Das Fangen und Halten von Fischen ist selten artgerecht
upg. Die Arten der Fische unterscheiden sich so stark wie Mäuse und Elefanten. Entsprechend unterschiedlich sieht eine artgerechte Fischhaltung aus. Beim Fangen der Fische auf den Meeren und Seen fängt es an. Beim Halten und Töten in Aquakulturen hört es auf.
Florianne Koechlin sprach mit Billo Heinzpeter Studer, einem seltenen Experten des Fischwohls. Studer gründete im Jahr 2000 den Verein fair-fish mit dem Ziel, Richtlinien für die Zucht und den Fischfang aufzustellen, die das Wohl von Fischen berücksichtigen.
Das Gespräch stammt aus dem kürzlich erschienen Buch «Verwoben und Verflochten»*, das Florianne Koechlin herausgab. Zwischentitel von der Redaktion.
Beim Fischfang und der Tierhaltung spielt das Wohl der Tiere keine Rolle
Gegenüber Fischen sind wir erstaunlich unsentimental. Wer hat nicht schon einmal einem Fisch zugeschaut, wie er von der Angel genommen, auf eine Holzplanke geworfen wurde und dort herumzappelte, also zugeschaut, wie der Fisch im Todeskampf um Atem rang, immer weniger zappelte und langsam, langsam erstickte.
Es berührt uns nicht gross. Das langsame Ersticken würden wir hingegen bei einem überfahrenen Hasen, Fuchs oder Hund schwer ertragen. Warum ist das so? Vielleicht weil Fische flache Augen haben und uns so unähnlich sind?
Inzwischen ist gut belegt, dass auch Fische Schmerzen verspüren. Eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die dieser Frage nachging, war Victoria Braithwaite von der Penn-State-Universität im Jahr 2010.1
Sie spritzte Forellen etwas Ameisensäure in die Schnauze und setzte sie in ein Aquarium, in dessen Mitte ein gelbes Lego-Gebäude stand. Tatsächlich: Die Forellen frassen nicht mehr, und ihr Puls stieg. Die sonst so scheuen und vorsichtigen Tiere stiessen immer wieder beinahe mit dem gelben Haus zusammen. Nach der Verabreichung eines Schmerzmittels (Morphin) verhielten sich die Forellen wieder normal, frassen hungrig und umschwammen das Lego-Gebäude in grossem Bogen.
Auch wir verlieren bei starken Schmerzen den Appetit, haben einen erhöhten Puls und sind vom Schmerz so überwältigt, dass wir nicht auf die Umgebung achten.
Fische verspüren nicht nur Schmerzen, sie kommunizieren auch miteinander, können lernen und sich erinnern, Artgenossen erkennen oder miteinander spielen – wie viele andere Wirbeltiere auch. Doch anders als bei diesen spielt das Tierwohl bei der Fischhaltung und beim Fischfang keine Rolle.
Trotz Labels wenig Transparenz für Fischliebhaber
Es gibt heute einige Fischereilabels, die Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien beurteilen. Doch erst ein einziges, Friend of the Sea (FOS), berücksichtigt auch das Wohlbefinden von Fischen.2
Weder MSC noch ASC noch die Knospe von Bio Suisse tun dies. In den Richtlinien der Biolabel gibt es zwar einige Vorschriften, die in diese Richtung gehen, doch sie stützen sich nicht auf wissenschaftliche Verhaltensstudien.
Beim Fischfang fängt es an
Ein erstes wichtiges Thema sei das Töten von Fischen, so Billo Heinzpeter Studer. Beim industriellen Fischfang zum Beispiel gingen Zehntausende Fische ins Netz, würden durch rasche Druckschwankungen an die Oberfläche gezogen, so dass sich ihre Schwimmblasen überdehnten und der Körper stark aufgebläht werde. Sie sehen dann grauenhaft deformiert aus. An der Oberfläche angekommen, werden die Fische auf das offene Deck geworfen, wo sie herumzappeln und ganz langsam ersticken.
«Das muss verboten werden. Fische gehören getötet, sobald sie aus dem Wasser kommen», meint Billo Heinzpeter Studer. Auch Fische in Aquakulturen gehörten anständig und ohne Qualen getötet. Dazu gebe es verschiedene Methoden, zum Beispiel den Elektroschock.
fair-fish hat sich eines wahrhaft riesigen Themas angenommen. Denn Fisch ist nicht gleich Fisch. Eine Makrele hat ganz andere Bedürfnisse als ein Hai, so wie eine Maus andere Bedürfnisse als ein Elefant hat. Der Unterschied ist bloss: Zu Mäusen und Elefanten gibt es eine grosse Anzahl Verhaltensstudien und -bücher. Bei Fischen hingegen steckt die Verhaltensforschung in den Kinderschuhen. Die Forschungslücken sind gross.
