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Seit den ersten PFAS-Funden im Kanton St. Gallen geht die Unsicherheit um: Welche Böden sind PFAS-verseucht? © public-domain smugglaren/Pxhere

PFAS: Viele Weiden und Ackerflächen sind belastet

Daniela Gschweng /  Das Fleischverbot in St. Gallen macht deutlich: Die Schweiz hat ein massives PFAS-Problem. Und das dürfte erst der Anfang sein.

Seit August gelten PFAS-Grenzwerte für einige besonders kritische Lebensmittel. Dass fünf Betriebe im Kanton St. Gallen ihr Fleisch deshalb nicht mehr verkaufen dürfen, war ein Schock. Die Quelle der giftigen Chemikalien: mit PFAS belasteter Boden, auf dem das Vieh graste und das Futter wuchs.

Die unbequeme Wahrheit: Es gibt praktisch keinen Boden in der Schweiz, der keine PFAS (per- und polyflourierte Alkylsubstanzen) enthält. Das zeigte eine Untersuchung der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) im vergangenen Jahr. Welche PFAS und wie viel davon, ist unterschiedlich. Die Forschenden untersuchten in 146 Bodenproben auf 32 verschiedene PFAS.

Verbotene PFAS in sämtlichen Schweizer Bodenproben

ZHAW PFAS in CH 2023
Konzentration der in 146 Bodenproben von der ZHAW gemessenen PFAS und ihre räumliche Verteilung

Die verbotenen Chemikalien PFOS (Perfluoroctansulfonsäure) und PFOA (Perfluoroctansäure) fanden sich in allen Proben, ob alpin oder aus dem Mittelland.

Das ist nicht ganz überraschend, wenn man weiss, dass PFAS auch im Regen vorkommen (Infosperber berichtete) und dass etwa die Hälfte der PFAS, die bei Menschen gefunden werden, aus PFOS besteht, einer Chemikalie, die seit den 1960er-Jahren vom US-Unternehmen 3M produziert wird. Nicht alle, aber einige PFAS sind reproduktionstoxisch, leberschädigend und stören das Immunsystem.

Die Daten sind alles andere als umfassend

Mindestens im Verdacht auf grössere Verschmutzung stehen Gebiete, in denen sich Industriegelände und Mülldeponien befinden oder befunden haben oder Übungsplätze, auf denen Feuerlöschschäume verwendet wurden. Dazu kommen Äcker, die mit Klärschlamm gedüngt oder mit PFAS-haltigen Pestiziden behandelt wurden.

Viele potenzielle Verschmutzungsquellen sind noch nicht bekannt. Karten von Orten mit tatsächlichen Messungen oder mutmasslich hohen PFAS-Belastungen gibt es, zum Beispiel vom «Forever Pollution Project». Umfassend sind sie nicht.

Forever Polution_Le Monde_SRF Karte Europa Schweiz
Viele PFAS wurden bisher in den Regionen Zürich, Genf und Basel sowie im weiteren Verlauf des Rheins in Deutschland gemessen. Ob das alles ist, kann niemand sagen.

Immerhin wird mit Hochdruck getestet, seit auch in der Schweiz Grenzwerte für Fleisch, Fisch, Milch und Eier gelten. Im Kanton Bern lägen 20 untersuchte Standorte nach der Fachstelle Boden im «Schweizerischen Durchschnitt», schreibt beispielsweise die «Berner Zeitung».

Abwarten hilft nicht

Längst nicht alle PFAS werden auch gefunden, denn es gibt buchstäblich Tausende davon. Aktuelle Schätzungen gehen von etwa 10’000 bis 15’000 verschiedenen Einzelsubstanzen aus. Die Analytik sucht in der Regel nach höchstens drei Dutzend Chemikalien.

Die sehr schwer abbaubaren Chemikalien im Boden loszuwerden, ist schwer bis unmöglich. Einzig Verbrennen bei hohen Temperaturen kann PFAS zerstören. Alternative Verfahren sind zwar im Test- oder Pilotstadium, aber bisher nicht grossflächig einsetzbar. Wenn es sich um kleine Mengen handelt, könnte man Problemboden in einer Deponie lagern. Verunreinigtes Grundwasser lässt sich mit Aktivkohlefiltern behandeln. Auch das ist aufwendig und kostspielig.

Also das Risiko managen – irgendwie. Was dann passieren kann, kann man in den USA sehen. Oder im deutschen Rastatt.

