GrafikSpezialistenKopie

Kosten pro Kopf – Spezialärzte mit Praxen pro 1 Mio Einwohner (Quelle: SASIS; BFS;OBSAN) © CH.H.GRAFIK

Je mehr Spezialarztpraxen, desto höher die Prämien

Urs P. Gasche /  In Kantonen mit einer grösseren Dichte an Praxen mit Spezialisten sind die Krankenkassen-Prämien deutlich höher.

Der Besuch der Praxis eines Urologen, Chirurgen, Ophthalmologen, Neurologen, Onkologen, Kardiologen oder Dermatologen kommt die Krankenkassen und damit die Prämienzahlenden deutlich teurer zu stehen als der Besuch bei einem Allgemeinmediziner oder einer Gruppenpraxis.

In Kantonen mit einer hohen Spezialisten-Dichte wie etwa in den Kantonen Zürich, Waadt oder Neuenburg sind auch die Kosten und Prämien höher als in andern Kantonen. Ein Nutzen für die Patientinnen und Patienten ist auch nicht ansatzweise nachgewiesen. Im Gegenteil: Es kann zu mehr unnötigen Diagnosen und Behandlungen ohne Nutzen kommen.

Für die Höhe der zwischen den Kantonen sehr unterschiedlichen Kosten und Prämien gibt es verschiedene Gründe. Die Dichte der Spezialarztpraxen ist jedoch ein wesentlicher Faktor. Besonders viele Spezialisten führen ihre Praxen in der Nähe von grossen Spitälern, weil sie in diesen häufig als sogenannte «Belegärzte» operieren.

In der obigen Grafik sind einigermassen vergleichbare Kantone ausgewählt, mit je einem Zentrums- oder Universitätsspital und einer grösseren nicht-städtischen Fläche. Die Abhängigkeit der Kosten/Prämien von der Dichte der Praxen mit Spezialisten geht daraus deutlich hervor.

Zuerst zum Allgemeinmediziner – ein Vorteil für Patientinnen und Patienten

In fast ganz Europa, ausser Deutschland, Österreich und der Schweiz, basiert die soziale Grundversorgung auf dem Hausarztmodell. Hausärzte sind dort Scharniere und Türöffner der Gesundheitsversorgung. Von Spanien über Holland bis nach Schweden geht niemand direkt zu Chirurgen, Orthopäden oder Psychiater, sondern alle zuerst in die Hausarzt-(Gruppen-)Praxis.
Und das zu ihrem Vorteil: Spanier, Holländer oder Schweden müssen viel weniger häufig und weniger lang im Spital liegen als wir Schweizer, sie werden seltener mit unnötigen CT-Strahlen belastet, seltener unnötig den Gefahren einer Herzkatheter-Untersuchung ausgesetzt, und seltener unnötig operiert und medikalisiert als wir. Hausärzte überarzten eben seltener als Spezialisten. Für die Gesundheit ist das nur von Vorteil. Holländer und Schweden fühlen sich mindestens so gesund wie wir und leben ebenso lange, zahlen aber fast ein Drittel weniger dafür.

Die Patienten bleiben

  • Die Grundversorger begegnen in ihren Praxen häufig die gleichen Menschen, nur deren Krankheiten kommen und gehen. Sie lernen, wie ihre Patienten mit ihren Krankheiten umgehen.
  • In den Praxen der Spezialisten dagegen kommen und gehen die Patienten, dafür bleiben die Krankheiten immer die gleichen. Die Fachärzte erfahren kaum, wie die Menschen mit ihren Krankheiten umgehen, aber sie wissen, was die Krankheiten bei den Menschen anrichten können.

