Agrar-Industrie will Gewässer stärker vergiften dürfen
Die Schweiz vergiftet ihre Gewässer stärker als sie sich erlaubt. Dies zeigt ein letztes Jahr publizierter Bericht im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu). Damit liess der Bund untersuchen, ob die Ziele des 2017 verabschiedeten Aktionsplans Pflanzenschutzmittel erreicht werden. Dieser wurde vom Bundesrat im Rahmen des Gegenvorschlags zur Trinkwasserinitiative verabschiedet, weil «die in Pflanzenschutzmitteln enthaltenen biologisch wirksamen Stoffe unerwünschte Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt ausüben können».
Doch die Fachleute zeigten: Zulässige Grenzwerte für Gifte werden an über der Hälfte der Messanlagen überschritten. Die Vorgaben werden in fast allen kleinen und mittelgrossen Fliessgewässern nicht eingehalten. Die Zwischenziele, welche der Aktionsplan bis 2027 erreichen will, liegen damit in weiter Ferne.
Trotzdem gehen Bundesrat und Parlament nicht härter gegen den Giftmitteleinsatz vor. Das Parlament entschied unlängst gar, dass die Schweiz die Zulassungsentscheidungen der EU für Pestizide übernehmen soll. Dies obwohl Gewässerschutzfachleute das Bestreben klar ablehnten. Verschiedene Recherchen von Schweizer Medien zeigten in letzter Zeit, wie stark die Bestrebungen sind, den Schutz vor Giftmitteleinsatz in der industriellen Landwirtschaft zu lockern.
Eine diskrete Bauerngruppe im Parlament
So berichtete die NZZ am Sonntag (NZZaS) unlängst darüber, dass der Bundesrat eine Motion des Luzerner Mitte-Nationalrats Leo Müller befürwortet. Müller fordert darin, dass die Zulassung eines Giftstoffs erst überprüft wird, wenn er an 20 Prozent der Messstellen den Grenzwert überschreitet. Derzeit erfolgt die Überprüfung, wenn dies an 10 Prozent der Messstellen der Fall ist. Müller war jahrelang im Verwaltungsrat der Fenaco. Der grösste Agrarkonzern hierzulande handelt mit Pflanzenschutzmitteln.
Müllers Nachfolgerin im Verwaltungsrat ist die Freiburger FDP-Ständerätin Johanna Gapany. Wie die NZZaS-Recherchen zeigten, bildet sie zusammen mit Müller eine diskrete Gruppe von Argarindustrie-LobbyistInnen im Parlament. Zu ihr gehören SVP-Nationalrat Hans Jörg Rüegsegger, ehemaliger Präsident des Berner Bauernverbands, seine Zürcher Kollegen Martin Haab und Martin Hübscher, sowie die Berner SVP-Nationalrätin Katja Riem. Neben Müller haben auch Riem und Gapany unlängst Vorstösse eingereicht, um mehr Giftmittel einsetzen zu dürfen.
Im erwähnten Expertenbericht ist auch die Rede von Giftstoffen, für die noch gar kein Grenzwert besteht. Einige von ihnen überschreiten aber Richtwerte für Umweltgifte. Das giftige Insektizid Cypermethrin, das Blattläuse oder Kartoffelkäfer tötet, tat dies gar 2000-fach. Als besonders giftig gilt auch Deltamethrin, welches die Qualitätskriterien hundertfach überschritt. Beide Stoffe sind grundsätzlich zugelassen.
Ein hochgiftiger Stoff bleibt nur ohne Grenzwert zugelassen
Die Sendung «Rundschau» von SRF berichtete Anfang Februar, dass das Bafu für Deltamethrin eigentlich Grenzwerte einführen wollte. Doch weil Vertreter der Landwirtschaft dies ablehnten, sah man davon ab. Sie befürchteten, dass der Stoff in diesem Fall verboten würde. Dies zeigt ein Dokument der Ämterkonsultation zum Geschäft.
Für den auf Umweltrecht spezialisierten Anwalt Hans Murer verstösst das Vorgehen von Bundesrat Albert Röstis Departement gegen das Vernehmlassungsgesetz. Zudem ist er wie die Experten im Bafu der Ansicht, dass damit die Gewässerschutzverordnung umgangen wird. Gegenüber der Rundschau wollte der Bauernverband keine Stellung nehmen. Für Nationalrat Leo Müller ist die Lebensmittelproduktion in der Schweiz bereits sehr eingeschränkt. Sollte die Gewässerschutzverordnung entsprechend umgesetzt werden, würde dies die hiesige Nahrungsmittelversorgung gefährden.
Verbotene und risikoreiche Mittel
Neben zugelassenen Giftstoffen in zu hohen Dosen vergiften auch nicht zugelassene Stoffe die Schweizer Umwelt. Dies zeigte eine Recherche der Tamedia-Redaktion. Die Stoffe lassen sich einfach im Internet bestellen. Landwirtschaftsbetriebe erhalten zwar Direktzahlungen, wenn sie freiwillig auf gewisse Stoffe verzichten. Doch das System basierte auf Selbstdeklaration. Kontrollen auf Feldern fehlten grösstenteils. Nun zeigten Laboranalysen aus einzelnen Kantonen. Es sind Mittel im Umlauf, die hochgiftig und deshalb verboten sind.
Risiken bergen auch Mittel, die neu entwickelt wurden. Der K-Tipp wollte kürzlich vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit wissen, welche Produkte es 2024 neu zuliess. Eine Analyse der 101 Mittel förderte 21 Pestizide zutage, bei welchen gar laut Behörden «besonderes Risikopotenzial» vorhanden war. Weshalb wurden sie trotzdem zugelassen? Das Amt fand dazu, es müssten auch «die Anforderungen der Landwirtschaft berücksichtigt werden».
