Immer mehr Hunger in Somalia: Medien informieren spärlich
Infosperber hat am 30. September berichtet, dass von Hunger und Elend die Islamisten in Somalia profitieren. Doch es sollte keine Bedrohung von Fundamentalisten brauchen, um den etwa vier Millionen Menschen, die von der Hungerkrise betroffen sind, überlebenswichtige Unterstützung zu bieten.
Die schlimmste Dürreperiode seit vierzig Jahren und ihre Folgen bringen es in Europa kaum in die Schlagzeilen. Am meisten informiert die britische BBC darüber. Deshalb übernimmt Infosperber im Folgenden Teile eines BBC-Berichts vom 5. Oktober.
Der Kampf ums Überleben angesichts einer drohenden Hungersnot
Die Tränen kullerten dem 11-jährigen Dahir über die vom Hunger gezeichneten Wangen. «Ich will das nur überleben», sagte er leise. Seine erschöpfte Mutter Fatuma Omar sagte ihm, er solle nicht weinen, als er neben dem provisorischen Zelt der Familie in der staubigen Ebene ausserhalb der Stadt Baidoa sass. «Deine Tränen werden deinen Bruder nicht zurückbringen. Alles wird gut werden», sagte sie.
Fatumas zweiter Sohn, der 10-jährige Salat, ist vor zwei Wochen verhungert, kurz nachdem die Familie von ihrem Dorf, das drei Tagesmärsche entfernten liegt, Baidoa erreicht hatte. Sein Leichnam liegt nur wenige Meter von ihrem neuen Zuhause entfernt in der felsigen Erde begraben – das Grab ist bereits mit Müll bedeckt und wird bald nicht mehr zu sehen sein, weil Neuankömmlinge in der Nähe ihr Lager aufschlagen.
«Ich kann nicht um meinen Sohn trauern. Ich habe keine Zeit. Ich muss Arbeit und Essen finden, um die anderen am Leben zu erhalten», sagte Fatuma, während sie ihre jüngste Tochter, die neun Monate alte Bille, in den Arm nahm und die sechsjährige Mariam ansah, die einen rasselnden Husten ausstiess.
Auf der anderen Seite der unbefestigten Strasse, die sich nach Südosten in Richtung Küste und Somalias Hauptstadt Mogadischu schlängelt, erzählten andere vertriebene Familien noch düsterere Geschichten von langen Wanderungen durch eine von Dürre gezeichnete Landschaft auf der Suche nach Nahrung.
«Ich habe keine Kraft, meine Tochter zu begraben»
«Ich sah auch meine Tochter [die dreijährige Farhir] vor mir sterben und konnte nichts tun», sagte Fatuma, die mit ihren neun Kindern mindestens vierzehn Tage lang von einem Dorf namens Buulo Ciir bis nach Baidoa gelaufen war.
«Ich hatte sie 10 Tage lang getragen. Wir mussten sie am Strassenrand zurücklassen. Wir hatten keine Kraft mehr, sie zu begraben. Wir konnten hören, wie sich die Hyänen näherten», fuhr sie fort.
«Ich habe nichts mitgebracht. Zu Hause gibt es nichts mehr. Das Vieh ist tot. Die Felder sind verdorrt», erklärte Habiba Mohamud, 50, und umklammerte mit einer Hand ein Stück Bindfaden. Sie war sich bewusst, dass sie nie wieder in ihr Dorf zurückkehren würde.
Eine ganze Reihe von Dürreperioden dürfte die jahrhundertelange pastorale Lebensweise am Horn von Afrika beenden.
Wie andere Neuankömmlinge war auch Habiba damit beschäftigt, aus Ästen, Zweigen und gesammelten Papp- und Plastikfolienresten ein Zelt für ihre Familie zu errichten, in der Hoffnung, es vor Einbruch der Dunkelheit fertigzustellen. Erst danach konnte sie sich darum kümmern, Lebensmittel und medizinische Hilfe für einige ihrer fünf Kinder zu finden.
Auf der Aufnahmestation im Hauptkrankenhaus der Stadt ging der Arzt Abdullahi Yussuf zwischen den Betten hin und her und sah nach seinen winzigen, abgemagerten Patienten. Die meisten waren Kinder im Alter zwischen zwei Monaten und drei Jahren.
