Mehr Vegi in Kantinen reduziert Fleischverzehr
Was darf’s denn sein heute Mittag? Knusprige Chicken Wings, Spaghetti Bolo oder ein pikantes Gemüsecurry? Was Ihnen davon zusagt, ist ganz gut vorhersagbar, das kann Ihnen jede Köchin bestätigen.
Diese Auswahl verschiebt sich, wenn das Angebot heisst: Gemüsecurry, Älplermakronen, Schnitzel. Wem mehr vegetarische und vegane Gerichte angeboten werden, der isst weniger Fleisch. Zu diesem Schluss kommt ein britisches Forscherteam, das mehrere Studien zum Essverhalten auswertete und die Ergebnisse im «International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity» publizierte.
Studierende in Oxford assen bedeutend weniger Fleisch…
Die erste Studie bestand aus einem Feldversuch in einer gut frequentierten Cafeteria der Universität Oxford. Mehrere Monate lang standen dort zwei statt einem fleischfreien Gericht auf dem Speiseplan. Statt einmal Vegi und zweimal Fleisch gab es zwei vegane oder vegetarische Gerichte und eines mit Fleisch.
Hatte sich vorher die Mehrheit der Kantinenbesucher (58 Prozent) für ein Fleischgericht entschieden, waren es nach der Umstellung nur noch zwei Fünftel (39 Prozent) – ein Unterschied von fast 20 Prozentpunkten.
… und griffen sofort zu
Die Änderung geschah sofort nach Umstellung des Menüs. In anderen Mensen auf dem Campus veränderte sich im gleichen Zeitraum nichts. Während des Versuchs erhöhte sich die Zahl der verkauften Gerichte von 1184 auf 1580 pro Woche.
Eine zweite Studie erhöhte das Angebot fleischloser Gerichte in 18 Betriebskantinen in England und führte einen Vegi-Montag ein. In einigen hatte es vorher gar keine fleischfreie Alternative gegeben.
Die Kantinen, die grösstenteils Warenhäuser und Fertigungsbetriebe versorgen, bekommen vom Catering-Anbieter eine Liste mehrerer Gerichte, aus denen die lokalen Köchinnen und Köche selbst auswählen. Das veränderte Angebot bewirkte, dass der Absatz an fleischlosen Mahlzeiten in acht Wochen von knapp 10 Prozent auf 12,4 Prozent anstieg.
Nichts mit Geschlecht, Alter und Bildungsstand zu tun
Aus den Studien Eins und Zwei könnte man schliessen, dass die Kundschaft in der Oxford-Kantine besser gebildet, jünger, flexibler und klimabewusster ist. Oder dass die Köche der britischen Betriebskantinen ihren Gästen wenig Flexibilität zutrauen.
Eine Online-Studie zum gleichen Thema bestätigt solche Vermutungen nicht. Dabei durften 2205 Testpersonen aus vier Gerichten eines auswählen, das sie gerne essen würden. Sie wählten zu 29 Prozent ein fleischloses Gericht, wenn zwei Gerichte mit und zwei ohne Fleisch zur Auswahl standen.
Fast die Hälfte (47,5 Prozent) entschieden sich gegen Fleisch, wenn es drei vegetarische und vegane Gerichte gab, und nur 12,4 Prozent, wenn die Fleischgerichte überwogen.
Dabei zeigten sich weder nach Geschlecht noch nach Alter oder finanziellem Status der Testpersonen Unterschiede. Auch ihr sonst übliches Konsumverhalten spielte keine Rolle, was dafür spricht, dass allein das Angebot entscheidet.
Die Testgruppe wurde hinsichtlich Bildungstand, Alter und Geschlecht repräsentativ für die britische Bevölkerung ausgewählt. Vegetarier und Veganer waren von der Studie ausgeschlossen.
Ein grosser Unterschied für das Klima
Dass ein niedrigschwelliges Angebot zu gesünderem Konsum führt, ist für kalorienärmere und gesündere Menüs oder für alkoholische Getränke längst bewiesen. Bezogen auf den Fleischkonsum ist die britische Studie die erste ihrer Art. Für Gesundheit und Klima könnte diese Entdeckung einen grossen Unterschied machen.
«Jeder Bissen zählt», schrieb das «ORF», das sich mit der Studie auseinandergesetzt und Verhaltensforscherin und Hauptautorin Rachel Pechey befragt hat. Würde die Menschheit innerhalb der nächsten 15 Jahre die Tierhaltung einstellen, ergäbe das bis 2100 eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 69 Prozent. Gesünder wäre es auch. Eine Umstellung des Angebots könnte dazu einen grossen Beitrag leisten.
