Kommentar

Ein «Ja» bremst für etliche Jahre die steigenden Prämien

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Die einheitliche Finanzierung aller medizinischen Leistungen entlastet die Kassen und senkt Risiken für Patientinnen und Patienten.

In der Schweiz wird viel häufiger als im Ausland im Spital operiert statt ambulant. Dies nicht etwa aus medizinischen Gründen, sondern wegen falscher finanzieller Anreize. Diese Anreize sind besonders absurd, weil bei vergleichbaren Patienten – ohne besondere Risiken und ohne schwere Grunderkrankungen – eine stationäre Operation mindestens das Doppelte kostet. Im Spital braucht es eine grössere Infrastruktur, eine 24-Stunden-Betreuung, mehr Personal und Betten.

Vergleichbare Operationen werden im Ausland sogar doppelt so häufig ambulant durchgeführt wie in der Schweiz. Bei uns liegen Patientinnen und Patienten viel häufiger im Spital, wenn es um die Arthroskopie eines Kniegelenks geht, oder um eine Krampfadernoperation, oder um eine Operation der Leistenhernie oder um Untersuchungen der Gebärmutter oder am Gebärmutterhals. 

Die viel höheren Kosten sind das eine. Doch ausserdem gehen die Patientinnen und Patienten im Spital auch unnötig Risiken ein. Denn Spitalaufenthalte bergen stets die Gefahr, dort eine Infektion aufzulesen oder Opfer einer Medikamentenverwechslung zu werden.

Eidgenössischer Kompromiss

Bei der neuen einheitlichen Finanzierung sollen die Kassen 73 Prozent aller Kosten übernehmen und die Kantone 27 Prozent. Bisher zahlten die Kantone an die ambulanten Gesundheitskosten keine Beiträge. Dafür zahlen sie für Behandlungen in den Spitälern heute 55 Prozent. 

Dem Schlüssel 73:27 unterliegen neu auch die Pflegekosten. Die Kassenverbände hatten sich vergeblich dagegen gewehrt, doch die Kantone setzten sich im Parlament durch. Das Resultat ist ein Kompromiss, den die Kassen trotzdem unterstützen.

Falls die Pflegekosten im nächsten Jahrzehnt wie erwartet deutlich stärker ansteigen als die ambulanten und die Spitalkosten, wird der Anteil der Kassen und damit der Prämienzahlenden an den Gesamtkosten zunehmen. Deshalb sagen der VPOD und der Gewerkschaftsbund, die Vorlage führe zu «höheren Prämien». Auch SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi hatte die Vorlage zuerst mit dem gleichen Argument abgelehnt.

Dazu ist Folgendes festzuhalten:

  • Der Zentralvorstand des Verbands der Pflegefachkräfte (SBK) hat einstimmig Stimmfreigabe beschlossen und bekämpft die Initiative nicht. Viele Punkte, die der SBK kritisiert habe, seien ins Gesetz aufgenommen worden, insbesondere kostendeckende Tarife.
  • Es ist unbestritten, dass die einheitliche Finanzierung die Prämienzahlenden in den nächsten Jahren entlasten wird. Denn die ambulanten Kosten, an denen sich die Kantone neu beteiligen, fallen viel mehr ins Gewicht als die Pflegekosten.
  • Selbst wenn der Anteil der Pflegekosten in Zukunft stärker ansteigt als der Anteil der ambulanten und stationären Kosten, wird es nach Inkrafttreten mindestens fünf bis zehn Jahre dauern, bis der Anteil der Krankenkassenkosten an den Gesamtkosten grösser wird als heute.
  • Sollte es so weit kommen, kann das Parlament den Kostenschlüssel im Gesetz zugunsten der Prämienzahlenden ändern. Falls nicht, hätte eine Volksinitiative gute Chancen, den Schlüssel zu Lasten der Kantone zu verändern.
  • Die SVP-Parteispitze, die ein «Nein» empfahl, wurde am Parteitag von der Basis desavouiert.

Fazit: Die einheitliche Finanzierung aller medizinischen Leistungen bringt eine Vereinfachung, eine mehrjährige Prämienbremse und weniger Spitalaufenthalte. 


