Campylobacter_Resistent_Poulet

Probenahme: Resistente Campylobacter-Keime auf Geflügelfleisch © SWR

Antibiotika-resistente Keime auf Poulets

Urs P. Gasche /  Es kommt zu Todes- und schweren Krankheitsfällen. Doch die «NZZaS» belässt es bei – seit 25 Jahren erfolglosen – Hygiene-Aufrufen.

In Schweizer Geschäften sind dreimal mehr Poulets mit krank machenden Campylobacter-Keimen verseucht als in schwedischen Läden (siehe Grafik weiter unten). Campylobacter verursachen noch schwerere Magen-Darm-Krämpfe, Durchfall und Fieber als die Salmonellen. In den letzten Jahren haben Campylobacter-Erkrankungen in der Schweiz auf über 100’000 pro Jahr stetig zugenommen. Das schätzt Martin Loessner, Lebensmittel-Mikrobiologe am ETH-Institut für Lebensmittelwissenschaften, in der «NZZ am Sonntag» vom 27. März 2016. Offiziell von Ärztinnen und Ärzten gemeldet wurden in den letzten Jahren laut Bundesamt für Gesundheit zwischen 7000 und 8000 Fälle. Doch nur eine Minderheit der Erkrankten geht zum Arzt und nicht jeder Arzt lässt den Stuhl der PatientInnen analysieren.

«Rohe Poulets zu Hause wie Gift behandeln»

Schon im Jahr 1990 hatte der «Kassensturz» die Verseuchung der roh verkauften Poulets mit den krank machenden Campylobacter-Keimen sowie die Untätigkeit der Behörden angeprangert.


Der «Blick» verbreitete am 5. September 1990 die Informationen des «Kassensturz»
Schon damals deutete Vieles darauf hin, dass verseuchtes Poulet-Fleisch ein Hauptüberträger der Keime ist, weshalb die TV-Sendung Massnahmen bei der Massentierhaltung und in Schlachthäusern forderte.
Doch das Bundesamt für Gesundheit BAG behauptete in seinem Bulletin noch 1993, Poulets seien «kein signifikanter Risikofaktor». Einzig bei der «Geflügelleber» bestehe «ein geringes Risiko». Dieses könne jedoch «auf praktisch Null reduziert» werden, wenn man sie «so durcherhitzt, dass sie bis in den Kern gar ist».

In den folgenden Jahren ergaben Stichprobentests der KonsumentInnen-Zeitschriften «K-Tipp» und «Saldo» wiederholt, dass in den Deutschschweizer Läden ein Drittel des rohen Poulet-Fleisches mit Campylobactern belastet war.
Doch statt bei der Massentierhaltung und in grossen Schlachthöfen dafür zu sorgen, dass die Fleischbranche den Läden möglichst wenig Pouletfleisch mit Krankheitskeimen liefert, spielte das BAG den Ball den Konsumentinnen und Konsumenten weiter. Noch heute ist auf der BAG-Homepage zu lesen:

  • «Ob frisches oder tiefgefrorenes Geflügelfleisch: Es wird empfohlen, das Fleisch vollständig durchzugaren, sich die Hände regelmässig mit Seife zu waschen und möglicherweise kontaminierte Küchenutensilien und Oberflächen gründlich mit Warmwasser und Reinigungsmittel zu waschen und abzutrocknen.»

In der Praxis ohne grosse Warnaufschriften nicht durchzusetzen
Im Klartext: Geflügelfleisch solle man in der Küche wie Gift behandeln. Dass diese vom BAG seit 25 Jahren empfohlene «Verbeugung» in der Praxis nicht viel taugt, zeigt die starke Zunahme der Campylobacter-Erkrankungen. Kein Wunder: Das BAG verlangt auf den Geflügel-Packungen keine deutlichen Warnhinweise und schon gar kein «Behandeln wie Gift»-Symbol. Solche unübersehbaren Warnhinweise könnte den Absatz schmälern. Und dann bekämen es die Behörden mit der Fleischlobby zu tun.
Dem «Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (!) und Veterinärwesen» BLV hat das Parlament keine Kompetenz eingeräumt, besonders verseuchte Massenställe oder Schlachthöfe zu büssen. Das BLV hat solche Kompetenzen allerdings auch nie öffentlich eingefordert.
Anders in einzelnen skandinavischen Staaten und in Neuseeland: Dort haben die Behörden dafür gesorgt, dass die Campylobacter im Geflügel keine Massenerscheinung werden. In Schweden beispielsweise ist es gelungen, den Anteil an verseuchtem Pouletfleisch in den Läden auf unter zehn Prozent zu drücken.

Anteil von Poulets in Schweden, die mit Campylobacter belastet waren. Bild in grösserem Format hier. Quelle www.svenskfagel.com.

