Gelangt der mRNA-Impfstoff ins Ungeborene? – Unbekannt
Nicole S.* liess sich Ende August 2021 zum zweiten Mal gegen Covid impfen, im Vertrauen darauf, dass der mRNA-Impfstoff sicher ist. Sie und ihr Mann wünschten sich ein zweites Kind. Etwa 14 Tage nach der Impfung wurde S. schwanger. In der neunten Schwangerschaftswoche kam es zur Fehlgeburt.
In dieser ersten Phase der Schwangerschaft sind Fehlgeburten im Allgemeinen nicht selten. Trotzdem fragt sich S., die mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech geimpft wurde, noch heute: War die Impfung wirklich sicher?
Die Arzneimittelbehörden erfuhren nichts von ihrer Fehlgeburt. Denn weder ihre Frauenärztin noch die damals 24-jährige S. erstatteten eine Verdachtsmeldung. Normalerweise werden nur 10 bis 15 Prozent der vermuteten Arzneimittel-Nebenwirkungen tatsächlich gemeldet (Infosperber berichtete mehrmals).
Um ihre Frage zu beantworten, müsste man zum Beispiel wissen, wie sich der mRNA-Impfstoff im Körper verteilt, ob Tierexperimente irgendwelche Hinweise lieferten, dass die Impfung die Fruchtbarkeit beeinflussen könnte, ob der Impfstoff die Plazenta passiert und was Studien mit geimpften, schwangeren Frauen ergaben.
Ein Rückblick.
«Keine Daten verfügbar»
«Was Geburtshelfer wissen müssen», stand am 23. Dezember 2020 über einem Artikel in «Obstetrics & Gynecology», der offiziellen Fachzeitschrift des über 60’000 Mitglieder zählenden Verbands der US-Frauenärzte und Geburtshelfer. Der Beitrag erschien vor Beginn der Covid-Impfkampagne und fasste das Wenige zusammen, das damals zu Covid und zu den Covid-Impfstoffen in der Schwangerschaft bekannt war. Die Leserinnen und Leser erfuhren: «Die Wahrscheinlichkeit, dass der Impfstoff die Plazenta erreicht und sie überwindet, wird als gering eingeschätzt.»
Im Bericht der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zu den Impfstoffen von Pfizer/Biontech und von Moderna stand dazu im Februar bzw. März 2021: «Es sind derzeit keine Daten zum Plazentatransfer verfügbar.»
Nicole S. lebt in Deutschland. Dort rieten die zuständigen Ärzteverbände bereits im Mai 2021, schwangere Frauen vorrangig gegen Covid zu impfen. Damit setzten sie sich über die damals geltende Empfehlung der nationalen Impfkommission hinweg.
S. entschloss sich freiwillig zur Covid-Impfung. Wenige Wochen später hätte sie sich aber sowieso impfen lassen müssen, sagt sie. Denn ihre Arbeitsstelle habe das verlangt. S. wusste nicht, wie wenig untersucht worden war, ob und wie sich die mRNA-Impfstoffe nach der Injektion im menschlichen Körper verteilen.
«Noch immer kein vollständiges Bild»
Jahre nach der Zulassung der mRNA-Impfstoffe suchten vier russische Autoren die dazu veröffentlichten Studien zusammen. Ihr Fazit in «Biomedicines»:
«Es überrascht, dass es auch nach mehr als dreijähriger Anwendung beim Menschen noch immer kein vollständiges Bild davon gibt, wie sich die Impfstoffe im Körper verteilen. Einige Studien legen nahe, dass Bestandteile bis zu 187 Tage im Körper überdauern können und in kleinen Mengen die Blut-Hirn-Schranke und die Blut-Muttermilch-Schranke überwinden, aber nicht die Blut-Plazenta-Schranke. Trotzdem ist es zu früh, um hier endgültige Schlüsse zu ziehen.»
«Anhaltende Bedenken zerstreuen»
Ab dem Sommer 2022 wurden Studien publik, die untersuchten, ob die mRNA-Impfstoffe die menschliche Plazenta passieren. Sie erschienen zum Beispiel in «Nature Communications», «Modern Pathology» sowie «iScience» und ergaben nichts Beunruhigendes.
Ihre Ergebnisse würden darauf hindeuten, dass die Plazenta eine wirksame Barriere für beide mRNA-Impfstoffe sei und das Baby im Mutterleib somit keine Immunreaktion auf den Impfstoff entwickle, schrieb eine Forschergruppe aus San Francisco. Dies «könnte die anhaltenden Bedenken über die Auswirkungen des Impfstoffs auf den Fötus zerstreuen», so die Wissenschaftler. Bezahlt wurden sie bzw. ihre Experimente unter anderem vom US-Forschungsinstitut NIAID, das Anthony Fauci leitete, der wissenschaftliche Corona-Berater der beiden letzten US-Präsidenten.
Allerdings: Diese Forschergruppe habe nicht gezielt nach der Impf-mRNA in der Plazenta gesucht, sondern stattdessen nach der mRNA des Coronavirus. Da sei ein Unterschied, so der Einwand von Wissenschaftlern der New York University auf Long Island. Sie zweifeln die Befunde der Forschergruppe aus San Francisco an.