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Keine
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5 Meinungen

  • am 17.10.2024 um 10:50 Uhr
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    Augenöffner, was Infosperber über unser teures Krankenwesen schreibt: Spitalaufenthalte bergen stets die Gefahr, dort eine Infektion aufzulesen oder Opfer einer Medikamentenverwechslung zu werden.
    EFAS, wie soll da das Stimmvolk den Durchblick haben? SP Schweiz scheibt in ihrem aktuellen Rundmail: Die neue Reform der Gesundheitsfinanzierung (EFAS) schadet den Versicherten und den Patient:innen. Zusätzlich wird Efas den Druck auf das Pflegepersonal in Pflegeheimen und bei der Spitex erhöhen und so die Qualität in der Pflege verschlechtern.

  • am 17.10.2024 um 11:17 Uhr
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    ist alles plausibel, was sie hier schreiben.
    einzig, ruth dreifuss hat vor 30 jahren genau gleich argumentiert. eingetreten ist aber das krasse gegenteil und zwar mit einer massiven beschleunigungsdynamik.
    in der verkehrspolitik, wird nicht nur zu unrecht damit argumentiert, dass mehr angebot (an strassen, tunnels, etc.) längerfristig zu mehr und nicht zu weniger verkehr führt. mit dieser neuregelung werden «kleinere» eingriffe attraktiver, weil eben weniger abschreckend. damit könnte sich mittelfristig der vermeintliche kostenvorteil, längst durch eine viel höhere nachfrage als fehlentscheid erweisen.

  • am 17.10.2024 um 13:30 Uhr
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    Dass in der CH mehr operiert wird, kann ich mir aufgrund der Anreize, die dazu bestehen, durchaus vorstellen.
    Aber Herr Gasche, was ich als nicht haltbar ansehe, ist der Vorwurf, dass OPs im Spital bevorzugt stationär erfolgen. Aus eigener Erfahrung kenne ich das Universitätsspital in Basel und das Bethesda in Basel, welche chirurgische Ambulatorien haben, wo man morgens eintritt und nachmittags, sobald die Anästhesie und die Schmerzsituation es zulassen, wieder nachhause entlassen wird. So habe ich jedenfalls in den letzten 2 Jahren 3 OPs über mich ergehen lassen, und das, obwohl ich mit einem Grad ASA 3 ein erhöhtes Anästhesierisiko mitbringe. Ich hätte es jedenfalls nicht erlebt, dass versucht worden wäre, meine Entlassung unnötig hinauszuzögern. Sogar unser 4-jähriger Sohn wurde im UKBB auf diese Weise operiert – morgens um 9h rein, nachmittags um 17h raus, und das obwohl sich die OP wesentlich aufwendiger als erwartet gestaltet und damit ums doppelte in die Länge gezogen hatte.

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      am 17.10.2024 um 18:40 Uhr
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      Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung, die auf statistischen Vergleichen mit dem Ausland beruhen. Diese Statistiken werden weder vom Spitalverband H+ noch vom Bundesamt für Gesundheit noch von Professoren für Gesundheitsökonomie bestritten. Deshalb hat die einheitliche Finanzierung der Gesundheitsleistung zum Ziel, dass stärkere finanzielle Anreize für ambulante Behandlungen entstehen.
      Aber zweifellos haben auch Schweizer Spitäler in den letzten Jahren vermehrt ambulante Operationen vorgenommen.

  • am 17.10.2024 um 19:28 Uhr
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    We gesagt, ich habe nicht angezweifelt, dass es falsche Anreize gibt; aber was ich selbst erlebt habe und vom Verwandten- und Bekanntenkreis in Bezug auf OPs erzählt bekommen habe, scheint schon seit längerem das Bestreben der Spitäler zu sein, die Patienten schnell wieder aus den Betten rauszukriegen.
    Es dürfte in der CH gewiss besser sein als in D mit den vielen berüchtigten ‹blutigen› Entlassungen, aber weder hätte ich selbst erlebt, noch von anderen Nahestehenden vernommen, dass jeweils Versuche unternommen worden wären, die Patienten vom chirurgischen Ambulatorium auf die Station zu nehmen. Dazu muss man offenbar schon erst post-OP Komplikationen haben, bevor das ernsthaft umgesetzt wird.
    Das spricht für mich doch sehr stark dafür, dass für elektive, überschaubare Eingriffe, wie es die meisten OPs in der CH sicherlich sind, auch konkrete finanzielle Anreiz bestehen müssen, die Leute morgens kommen zu lassen und nachmittags wieder draussen zu haben – sonst wäre es anders, oder?

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