Tausend Spitaleinweisungen pro Jahr
Die Haltung der Schweizer Behörden änderte sich auch nicht, nachdem das BAG vor zwei Jahren die «Hauptursache» für Campylobacter-Erkrankungen zugeben musste: «Pouletfleisch, rund um Weihnachten besonders bei Fondue Chinoise». Diese «Vermutung» habe eine Studie des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts in Basel bestätigt. Rund 15 Prozent aller von der Untersuchung erfassten Erkrankten, die einen Arzt aufsuchten, mussten sich in Spitalpflege begeben. Von insgesamt über 7000 erhobenen ArztpatientInnen macht dies über 1000 Spitaleinweisungen pro Jahr. Besonders betroffen sind PatientInnen mit Immunschwäche, Infektionen oder einer Chemotherapie.
Doch wiederum schob das BAG «Massnahmen» den KonsumentInnen ab:

  • «Eine Infektion wird insbesondere durch individuelle Zubereitung von Poulet am Tisch begünstigt, da es hierbei zu einer Übertragung des Bakteriums von rohem Fleisch auf andere Lebensmittel kommen kann. Das Risiko einer Infektion lässt sich folglich durch eine konsequente Trennung von rohem Fleisch und anderen Lebensmitteln senken…»

Viele Campylobacter sind resistent gegen Antibiotika
Damit nicht genug: Bereits seit 2005 ist bekannt, dass es bei Campylobacter-Bakterien zu «erheblichen Antibiotika-Resistenzen» gekommen ist. Schon damals waren bei manchen Untersuchungen bereits vier von fünf Proben resistent (Quelle: Report der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA). Wenn diese Keime bei Wunden eine Infektion auslösen, besteht grössere Komplikations- und Lebensgefahr.
Die Konsumentenzeitschriften «K-Tipp» und «Saldo» fordern wie die Stiftung für Konsumentenschutz SKS schon seit vielen Jahren, dass das Übel bei der Produktion von Geflügelfleisch angepackt wird. Doch bisher vergeblich. Die Lebensmittelverordnung schreibt zwar vor: «Nahrungsmittel dürfen Stoffe und Organismen nur in Mengen enthalten, welche die menschliche Gesundheit nicht gefährden.» Doch die KonsumentInnen sollen weiterhin Lebensmittel erhalten, die sie zu Hause wie Gift behandeln müssen, wenn sie ihre Gesundheit nicht gefährden wollen.
Einfach ist das Unterfangen bei der Geflügelproduktion und -verarbeitung nicht. Doch die Schweiz könnte zum Beispiel von Neuseeland viel lernen. Dort haben eine ganze Reihe von Massnahmen das Campylobacter-Risiko merklich reduziert (siehe WHO-Report 2013 «The Global Campyolbacteriosis», ab Seite 42).

NZZ am Sonntag belässt es bei «Tipps»
In ihrem Bericht «Vorsicht beim Umgang mit rohem Fleisch» informierte die «NZZ am Sonntag»* weder über die gefährlichen Antibiotika-Resistenzen noch über die Zustände bei der Massenhaltung und in Schlachthöfen. Dafür erteilt sie «Tipps für den Genuss»: Hände immer gründlich waschen, Verpackungen sofort in den Abfall, alle Utensilien oder Arbeitsflächen mit Spülmittel reinigen, Zutaten von rohem Fleisch konsequent trennen.
Wer all dies beachte, habe «keinen Grund zur Panik», beruhigt die «NZZ am Sonntag». Was Konsumenten- und Patientenorganisationen dazu meinen, erfuhren die LeserInnen nicht.

*Artikel nur kostenpflichtig erhältlich


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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3 Meinungen

  • am 8.04.2016 um 21:48 Uhr
    Permalink

    Fragt sich wie das am Ende mit Volksvertretung, Räten, Parlamenten und immer auch gern Kommissionen und der hiesigen Variante einer Demokratie aussieht wenn folgendes «den Absatz schmälern. Und dann bekämen es die Behörden mit der Fleischlobby zu tun.» … aber dann, es geht ja nur um eine Variante von Demokratie.Nicht wirklich erstrebenswert das… immerhin führt derartiges regelmässg zu tip top rankings wenn es um Standortwettbewerb geht.

  • am 11.04.2016 um 17:26 Uhr
    Permalink

    Das BAG (Bundesamt für Geschäftemacher) empfiehlt dafür lieber Impfungen aller Art. Das schadet keiner Industrie sondern fördert irgendeine.

  • am 12.04.2016 um 11:32 Uhr
    Permalink

    Ja das BAG! Das ist an vielem interessiert, nur nicht daran, dass die Bürger gar nicht erst krank weden. Kranke zu behandeln – und das nach Möglichkeit sehr lange – das ist etwas anderes. Das bringt Umsatz, den die Betroffenen noch über Krankenkassen etc selbst bezahlen.
    Zum Pouletfleisch und Fleisch allgemein, auch da gilt «Du bist, was Du isst» also wie und was wird gefüttert, wie werden die Tiere gehalten. Dazu gehört auch die Art der Schlachtung. Auf dem Fleisch von gestressten und kranken Tieren fühlen sich Keime und diverse Erreger wohler. Für Veganer auch pflanzliches Futter – für Mensch und Tier – ist oft verseucht.
    Das wahrscheinlich grösste Problem ist, dass mit Nahrungsmittel (auch Milch) Preiskrieg geführt wird. Produzenten lernen sehr schnell, wenn der Umsatz zurück geht. Also sind da vor allem die grossen Detailhändler gefragt. (in Deutschland haben die Vertreter der Lebensmittelbranche dagegen protestiert, dass ein Grosshändler von seinen Lieferanten verlangt, dass sie nur noch Produkte ohne Erdölrückstände liefern!!)
    Dann kommt natürlich auch dazu, dass der Umgang mit Nahrungsmittel gelehrt werden muss.
    En Guete

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