Maira und Toño Montes mit Baby Manuel

Maira und Toño Montes mit Baby Manuel: Der Knabe kam am 2. Januar 2023 in der Clínic Barcelona zur Welt. Mutter und Sohn wuchsen in der gleichen Gebärmutter heran. © Clínic Barcelona

Gebärmutter-Transplantation: 300’000 Dollar für ein Baby

Martina Frei /  Etwa 135 Frauen weltweit erhielten bisher eine Gebärmutter transplantiert. Ein Teil davon wurde – mit viel Aufwand – schwanger.

Frauen ohne funktionsfähige Gebärmutter haben bisher nur vier Möglichkeiten: Sie verzichten auf Kinder. Sie adoptieren ein Kind. Sie gehen eine Partnerschaft mit jemandem ein, der oder die bereits Kinder hat. Oder sie suchen – wo dies erlaubt ist – eine Leihmutter, um ihre befruchteten Eizellen auszutragen. 

Die Medizinprofessorin Liza Johannesson möchte diesen Frauen eine fünfte Möglichkeit anbieten: Sie pflanzt ihnen die Gebärmutter einer Lebend- oder Totspenderin ein. «Die Nachfrage wird zunehmen», prophezeite die medizinische Direktorin des Gebärmutter-Transplantations-Programms am Baylor University Medical Center in Dallas in der US-Medizinerzeitschrift «Jama». 

Allein in den USA gebe es schätzungsweise 2,5 bis 3 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter, die aufgrund eines Problems mit der Gebärmutter unfruchtbar seien, schreibt Johannesson auf Anfrage von Infosperber. Übertragen auf die Schweiz wären dies grob geschätzt rund 2000 Frauen, in Deutschland etwa 20’000.

Das älteste Kind ist zehn Jahre alt

Seit dem ersten Versuch 2011 im türkischen Antalya, eine Gebärmutter zu transplantieren, haben bisher über 135 Frauen weltweit ein solches Organ erhalten. Rund die Hälfte dieser Transplantationen fanden in den USA statt. Auch in mehreren europäischen Ländern sowie in Brasilien, Indien, China und Australien werden Johannesson zufolge Gebärmütter transplantiert.

Weltweit wurden bisher je nach Quelle mehr als 50 oder über 70 Kinder geboren, die in einer transplantierten Gebärmutter heranwuchsen. Das erste feierte letztes Jahr seinen zehnten Geburtstag. Der Knabe erblickte 2014 in Schweden das Licht der Welt. Seine Mutter war damals 35 Jahre alt, die Gebärmutter stammte von einer 61-jährigen Freundin der Familie. Einer der jüngsten ist der kleine Manuel, der Anfang 2023 in der Clínic Barcelona zur Welt kam. Seine Grossmutter mütterlicherseits hatte die Gebärmutter gespendet. 

Die Hoffnung: Versicherungen übernehmen die Kosten

Manche medizinischen Zentren bieten Gebärmutter-Transplantationen für Selbstzahlende an. Der Gebärmutter-Transplanteurin Johannesson zufolge kostet das rund 300’000 US-Dollar. In manchen Fällen übernehme die Krankenversicherung immerhin die Kosten für die Schwangerschaftsbetreuung und die Geburt. Das grösste Hindernis bei der Gebärmutter-Transplantation sei finanziell, so Johannesson und ihre Kollegen. «In absehbarer Zukunft werden sich nur wohlhabende Paare die Gebärmuttertransplantation leisten können.»

«Die Hoffnung ist, dass Gebärmuttertransplantation wie andere Fruchtbarkeitsbehandlungen künftig von privaten Versicherungen sowie staatlichen und bundesstaatlichen Programmen übernommen werden. Ein ähnlicher Wandel fand bei der In-Vitro-Befruchtung statt», schreiben die Transplanteure in «Jama». Sie finden: «Frauen sollten persönliche Entscheidungen im Einklang mit ihren Überzeugungen und Bedürfnissen treffen können.»