Viele Aquakulturen sind nicht tiergerecht
Und die Relevanz ebenso: In Aquakulturen werden heute rund 350 Fischarten gehalten. Wenn Weich- und Schalentiere dazu gezählt werden, sind es etwa 500 Arten. Und die Fischzuchtindustrie wächst seit den 1950er Jahren um sieben bis neun Prozent pro Jahr, rascher als jede andere Ernährungsbranche.
Die meisten Fische in Gefangenschaft, das heisst in Aquakulturen, leben in einer künstlichen, reizlosen und engen Umgebung, in der sie viele ihrer natürlichen Bedürfnisse und Verhaltensmuster gar nicht oder nur sehr beschränkt ausleben können.
Da setzt fair-fish an. Zu den Kriterien, die der Verein untersucht und dokumentiert, zählen unter anderem: Umweltreize, Strukturierung der Umgebung, Rückzugsmöglichkeiten, Art der Fütterung, Bewegungsfreiheit, Platz pro Fisch, Besatzdichte, Wasserqualität, Temperatur und vieles mehr.
Das variiert von Fischart zu Fischart ganz erheblich. Billo Heinzpeter Studer nennt ein Beispiel: Wichtig sei die Strecke, die ein Fisch in der Wildnis täglich zurücklege. Ein junger Atlantischer Lachs kann sich auf einem Gebiet von mehreren tausend Quadratmetern bewegen. Das ist in einem Käfig natürlich nicht möglich.
Andere Arten sind standorttreu, wie etwa Tilapia (siehe weiter unten). Da sei eine artgerechte Haltung eher durchführbar. Ein weiteres Kriterium ist: In welchen Tiefen bewegt sich ein Fisch in der Natur? Zander zum Beispiel leben in Tiefen bis zu 30 Metern. In industriellen Zanderzuchten, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind, beträgt die Wassertiefe meist nicht einmal einen Meter. Man verdunkelt einfach die Halle, um so tiefes Wasser zu simulieren. Doch der Wasserdruck ist viel geringer – spielt das eine Rolle? Man weiss es noch nicht.3
Ein Welfare-Score bewertet die artgerechte Fischhaltung
Die Experten und Wissenschaftlerinnen von fair-fish werten die weltweit verstreuten Studien zu Fischwohl und -verhalten aus. Ziel sei, so Jenny Volstorf, die jetzige Leiterin der fair-fish database, für möglichst viele Speisefischarten ein ethologisches, das heisst ein Verhaltensprofil und Kriterien zum Tierwohl zu erstellen. Und auch immer wieder auf die Forschungslücken hinzuweisen. Das Resultat ist die Datenbank fair-fish database, aus der man konkrete Praxisempfehlungen ableiten kann.
Zuerst erstellt das Team Richtlinien mit Mindestanforderungen an die artgerechte Haltung bekannter Fischarten. Basierend darauf kann es einzelne Aquakulturen benoten und beraten. Das Verhalten einer Art in der Natur ist dabei der Goldstandard. Wenn in der Aquakultur Kriterien wie Tiefe oder Bewegungsfreiheit nicht mit dem korrespondieren, was eine Fischart braucht, gibt es eine schlechte Benotung im WelfareScore.
«Wir essen sonst auch keine fleischfressenden Tiere»
Doch welche Fische darf man denn überhaupt noch essen? Billo Heinzpeter Studer sagt:
«Aquakulturen mit Raubfischen sollten beendet werden. Forellen, Zander oder Lachs und viele weitere Arten sind in Käfigen kaum artgerecht zu halten. An Land halten wir ja auch keine fleischfressenden Tiere in Käfigen für unseren Fleischkonsum. Wir essen keine Tiger, Wölfe oder Marder, sondern Rinder, Hühner oder Schweine, alles Vegetarier oder Omnivoren.»
Die Raubfische werden meist mit Fischmehl und Fischöl kleinerer Tiere gefüttert, also mit Sardinen und Sardellen, die extra hierfür gefangen werden. Damit ist wieder viel Tierleid verbunden. Und es ist absolut nicht nachhaltig.