Alle waren stark unterernährt. Einige hatten eine Lungenentzündung und viele kämpften auch mit einem neuen Ausbruch von Masern.
Nur wenige Säuglinge hatten die Kraft zu schreien. Einige hatten stark geschädigte Haut, die wegen der Schwellungen, die manchmal mit den extremsten Fällen von Hunger einhergehen, aufgebrochen war.
«So viele sterben, bevor sie überhaupt ein Krankenhaus erreichen», sagte der Arzt, als er sah, wie sich sein Team abmühte, einen intravenösen Schlauch an den Arm eines stöhnenden Zweijährigen anzuschliessen.
Eine neue Untersuchung ergab, dass fast zwei Drittel der Kleinkinder und schwangeren Frauen in den Lagern an akuter Unterernährung leiden. Das müsste zusammen mit einer hohen Sterblichkeitsrate dazu führen, dass eine lokale Hungersnot ausgerufen wird.
«Es ist beängstigend, die Menschen sterben»
«Wenn wir nicht die nötige Hilfe erhalten, werden Hunderttausende von Menschen sterben», erklärte Arzt Abdullahi Yussuf.
Das offizielle Ausrufen einer Hungersnot kann sehr kompliziert sein und hängt von schwer zu ermittelnden Daten und oft auch von politischen Erwägungen ab.
Die britische Botschafterin in Mogadischu, Kate Foster, bezeichnete es als einen «im Wesentlichen technischen Prozess». Sie wies darauf hin, dass während der Dürre 2011 «die Hälfte der 260’000 Todesfälle vor der Ausrufung der Hungersnot stattfand».
Abdirahman Abdishakur, Beauftragter des Präsidenten für humanitäre Probleme, der die internationalen Bemühungen Somalias um eine bessere Finanzierung leitet, dankte insbesondere der US-Regierung für die jüngste Bereitstellung neuer Mittel. Er warnte jedoch davor, dass ohne weitere Hilfe eine noch lokal begrenzte Krise in einem Teil Somalias schnell ausser Kontrolle geraten könnte.
«Wir haben Alarm geschlagen, aber die Reaktion der internationalen Gemeinschaft war nicht angemessen», sagte Abdishakur.
«Eine Hungersnot ist vorprogrammiert. Sie findet [bereits] an einigen Orten in Somalia statt, aber wir können eine katastrophale Situation noch verhindern», fuhr er bei einem Zwischenstopp in Toronto telefonisch fort.
Frauen fliehen, Männer bleiben zurück
Obwohl die Schätzungen schwanken, hat sich die Bevölkerung von Baidoa in den letzten Monaten auf etwa 800’000 Menschen ungefähr vervierfacht.
Fast alle Erwachsenen, die neu ankommen, sind Frauen. Denn Somalia befindet sich im Krieg. Der Konflikt dauert in verschiedenen Formen an, seit die Zentralregierung vor drei Jahrzehnten zusammenbrach. Betroffen sind fast alle Teile des Landes. Für den Krieg werden Männer von ihren Familien weggerissen, um für eine der bewaffneten Gruppen zu kämpfen.
Wie die meisten, die in Baidoa ankommen, ist Hadija Abukar vor kurzem aus einem Gebiet geflohen, das von der militanten islamistischen Gruppe al-Shabab kontrolliert wird.
«Selbst jetzt bekomme ich Anrufe vom Rest meiner Familie auf mein Telefon. Dort gibt es Kämpfe – zwischen der Regierung und al-Shabab. Meine Verwandten sind geflohen und verstecken sich im Wald», sagte sie, während sie neben ihrem kranken Kind in einem kleinen Krankenhaus in Baidoa sass.
Andere Frauen berichteten von Ehemännern und älteren Söhnen, die daran gehindert werden, die von den Kämpfern kontrollierten Gebiete zu verlassen, und von jahrelanger Erpressung durch die Gruppe.
Baidoa selbst ist zwar nicht ganz von der islamistischen al-Shabab umzingelt, aber es bleibt ein unsicherer Zufluchtsort. Internationale Hilfsorganisationen und ausländische Journalisten können sich dort nur unter strengen Sicherheitsvorkehrungen bewegen. Jede Reise ausserhalb der Stadtgrenzen gilt als äusserst riskant.