Impf-mRNA im Nabelschnurblut und in der Plazenta
Die Wissenschaftler der New York University hatten selbst zwei Frauen untersucht, die während der Schwangerschaft gegen Covid geimpft wurden. Eine wurde zwei Tage vor dem Kaiserschnitt mit der Moderna-Impfung «geboostert», die andere erhielt die zweite Pfizer-Impfdosis zehn Tage vor der Niederkunft.
Sowohl im Nabelschnurblut als auch in der Plazenta der ersten Frau fanden sie Impf-mRNA. Die Konzentration im Nabelschnurblut betrug etwa ein Drittel derjenigen im mütterlichen Blut.
Bei der zweiten Frau fanden sie Impf-mRNA in der Plazenta (das Nabelschnurblut wurde bei ihr nicht untersucht). Wie sich zeigte, wirkte die mRNA und führte dort zur Produktion von «Spike-Protein». Der Impfstoff tat also genau, was von ihm erwartet wurde – bloss war das nicht in der Plazenta erwartet worden.
«Diese zwei Fälle zeigen, dass die Covid-19-Impf-mRNA die Plazentaschranke überwinden können», folgerten die Wissenschaftler im «American Journal of Obstetrics & Gynecology». Ob dies dem Kind schaden könne, bleibe zu klären.
Taiwanesische Forscher widersprechen
Ein Tier-Experiment aus Taiwan kommt nun zu ähnlichen Schlüssen. Ob und in welchem Ausmass die mRNA-Impfstoffe über die Zeit hinweg die Plazenta durchdringen würden, liege bisher «im Dunkeln», halten diese Forscher fest. Denn das sei vor der Zulassung der Impfstoffe nicht untersucht worden – obwohl bei den mRNA-Impfstoffen mehrere neue Technologien zum Einsatz gekommen seien.
Ihre Mäuse-Studie fülle nun eine Lücke.
Die vorherrschende Annahme, es komme nicht zum Übertritt des mRNA-Impfstoffs durch die Plazenta «schien verfrüht», schreiben die Autoren in «Molecular Therapy: Nucleic Acids», dem Fachorgan der «Amerikanischen Gesellschaft für Gen- und Zelltherapie».
«Dringend Neubewertung erforderlich»
In ihrem Experiment impften sie trächtige Mäuse mit dem Moderna-Impfstoff gegen Covid. Er überwand innerhalb von Stunden die Plazenta und konnte sich im Fötus vor allem in der Leber anreichern. Mindestens sieben Tage lang sei der Impfstoff im fötalen Kreislauf zirkuliert und wirkte bei den Mäuseföten sogar: Sie begannen, Antikörper gegen das Spike-Eiweiss des Coronavirus zu produzieren.
Laut den taiwanesischen Wissenschaftlern könne die Impf-mRNA sogar mindestens drei Wochen in Leber und in Milz der neugeborenen Mäuse verbleiben. Da es sich jedoch um ein Mäuseexperiment handle, sei grösste Vorsicht angebracht, diese Resultate telquel auf Menschen zu übertragen, warnen sie. Dennoch würden die Ergebnisse dringend eine Neubewertung erfordern, was die Plazentagängigkeit der mRNA-Lipidnanoteilchen betreffe und wie sich diese auf Föten auswirkten, falls die Mutter während der Schwangerschaft geimpft werde.
Von solchen Befunden konnte S. nichts wissen, denn sie wurden erst lange nach ihrer Covid-Impfung veröffentlicht. Was aber war vorher zur Wirkung der mRNA-Impfstoffe auf die Fruchtbarkeit bekannt?
Rattenweibchen wurden mit hoher Dosis geimpft
Aus dem Artikel in «Obstetrics & Gynecology» vom Dezember 2020 erfuhren die Frauenärzte: Für keinen der Covid-Impfstoffe seien bisher Tierexperimente abgeschlossen worden, bei denen die Wirkung auf die Fruchtbarkeit, auf Embryos oder Föten untersucht wurde – mit einer Ausnahme: Der Hersteller des Moderna-Impfstoffs habe der US-Arzneimittelbehörde FDA am 4. Dezember 2020 Ergebnisse eingereicht. Diese Experimente hätten nichts Beunruhigendes gezeigt.
Die kleinen Rattenweibchen erhielten viermal dieselbe Impfdosis wie Menschen, zwei Dosen vor der Paarung und zwei während der Trächtigkeit. In der Zeit der frühen Trächtigkeit, die für Föten besonders heikel ist, weil sich dann die Organe bilden, wurde den Ratten hingegen kein Impfstoff verabreicht.
Niedrigerer «Schwangerschafts-Index» – ohne Bedeutung
Aus dem Gutachten der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) geht hervor, dass der «Schwangerschafts-Index» bei den geimpften weiblichen Ratten mit 84,1 Prozent niedriger ausfiel als bei ungeimpften Vergleichstieren (93,2 Prozent). Dieser Unterschied von etwa neun Prozent habe im Bereich des «historischen Kontrollbereichs» gelegen. Gemeint sind damit Resultate von früheren Experimenten im gleichen Labor, die als Vergleich herangezogen werden.
