Dr. KURIOS

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Dr. Kurios: Wegen «Fett-weg»-Spritze fast erstickt

Martina Frei /  Bei mehreren Menschen kam es zu lebensgefährlichen Zwischenfällen während der Narkose.

Sie war 25 Jahre alt, stark übergewichtig und hatte einen Abszess in der Brust. Dieser sollte nun in Vollnarkose chirurgisch behandelt werden. Wie empfohlen, hatte die junge Frau mehr als acht Stunden vor dem Eingriff weder getrunken noch gegessen.

Die kleine Operation verlief ohne Zwischenfall. Doch als der Anästhesist am Ende der Narkose die Atemhilfe zum Offenhalten der Atemwege aus ihrem Mund zog, begann die Patientin zu husten und wurde kurzatmig. Der Sauerstoffgehalt in ihrem Blut sank rasch. 

Gefahr des Erstickens

Der Grund für diese gefährliche Atemnot: Feste und flüssige Nahrungsbestandteile ergossen sich aus dem Magen in ihren Rachen und in den Mund. Die Patientin drohte daran zu ersticken. 

Kolumne «Dr. Kurios»

Choleraausbruch mitten in Paris, Explosion des Patienten bei der Darmspiegelung, Halluzinationen durch Hirsebällchen – in der Medizin passieren immer wieder unglaubliche Dinge. Glücklicherweise aber nur sehr selten. Seit über 20 Jahren sammelt die Autorin – sie ist Ärztin und Journalistin – solche höchst ungewöhnlichen Krankengeschichten. Aus ihren früheren Kolumnen sind bisher zwei Bücher hervorgegangen: «Das Mädchen mit den zwei Blutgruppen» und «Der Junge, der immer in Ohnmacht fiel».

Eine solche sogenannte «Aspiration» – wenn der Patient sich verschluckt und Mageninhalt in die Lunge gelangt – ist etwas vom Gefährlichsten bei einer Narkose. Der saure Mageninhalt greift die Lunge an und behindert die lebenswichtige Sauerstoffaufnahme. Die Aspiration kann zum Tod führen. Um diese Komplikation zu verhindern, sollen Patientinnen und Patienten vor einer Narkose weder essen noch trinken, so dass sie mit leerem Magen in die Operation gehen.

Vier Tage vorher eine Spritze 

Die junge Frau hielt sich an diese Empfehlung – und war nun dennoch in Lebensgefahr. So rasch wie möglich saugte das Narkoseteam das Erbrochene ab. Um die Sauerstoffversorgung zu verbessern, wurde die Patientin intubiert und beatmet. Nach 20 Minuten stabilisierte sich ihre Lage, so dass auch diese Narkose beendet und die 25-Jährige extubiert werden konnte. Sie kam ohne Folgeschäden davon, berichten ihre Ärzte in der Fachzeitschrift «Anaesthesia Reports». 

Schuld an diesem lebensbedrohlichen Zwischenfall waren sehr wahrscheinlich die «Fett-weg»-Spritzen, die ihr beim Abnehmen helfen sollten. Einmal pro Woche spritzte sie sich den darin enthaltenen Wirkstoff Semaglutid unter die Haut.

Er bewirkt unter anderem, dass sich der Magen verlangsamt entleert – und erhöht damit das Risiko, dass es bei einer Narkose zur Aspiration kommt. Die letzte «Fett-weg»-Spritze hatte die 25-Jährige vier Tage vor der Operation erhalten. 

Komplikation trotz 20-stündiger Fastenzeit

Sie ist kein Einzelfall. Eine 48-jährige Frau in Kanada beispielsweise, die Semaglutid ebenfalls zum Abnehmen benützte, erbrach innert einer Minute nach Narkosebeginn 200 Milliliter Mageninhalt – obwohl sie vorher 20 Stunden gefastet und acht Stunden vorher nur noch ein Glas Wasser getrunken hatte, und trotz einer sehr niedrigen Dosis Semaglutid, zuletzt zwei Tage vor dem Eingriff. Auch bei ihr wurde erst rückblickend die «Fett-weg»-Spritze als wahrscheinlicher Grund für die Komplikation erkannt.

Da Semaglutid verglichen mit anderen Medikamenten lange wirkt – nach sieben Tagen ist erst die Hälfte einer Dosis abgebaut –, kann die Magenentleerung sogar eine Woche nach der letzten Spritze noch verlangsamt sein. 