Nur Empfängerinnen mit besten Voraussetzungen ausgewählt

Wer das Geld für eine solche Transplantation nicht hat, kann sich als Versuchsperson bewerben. Johannesson und ihre Kollegen führten von 2016 bis 2019 Gebärmutter-Transplantationen im Rahmen einer Studie durch. Ohne, dass sie dafür Werbung machten, erhielten sie 701 Anfragen von Interessierten. 20 davon wählten sie aus. Die allermeisten dieser Frauen hatten infolge einer angeborenen Fehlbildung weder eine Gebärmutter noch eine Vagina, aber mindestens einen Eierstock.

Im September 2024 beschrieben Johannesson und ihre Kollegen in «Jama» den Ablauf an ihrem Zentrum in Dallas: 

  • Zuerst werden durchschnittlich 15 Eizellen bei jeder Gebärmutter-Empfängerin gewonnen. Die Frau bekommt dafür Hormonspritzen. Sind mehrere Eizellen reif, werden diese mit einer Nadel durch die Scheide oder durch die Bauchdecke entnommen und vorerst eingefroren. Bei einigen Frauen sind mehrere Behandlungszyklen nötig, um die gewünschte Anzahl Eizellen zu erhalten. 
  • Im nächsten Schritt entscheidet ein Team aus Transplantationschirurgen und -medizinern, Frauenärzten, Geburtshelfern, Psychologen, Transplantationskoordinatoren und Fürsprechern der Organspenderin, ob die Transplantation in Frage kommt. Gibt die Gruppe grünes Licht, wird die gespendete Gebärmutter in einer vier- bis achtstündigen Operation eingepflanzt und eine Vagina angelegt. Bei 11 von 20 Frauen in Dallas kam es im Gefolge zu mindestens einer Komplikation. 
  • Nach der Verpflanzung braucht die Frau starke Medikamente, um zu verhindern, dass das Organ abgestossen wird. In mindestens monatlichen Abständen entnehmen die Ärzte eine kleine Gewebeprobe von der Gebärmutter. Diese wird auf Zeichen einer Abstossungsreaktion untersucht. Bei 40 bis 65 Prozent der Frauen kam es im Lauf eines Jahres mindestens einmal zu einer solchen Reaktion. Dann wird die Medikamentendosis vorübergehend erhöht. 
  • Falls das Organ wie gewünscht anwächst, kommt es nach rund 30 Tagen zur ersten Menstruation. Dies glückt bei etwa 70 Prozent der Empfängerinnen. Bei etwa 30 Prozent der sorgfältig ausgewählten Empfängerinnen in Dallas war die Transplantation hingegen erfolglos. Gründe für das Scheitern war zum Beispiel eine schwere Blutung mit Schockzustand oder dass ein wichtiges Blutgefäss an der Gebärmutter durch ein Gerinnsel verstopfte. Mit zunehmender Erfahrung der beteiligten Ärztinnen und Pflegekräfte schienen die Komplikationen jedoch abzunehmen. Ein anderes Problem sind Vernarbungen in der Scheide, die sich bei rund 70 Prozent der Empfängerinnen bildeten. In der Hälfte dieser Fälle wurde deshalb eine Operation nötig. 
  • Drei bis sechs Monate nach der Transplantation werden im Labor die anfangs entnommenen Eizellen befruchtet und die Embryonen (im Durchschnitt acht pro Frau) untersucht. Rund zwei Drittel der Embryonen erwiesen sich als genetisch intakt. Bei etwa 50 Prozent der Frauen gelang es in Dallas auf Anhieb, den Embryo einzupflanzen, bei den anderen brauchte es zwei oder mehr Versuche. In einer Studie von 2022, an der drei US-Zentren beteiligt waren (darunter auch das in Dallas), mündete etwa jeder dritte «Embryo-Transfer» in eine Schwangerschaft. 
  • Ab der 20. Schwangerschaftswoche wird die Frau alle zwei bis drei Wochen untersucht. Die Komplikationsrate – etwa potenziell gefährlicher Bluthochdruck bei der Mutter, eine Infektion oder vorzeitige Wehen – ist deutlich höher als bei normalen Schwangerschaften. In Dallas kam es zu 24 Schwangerschaften. Acht davon endeten mit einem Abort, häufig, weil die Gebärmutter zu schwach war, um das Kind zu halten. 
  • Von 20 Gebärmutter-transplantierten Frauen gebaren schliesslich 14 ein Baby per Kaiserschnitt. Alle Frauen, bei denen das Spenderorgan anwuchs, bekamen also mindestens ein Kind. Zwei Frauen wurden im Abstand von rund 20 Monaten sogar ein zweites Mal Mutter.