Bestnoten für die Zucht von Tilapia
Am besten schneiden Tilapia aus der Familie der Buntbarsche im WelfareScore ab. Die könne man in einer verbesserten Aquakultur am ehesten so halten, dass es ihnen wohl ist. Und Fausta Borsani, Geschäftsleiterin von fair-fish international, ergänzt: «Wir forschen jetzt auch zur Reduktion des Fischleids in der Fischerei. Unser Ziel ist, dass auch für freilebende Fische Richtlinien für schonende Fischerei, für Fang- und Tötungsmethoden erstellt werden können.»
Zum Beispiel Tilapia
Tilapia aus der Familie der Buntbarsche ernähren sich vor allem von Algen und Plankton. Sie bevorzugen komplexe Umgebungen, wo sie Schutz vor Feinden finden und ihre Nester bauen können. Sie leben in Schwärmen und können bis zu neun Jahre alt werden. Nach der Befruchtung brütet das Weibchen bis zu 240 Eier in seinem Maul aus, bis nach 7 bis 18 Tagen die Jungen schlüpfen.
Tilapia sind sehr fruchtbar, laichen mehrere Male pro Jahr und wurden deshalb schon von den alten Ägyptern in Zuchtfarmen gehalten. Da Männchen schneller wachsen und grösser werden, halten industrielle Tilapia-Fischfarmen fast nur noch Männchen.
Hauptprobleme bei diesen Fischfarmen: Tilapia brauchen Zugang zu Licht und Dunkelheit. Sie benötigen eine strukturierte Umwelt, werden aber oft in bedeckten Tanks ohne Strukturen gehalten. Sie brauchen auch genügend Raum, um ihre Hierarchien und ihr Territorialverhalten zu etablieren, was oft nicht möglich ist.
Aus der fair-fish database lässt sich entnehmen, dass Nilbuntbarsche intelligente Individuen sind, die lernen können. In kleinen Gruppen bilden sie innerhalb von Stunden sorgfältig arrangierte Hierarchien und halten sich daran. Das ist ohne individuelle Erkennung von Artgenossen nicht möglich.
Es gibt ein Protokoll, wie Tilapia human getötet werden können – doch das wird in den allermeisten Fällen noch nicht befolgt.
Fische hätten ein reges Sozialleben, sagt Billo Heinzpeter Studer: «Sie kommunizieren rege miteinander, sie knurren, trommeln, zirpen, fauchen, grunzen oder quietschen.»4
Anders bei Kühen: Bei ihnen spielen Laute zur Verständigung untereinander keine grosse Rolle. Bei Kühen ist die Körpersprache viel wichtiger.
*«verwoben und verflochten – Was Mikroben, Tiere und Pflanzen eint und wie sie uns ernähren», Hrsg. Florianne Koechlin, Lenos-Verlag 2024, 32.00 CHF/Euro. Hier bestellen.
Aus dem Verlagstext: «Im Boden pulsiert eine phantastische Vielfalt kleinster Organismen. Sie ermöglichen das Überleben der Pflanzen. Auch wir Menschen hängen von ihnen ab. Mikroben waren schon ein paar Milliarden Jahre auf der Erde, bevor sich anderes Leben entwickelte. Sie »erfanden« fast alles, was das Leben ausmacht. Mit uns sind sie auf das komplexeste verwoben, und dabei sind Kooperation und Konkurrenz oft nicht unterscheidbar, ein Netz von Beziehungen, das sich ständig verändert.
Ameisen beispielsweise sind mitnichten kleine Automaten. Es gibt mutige, faule und ängstliche, und das Funktionieren eines Ameisenhaufens hängt von der Kommunikation untereinander ab. Und Kühe haben eine ausgeprägte Körpersprache, die zu verstehen viel Stress und Arbeit ersparen kann, den Tieren und den Bauern und Bäuerinnen.
Was bedeuten solche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse für unsere Ernährung und für die Landwirtschaft? Florianne Koechlin befragte für ihr neues Buch zahlreiche Expertinnen und Experten und erhielt stets die gleiche Antwort: Vielfalt, Bodengesundheit und lokale Kreisläufe sind das Rezept für morgen.