Am besten vier Wochen vorher absetzen

US-Ärzte berichteten kürzlich in «Jama Surgery», dass sie 62 Personen, die gegen Diabetes oder zum Abnehmen Semaglutid oder ähnliche Substanzen erhielten, vor einer geplanten Operation mittels Ultraschall untersucht hatten. Bei 34 waren noch Nahrungsreste im Magen zu sehen, obwohl alle Patientinnen und Patienten im Mittel 13 Stunden vorher nichts mehr gegessen hatten. Das Problem trat nicht allein bei Semaglutid auf, sondern auch bei den chemisch verwandten Wirkstoffen.  

Um das Risiko einer Aspiration zu senken, wäre es ideal, Semaglutid vier Wochen vor einer geplanten Operation abzusetzen, raten kanadische Anästhesisten im «Canadian Journal of Anesthesia». Bei Menschen, welche die Spritzen gegen Diabetes einsetzen, sei das aber schwierig. Bei ihnen solle das Vorgehen individuell angepasst werden. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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5 Meinungen

  • am 12.05.2024 um 22:38 Uhr
    Permalink

    Solche Komplikationen sind wohl möglich. Aber bei Patienten, die mangels Impulskontrolle auf diese Weise abnehmen wollen/nicht anders können, sollte nicht davon ausgegangen werden, dass sie sich ausgerechnet in der Stress-Situation einer anstehenden OP schon streng an die Vorschriften halten werden.

    • am 13.05.2024 um 11:33 Uhr
      Permalink

      Herr Müller, bei Semaglutide hält die Wirkung mehrere Tage, wenn nicht gar Wochen an.

      Ich zitiere den Artikel: «Wie empfohlen, hatte die junge Frau mehr als acht Stunden vor dem Eingriff weder getrunken noch gegessen.»

    • am 14.05.2024 um 01:05 Uhr
      Permalink

      Was für ein Unsinn.
      Aber kein Wunder, wenn der Artikel mit Schlagworten wie «Fett-weg»-Spritzen» erscheint.
      Selbst wenn die Patientin das Semaglutid «nur» wegen Übergewicht einnahm und kein Diabetes gehabt hat, warum sind sie in der Lage, die Diagnose zu stellen, ihr Übergewicht auf «mangelnder Impulskontrolle» beruht.
      Sind sie Endokrinologe oder Psychiater, oder gar Hellseher?
      Vermutlich meinen sie ein mangelndes Sättigungsgefühl, was wiederum weniger mit fehlender Kontrolle zu tun hat, als mit einer gestörten Funktion.

      Was ja genau eine von vielen Wirkungen des Semaglutid ist, dieses Sättigungsgefühl wieder herzustellen.
      Was bei dieser Patientin vermutlich auch funktioniert hat…

      «Mangelnde Lern-Impulskontrolle» könnten sie noch eher den Ärzten vorwerfen, welche einen möglicherweise ungeleerten Magen bei einer Patientin mit Semaglutid erst im Nachhinein, nach schweren Komplikationen, feststellen.
      Obwohl diese (erwünschte) NW des Semaglutid jedem Arzt bekannt sein sollte.

  • am 13.05.2024 um 08:55 Uhr
    Permalink

    Ich bin keine Fachperson, aber ich frage mich, wenn bekannt ist, dass Semaglutid genommen wurde, wäre es möglich, vor der Operation den Magen auszupumpen? Eventuell ist es sogar möglich, zuerst die Narkose einzuleiten, dann den Magen auszupumpen, und dann mit der Operation anzufangen?

  • am 15.05.2024 um 00:51 Uhr
    Permalink

    Ja, ich denke auch, es hätte in der Verantwortung des Operationsteams gelegen, sich nicht allein auf die Aussagen der Patienten zu verlassen, sondern zumindest eine Absicherungsuntersuchung durchzuführen. Ein noch gefüllter Magen hätte damit vielleicht noch erkannt werden können – egal ob medikamentenseitig bewirkt oder durch verheimlichtes Essen der Patienten. Zumindest ein schnelles Ultraschallen des Magens sollte sich auch bei adipösen Patienten realisieren lassen. Für ein prophylaktisches Sondieren des Magens um ihn ggf. auspumpen zu können scheint mir die Häufigkeit des Auftretens zu selten und die damit meist unnötige Patientenbelastung unverhältnismäßig schwer. Selbst wenn die Patienten heimlich äßen soll ihnen damit übrigens keine Schuld zugesprochen werden, denn hier auch anzutreffende (und jedenfalls auszuschließende) Suchterkrankungen sind nun einmal mit eingeschränkter Impulskontrolle verbunden. Und dieses Wissen ist mE Grund für den Sinn einer Sicherungsuntersuchung.

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