Krieg: Knappe Düngemittel befeuern den Raubbau am Amazonas
Brasilien gilt weltweit als grösstes Anbaugebiet für Soja. Sojabohnen liefern nicht nur 40 Prozent des pflanzlichen Proteins in Lebensmitteln. Sie sind zudem die Proteinbasis für Tierfutter und dienen zudem noch als Basis zur Herstellung von Agrardiesel.
Für die Produktion von Soja werden auf staubtrockenen, kargen Ackerböden häufig Pestizide gespritzt und Kunstdünger ausgebracht. Für den Anbau von Gen-Soja zum Beispiel wird mit Kaliumchlorid gedüngt. Das hierfür benötigte Kalium wurde bis vor kurzem noch zur Hälfte aus Russland und Weissrussland importiert. Ähnliches gilt für Ammonium – ein Grundstoff für Stickstoff- und Phosphat-Düngemittel. Auf Grund des Krieges in Osteuropa werden diese Stoffe derzeit zur Mangelware, warnt Fernando Cadore, Präsident der Soja- und Maisproduzenten im Bundesstaat Mato Grosso, der mit rund zehn Millionen Hektar Ackerbau als einer der grössten Getreideproduzenten Brasiliens gilt.
Im vergangenen Jahr hatte Brasilien 84 Prozent seines Düngers aus dem Ausland importiert. Davon kamen neun Millionen Tonnen aus Russland. 2016 wurden drei Düngemittel-Fabriken im Nordosten Brasiliens geschlossen. Während der letzten drei Jahre der Pandemie konnten massive Agrarexporte den Absturz der Wirtschaft in Brasilien zwar ein wenig abfedern. Doch inzwischen könnte der Mangel an Mineraldünger die Nahrungsmittelproduktion in Brasilien ernsthaft gefährden. Deshalb soll sie etwas unabhängiger vom Ausland werden. So kündigte Agrarministerin Tereza Cristina die Ausarbeitung eines nationalen Planes zwecks Düngemittel-Produktion in Brasilien an.
Auf Grund logistischer Probleme empfahl das russische Handelsministerium den Düngemittel-Herstellern einen vorübergehenden Stopp ihrer Exporte, weil der wichtigste Ausfuhrhafen in Odessa auf ukrainischem Territorium liegt. Bleibt der Kunstdünger aus Russland aus, könnten in Brasilien Agrarprodukte wie Soja, Mais und Kaffee knapp werden. Sogar die Selbstversorgung im eigenen Land wäre gefährdet. Zudem drohen Inflation und Arbeitslosigkeit.
Bereits vor dem Krieg waren die Preise auf Grund von Wetterextremen stark gestiegen. Ziel war es, Dünger billig einzukaufen, räumt die Agrarministerin ein. Dem Verband für Düngemittel-Logistik zufolge besitzt Brasilien noch Kunstdünger für knapp drei Monate. Diese Knappheit könnte sich auf die kommende Aussaat und auf die darauffolgende Ernte im September und im Oktober auswirken. Wird weniger Dünger eingesetzt, werden die Ernten entsprechend geringer ausfallen. Dann steigen die Preise für Mais, Soja und – in Folge dessen – auch für Fleisch.
Es droht eine weltweite Nahrungsmittelkrise
«Es gibt nichts Vergleichbares seit dem Zweiten Weltkrieg», warnt der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms der Uno. Fehlendes Getreide und fehlende Düngemittel führen zu katastrophalen Folgen. Das zeigt eine Recherche der «New York Times».
Regenwald ist immer weniger widerstandsfähig
Um Rohstoffe zur Herstellung von Düngemitteln abzubauen, plant Bolsonaro nun weiter in indigene Gebiete vorzudringen. Bereits Ende Oktober 2018, seit seinem Amtsantritt als Präsident, hatten die Abholzungen stark zugenommen, zuletzt lagen sie auf Rekordniveau.
Würden die Pläne umgesetzt, beschleunigt sich der Raubbau am Amazonas weiter.
