Rudolf Blankart Patrick Rohr Urs P. Gasche Ruben Hollinger

Professor Rudolf Blankart (links), Moderator Patrick Rohr und Urs P. Gasche © Ruben Hollinger

Fehlende Medikamente: Eigene Schweizer Zulassung abschaffen 

Red. /  Als Option könnte Swissmedic nur noch den Markt überwachen, sagt Rudolf Blankart, Professor für Regulierung im Gesundheitswesen.

Red. Folgende Debatte zwischen Professor Rudolf Blankart und Infosperber-Redaktor Urs P. Gasche führte Patrick Rohr für die Zeitschrift «im dialog» der CSS. Auf Französisch hier.


Patrick Rohr: Meine Herren, was hat Ihrer Meinung nach zur Unterversorgung im Medikamentenmarkt geführt, in der wir uns befinden?

Urs P. Gasche: Für mich als Ökonom ist es nicht nachvollziehbar, warum wir eine Versorgungskrise haben. In der Schweiz zahlen die Krankenkassen europaweit die mit Abstand höchsten Preise für Medikamente. Die Pharmaindustrie will Gewinne machen. Sie verkauft ihre Medikamente doch dort, wo es am meisten Geld zu holen gibt? 

Rohr: Herr Blankart, haben Sie eine Antwort auf Herrn Gasches Unverständnis?

Rudolf Blankart: Für eine Roche zum Beispiel ist die Schweiz eine Rundungsdifferenz. 

Rohr: Das heisst, der Schweizer Markt ist zu uninte­ressant, weil zu klein?

Rudolf Blankart CSS
Rudolf Blankart

Blankart: Ja, im Endeffekt sind wir zu klein. Wenn ich als Firma ein innovatives Medikament habe, dann setze ich meine Ressourcen zuerst dafür ein, dass das Produkt in den USA auf den Markt kommt, wo es potenziell 350 Millionen Menschen nutzen können. Dann probiere ich, in Europa auf den Markt zu kommen. Und erst dann gehe ich vielleicht irgendwann auch mal noch in die Schweiz.


Gasche: Das hat damit zu tun, dass die Schweiz abgeschottet ist. Provokativ gesagt: Warum brauchen wir eine Swissmedic, die nach der EMA, der Europäischen Arzneimittel-Agentur, noch einmal genau das Gleiche prüft, nur mit viel weniger Mitteln und folglich unsorgfältiger? Wenn wir die Empfehlungen der EMA für Europa übernehmen würden, wären wir nicht mehr so abgeschottet und folglich auch kein geschlossener Markt mehr. 

Rohr: Dann wären wir Teil des europäischen Markts und also wieder interessant?

Blankart: Das wäre sicher eine Option: Die Swissmedic abschaffen und nur noch die Marktüberwachung aufrechterhalten. 

Gasche: Und da wären Sie dafür?

Blankart: Das ist eine politische Entscheidung. Die Frage ist: Was will das Volk?

Gasche: Das Volk wird nicht gefragt. Die Frage ist, was wollen Spezialisten, Ökonomen wie Sie? Würden Sie empfehlen, die Swissmedic abzuschaffen? 

Blankart: In Bezug auf die Patientensicherheit hat die Swissmedic immer wieder sehr richtige Entscheidungen gefällt, zum Beispiel in der Covid-Krise, da wurde der Wirkstoff von AstraZeneca nicht zugelassen. Die Swissmedic hat gesagt, es fehle ihr die Datengrundlage, um zweifelsfrei sagen zu können, ob das Produkt auch tatsächlich sicher sei. 

Rohr: Also finden Sie, dass es den zusätzlichen Schutz einer Schweizer Behörde braucht?

Blankart: Die Frage ist, wie autark man sein will. 

Rohr: Autarkie zum Preis, dass die Schweiz als kleiner Markt zu wenig interessant ist und wir darum jetzt in diese Versorgungskrise geraten sind? 