Die «New York Times» (NYT) veröffentlichte Ende August eine Reportage über Bauern, deren Böden mit PFAS verschmutzt sind. Zum Verhängnis wurden ihnen meist «Biosolids». So nennen die US-Amerikaner getrockneten Klärschlamm aus Haushalts- und Industrieabwässern.

Das US-Umweltministerium EPA hatte Landwirte jahrzehntelang ermutigt, ihn als Dünger auszubringen, um Deponiemüll zu vermeiden.

In einigen Fällen enthielt der getrocknete Schlamm hohe Mengen PFAS, die in Boden und Grundwasser gelangten. Betroffen seien unter anderen die Bundesstaaten Texas, Maine, Michigan, New York und Tennessee, schreibt die Zeitung. Es geht um Existenzen, Klagen und viel Geld.

Michigan: Ein Hof wird zur No-Go-Area

Einer der ersten US-Staaten, die einen Hof wegen zu hoher PFAS-Werte schlossen, war Michigan. Jason Grostic, Landwirt in dritter Generation, verlor über Nacht eine gut laufende Rinderfarm und ein Direktvermarktungssystem im Aufbau.  Das Grundstück darf nie wieder zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden.

Grostic füttert und pflegt weiter 150 Kühe, die vom Staat beschlagnahmt wurden und nun unverkäuflich sind. Und er steht kurz vor dem Bankrott. Was sich verkaufen liess, hat er verkauft. Er prozessiert gegen einen Autoteile-Zulieferer, der den Klärschlamm verunreinigt hat.

Maine: Verbieten, Testen, Einschränken, Kompensieren

Der Staat Maine hat eine andere Herangehensweise gewählt und Klärschlamm zur Düngung auf Feldern 2022 verboten. Ausserdem wurde damit begonnen, Agrarland systematisch auf PFAS zu testen. Betroffene Landwirte erhielten staatliche Unterstützung. Etwa 1000 von 1100 Betrieben warten laut der NYT noch auf Einstufung.

In der Schweiz gilt seit 16 Jahre ein Klärschlammverbot, in der EU ist Klärschlammdünger mit Einschränkungen zulässig. Seit der Krieg in der Ukraine zu Engpässen bei synthetischem Dünger geführt hat, ist er sogar besonders beliebt. Ziel wäre eigentlich, ihn zu verbrennen und aus der Asche Phosphor zurückzugewinnen. Das würde auch das PFAS-Problem lösen.

Verbieten schafft andere Probleme. Das Dünger-Verbot in Maine habe dazu geführt, dass der fragwürdige Schlamm nun über die Staatsgrenzen gekarrt werde, weil die Deponien ihn nicht aufnehmen könnten. Das sagt Janine Burke-Wells, Geschäftsführerin der North East Biosolids & Residuals Association, welche die Hersteller von getrocknetem Klärschlamm vertritt, gegenüber der NYT.

Behörden sollten sich darauf konzentrieren, PFAS in Konsumgütern zu verbieten oder die Industrie zu verpflichten, ihr Abwasser zu reinigen, bevor es in die Kläranlagen geleitet werde, sagt sie. Die Behörden in Maine haben einen ähnlichen Standpunkt und wollen die zukünftige PFAS-Last in Zusammenarbeit mit der fertigenden Industrie senken.

Texas: Angst, über PFAS zu sprechen

In Texas sehen einige Landwirte und -wirtinnen PFAS aus Klärschlamm auf ihrem Land als Ursache für Tod und Krankheit des Viehs an. Die gemessenen PFAS-Konzentrationen in Oberflächenwassern dort übersteigen den Trinkwassergrenzwert um das 325-fache.

Die betroffenen Landwirte verkaufen ihr Vieh nicht mehr, weil sie befürchten, damit der Gesundheit anderer zu schaden. Grenzwerte für PFAS in Lebensmittel gibt es in den USA nicht. Auch im Trinkwasser werden sie derzeit noch nicht überall erfasst.

Finanziell geht das nicht auf, auch nicht mit Extra-Jobs. Tony Coleman, einer der betroffenen Farmer, befürchtet, seine Lebensgrundlage für immer verloren zu haben. Gegen den Zulieferer Synagro, der die Verantwortung zurückweist, laufen Klagen. Es geht um Millionen. In der Nachbarschaft gehe die Angst um, sagt Coleman. Viele fürchteten sich sogar davor, über PFAS zu sprechen.