    Laut der Analyse der drei US-Zentren mussten mehr als 60 Prozent der Babys wegen Komplikationen vor der 37. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt geholt werden. Zwei Kinder waren extreme Frühgeborene, eines wog nur gerade 1310 Gramm. Von allen Babys verbrachte fast die Hälfte nach der Geburt mindestens einen Tag auf die Intensivstation.
  • Alle Kinder werden nach der Geburt regelmässig untersucht. Bei einem der 16 in Dallas zur Welt gekommenen Kinder wurde die Diagnose Autismus gestellt. Zwei Kinder konnten mit 18 Monaten noch keine sechs Wörter sprechen, hätten im Folgenden aber deutliche Fortschritte gemacht, berichteten Johannesson und ihre Kollegen. Ein weiteres Kind hatte eine Fehlbildung an der Harnröhre und musste mit elf Monaten operiert werden. Ein anderes benötigte wegen eines Hodenhochstands einen Eingriff. Anders als ihre Mütter, die fast alle ohne Gebärmutter zur Welt kamen, hatten alle neugeborenen Mädchen eine Gebärmutter.  
  • Mit Ausnahme einer Frau, die noch ein weiteres Kind möchte, wird die Gebärmutter bei allen Frauen wieder operativ entfernt, wenn sie ihren Zweck erfüllt hat. Bei fast der Hälfte der Frauen geschah dies auch, um drohende Komplikationen zu verhindern. 

Verlauf wie bei der künstlichen Befruchtung vorausgesagt

«Ermutigend» seien diese Ergebnisse, finden zwei Ärztinnen, die diese Studie in einem Begleitartikel kommentierten. Sie prophezeien der Gebärmutter-Transplantation eine ähnliche Erfolgsstory wie der künstlichen Befruchtung. Gegen letztere habe es in den 1970er-Jahren heftigen Widerstand gegeben – heute sei das Verfahren Routine. In den USA würde gegenwärtig eines bis drei von 100 Kindern im Reagenzglas gezeugt.

Die Resultate der Gebärmutter-Transplantationen würden mit zunehmender Erfahrung und medizinischem Fortschritt noch besser, sind sie überzeugt. Es sei auch «eine einmalige Gelegenheit», um mehr über die Biologie der Gebärmutter, die immunologischen Abläufe und weiteres zu lernen.

«Unfruchtbarkeit, die zu ungewollter Kinderlosigkeit führt, ist eine häufige Erkrankung. […] Sie verdient es, unabhängig von ihrer Ursache, behandelt zu werden, und die Bemühungen um die Entwicklung innovativer Behandlungen sind edel», finden die beiden Medizinerinnen. Die gesetzlichen Krankenversicherungen zum Beispiel in Deutschland, Frankreich oder Schweden anerkennen Unfruchtbarkeit als Krankheit und finanzieren bisher einen Teil der künstlichen Befruchtungen.

Kritik: «Teure Lifestyle-Prozedur»

Die Kritik kam prompt in Form eines Leserbriefs: Die Gebärmutter-Transplantation sei eine noch nicht ausgereifte, «teure Lifestyle-Prozedur» und der «ultimative Ausdruck der reproduktiven Freiheit». Ausschliesslich Gutbetuchte hätten sich die Studienteilnahme leisten können, denn die Kosten für die In-Vitro-Befruchtung, Arbeitsausfälle, die Reisen nach Dallas usw. seien nicht gedeckt worden, kritisieren eine Ärztin und ein Arzt in ihrem Brief an «Jama»

Sie stören sich auch daran, dass weder homosexuelle noch transgender Menschen an der Studie in Dallas teilnehmen durften. Ausserdem, fanden die Leserbriefschreiber, sollten in einem derart «künstlichen» Umfeld auch gespendete oder gekaufte Eizellen für die In-Vitro-Befruchtung erlaubt sein.