Blankart: Genau! Aber man müsste halt andere Massnahmen ergreifen, um ein Medikament in die Schweiz zu bekommen. Nehmen wir als Beispiel ein Antibiotikum, das in der Schweiz nicht auf dem Markt, in der EU aber zugelassen ist. Dann kaufen die Schweizer Spitäler es halt einfach in Deutschland, Frankreich oder Italien ein und geben es an die Patienten ab, die es brauchen. 

Rohr: Das ist nicht ganz im Sinne des Erfinders …

Gasche: Wären Sie dafür, dass Ärzte, Spitäler und Krankenkassen Medikamente frei vom Ausland importieren können?

Blankart: Also erstens passiert es bereits. Und zweitens muss man aus ökonomischer Perspektive jeden Hürdenabbau begrüssen.

Gasche: Dann wären Sie auch dafür, dass das Parallelimportverbot aufgehoben würde? 

Blankart: Ja. 

Rudolf Blankart

Blankart ist Professor für Regulierung im Gesundheitswesen am Kompetenzzentrum für Public Management (KPM) an der Universität Bern und Director Regulation beim Swiss Institute for Translational and Entrepreneurial Medicine (sitem-insel). Er präsidiert den Round Table Antibiotika. 


Rohr: Gut, darf ich mal bis hier zusammenfassen: Sie sagen, der Markt spielt insofern, als dass die Schweiz vernachlässigt wird, weil sie für den grossen Markt zu klein ist? 

Blankart: Genau.

Gasche: Man kann bei den Medikamenten nicht von Markt reden! Ein Markt würde voraussetzen, dass Preise und Qualität transparent sind. Aber niemand weiss, welche Preise die Krankenkassen in Spanien, Holland oder Dänemark zahlen. Die Preise sind geheim. Auch in Bezug auf die Qualität gibt es keine Transparenz, denn Swissmedic und BAG halten ihre Einschätzungen zu Zweckmässigkeit und Wirksamkeit geheim. Das ist doch kein Markt! 

Blankart: Es ist ein hochregulierter Markt, bei dem die Anbieter sich gut überlegen, ob sie da verkaufen wollen oder nicht. 

Rohr: Also wäre die Lösung, alle regulatorischen Hürden abzuschaffen und einen wirklich freien Markt zu gestalten?

Blankart: Dann hätten wir auf jeden Fall andere Produkte auf dem Markt als jetzt. 

Rohr: Wäre dann auch die Schweiz wieder interes­sant?

Blankart: Dann hätten wir einen internationalen Markt und nicht nur einen Schweizer Minimarkt. 

Gasche: Wir sind überreguliert. Die Medikamentenpreise sind überbürokratisiert, da kann man etliches deregulieren. Es bräuchte neue Regeln, einfachere, klarere. 

Rohr: Zum Beispiel?

Urs P. Gasche CSS
Urs P. Gasche

Gasche: Man müsste erstens Parallelimporte zulassen. Man könnte bei rezeptpflichtigen Medikamenten darauf verzichten, Beipackzettel in drei Sprachen zu übersetzen. Rezeptpflichtige Medikamente geben der Arzt oder das Spital ab und diese sagen den Patienten sowieso, wie sie die Medikamente einnehmen müssen. Anderes Beispiel: Für Generika ist vorgeschrieben, dass sie alle Packungsgrössen wie die Originale anbieten müssen. Warum? 

Rohr: Genau diese Punkte moniert auch der Verband der Generikahersteller. Es gebe zu viele regula­torische Hürden, die den Schweizer Markt uninteressant machen würden. Ist das der Grund, weshalb es auch bei den Generika eine Knappheit gibt? 

Blankart: Es gibt verschiedene Gründe, diese gehören sicher dazu. Dazu kommen noch die Lieferschwierigkeiten, denken Sie an den Suezkanal, den Ukraine-Krieg … 

Urs P. Gasche

Gasche ist Redaktor von Infosperber. Über Fragen der öffentlichen Gesundheit  publizierte er im Jahr 2006 im Orell-Füssli-Verlag das Buch «Im Kreuzverhör: Gesundheitskosten». Von 2008 bis 2015 vertrat er PatientInnen und KonsumentInnen in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission EAK.