«Wir haben es mit einer Bevölkerung zu tun, die sich im Belagerungszustand befindet. Manchmal fühlt es sich ziemlich hoffnungslos an», erklärte Charles Nzuki, der das UN-Kinderhilfswerk Unicef in Zentral- und Südsomalia leitet.
Einigen Schätzungen zufolge befindet sich mehr als die Hälfte der von der derzeitigen Dürre betroffenen Bevölkerung in Gebieten, die von al-Shabab kontrolliert werden. Strenge Vorschriften der US-Regierung, die jegliche Hilfe zugunsten als terroristisch eingestufter islamistischer Gruppen verhindern, erschweren den Zugang zu vielen verzweifelten Regionen erheblich.
Internationale Organisationen und die somalischen Behörden arbeiten mit kleineren lokalen Partnern zusammen, um den Zugang zu ermöglichen und zu verbessern. Sie planen in einigen umkämpften Gebieten sogar Versorgungen aus der Luft.
Dennoch räumte ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation inoffiziell ein, dass es fast unmöglich sei, zu garantieren, dass keine Lebensmittel oder Geldmittel in die Hände von al-Shabab gelangen. «Seien wir nicht naiv, [al-Shabab] besteuert alles, sogar Geldspenden», sagte er.
Im Laufe der Jahre hat sich die militante Gruppe nicht nur durch Gewalt und Einschüchterung einen Namen gemacht, sondern auch dadurch, dass sie in einem Land, das für seine Korruption bekannt ist, für Gerechtigkeit sorgt.
In mindestens vier Dörfern in der Nähe von Baidoa unterhält al-Shabab ein Netz von Scharia-Gerichten, die von den Einwohnern der Stadt und Berichten zufolge auch von Menschen in Mogadischu und darüber hinaus routinemässig genutzt werden, um Geschäfts- und Landstreitigkeiten zu schlichten.
Weiter im Nordosten hat ein plötzlicher Aufstand gegen al-Shabab dazu geführt, dass lokale Gemeinschaften und Clan-Milizen – die inzwischen von der Zentralregierung massiv unterstützt werden – die Islamisten in den letzten Wochen aus Dutzenden von Städten und Dörfern vertrieben haben.
Diese militärischen Erfolge lösten eine Welle des Optimismus aus. Doch es ist nicht klar, ob dies im Kampf gegen die Hungersnot helfen oder die somalische Regierung nur ablenken wird.
In Baidoa selbst – einer geschäftigen Stadt mit engen, gepflasterten Strassen, die von jahrzehntelangen Konflikten und Vernachlässigung gezeichnet ist – haben sich die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis im letzten Monat verdoppelt. Viele Einwohner machten dafür die Dürre verantwortlich, andere schauten jedoch auch in die Ferne.
«Mehl, Zucker, Öl – sie sind alle in etwa um den gleichen Betrag gestiegen. Manchmal müssen wir Mahlzeiten ausfallen lassen. Ich habe von dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine gehört. Die Leute sagen, das sei die Ursache für diese Probleme», sagt Shukri Moalim Ali, 38, und geht zu ihrem trockenen Brunnen und ihrem kargen Gemüsebeet.
Während der Kampf gegen eine sich ausbreitende Hungersnot in dieser Region im Vordergrund steht, blickt Somalias neue Regierung auch nach vorn und versucht, existenziellere Fragen zur Zukunft zu beantworten.
«Es ist eine herausfordernde Aufgabe, auf die Dürre zu reagieren, gegen al-Shabab zu kämpfen und sich für den Zugang zu [internationalen] Finanzmitteln für Klimagerechtigkeit einzusetzen», sagte Abdirahman Abdishakur, Beauftragter des Präsidenten für humanitäre Probleme. «Wir haben eine junge Bevölkerung, eine riesige Diaspora im Ausland und dynamische Unternehmen. Das gibt uns Hoffnung. Es ist eine Herkulesaufgabe, aber wir haben keine Alternative.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ein Drama spielt sich ab, nicht nur wegen der anhaltenden Dürren. Die Bevölkerung von Somalia betrug im Jahr 1950 2,2, Mio Menschen. Heute sind es knapp 16 Mio. Die UN-Prognosen gehen von 38 Mio im Jahr 2050 und 78 Mio im Jahr 2100 aus (Quelle: UN-World Population Prospects, 2017).