«Diese Argumentation scheint mir fehlerhaft, um es milde auszudrücken. Wenn man in diesem Experiment eine Vergleichsgruppe hatte – weshalb zieht man dann zusätzlich eine historische Kontrolle als weiteren Vergleich heran, von der wir nicht wissen, ob sie unter den exakt gleichen Bedingungen untersucht wurde? Mir scheint es, als verzerre man mit der ‹historischen Kontrolle› die Risikoeinschätzung», sagt ein von Infosperber befragter klinischer Pharmakologe, der anonym bleiben möchte.
Drei von Infosperber befragte Fachleute sind sich einig: Ohne genauere Angaben lasse sich aus diesen Angaben der EMA nicht ableiten, ob der Impfstoff in diesen Experimenten ein Problem verursachte oder nicht.
Die EMA sieht kein Problem. Sie verweist darauf, dass der Unterschied von neun Prozent nicht statistisch signifikant gewesen sei. Ausserdem sei bei einigen Rattenweibchen nicht beobachtet worden, ob sie sich wirklich gepaart hätten. Das könne den Unterschied möglicherweise erklären.
Vergleich mit «historischen Daten»
In einem der Experimente von Pfizer/Biontech wurden 44 weibliche Ratten zweimal vor der Paarung und dann noch zweimal während der Trächtigkeit geimpft. Eine gleich grosse Vergleichsgruppe bekam bloss Kochsalzlösung gespritzt. Laut dem deutschen Paul-Ehrlich-Institut erfüllte die Anzahl der Versuchsratten die Vorgaben.
In diesem Experiment hatten die geimpften Ratten etwa doppelt so viele Fehlgeburten (9,77 Prozent, verglichen mit 4,09 Prozent in der Vergleichsgruppe). Dieser Unterschied war statistisch signifikant. Der Anteil der Ratten, die trächtig wurden, war bei den geimpften Weibchen drei Prozent niedriger als bei den ungeimpften.
«Wenn Ergebnisse auf ein potenzielles Risiko hindeuten, darf man das nicht ignorieren und muss das weiter untersuchen», sagt der Pharmakologe. Das Resultat dieser Studie sei «keineswegs ein Blankoscheck für die breite Anwendung bei Schwangeren». Es berechtige allenfalls dazu, eine klinische Studie mit schwangeren Frauen zu beginnen.
Beurteilung der EMA: «Biologisch nicht bedeutsam»
Die EMA dagegen bewertet den Unterschied bei den Fehlgeburten als «biologisch nicht bedeutsam». Er sei zufällig zustande gekommen. Im Vergleich zu «historischen Daten» sei er unauffällig, steht auch im EMA-Gutachten zum Pfizer/Biontech-Impfstoff vom Februar 2021. Denn die Fehlgeburtenrate bei den historischen Daten habe sich zwischen 5,1 und 11,5 Prozent bewegt. Bei den Föten habe es eine «sehr geringe Anzahl» schwerer Fehlbildungen gegeben.
Pfizer-Mitarbeiter veröffentlichten die Resultate dieses Experiments im August 2021 in «Reproductive Toxicology». Demnach gab es bei solchen Laborratten «historisch» sogar eine Schwankungsbreite von 1,4 bis 16,2 Prozent Fehlgeburten.
Eine ungewöhnliche Fehlbildung bei einem Rattenjungen an der Hauptschlagader sei in einem anderen Labor auch schon einmal beobachtet worden, das habe nichts mit der Impfung zu tun, folgerten die Pfizer-Mitarbeiter. Ihr Fazit: Der mRNA-Impfstoff zeige keinerlei Effekte auf die Fruchtbarkeit, die embryo-fötale Entwicklung oder andere Parameter in diesem Zusammenhang. Die EMA schloss sich dem an.
Studie liefert kein aussagekräftiges Resultat
Wenn die Schwankungsbreite bei den historischen Kontrollen derart gross war, dann bedeutet das für das Pfizer/Biontech-Experiment: «Die untersuchte Gruppe an Ratten war zu klein bemessen.» Das sagt Steliana Huhulescu, Fachärztin für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin und langjährige Abteilungsleiterin bei der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit.
Mit mehr Versuchstieren hätte sich klarer gezeigt, ob der Unterschied bei den Fehlgeburten bloss zufällig zustande kam oder ob womöglich der Impfstoff schuld war, bestätigen weitere von Infosperber befragte Fachleute.
Infosperber bat die EMA um Stellungnahme. Zur Frage, ob die Tier-Experimente angesichts der grossen, historischen Schwankungsbreite nicht von vornherein zu klein bemessen gewesen seien, schwieg sich die EMA aus.
Infosperber fragte die EMA auch, ob sie vor der Zulassung der Impfstoffe von den mRNA-Impfstoff-Herstellern Studien zur Bioverteilung im menschlichen Körper verlangt hatte. Die EMA beantwortete auch diese Frage nicht. Stattdessen verwies sie auf Mäuse- und Rattenexperimente.
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*Name geändert.
➞ Lesen Sie demnächst Teil 6.
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Keine
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