Rohr: Bis vor nicht allzu langer Zeit hatten wir eine Pharmaproduktion in Europa, auch in der Schweiz, doch die gibt es nicht mehr. Heute hängen wir von zwei Ländern ab, Indien und China. Warum ist es nicht gelungen, die Produktion in der Nähe zu behalten? 

Gasche: Dass man essenzielle Medikamente in den USA oder Europa herstellen müsste, scheint mir sinnvoll, aber da appelliere ich an die Eigenverantwortung der Konzerne. Es braucht nicht immer gleich eine Regulierung. 

Rohr: Die Konzerne gehen dorthin, wo sie am güns­tigsten produzieren können. Herr Blankart, Sie sind im Initiativkomitee der Versorgungsinitia­tive, die unter anderem fordert, dass der Bund Massnahmen treffen soll, um die Herstellung von wichtigen Medikamenten in der Schweiz zu fördern.

Blankart: Das muss nicht zwingend sein. Wichtiger ist eine Sicherung der Lieferketten. Dazu brauchen wir eine redundante Produktion, von mir aus in Chile, Paraguay, Indien und China. Das ist sicherer, als wenn ich nur in Luzern herstelle. 

Rohr: Warum?

Blankart: Wenn in der Schweiz eine Fabrik ausfällt, haben wir das Klumpenrisiko hier. Jetzt haben wir es einfach in Indien und China. 

Rohr: Ist es nicht ein Staatsversagen, dass es so weit kommen konnte?

Blankart: Die Frage ist: Ist es eine Staatsaufgabe, sich in die Produktionsketten der Pharmaindustrie zu mischen? 

Rohr: Das ist meine Frage.

Blankart: Wenn man die Pharmaindustrie zu etwas verpflichten will, dann soll man sie verpflichten, redundant zu produzieren. Wo und wie sie das macht, das soll der Industrie überlassen sein. 

Rohr: Und wer verpflichtet sie dazu?

Blankart: Am besten eine Staatengemeinschaft. Aber auch die Schweiz könnte sagen: Lieber Hersteller, wenn du in den Schweizer Markt willst, musst du eine redundante Produktion nachweisen. 

Gasche: Wenn ein Konzern ein Medikament nicht in die Schweiz bringt, weil der Markt zu unbedeutend ist, dann wird er solche Bedingungen wohl kaum akzeptieren. 

Rohr: Aber wenn die Schweiz als Teil einer Staatenge­meinschaft …

Gasche: … der EU zum Beispiel … 

Rohr: … genau, wenn die Schweiz als Teil der EU solche Bedingungen stellen würde, könnte es funktionieren?

Gasche: Einfach mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA. Die Redundanz muss nicht in Europa stattfinden, das kann rund um den Erdball sein. Man muss einfach Alternativen haben, wenn eine Quelle ausfällt. 

Rohr: Aber dann komme ich zum Schluss: Ohne Staat geht es nicht, denn die Industrie geht dorthin, wo sie am billigsten produzieren kann.

Blankart: Für die Industrie muss sich das Businessmodell lohnen. Wir können darüber nachdenken, neue Vergütungsmodelle zu kreieren, zum Beispiel, indem man einen Hersteller dafür bezahlt, dass er ein bestimmtes Produkt immer verfügbar hält. 

Rohr: Also die Schweiz würde einen Hersteller dafür bezahlen, dass sie ein bestimmtes Arzneimittel immer zur Verfügung hat?

Blankart: Ja, das Businessmodell muss sich lohnen, damit hier wieder investiert wird, sonst ziehen sich immer mehr Firmen aus der Schweiz zurück. Und dann werden wir am Ende nur noch patentgeschützte, hochprofitable Produkte auf dem Schweizer Markt haben. 