Die Fertilitätsrate war im Jahr 1990 bei 7,4 Kindern pro Frau, heute liegt sie bei 6,9 Kindern (DSW-Länderdatenbank).
Ein weiterer Grund für die Hungersnot, welcher aber nie erwähnt wird: Überweidung. Die traditionelle Weidewirtschaft hat früher für 2,2, Mio Menschen gereicht. Heute mit 16 Mio Menschen ist das Land längst übernutzt. Ein Ausweichen auf andere Weidegründe ist nicht mehr möglich. Die Resilienz der Bevölkerung ist erschöpft! Es ist dringend nötig, die Bevölkerungszahl in Somalia zu stabilisieren! Ansonsten ist die nächste Hungersnot noch weitaus bitterer. Die Forderung von ECOPOP, mehr Gelder der DEZA in Familienplanung zu investieren ist aktueller denn je!
A. Thommen, Geschäftsführer ECOPOP.
Wichtig wäre in Somalia die Bevölkerung medizinisch zu versorgen. Kinder ermöglichen eine Schule zu besuchen, sauberes Trinkwasser, Elektrizität, Kanalisationen, Bewässerung. Das Hilfswerk Swisso Kalmo ist seit 30 Jahren in Somalia tätig und versucht etwas zu machen. Es konnten zum Beispiel Hebammen ausgebildet werden, finanziert durch die Julius Bär Stiftung. In Merka finanzierte die DEZA eine zeitlang den Bezirksspital. Durch die Verbesserung der Lebensbedingungen in Somalia würde auch die Geburtenrate zurückgehen, wie in anderen Ländern. Heute hat Somalia eine der grössten Mütter- und Säuglingssterblichkeit der Welt. Im Moment droht in Somalia wieder eine grossse Hungersnot, die mit einem Bruchteil der Rüstungsmilliarden zu verhindern wäre.
Bis vor einigen Jahren war in Somalia, in Merka auch das Hilfswerk Neue Wege in Somalia, gegründet von Vre Karrer tätig. Die Schulen existieren weiter..
Ihre Vorschläge und Anregungen in Ehren.
Aber was spricht dagegen, in Ländern mit so hohen Kinderzahlen pro Frau den Fokus PARALLEL dazu auf „Freiwillige Familienplanung“ zu setzen; d.h. Aufklärung für alle und die bei uns seit über 50 Jahren bekannten Verhütungsmittel zur Verfügung stellen?
Eine 16jährige, ungewollt schwanger, bricht ihre Ausbildung (sofern sie denn eine hat), ab, wenn sie Mutter wird. Ihre eigene Mutter, vielleicht 34jährig, hat selbst noch für 5 Kinder zu sorgen…So sieht die Realität in vielen Ländern Afrikas aus.
Und was viele nicht wissen: die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau in der CH lag schon 1915! bei 2,4 (Quelle BfS). Dass wir entscheiden können, wann und wieviele Kinder wir möchten, hat nebst anderem entscheidend zu unserem Wohlstand beigetragen. Die wenigsten gingen noch an die Uni, wenn sie schon 3 Kinder hätten…..
Es verwundert mich überhaupt nicht, dass Länder wie Somalia nicht die Aufmerksamkeit erhalten wie die Ukraine. Was in Somalia abgeht ist ein Alptraum und wenn man das hört, z.B. 7 Kinder pro Frau, dann die Al Shabab Islamisten, die immer schlimmere Dürre… Somalia ist doch verloren. Das Land hat so keine Zukunft. Was kann man da machen, nichts. Es regnet nicht mehr. Lebensmittelspenden werden direkt von den Terroristen abgenommen. Und die Geburtenrate ist extrem hoch. Es ist doch naheliegend dass hier quasi alles verloren ist, zumindest solange die Terroristen dort sind. Diese Zustände sind in jeder Hinsicht ein Alptraum. Man fragt sich wie so viel Elend und Hass überhaupt möglich sind. Aber ich wundere mich nicht, dass man der Ukraine mehr Hilfe gibt, weil die Ukraine war im Gegensatz zu Somalia ein stabiles Land, eine Demokratie ohne Terroristen. Die Ukraine hat eine Zukunft und die Wirtschaft wurde immer stärker bis zur sinnlosesten Invasion der Menschheitsgeschichte von Putin.