Die enorme Abholzung führt zu einem weiteren Problem: Während der letzten zwanzig Jahre verlor der Regenwald massiv an Widerstandsfähigkeit. Über drei Viertel des Waldes kann sich von Dürren oder Bränden schlechter erholen, insbesondere in trockenen Regionen oder dort, wo Menschen aktiv sind. Das ergab die Studie eines britisch-deutschen Forscherteams um Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), welche die Fachzeitschrift «Nature Climate Change» im März 2022 veröffentlichte.
Als der Regenwald noch intakt war, erzeugte er regional mehr Regen. Zunehmende Abholzungen, globaler Klimawandel und steigende Temperaturen verstärken die Austrocknung immer mehr. Die Wetterereignisse des vergangenen Jahres zeigen mögliche Folgen: In grossen Teilen Brasiliens herrschte Dürre und Trockenheit, die Experten Abholzungen und auch dem Klimawandel zuschreiben. Ausgelöst durch schwere Dürren fegten im Oktober durch den Bundesstaat Sao Paulo heftige Sandstürme. Darüber hinaus war der Rio Paraná – der zweitgrösste Fluss Südamerikas – nahezu ausgetrocknet. Die Ursachen für derartige Wetterextreme, erklärt Klimaexpertin Francis Lacerda vom IPA-Institut, seien in zunehmenden Abholzungen zu suchen, aber auch in immer wiederkehrenden Waldbränden.
Kohlenstoffsenkender Effekt nimmt weiter ab
Bisher entnahmen globale Wälder rund zwei Prozent mehr Kohlendioxid aus der Luft, als sie wieder abgaben. Diese Menge entspricht etwa einem Viertel aller Emissionen aus fossilen Kraftstoffen seit 1960. Kippt diese Bilanz in dem grössten Tropenwaldgebiet der Welt auch nur teilweise, wirkt sich dies auf das Klima aus, etwa indem sich das Tempo des Klimawandels weiter beschleunigt. Tatsächlich geben ganze Regionen am Amazonas bereits mehr Kohlendioxid ab, als sie aufnehmen. Einer Studie vom Juli 2021 zufolge können Entwaldung und Brände den Regenwald zukünftig sogar zu einer Kohlendioxidquelle machen.
Besonders der Osten und Südosten des Amazonas veränderten sich in den letzten Jahrzehnten durch Rodungen, Feuer und Landwirtschaft. So hat sich die Anbaufläche für Sojabohnen in Südamerika innerhalb von nur zwanzig Jahren von 26‘400 auf 55‘100 Quadratkilometer verdoppelt. Innerhalb der letzten 40 Jahre erhöhte sich die Temperatur um etwa ein halbes Grad pro Jahrzehnt. Dies wiederum verstärkt den Trockenstress der Pflanzen und begünstigt Feuer auch in intakten Waldteilen. Infolgedessen verwandelt sich der Wald immer stärker in eine Kohlenstoffquelle. Die westlichen Regionen des Amazonas hingegen seien noch weitgehend unberührt. Daher nehme die Amazonasregion in ihrer Gesamtheit nach wie vor etwas mehr Treibhausgas auf, als sie abgibt.
Abholzung vernichtet mehr Erträge im Soja-Anbau, als neue dazu kommen
Ökosysteme wie der Amazonas oder auch die Cerrado-Savanne können verhindern, dass die Temperaturen in diesen Regionen stark ansteigen. Daher messen Wissenschaftler dem brasilianischen Regenwald einen monetären Wert bei. Wie hoch dieser Wert ist, hängt davon ab, wie viele Flächen an einem bestimmten Ort bereits in Ackerland umgewandelt wurden. Ein Wissenschaftlerteam um Avery Cohn von der Bostoner Tufts University berechnete die Höhe der Einnahmen, die den Soja-Farmern durch die Zerstörung der Wälder verloren gehen. Die Ergebnisse veröffentlichten sie in einer entsprechenden Studie vom Oktober 2021.