Rohr: Also, dann darf ich Sie beide so zusammenfas­sen: Um die Versorgung sicherzustellen, müss­ten wir die Behörde Swissmedic abschaffen und uns einem grösseren Ganzen wie der EU an­ schliessen, und es bräuchte mehr Staatsinter­ventionen, vielleicht auch finanzieller Art? 

Blankart: Wäre das schon eine Staatsintervention? Wir regulieren die Preise doch ohnehin schon, einfach nur über den klassischen Preis-mal-Menge-Mechanismus. Das Gesundheitswesen, da gebe ich Herrn Gasche recht, ist eine Planwirtschaft, es ist kein freier Markt. Wir müssen mit Regulierung arbeiten, um eine soziale Gerechtigkeit hinzubekommen und um auch die Vulnerabelsten zu versorgen. Die Frage ist: Sind wir aus der Balance raus? Wollen wir die Prioritäten neu setzen? 

Rohr: Und wie beantworten Sie die Frage?

Blankart: Es ist eine politische Frage. Alle Volksinitiativen, die in Richtung Qualität oder Kostensteuerung gegangen sind, wurden verloren. Ich sähe da auch eine Rolle für die Versicherer, die sind zu passiv, sie sind keine Vertreter der Versicherten. 

Gasche: Wir haben die teuerste Medikamentenversorgung in Europa und trotzdem haben wir Engpässe. Wir brauchen Reformen. Ich schlage vor, klein anzufangen. Herr Blankart, Sie haben gesagt, der Schweizer Markt sei zu klein, zu uninteressant. Für Generika ist er besonders klein, weil wir den tiefsten Generika-Anteil in ganz Europa haben. Warum? Weil die Kassen – das ist einzigartig in Europa – auch die teureren Medikamente zahlen müssen. Es sollte so sein, dass jeder Apotheker oder Arzt eines der drei günstigsten Generika verkaufen muss. Dann hätten wir immerhin schon mal den Markt für Generika ein bisschen vergrössert. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 3.03.2024 um 10:40 Uhr
    Permalink

    Die Politik hat total versagt. Die Bevölkerung wird gegängelt und hat wirklich null und nichts zu sagen. Dass man die Swissmedic abschaffen muss, ist doch schon viele Jahre klar. Zudem braucht es eine Institution, die die Interessen der Patienten vertritt und ein gewichtiges Wort mitzureden hat. Zudem muss die Bevormundung durch die Politik aufhören. Es ist nicht einzusehen, warum man für einen Nasenspray auf Kosten von CHF 30 kommt, wenn er in Deutschland rezeptfrei und online für EUR 9 bestellt werden kann.

  • am 4.03.2024 um 10:31 Uhr
    Permalink

    In dieser komischen Debatte wird davon ausgegangen, dass alle Medikamente, die heute auf dem Markt sind, wirksam und nutzbringend den Menschen helfen und unbedingt notwendig fürs Wohl der Menschheit aingesetzt werden.
    Dies ist eine Fehlannahme. Mindestens 80% aller Medikamente braucht es nicht und müssten vom Markt genommen werden, nicht nur wegen der von ihnen verursachten Nebenwirkungen, sondern auch, weil sie einfach nicht oder nur ansatzweise wirken. Blankart sagt offen, dass die Pharma nur Medikamente produziert, wenn es sich für sie lohnt. Und er will die Schweiz auch in einer «sicheren» Staatengemeinschaft haben, damit wir ja alle unsere Pillen und Pülverchen kriegen.
    Dass wir für die Sicherstellung dieser Liefersicherheit zusätzlich zur Kasse gebeten würden, ist ihm wurscht. Nach der Annahme der 13.AHV Rente, die nur zustande kam, weil wir alle das ausser Kontrolle geratene KK-Obligatorium blechen müssen, redet Blankart noch mehr Champagner in die Kelche der Pharma. Prost !

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