Wohin überall Klärschlamm gelangt ist, kann man nur vermuten

Wie viel Klärschlamm in den USA auf landwirtschaftliche Flächen aufgebracht wurde und wird, ist unbekannt. Es gibt kein Register. Schätzungen der Zulieferer gehen von zwei Millionen Tonnen getrocknetem Schlamm im Jahr 2018 aus, schreibt die «New York Times».  Dazu kommen noch Flächen wie Golfplätze oder Wälder, wo der verschmutzte Schlamm ebenfalls ausgebracht wurde. Zum Auffüllen stillgelegter Minen wurde er auch verwendet.

Man müsste alle diese Stellen testen. «Jeden Ort, an dem Biosolids [getrockneter Klärschlamm] ausgebracht wurden», sagt Christopher Higgins, Professor für Bau- und Umwelttechnik an der Colorado School of Mines. Sofern man sie kennt. In der Schweiz sieht es ähnlich aus. Wo genau wie viel Klärschlamm eingesetzt wurde, ist nur ungefähr bekannt.

Baden-Württemberg: PFAS im Spargelfeld

In einem süddeutschen Landstrich zwischen Karlsruhe und Offenburg (Karte) hat man das schon hinter sich und testet fleissig weiter. In Mittelbaden wurde von 2006 bis 2008 mit Abfällen aus der Papierherstellung versetzter Kompost ausgebracht, der grosse Mengen PFAS enthielt (Infosperber berichtete). Weitere Verschmutzungen gibt es weiter nördlich bei Mannheim. Papier wird mit PFAS behandelt, um es wasser- und fettabweisend zu machen.

2022 PFAS Offenburg Rastatt
In Mittelbaden sind grosse Gebiete mit PFAS verseucht. Auf einer interaktiven Karte kann man die Belastung des Grundwassers bis in die Zukunft ansehen.

Geliefert wurde der Kompost von einem lokalen Unternehmen gratis aufs Feld, viele Bauern griffen zu. Geschädigt wurden auch diejenigen, die ablehnten, denn die PFAS-Last frisst sich seither durch die Grundwasservorkommen, mit denen sie ihre Felder bewässern. Wasserversorger, Landwirte und Konsument:innen kennen das Problem nun seit mehr als zehn Jahren. Mindestens 1100 Hektar Boden und 170 Millionen Kubikmeter Grundwasser waren bis Ende 2022 mit PFAS verschmutzt. Einige Äcker sind stillgelegt, andere nicht mehr für die Lebensmittelproduktion zugelassen.

Noch immer werden deshalb Prozesse geführt. Beim letzten Urteil stand fest: Der Kompostunternehmer haftet persönlich. Ihn allein verantwortlich zu machen, gehe aber an der Sache vorbei, findet ein Kommentator des SWR.  

Am Ende bezahlt die Allgemeinheit

Auch viele andere müssten von der Papierschlamm-Verschieberei gewusst haben. Die Bauern, welche die Papierfasern im Kompost sehen konnten, die «Spender», die die giftige Fracht loshaben wollten, die Behörden, die geschlafen hätten, die Lieferfahrer. Aufbringen kann der Unternehmer die Folgekosten ohnehin nicht. Es bezahlen am Ende also die Steuerzahlenden.

Bisher aufgelaufene Kosten: mindestens 40 Millionen Euro. Wer auf verseuchtem Boden oder über verseuchtem Wasser sitzt, filtert das Wasser und bangt bei jeder Kontrolle der Ernte. Die meisten Landwirte haben sich damit abgefunden. Aufgegeben haben nur wenige. Wie auch – wer kauft schon ein PFAS-verseuchtes Grundstück? In offiziellen Statements zur Sache ist viel von Strategien und Chancen die Rede.

PFAS-Komplettverbot trifft auf Widerstand

Viele Politiker in der EU und auch in der Schweiz wollen PFAS als gesamte Stoffklasse verbieten, ausser in Anwendungen, in denen sie absolut nicht ersetzbar sind. Das würde zumindest den weiteren Zufluss der giftigen Chemikalien stoppen. Das Vorhaben trifft teilweise auf erheblichen Widerstand der fertigenden Industrie. Für viele Anwendungen gibt es Alternativen, ihre Entwicklung sei aber aufwendig, sagen Unternehmen wie VauDe, die die Umstellung schon gemacht haben. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Die «ewigen Chemikalien» PFAS bauen sich in der Natur so gut wie gar nicht ab. Fast alle Menschen haben PFAS bereits im Blut.