Ein Schubs gesünder
Ist das Manipulation? Jein. Das Angebot hat zwar Einfluss auf den Konsum. Die Auswahl bleibt freiwillig, das Angebot unterstützt jedoch den Wunsch, sich gesünder und fleischärmer zur ernähren. Ähnliches passiert im Supermarkt. Dort macht sich die Markforschung sehr viele Gedanken, wo welche Lebensmittel platziert werden – zum Beispiel im berüchtigten «Quengelregal» vor der Kasse.
Und wie oft hätten Sie ihre Bankkarte schon am Geldautomaten vergessen, wenn dieser Sie nicht daran erinnern würde, die Karte an sich zu nehmen, bevor sie das Geld einstecken? Dieses Vorgehen heisst «Nudging». Wie es funktioniert, hat beispielsweise das Wissenschaftsmagazin «higgs» im Einzelnen beschrieben. «Nudging» hat aber Grenzen. Kein Angebot in der Kantine hiesse ja nicht, dass der Hunger verschwindet. Und wenn Sie keine Essiggurken mögen, werden Sie auch keine kaufen.
«Klimaschub» im Essverhalten
Essverhalten ist dazu komplex. Wenn es allein um Kalorienzufuhr in der richtigen Zusammensetzung ginge, wären Kantinen schon lange abgeschafft. Mehr Wissen über Ernährung führt auch nicht unbedingt zu besserem Ernährungsverhalten, das ist schon lange bekannt.
Die vergleichsweise gut gebildete Bevölkerung der reichen Industriestaaten ist gleichzeitig der Teil der Weltbevölkerung, der am häufigsten an ernährungsbedingten Krankheiten leidet. Entwicklung passiert auch nicht linear, sondern in Schüben. Einen «Klimaschub» im Essverhalten in den letzten Jahren darf man durchaus annehmen.
Das zeigen die Reaktionen auf eine prominente Umstellung in Deutschland. Als VW im Sommer 2021 ankündigte, in einer der Werkskantinen in Wolfsburg mit Ausnahme von Fisch nur noch vegetarisches und veganes Essen anzubieten, war das deutschlandweit Thema.
«Rettet die Currywurst»?
Dass es die Currywurst aus der werkseigenen Fleischerei in einer anderen Kantine auf der gegenüberliegenden Strassenseite weiterhin gibt, übersahen die meisten Medien zunächst. Ausserdem kam die Ankündigung mitten im Sommerloch.
Der Skandal war perfekt, als dann noch der deutsche Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der Plattform Linkedin wetterte. «Wenn ich noch im Aufsichtsrat von #VW säße, hätte es so etwas nicht gegeben», der «Kraftriegel für die Arbeiter», so Schröder, sei unverzichtbar. Der Hashtag #RettetdieCurrywurst ging durch die Sozialen Medien.
Wäre das vor 30 Jahren passiert oder vielleicht auch vor 15 Jahren, die Vegi-Kantine hätte keine Chance gehabt. Jetzt sitzt Schröder nicht nur nicht mehr im Aufsichtsrat, die Welt hat sich auch sonst weitergedreht.
Unerwarteter Erfolg der VW-Vegi-Kantine
Die heutigen VW-Angestellten können sich mit einer fleischlosen Kantine offenbar besser identifizieren, am Band umgekippt ist aus Currywurstmangel auch niemand.
«Die Resonanz der Gäste ist sensationell und durchweg positiv – aus dem Verwaltungsbereich genauso wie aus der Produktion», erklärte der Leiter der VW-Gastronomie, Nils Potthast, im Januar 2022 der dpa. Das Speisenangebot der Vegi-Kantine sei teilweise noch vor Betriebsschluss vergriffen gewesen.
Die VW-Zentrale in Wolfsburg, von der scherzhaft behauptet wird, dass dort zeitweise mehr Currywürste abgesetzt würden als Autos, kann offenbar gut mit weniger, gar keiner oder einer veganen Currywurst leben. Ohne Veränderung des Angebots wäre das nur nicht aufgefallen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Schön, dass das vegetarische Angebot in Kantinen und Restaurants zunimmt, das freut mich als Flexitarierin. Vor allem in Restaurants, wo man nicht weiss, woher das Fleisch stammt (vor allem das Geflügel; bei dem die Abfallprodukte, die bei uns teuer zu schreddern wären, subvetioniert nach Afrika abgeschoben werden), bestelle ich selten Fleisch. Da ist oft ein Salatteller eine gute Alternative.
Jetzt kommt ein grosses ABER: Ich liebe es nicht – wie vielfach bei den VeganerInnen üblich – wenn das Essverhalten zur RELIGION wird. Warum müssen vegane und vegetarische Würste, Hamburger oder Lachs angeboten werden?
