar nicht erbracht hatte. Doch sei er sich bis heute keiner Unrechtmässigkeit bewusst, weil dies bei Hausärzten übliche Praxis sei. Es gebe eben nicht für alle Leistungen Tarifpositionen, weshalb er «ohne Bereicherungsabsicht» einfach andere Tarifpositionen verwendet habe.
Jedenfalls gehöre es «nicht zum Grundwissen der Hausärzte», dass dies nicht erlaubt sei, macht er im Verfahren gegen Infosperber geltend. Er zitiert dazu einen Artikel des Webportals MedInside vom September 2018, wonach «rund 42 Prozent der Hausärzte auf andere Positionen ausweichen» würden. Dieser Artikel sei eine offizielle Mitteilung des Berufsverbands der Haus- und Kinderärztinnen» mfe gewesen.
Doch offensichtlich kann dieser Arzt einen solchen einfachen Artikel und die Grafiken dazu nicht sorgfältig lesen. Es stellt sich die Frage, wie oberflächlich er wohl kompliziertere Studien über Vor- und Nachteile von Medikamenten und Behandlungen liest.
Dass 42 Prozent aller Hausärzte so abrechnen, wie er es gemacht hatte, geht aus der zitierten «offiziellen Mitteilung» des Verbands mitnichten hervor. Erstens handelte es sich um keine repräsentative Umfrage des mfe. Nur 29 Prozent der Mitglieder hatten einen Fragebogen zurückgeschickt. Die Hälfte dieser antwortenden Minderheit gab an, mit den neuen Tarifen keine Probleme zu haben. Nur 42 Prozent der restlichen Antwortenden gaben an, dass sie «eine andere Tarifposition suchen».
Der Verband «Haus- und Kinderärzte Schweiz» mfe bestätigte gegenüber Infosperber: «Es sind also knapp 42 Prozent der Minderheit jener, die Probleme mit dem Tarif haben, welche in gewissen Situationen nach Wegen suchen, eine erbrachte Leistung auch abrechnen zu können. Gemessen an der Zahl aller Antwortenden beträgt dieser Anteil nur 18,9 Prozent.» Und überhaupt geantwortet haben nur 29 Prozent der Befragten.
Der Verband lässt keinen Zweifel: Es dürfen nur Leistungen abgerechnet werden, die erbracht wurden. «Analogieabrechnungen» auf fremden Tarifpositionen seien «nicht zulässig». Der Verband fordere seine Mitglieder «regelmässig auf, den Tarif korrekt anzuwenden». Bei Problemen sollen sich die Mitglieder an den Verband wenden. Das hat der verurteilte Arzt nicht gemacht.
Der Ärzteverband FMH weist seinerseits die Behauptung weit von sich, dass über 40 Prozent der Hausärzte unkorrekt abrechnen würden: «Die Zahlen und Statistiken zur Krankenversicherung zum Jahr 2018, die im Sommer 2019 veröffentlicht wurden, liefern keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Ärztinnen und Ärzte auf andere Tarifpositionen ausweichen. Damit geben sich keine Hinweise, welche diesen Vorwurf bestätigen.»
In seiner Klage gegen Infosperber bestreitet der Hausarzt nach wie vor, dass seine Abrechnungen betrügerisch und unrechtmässig waren. Vielmehr habe er stets «nach bestem Wissen und Gewissen ohne Bereicherungsabsicht» abgerechnet.
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Frühere Artikel über diesen Hausarzt auf Infosperber:
21. August 2017«Dieser Arzt ist ein uneinsichtiger Betrüger»
28. Januar 2018«Betrüger-Arzt lässt seine Patientinnen und Patienten im Stich»
12. Februar 2018«Dieser Arzt lässt seine Patientinnen und Patienten weiter im Stich»
17. Mai 2019: «Dem Betrüger-Arzt drohen Freiheitsentzug und Landesverweis»
31. August 2019: «Arzt zum zweiten Mal wegen gewerbsmässigen Betrugs verurteilt»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Uneinsichtig und hartnäckig. Auf der Website der Praxis, die immer noch aufgeschaltet ist, teilt der Arzt mit: »…Die Praxis ist gegenwärtig wegen eines von mir bestrittenen Behördenentscheides geschlossen…» und verweist in Notfällen auf Medphone.
Es wäre noch interessant zu wissen, ob er seine Tätigkeit als Lehrbeauftragter der Universität Bern – die er auf seiner Website erwähnt – noch ausübt. Ein doch etwas fragliches Vorbild für den beruflichen Nachwuchs.