Demnach reduzierte extreme Hitze den Ertrag von Sojabohnen auf einer Anbaufläche von 36 Millionen Hektar im Durchschnitt um etwa 100 US-Dollar pro Hektar und Jahr, also um insgesamt 3,6 Milliarden Dollar. Infolge der Erwärmung durch Abholzung werden mehr Erträge vernichtet, als die zusätzlich gewonnene Ackerfläche an Erträgen abwirft. Es zahle sich aus, die wenigen gesunden Wälder, die es noch gibt, stehen zu lassen, erklären die Autoren. So könnte mit fortschreitendem Klimawandel der Geldwert intakter Ökosysteme noch steigen, in manchen Regionen um 25 bis 95 Prozent.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Würde man, wie z.B. in China, den Urin aller Schulen sammeln, weil dieser kaum Verunreinigungen durch Medikamente enthält, könnte man damit Phosphate gewinnen um zu düngen, und wir wären unabhängiger vom Phospat-Import. Mit dem Urin von 1500 Kindern von einem Tag kann man 800 km weit fahren durch Nutzung von Brennstoffzellen. Was übrig bleibt kommt auf den Acker als Düngemittel. Brennesseljauche als Phospatlieferant wurde in Frankreich verboten, und in der Schweiz ist es, Lobbyisten sei dank, verboten menschlichen Harnstoff als Düngemittel zu verwenden, angeblich wegen Medikamentenresten darin, dessen Herausfilterung kein Problem wäre. Oekonomen mögen nachrechnen, wie wenig Phospate wir importieren müssten, wenn wir unseren eigenen Harnstoff verwerten dürften. Die Gewalt des nach oben unregulierten Kapitalismus ist die Schrotflinte der Gierigen, welche nur an sich selber denken und die besten Möglichkeiten verhindern.
Soja muss nicht mit Stickstoff (z.b. Ammonitrat) gedüngt werden. Denn Soya erzeugt den Stickstoff mit Hilfe von Bakterien selbst. Ein verzicht von Kali und Phosphat wirkt sich weniger negativ auf den Ertrag aus als ein Verzicht von Stickstoff. Der Stickstoff im Handel wird aus der Luft gewonnen. Ein Fabrikationsprozess der Energie intensiv ist. Deshalb wird Stickstoff vorwiegend in Ländern erzeugt wo Energie billig ist.
@Alfred Schmid Danke für ihre fachkundige Auskunft. Leider hat Soja einige andere Nachteile was die darin enthaltenen Lektine und Histamine betrifft. Wenn es lange und richtig fermentiert wird, oder im Dampfkochtopf bei 110 Grad bekocht wurde, dann werden diese Lektine so umgebaut, dass aus Soja ein für Menschen verträgliches Nahrungsmittel wird. Dies jedoch braucht auch wieder Energie, graue Energie welche auf keiner Nachhaltigkeitstabelle erscheint. Es sind die Lobbyisten welche den Markt so steuern, das Geld in die Kassen ihrer Auftraggeber fließt. Diese haben zumeist kein Interesse an Nachhaltigkeit. Zudem ist Soja eine Leguminose und kann auch Luftstickstoff binden, Stickstoff welcher dann anderen Pflanzen nicht zur Verfügung steht. Die Langzeitfolgen massiven Sojaanbaues kennen wir ebenfalls noch nicht. Ich denke, wir sollten unter anderem auch das tun, was Andere schon erprobt haben, und die Gesetze so ändern, das wir Urin als Dünger und Energie verwerten dürfen.
Die steigenden Nahrungsmittelpreise sind u.a. auch die Folge
* wegen den Coronamassnahmen unterbrochenen Lieferketten
* einer Missernte in den USA stieg der Weizenpreis
* dem Düngerboykott (westl. Sanktionen) beim missglückten Regimechange in Weissrussland
* der Inflation, dem Kaufkraftverlust der westlichen Währungen
Zur Erosion der Dominanz des Westens siehe auch:
Die Welt ist in der Ukraine-Frage gespaltener, als sie scheint
https://www.heise.de/tp/features/Die-Welt-ist-in-der-Ukraine-Frage-gespaltener-als-sie-scheint-6650205.html?seite=all