Ich verzehre mit gutem Öko-Gewissen Bratwurst, Cervelat oder Hamburger, Fleischkäse, Poulet-Brüstli oder Geschnetzeltes vom nachbarlichen Bio-Hof. Dort werden, statt dass jährlich 2000 Legehennen geköpft und verbrannt werden, diese in mühevoller Handarbeit zu den oben genannten Produkten verarbeitet. Eine Hühnerbrühe von einem Knospe-Suppenhuhn stärkt mein Immunsystem – besonders im Winter und zu Corona-Zeiten. Ich bin mir sicher, dass da die Ökobilanz besser aussieht, als bei gewissen künstlich hergestellten veganen oder vegetarischen Produkten.
Es gibt sogar in den Städten auf den Märkten oder in guten Metzgereien ökologische Fleischprodukte zu kaufen, damit man nicht auf Nestle-Ware oder anderen künstlich hergestellten Schrott umsteigen muss. Wegen der höheren Fleisch-Preise isst man dann automatisch mehr Gemüse etc.
Öko-Ernährung heisst viel Nachdenken.
Vielleicht hilft Ihnen das weiter: viele Menschen essen aus Gründen kein Fleisch. Nach allem, was wir über Tierhaltung, Umweltschäden und Ernährung wissen, ist das nachvollziehbar, wie Sie selbst schreiben. Das bedeutet nicht, dass diese Menschen kein Fleisch mögen oder kein Fleisch mögen dürfen. Welche Gründe gäbe es dann, eine vegane Currywurst nicht zu verzehren?
Liebe Frau Gschweng. Vor bald 40 Jahren habe ich ein Jahr lang vegetarisch gelebt. Dies aus ökologischen Gründen. Wenn man das Getreide direkt isst, reicht ein Zehntel davon aus, um satt zu werden. Aber auch, weil ich Gemüse, Früchte, Salate etc. über alles liebe.
Dann las ich das Buch «Rosinkawiese» von Grudrun Pausewang. Deren Eltern sind zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg nach Sudeten-Deutschland ausgesiedelt und wollten dort vegetarisch leben. Sie haben den Pflug mit Menschenkraft gezogen. Es fehlte der Hofdünger, weil keine Tiere da waren. Die Familie konnte kaum überleben.
Das hat mich dazu bewogen, weiterhin vermehrt fleischlos zu essen, mir aber hie und ein gutes, fair produziertes Stück Fleisch zu gönnen. Es braucht ja den Mist für den Ackerbau und die Gemüseproduktion. Kunstdünger ist da keine Alternative.
Habe auch zwei Kinder fast nur mit Bio-Produkten grossgezogen. Pouletfleisch habe ich während Jahrzehnten nie gegessen, bis meine Nachbarn ihre Legehennen nicht mehr verbrannten sondern verwerteten. Wenn ich Eier und Milchprodukte esse, finde ich es nur fair, wenn ich auch das Fleisch dieser Tiere geniesse. Und das sind kaum Filets und Cottelettes, sondern eher Siedfleisch und Suppenhühner.
Eine vegane oder vegetarische Curry-Wurst oder auch andere Ersatzprodukte sind für mich ungeniessbar. Die schmecken einfach nicht. Da verzichte ich lieber und esse Pasta mit Bärlauch- oder Basilikum-Pesto anstelle eines Sonntagsbratens.
Sehr gut gesagt: Essen ist keine Religion und vergesst nicht, dass der Mensch ein Alles-(Fr)Esser ist von Natur aus.
Fleisch ist weder per se ungesund noch umweltschädlich. Das sind absolut unnütze Verallgemeinerungen, die uns langfristig nicht weiter bringen. Von inforsperber erwarte ich mehr Differenzierung.
Wo steht dass Fleisch «per se ungesund» ist?
Sehr guter Artikel ohne jegliche Hetze gegen Fleischesser. Trotzdem möchte jeder dritte Infosperber- Leser nichts derartiges lesen beim Verzehr der abendlichen Cervalat. Jede Zeitung hat die Leser die sie verdient. Das kann nur besser werden, wenn mehr Autorinnen wie Daniela Gschweng beim Infosperber mitwirken.
Ihre Behauptung, dass ohne Tierhaltung die Treibhaugase sinken ist schlicht und einfach falsch, und ich lade Sie ein, dieselbe richtig zu stellen.
Weltweit, haben wir folgende schädliche Emissionen:
-Tierhaltung und Dünger: 5,8%
-Landwirtschaft (4,1%), Reisanbau (1,3%), landwirtschaftliche Verbrennung (3,5%): 8,9%
Dazu kommt, dass ein Hektar für Viehhaltung 8-mal mehr Menschen ernährt als mit Gemüse, d.h., falls wir die Tierhaltung einstellen, steigen nicht nur die Treibhausgase, sondern wir haben nicht genügend Platz für Landwirtschaft, umso mehr, wenn wir kostbare Flächen für Solar -und Windenergie opfern.
Emissionsangaben hier: https://ourworldindata.org/ghg-emissions-by-sector.
Giovanni Coda