Deshalb leiden viele Spezialisten an einem Tunnelblick und überschätzen «ihre» Krankheiten und Therapien. Häufig folgen sie Leitlinien, welche die Verkäufer der Medizintechnik oder die Pharmaindustrie entworfen haben, zum Beispiel für die Interpretation des Cholesterinspiegels oder für die Hormonersatztherapie.
Viele organische Beschwerden haben psychosoziale Ursachen, über die der Spezialarzt nicht Bescheid weiss. Grundversorger dagegen kennen ihre Patientinnen und Patienten mit ihrer ganzen Geschichte, häufig auch mit ihrem sozialen Umfeld. Sie sind nicht auf ein Organ fixiert und deshalb in den meisten Fällen die besseren Detektive: Sie finden die Ursachen von Symptomen mit einer höheren Treffsicherheit. Wenn eine Überweisung nötig ist, wissen die Hausärzte dank der langen «Erfolgskontrolle» mit ihren Patienten, welches die besten Chirurgen und Spitäler sind.
Wer dagegen direkt zu einem Chirurgen geht, weiss nicht, wie gut dieser wirklich ist, und lässt sich von einer vielleicht unnötigen Operation mit allen Risiken überzeugen, an welcher der beratende Chirurg ein paar tausend Franken verdient.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20120125um10_27_01

Gesundheitskosten

Jeden achten Franken geben wir für Gesundheit aus – mit Steuern und Prämien. Der Nutzen ist häufig zweifelhaft.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

4 Meinungen

  • am 18.12.2017 um 12:11 Uhr
    Permalink

    In der Schweiz ist das ehemalige Gesundheitswesen ab und mit dem KVG durch eine industrielle Krankheitsbewirtschaftung abgelöst worden. Nicht unbeabsichtigt, nicht versehentlich, sondern politisch so gewollt. Frühere med. Ziele, wie Linderung von Leiden, gelegentlich sogar Heilung, wurden durch ökonomische abgelöst. Das Generalziel besteht in der Generierung eines maximalen BIP- Anteil aus der Bewirtschaftung von Krankheit.
    In diesem Kontext ist Mengenausweitung, also Überversorgung kein Kollateralschaden, sondern systembedingt und gewollt. Es macht überhaupt keinen Sinn, ein Symptom bekämpfen zu wollen, welches lediglich als Prädiktiv zu verstehen ist.
    Wollte man das Krankenversorgungssystem zu einem Gesundheitswesen zurück bauen, ginge das nur durch Eliminierung von Abrechnung und damit von Krankenkassen und Leistungskatalogen. Mit Krankenkassen steigen die Mengenausweitung und damit die Kosten, bei gleichzeitiger Minderung der medizinischen Qualität.

  • am 18.12.2017 um 15:51 Uhr
    Permalink

    Ob der Besuch eines Allgemeinmediziners so ein Vorteil für Patientinnen und Patienten ist, wage ich zu bezweifeln. Diese Praxen sind meistens sowas von überlaufen bis rammelvoll, dass man nur ernst genommen wird, wenn man halb bewusstlos, blutend und sich vor Schmerzen krümmend «vorspricht». Bei allen anderen Leiden wird man nur noch von oben herab mit Rezeptfrei überall erhältlichen Standardmittelchen auf die Schnelle abgefertigt. Der nächste bitte…

  • am 19.12.2017 um 10:16 Uhr
    Permalink

    "Und das zu ihrem Vorteil: Spanier, Holländer oder Schweden müssen viel weniger häufig und weniger lang im Spital liegen als wir Schweizer, sie werden seltener mit unnötigen CT-Strahlen belastet, seltener unnötig den Gefahren einer Herzkatheter-Untersuchung ausgesetzt, und seltener unnötig operiert und medikalisiert als wir. Hausärzte überarzten eben seltener als Spezialisten."

    haben Sie Zahlen und Quellen dazu?

    Luc

  • am 20.12.2017 um 16:51 Uhr
    Permalink

    Zu internationalen Vergleichen gibt es Vergleichszahlen der OECD sowie einzelne Studien über bestimmte Eingriffe. Für die unterschiedlichen Behandlungshäufigkeiten innerhalb der Schweiz haben BFS/Obsan und auch Krankenkassen genügend signifikante Daten geliefert. Konsultieren Sie zum Beispiel die Daten der einigermassen vergleichbaren Kantone Waadt und St. Gallen.
    Schon in den 90er Jahren ging aus Krankenkassen-Statistiken hervor, dass in Gegenden mit vielen operierenden Gynäkologen und Gynäkologinnen viel mehr Frauen ohne Gebärmutter leben. Oder nehmen Sie das Tessin: Vor Eröffnung des Herzzentrums sehr unterdurchschnittlich viele Herzeingriffe, heute stark überdurchschnittlich viele.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...