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FUSSNOTEN
1 Victoria Braithwaite nähert sich der Frage, ob Fische Schmerzen haben, Schritt für Schritt an: Fische, so konnten sie und ihr Team zeigen, besitzen Schmerzsinneszellen (sog. Nozizeptoren), die über den ganzen Körper verteilt sind. Weiter konnten sie nachweisen, dass Fische auch Nervenzellen haben, die mit den Schmerzsinneszellen verbunden sind und elektrische Signale an das Gehirn weiterleiten. Doch das sei noch kein Beweis für Schmerzempfinden, schreibt sie, solche Signale könnten auch unbewusste Reflexantworten auslösen, ohne dass ein Fisch Schmerzen empfinde. Als Nächstes führten sie das im Text beschriebene Experiment mit dem gelben Lego-Gebäude im Aquarium durch.Doch Schmerz ist nicht einfach Schmerz. Haben Fische neben akuten Schmerzen auch chronische Schmerzen, gar Furcht, Stress, Depressionen, andere negative Empfindungen? Braithwaite argumentiert, dass Schmerzempfindung eine Art Bewusstsein voraussetze, eine Art inneres Erleben, das die Tiere zu komplexem Verhalten befähige, dass sie zum Beispiel auch Entscheidungen treffen könnten. Sie beschreibt eine Forschung von Redouan Bshary und seiner Gruppe von der Universität Neuenburg: Es ist eine erstaunliche Teamarbeit zwischen einem Zackenbarsch und einem Aal. Wenn ein kleiner Fisch, vom Zackenbarsch gejagt, sich in ein Loch eines Korallenriffs rettet, hat der Zackenbarsch verschiedene Optionen. Er kann vor dem Riff warten, was aber sehr lange dauern kann und unsicher ist. Er kann sich auch entscheiden, die Beute nicht allein zu erjagen und einen Aal zu Hilfe zu holen. Der Zackenbarsch sucht also einen Aal, lockt ihn aus dessen Versteck und führt ihn zum Riff. Dann zeigt er ihm, wo sich sein Beutefisch versteckt hat, indem er seinen Körper vertikal aufstellt und manchmal den Kopf schüttelt. Der so informierte Aal erkennt, dass sich ihm hier eine leicht zu beschaffende Mahlzeit bietet, dringt in das Riff und beginnt nach der Beute zu suchen. Manchmal verjagt der Aal den Beutefisch, der aus dem Riff flieht und vom wartenden Zackenbarsch geschnappt wird. Und manchmal erwischt der Aal den Beutefisch. Die Chancen stehen etwa fünfzig-fünfzig. Diese erstaunliche Teamarbeit zwischen zwei nichtverwandten Fischen lasse auf eine Art von Bewusstsein schliessen, die auch die Empfindung von Schmerzen umfasse, schreibt Braithwaite. Es gebe keinen logischen Grund, warum wir nicht auch bei Fischen die gleichen Tierwohlüberlegungen anstellen sollten wie bei Vögeln oder Säugetieren. Braithwaite V. 2010.
2 Fausta Borsani von fair-fish schreibt (persönliche Mitteilung): «Zusammen mit Wissenschaftler:innen der ‹Fish Ethology and Welfare Group› entwickelte fair-fish in der Praxis die wissenschaftlichen Grundlagen von Fischwohl-Richtlinien in der Aquakultur für das internationale Label ‹Friend of the Sea». Auf dieser Basis entstanden Fischwohl-Richtlinien für 24 Fischarten, die 2021 in den Friend-of-the-Sea-Standard übernommen wurden. Der Standard muss aber noch implementiert werden. Es gibt noch keine Fische auf dem Markt, die mit diesem Standard gehalten werden.»
3 Ein weiteres Kriterium ist die Aggregation: Lebt eine Fischart in bestimmten Lebensphasen solitär, dann wieder im Schwarm? Aale zum Beispiel bilden zur Paarungszeit Schwärme, wo sie eng zusammen sind, sonst sind sie eher solitär. Sie also immer ganz eng in Käfigen zusammengepfercht zu halten entspricht nicht ihrem Bedürfnis. Da können sie aggressiv werden.
4 Roland Kurt, Fischforscher und Angler, untersuchte mit einem Unterwassermikrofon Lautäusserungen von Fischen in Schweizer Seen. In seinem Buch Die akustische Welt der Fische schreibt er: «Folgende bewusst erzeugte Lautarten können wir bei uns im Süsswasser von Fischen mit dem Hydrofon hören: röhrende Laute; Klopflaute; Pfeiflaute; Knisterlaute; rülpsende Geräusche; metallisch klingende Geräusche; Grunzlaute; Trommellaute; Belllaute; fauchende Geräusche; Knallgeräusche.» Kurt R. 2019, S. 12.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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