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6 Meinungen

  • am 14.09.2024 um 12:06 Uhr
    Permalink

    Bald dürfen wir nichts mehr essen, das verseucht sein könnte, damit wir gesund verhungern. Wäre ja unverantwortlich, wenn unser Körper nach der Beerdigung den Boden verseuchen würde, oder die Asche nach der Kremation im Sondermüll entsorgen müssten?

  • am 14.09.2024 um 19:19 Uhr
    Permalink

    Dass die Trinkwasser- und die Pestizide-Initiative abgelehnt wurden; dass weiterhin Riesenmengen Pestizide jedes Jahr versprüht werden; dass eine (nicht prozentual, sondern in absoluten Tonnen) Menge der Pestizide zusätzlich das «liebe» PFAS & CO. enthält; dass 20min.ch 21.6.2023 titelte «Schweiz: Jeder zweite Haushalt hat schädliches Trinkwasser», wobei diese Gifte eine lange Verzögerungszeit durch den grossen «Schwamm» Boden haben (was selbst bei einem Sofortstop weiteren Giftanstieg im Trinkwasser bedeuten würde): lässt das unsere Gesundheitsaussichten (und Psychohygiene) nicht irgendwie surreal erscheinen?
    Die freigesetzten Gifte lassen sich ja nicht wieder zurückholen. Sie sind in allem (wie die x-Tonnen Reifenabrieb und Abgasruss). Und wir sind Teil von allem – obwohl das nicht wenigen nicht mehr bewusst zu sein scheint in ihrem Moto- und Digital-Paralleluniversum.

  • am 15.09.2024 um 07:13 Uhr
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    Einmal mehr schisst man auf die «böse» Landwirtschaft die uns mit kontaminierten Lebensmitteln «vergiftet». Die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit macht gar die verringerte Wirksamkeit einer Impfung dafür verantwortlich.
    https://www.sg.ch/umwelt-natur/wasser/eingetaucht–wasserwissen/pfas-eine-prob
    Und nun kommt man hier gleich mit radikalen Massnahmen wie Entsorgung von betroffenem Fleisch.
    Die Böden sind sicher nicht von heute auf morgen belastet, es wurden sicher schon Tonnen von diesem Fleisch verzehrt. Zudem kein Wort wie sich der moderne Mensch freiwillig mit Chemie in Kosmetika, Körperpflegeprodukten, Parfüms, Deos, Sonnencremes usw. belastet und damit Gewässer verschmutzt.
    «Update ToxFox Marktrecherche: Ewigkeits-Chemikalien PFAS in Kosmetik»
    https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/update-toxfox-marktrecherche-ewigkeits-chemikalien-pfas-in-kosmetik/
    Nanopartikel in der Kosmetik
    https://www.kosmetikfuchs.de/magazin/nanopartikel-in-der-kosmetik/

    • am 16.09.2024 um 14:30 Uhr
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      Schiesst der Artikel gegen die Landwirtschaft? Eher nicht. PFAS stammen aus der Industrie und gelangen nun auf verschiedenen Wegen in unsere Nahrungsmittel. Aber niemand kann den Bauern vorwerfen, sie hätten den Klärschlamm nicht ausbringen sollen, das war vor 30 oder so Jahren auch hierzulande nicht unüblich, kann mich vage daran erinnern.

  • am 15.09.2024 um 23:12 Uhr
    Permalink

    Problem Wasser-Kontamination UND zunehmender Wassermangel.
    Südostschweiz 10.9.2024 titelt: Fischotter am Bündner Inn sind wandelnde Plastikdepots
    Jede Probe ist verseucht. «50 Prozent der unter dem Mikroskop entdeckten Partikel stammten von Reifen- und Strassenabrieb, gefolgt von Mikrofasern von synthetischen Textilien.»
    Dirk C. Fleck (Journalist und Romancier) «Über den Ernst der Stunde und das Ende der Zivilisation». «Wir reden über alles Mögliche, nur nicht darüber, dass wir seit Jahrzehnten in unser Wohnzimmer urinieren, aber nicht unsere Lebensweise hinterfragen, sondern einzig über die Saugfähigkeit des Teppichs diskutieren»
    Youtube: Dirk C. Fleck: «Wir sind nicht mehr zu retten.(?)» (Interview Julia Szarvasy)
    Für Redaktion: https://www.youtube.com/watch?v=4wQtpb2zUTo

  • am 16.09.2024 um 09:33 Uhr
    Permalink

    En Guete mitenand.. :-/

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