Auch für Transgender-Menschen zugänglich machen

Johannesson und ihre Kollegen sehen das anders. Bei einem experimentellen Verfahren sei eine Erfolgsquote von 70 Prozent – gemeint ist damit die Geburt eines Kindes – zufriedenstellend. Allerdings ist ihnen bewusst, dass dieses Resultat nur für jene Frauen gilt, die sie als besonders gut geeignet ausgewählt hatten.

Doch die Lernkurve bei der Gebärmutter-Transplantation sei klar erkennbar. Die meisten Fehlschläge gebe es, wenn ein Zentrum neu mit diesen Transplantationen beginne. Die Mediziner erinnern an die Fortschritte bei der Lebertransplantation: Dort habe die Erfolgsquote 1986 bei nur 66 Prozent gelegen, im Jahr 2015 aber bei 92 Prozent.  

Ein «Lifestyle-Verfahren» sei die Gebärmutter-Transplantation schon gar nicht, widersprechen sie heftig. Es sei vielmehr «die einzige Behandlung für eine Gebärmutter-bedingte Unfruchtbarkeit und dem natürlichen Gebären und Entbinden sehr ähnlich.» Anders als bei der Leihmutterschaft trage die Frau hier das volle Risiko selbst. 

Was homosexuelle und transgender Menschen betreffe, so «wünschen und glauben wir, dass unsere Studie dazu beiträgt und anregt, die Gebärmuttertransplantation auf andere Bevölkerungsgruppen wie die LGBTQ+-Gemeinschaft auszuweiten». 

Oft Komplikationen bei den Spenderinnen

Sorgen bereitet den Gebärmutter-Transplanteuren die noch hohe Komplikationsrate bei den Lebendspenderinnen, die im Durchschnitt zwei Kinder geboren hatten, bevor sie ihre Gebärmutter weitergaben. Am häufigsten wurde bei der fünf bis über sieben Stunden dauernden Organentnahme ein Harnleiter verletzt. Bis zu zwölf Stunden dauerte die Operation gar, wenn sie mit Unterstützung eines Roboters gemacht wurde. Am Zentrum in Dallas kam es bei 11 von 18 Gebärmutter-Lebendspenderinnen zu Komplikationen, bei vier Frauen waren diese schwerwiegend. Dieses Problem liesse sich mit Totspenderinnen umgehen, doch davon gebe es zu wenige. 

Dennoch würden die Resultate insgesamt zeigen, dass Gebärmutter-Transplantationen machbar sind. Ihr Erfolg – gemessen an der Geburtenzahl – sei vergleichbar mit den Ergebnissen der besten etablierten Behandlungen bei Unfruchtbarkeit, fanden die an den Gebärmutter-Transplantationen beteiligten Medizinerinnen und Mediziner schon 2022, als sie in «Jama Surgery» die Resultate der drei US-Zentren präsentierten. Deshalb solle die Gebärmutter-Transplantation in den USA «als klinische Realität betrachtet» und Personen mit Gebärmutter-bedingter Unfruchtbarkeit und Kinderwunsch «als Option vorgestellt werden». 

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Eine Meinung zu

  • am 14.01.2025 um 14:36 Uhr
    Permalink

    Danke an Martina Frei für diesen wiederum hervorragenden Artikel. Leider ist dies aus meiner Sicht auch schon das einzig Positive.
    Ob des Inhaltes wurde mir speihübel.
    Wo ist diese dem Hedonismus scheinbar komplett verfallene Konsumgesellschaft gelandet? Man muss, insbesondere wenn man an die beschriebenen Aussichten bezüglich neuer Kundensegmente für diese frankensteinsche Technologie denkt.

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