Kleinbauernvereinigung warnt eindringlich
Doch nicht alle Schweizer Landwirtschaftsbetriebe stützen sich bei ihrer Arbeit so stark auf Giftmittel, dass sie bereit sind, dafür der Umwelt zu schaden. Die Kleinbauernvereinigung etwa schreibt auf Infosperber-Anfrage: «Wir schliessen uns der Position von Expertinnen und Experten von Bafu, Ökotoxzentrum und kantonalen Laboratorien an. Für die vom Bundesamt für Umwelt vorgeschlagenen Stoffe müssen Grenzwerte bezüglich Gewässerschutz definiert werden.»
Zudem lehne die Kleinbauern-Vereinigung auch die von Nationalrat Leo Müller geforderte Anpassung des Gewässerschutzgesetzes – sowie die anderen Tendenzen, die darauf zielten, die Fortschritte im Schutz von Menschen, Tieren und der Umwelt vor den negativen Auswirkungen von Pestiziden aufzuweichen – «vehement» ab.
Auch die Kleinbauernvereinigung lobbyiert im Parlament. Der Berner Grünen-Nationalrat Kilian Baumann ist Präsident der Organisation. Er wollte vom Bundesrat letzten Monat wissen: «Umgeht der Bundesrat das Gewässerschutzgesetz?» Die Antwort der Regierung lautete: «Der Bundesrat hat in dieser Sache noch keinen Entscheid gefällt.»
Die Kleinbauernvereinigung warnt gegenüber Infosperber: «Mit der Umsetzung dieser Vorhaben würde die Schweizer Landwirtschaft beim Schutz von Menschen, Tieren und der Umwelt vor den negativen Auswirkungen von Pestiziden bald zum Schlusslicht in Europa.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Könnte wohl theoretisch in Betracht gezogen werden können, dass die Lobbyisten der Agrarindustrie die Hoffnung haben, wenn der Boden und das Grundwasser mit Giftstoffen versorgt wird, dann könnte die Industrie lukrative Aufträge für Reinigungssysteme erhalten und die Agrarindustrie könnte dann
auf die Hilfe der Industrie hoffen, dass noch mehr Wünsche erfüllt werden könnten: «Alter Spruch: «Eine Hand wäscht, die andere»
Gunther Kropp, Basel
Danke Herr Sigg! Wieso werden Schüler, Lernende und Studierende benotet, aber Behörden nicht? Wieso werden Uebertretungen im Strassenverkehr bestraft, aber in der Landwirtschaft (meistens?, immer?) nicht? Wieso wird jeder Flugzeugabsturz genauestens untersucht, um die Sicherheit zu verbessern, aber beim Umweltschutz nicht? Sollten vor dem Gesetz nicht alle gleich behandelt werden? Wieso haben wir Gesetze, wenn sie keine Konsequenzen haben?
Und dann wollen mir die Bauern noch sagen sie schützen die Natur ? Grotesk, absurd, schamlos.
Im vom Bauernverband organisierte „Konferenz der bäuerlichen Parlamentarier“ kommen auf die vierzig Mitglieder mehr als 200 Mandate in Verwaltungsräten, Vorständen und Geschäftsleitungen von Detailhändlern, Verarbeitern, Agrarkonzernen und Verbänden dieser Branchen. Ein Viertel der Mitglieder hat selber überhaupt keinen bäuerlichen Hintergrund, sondern nur solche Mandate. Mit denen wird sich nie etwas ändern weil sie nicht auf die Mandatsgelder verzichten wollen. Die unsägliche Angstmacherei mit der Preiserhöhung : Tasache ist dass Bauern für ihre Produkte zuwenig erhalten. Der grosse Teil der Gewinnmarge sahnt hingegen der Zwischenhandel und die Grossverteiler ab. Emmi, Landi, Cremo, Ramseier, Volg und Fenaco, als Zulieferer und Grossverteiler, gehört den Bauern selber. Zusammen mit Coop und Migros werden die zu tiefen Produktepreise durchgesetzt. All das wird durch rechtsbürgerliche Mehrheiten geschützt.
Bei solch legalen Giftanschlägen auf die Bevölkerung müssen wir keine Angst vor Kriegen haben. Zusammen mit dem Klimawandel werden Gentechnik, ungebremster Medikamenteneinsatz (Antibiotika) in der Fleischproduktion, «Pflanzenschutz» durch für den Menschen gefährliche Chemikalien (bei gleichzeitiger Vernichtung der biologischen Vielfalt wie Insekten), giftige Zusätze in Lebensmitteln und der abnorme Einsatz von Haushaltsreinigern, Wasch- und Spülmitteln sowie Mikroplastik mittelfristig ihren Beitrag zur Steigerung von Allergien und Krebserkrankungen und somit zur Reduzierung der Menschen leisten. Abgesehen vom schädlichen Einfluss auf die Fortpflanzung und den Hormonhaushalt. Während dafür Milliarden ausgegeben werden, um noch mehr Milliarden Profit zu machen, werden die Risiken kleingeredet oder es wird erst gar nicht darüber berichtet. Trost: Letztenendes werden auch die Hersteller und Lobbyisten nicht umhin können, dieses Gift zu konsumieren, weil es mittlerweile überall ist.
Es ist an der Zeit, dass ein für allemal die JUSTIZ den staatlich sanktionierten Giftmischern in den Arm fällt. Es muss aufhören, dass jenes Gewerbe, das ganze 0,6 Prozent am BIP besitzt und jene Berufsgattung, die einen Anteil von gerade mal 2,3 Prozent der Erwerbstätigen im Land stellt, ungestraft und mit Rückendeckung von Gesetzgeber und Bundesrat Böden und Gewässer aus renditeorienterten Gründen nach Belieben vergiften darf.